Bürgerinnen und Bürger als Motor der Energieeffizienz
Der Energieverbrauch der Ukraine ist enorm und muss aus ökonomischer und ökologischer Sicht dringend reduziert werden. Bisher standen dem veraltete Regelungen im Weg. Bürgerengagement eröffnet nun neue Möglichkeiten zur Steigerung der Energieeffizienz.
Die Ukraine ist eines der Länder weltweit, das sowohl pro Kopf als auch gemessen an der Wirtschaftsleistung am meisten Energie verschwendet. Mit einer Energieeffizienz wie im benachbarten Polen müsste die Ukraine keine Energie mehr importieren und würde in der ersten Liga beim Klimaschutz mitspielen. Das ist nicht neu, ebenso wie das Engagement internationaler Partner, dem Land bei der Verbesserung der Energieeffizienz zu helfen. So sind seit der Unabhängigkeit 1991 etliche Pilotprojekte zur Häusersanierung entstanden, Kindergärten und Schulen wurden renoviert, Heizwerke modernisiert. Gleichzeitig sind aber internationale Mechanismen und Finanzhilfen zur Energieeinsparung, zum Beispiel im Rahmen des Kyoto-Protokolls, durch Misswirtschaft und Korruption oft dermaßen entstellt worden, dass sie keinerlei Breiteneffekt entfalten konnten.
Majdan zwingt zum Überdenken des Energieverbrauchs
Nach dem Majdan änderte sich die energiepolitische Großwetterlage einschneidend. Russland hatte seine Gaslieferungen an die Ukraine stets an politische Bedingungen geknüpft. Bisher gewährte Preisnachlässe für politisches Wohlverhalten wurden nun aufgekündigt, sodass die Ukraine für russisches Gas viel mehr zahlen musste als Länder wie Deutschland, obwohl die Transportkosten in die Ukraine wesentlich geringer sind. Der ukrainischen Regierung wurde klar, dass mit billigem Gas aus Russland nicht mehr zu rechnen war. Gleichzeitig drängten internationale Geldgeber auf eine schrittweise aber drastische Reduzierung der Subventionen für billige Energie, die dazu beigetragen hatten, den Staatshaushalt in den Ruin zu treiben und vor allem Großverbrauchern und Zwischenhändlern wie dem Oligarchen Dmytro Firtasch nützten.
In dieser Zwickmühle wurde allen Verantwortlichen schnell klar, dass dringend Energie gespart werden musste – und zwar vor allem im Wohnungsbereich, um die Energiekosten für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für den Staat, nicht durch die Decke gehen zu lassen. Bereits 2014 wurden mit Unterstützung der EU erste massenwirksame Energiesparprogramme aufgelegt. Viele Menschen erhielten relativ unbürokratisch Zugang zu zinsverbilligten Krediten für einfache Maßnahmen zur Verringerung der Energieverluste in ihren Wohnungen und Häusern, zum Beispiel für den Einbau neuer Fenster. Dieses Programm „Warmer Kredite“ wurde durch eine Aufklärungskampagne begleitet, die den Ukrainerinnen und Ukrainern sowohl die Effekte für ihren Geldbeutel als auch für die nationale Sicherheit vor Augen führte.
Ein Monopol und die verworrene Rechtslage erschweren Renovierungen
Solche Maßnahmen reichen aber natürlich nicht, um die benötigten drastischen Einsparungen zu erzielen. Angesichts des Zustandes vieler Wohnhäuser ist eine Grundsanierung oft unabdingbar. Dies scheiterte jedoch bisher an der verworrenen Rechtslage aus den 1990er Jahren, als die Wohnungen an die darin Wohnenden privatisiert wurden, das Gemeineigentum aber seinem Schicksal überlassen blieb. Wenn nun der Fahrstuhl oder das Dach repariert werden mussten, ging das nur mit der Zustimmung aller Eigentümerinnen und Eigentümer, die auch alle einen (ungeregelten) Beitrag zur Bezahlung leisten mussten – in der Praxis ein Ding der Unmöglichkeit.
Hinzu kam, dass alle Dienste um das Haus nur von einem Monopolisten erbracht werden durften. Nicht umsonst hat die Bezeichnung dafür – „ZhEK“ – in der Ukraine einen üblen Leumund. Auch waren vielen Menschen die realen Kosten für Energie, und damit die zu erzielenden Einsparungen, oft gar nicht klar – es gab schlicht und ergreifend keine Zähler zur Messung des Verbrauchs, und selbst dort, wo es sie gab, wurde oft nicht nach Zählerstand sondern nach aus der Sowjetzeit stammenden Verbrauchsnormen abgerechnet. Bürgerengagement wurde damit unmöglich gemacht, die Wohnhäuser verfielen weiter.
Umschwung durch Energieeffizienzfonds und Wohneigentümergemeinschaften
Bürgerbewegte Juristen machten sich nach dem Majdan zusammen mit einigen neu gewählten Parlamentariern daran, genau dies zu verändern. Schneller als der allzu oft schwerfällige Regierungsapparat das vermocht hätte, wurden Gesetze zu Wohneigentümergemeinschaften (WEGs), zu kommunalen Dienstleistungen, zu Energieeffizienz von Gebäuden, zur Heizkostenabrechnung vorbereitet. Diese Gesetze wurden dann Zug um Zug, nach zähem Widerstand der Profiteure des alten Systems und langen Debatten, vom Parlament verabschiedet.
Ab 2015 entstanden überall im Land neue WEGs. Sie vernetzen sich untereinander und bilden eine solide Basis, die die Renovierung ihrer Häuser nun in die eigenen Hände nehmen kann. Ein großes Problem ist jedoch die Finanzierung, denn bei einem offiziellen Durchschnittseinkommen von 240 Euro im Monat gibt es praktisch keinen Spielraum für kostenaufwändige Sanierungsmaßnahmen.
Genau hier setzte im Dezember 2017 die Regierung an und bildete einen speziellen Energieeffizienzfonds, der mit rund 150 Millionen Euro (aus öffentlichen Mitteln der Ukraine, der EU und Deutschlands) solide ausgestattet ist und auf den nur WEGs zugreifen können. Damit diesen Fonds nicht das gleiche Schicksal von Veruntreuung und Misswirtschaft ereilt wie früher zum Klimaschutz unter dem Kyoto-Protokoll bereitgestellte Mittel, wird das Management gemeinsam mit der (zur Weltbank gehörenden) International Finance Corporation betrieben.
Erwachtes Bürgerengagement muss Gesetze nun mit Leben erfüllen
Wo hat nun das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in dieser neuen Rechnung seinen Platz? Zunächst einmal wären weder die grundlegenden Gesetze noch die Vielzahl der WEGs ohne den aktiven Druck und die Teilnahme vieler, vieler Bürger entstanden. Es waren auch Aktivistinnen und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die von Anfang an den Dialog mit den internationalen Partnern der Ukraine gesucht haben, um gemeinsam Lösungen für die Finanzierung von Energiesparmaßnahmen zu finden, die sowohl in allen Regionen des Landes für breite Bevölkerungsschichten verfügbar sind, als auch europäischen Standards von Transparenz und Effizienz genügen. Dementsprechend werden Aktivisten der Bürgerbewegung die Arbeit des Energieeffizienzfonds wachsam und kritisch begleiten, gerade auch vor dem Hintergrund der massiven Veruntreuung ähnlicher Mittel in der Vergangenheit.
Bürgerengagement wird aber vor allem der Schlüssel zum Erfolg sein, um die beschlossenen Gesetze nun mit Leben zu erfüllen. WEGs wurden schon vielfach gegründet, aber werden diese sich auch vom angestammten Monopolisten, dem berüchtigten „ZhEK“, emanzipieren? Werden neue Anbieter von kommunalen Dienstleistungen entstehen, auch selbstverwaltete? Rechtlich ist das jetzt möglich. Werden die Menschen darauf bestehen, nur die Energie zu bezahlen, die sie auch wirklich verbraucht haben – oder werden sie sich, wie früher oft der Fall, von den bisherigen Nutznießern des Systems einreden lassen, dass das alte System der Abrechnung nach Quadratmetern oder Größe der Familie besser sei? Und werden sich viele WEGs an den neuen Energieeffizienzfonds wenden, um ihre Häuser zu renovieren? Schließlich werden dabei erhebliche Eigeninitiative und ein finanzieller Beitrag verlangt, der oft mit Bankkrediten abgedeckt werden muss. Das Jahr 2018 wird darüber mehr Klarheit bringen.
Unter Mitarbeit von Nadiya Vertebna.
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