Wie Phönix aus der Asche
Trotz des fortdauernden russischen Kriegs lebt die ukrainische Wirtschaft wieder auf. In vielen Regionen werden neue Unternehmen gegründet, Arbeitsplätze geschaffen und kreative Ideen entwickelt. Von Olha Vorozhbyt
Die Nachrichten von den ersten Explosionen des großangelegten russischen Überfalls auf die Ukraine las ich im Zug nach Kyjiw. Seit meine Familie 2015 entschieden hat, nach Lwiw zu ziehen, war ich häufig auf dieser Strecke unterwegs. Denn ich arbeitete weiterhin für meine Zeitschrift mit Hauptsitz in der Hauptstadt der Ukraine.
Bei jeder dieser Reisen konnte ich erkennen, wie sich die beiden Städte verändert haben. Diese Veränderungen waren größtenteils zum Besseren und nicht nur in Kyjiw und Lwiw zu beobachten, sondern auch in anderen ukrainischen Städten wie Charkiw, Dnipro oder Mariupol. Trotz des 2014 von Russland begonnenen Kriegs gegen die Ukraine haben sich die durch das EU-Assoziierungsabkommen und verschiedene EU-Programme entstandenen neuen Möglichkeiten positiv auf die Stadtentwicklung ausgewirkt.
Viele meiner Freunde, insbesondere Kreative und Künstler, sind aus der Hauptstadt in die Regionen gezogen. Aktive Bürger vor Ort sind zum Schlüssel für die Entwicklung der Regionen geworden. Einige haben sich dort selbstständig gemacht. Laut der Opendatabot-Statistik ist die Zahl der Kleinunternehmer im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum war das beste Ergebnis der letzten fünf Jahre. In dieser Zeit gelang es vielen, kleine Unternehmen zu gründen – von IT-Startups bis hin zu kleinen privaten Weingütern oder Käsereien.
Kein schnelles Ende
Obwohl die Möglichkeit einer großangelegten Offensive lange vor dem 24. Februar diskutiert wurde und es bereits Evakuierungspläne gab, waren die ersten Explosionen für alle ein Schock. In den ersten zwei Wochen dachten – abgesehen von Mitarbeitern wichtiger Infrastruktureinrichtungen und Journalisten – nur wenige Menschen an die Arbeit. Viele Männer und Frauen schlossen sich den Reihen der ukrainischen Armee und der Territorialverteidigung der Ukraine an, andere kümmerten sich um ihre Bedürfnisse und viele mussten sich vor dem Beschuss in Kellern und Bunkern verstecken. Andere flüchteten an sichere Orte, wenn sie die Möglichkeit dazu hatten.
Innerhalb zwei Wochen war jedoch klar, dass dieser Krieg noch lange dauern könnte. Und dass es Regionen gibt, in denen es ruhiger ist und dort weiter gearbeitet werden kann und muss. „Weißt du, zunächst schien es, als ob niemand meine Arbeit hier in der Ukraine in einer solchen Zeit brauchen würde. Ich habe überlegt, was ich sonst noch für das Land tun könnte“, sagte meine Freundin Natalia, die es geschafft hatte, neben ihren drei Kindern noch eine Familie aus dem umkämpften Kyjiw zu retten. „Aber es stellte sich heraus, dass meine Arbeit plötzlich sehr gefragt ist. Seit Kriegsbeginn wollen die Menschen nichts mehr aufschieben, was sie schon lange tun wollten. Also gründeten einige ihr eigenes Unternehmen.“
Natalia ist Designerin. Im vergangenen Jahr hat sie Logos für mehrere kleine Unternehmen erstellt. Zu Beginn des Krieges schien es, dass solche Arbeiten jetzt nicht mehr notwendig seien. Es stellte sich jedoch das Gegenteil heraus. Nach einer kurzen Phase des Stillstands leben die Unternehmen wieder auf. Einige sind gezwungen, ihren eigenen Zweck zu überdenken und ihr Branding zu verändern. Laut der Wirtschaftsnachrichtenwebsite ain.ua gehören die Dienstleistungen von Designern im Moment zu den begehrtesten auf dem Markt. Es werden sowohl kreative Ideen zur Unterstützung der Ukraine als auch neue Logos für Unternehmen und die Entwicklung von Websites gebraucht.
All dies deutet darauf hin, dass die ukrainische Wirtschaft lebt und wie ein Phönix aus der Asche der russischen Zerstörung wieder aufersteht.
Ein neues Café
Wenn ich von der Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit und die Wiederbelebung des Arbeitsmarkts spreche, meine ich natürlich die Regionen, in denen sich die Menschen relativ sicher fühlen können (also in den westlichen und zentralen Regionen, inzwischen auch Kyjiw). Das „Kiit“-Café im Zentrum von Lwiw, wo man Kaffee al banco trinken und Kuchen essen kann, ist erst vor ein paar Wochen entstanden. Den Gründern, Serhij, Iwan und Daryna gelang es, in den ersten Kriegstagen aus Irpin und Borodjanka zu fliehen. In den ersten drei Wochen haben sie sich als Freiwillige gemeldet, dann aber entschieden, dass sie bereit sind, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Die Warteschlangen vor ihrem „Kaffeefenster“ sind lang.
Solche positiven Beispiele zeugen von der Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft und der Bereitschaft, eigene Arbeitsplätze zu schaffen, wenn es keine gibt. Aber auch wenn solche Beispiele inspirierend sind, schmälern sie nicht die Herausforderungen, vor denen die Ukraine aufgrund des russischen Kriegs steht.
Fast fünf Millionen Ukrainer haben ihre Heimat verlassen. Einige Städte, insbesondere im wichtigen industriellen Osten des Landes, sind wie vom Erdboden verschluckt. Viele große Unternehmen mit Tausenden von Mitarbeitern konnten nicht weiterarbeiten, weil die russische Armee sie zerstört hat – zum Beispiel die Schokoladenfabrik Mondelez in Trostjanets oder das Metallurgische Kombinat Asow-Stahl in Mariupol, das mehr als 10.000 Mitarbeiter beschäftigte. Das bedeutet Verluste für die Wirtschaft und für die ehemaligen Angestellten, dass sie sich einen neuen Job suchen müssen (falls sie am Leben und in Sicherheit sind).
In manchen Bereichen fehlt es an lebenswichtigen Arbeitskräften, etwa an Kassierern in Supermärkten und Ärzten in Krankenhäusern. Die Fähigkeit der Ukrainer, neue Arbeitsplätze zu schaffen und auch während eines umfangreichen Kriegs keine Angst davor zu haben, ein eigenes Unternehmen zu gründen, bedeutet jedoch, dass diese Gesellschaft aus jeder Asche wieder auferstehen kann. Trotzdem braucht sie natürlich jede Unterstützung, die sie kriegen kann.
Dieser Artikel ist zuerst bei ver.di PUBLIK erschienen.
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