Wenn sich Tymoschenko und Poroschenko streiten, freut sich Selenskyj?
Präsident Petro Poroschenko und die Ex-Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko haben im großen Stile ihre Kandidaturen bekanntgegeben. Doch nun führt der Komiker Wolodymyr Selenskyj überraschend zum ersten Mal zwei seriöse Umfragen an.
Nur noch bis zum 3. Februar dürfen potenzielle Kandidaten für die ukrainische Präsidentschaftswahl am 31. März ihre Dokumente bei der Zentralen Wahlkommission einreichen. Und so waren die letzten Tage und Wochen hier im politischen Kiew voll mit unterschiedlichen Nominierungsparteitagen und anderen Veranstaltungen im Blick auf den Tag X in zwei Monaten. Vor allem die Favoritin, zweifache Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko und der amtierende Präsident Petro Poroschenko haben großen Wert daraufgelegt, ihre Kandidaturen möglichst laut und mit so viel Pathos wie es nur geht zu verkünden.
Tymoschenko legte mit glamouröser Nominierung vor
Offenbar wollte Petro Poroschenko sein Nominierungsforum am 2. Februar, also ganz am Ende der Registrierungsfrist, austragen. Doch Tymoschenko hat bereits am 22. Januar, am Tag der ukrainischen Einheit von 1919, mit einem fünfstündigen Parteitag im vollen Kiewer Sportpalast, der größten Halle der Ukraine, vorgelegt. Tymoschenkos Veranstaltung galt trotz der wenigen Patzer als durchaus gelungen – unter anderem deswegen, weil die Ex-Ministerpräsidentin auf dem Themenfeld ihres Konkurrenten spielte. Sie konnte das Austragungsdatum gut ausspielen und versuchte, ihre Nähe zur Armee und zur Kirche zu vermitteln, die zu den wichtigsten Ausrichtungen des Wahlprogramms von Poroschenko gehören. Man merkte auf dem Parteitag, dass sogar junge Leute, die sichtlich kein Interesse an den Aktivitäten der Vaterlandspartei zeigten und offenbar dafür bezahlt wurden, nach Kiew zu kommen, am Ende der Wahlrede von Tymoschenko begeistert wirkten, obwohl diese ganze 130 Minuten dauerte.
Poroschenko unter Zugzwang
Spätestens dann wurde jemand im Poroschenkos Wahlteam offenbar nervös. Erst hieß es intern, seine Nominierung, die übrigens nichts mit der Partei Solydarnist („Solidarität“) zu tun haben sollte, weil der ukrainische Präsident formell als selbstnominierter Kandidat antritt, würde einen Tag früher, also am 1. Februar, stattfinden. Doch danach war schnell der 29. Januar im Spiel – exakt eine Woche nach der Nominierung von Tymoschenko. Zum einen wollte Poroschenko wohl so schnell wie es geht auf die Veranstaltung seiner Konkurrentin antworten, auch weil seine Ausgangslage angesichts der Umfragen alles andere als rosig aussieht. Zum anderen war es für ihn wichtig, nach dem gelungenen Trick Tymoschenkos mit dem Tag der Einheit den eigenen historischen Bezug zu finden. Dieser war eben am 29. Januar vorhanden.
Denn am 29. Januar 1918 fand die sogenannte Schlacht bei Kruty statt, als ukrainische Studenten und Gymnasiasten es versuchten, bei einem nordukrainischen Dort Kruty den Angriff der Bolschewisten auf die Hauptstadt Kiew zu stoppen. Die Schlacht spielt eine große Rolle für die ukrainische Geschichtsschreibung – und so hieß auch Poroschenkos Nominierungsforum „Von Kruty bis Brüssel: Wir gehen unseren Weg“. Übrigens wurde dieses nur einen Tag im Voraus offiziell angekündigt. Dafür wurde ebenfalls eine große, wenn auch etwa weniger prestigeträchtige Halle gemietet – das Internationale Kongresszentrum, wo 2017 der Eurovision Song Contest stattfand.
Einer, der auch die Nominierung von Julia Tymoschenko besuchte, konnte sofort merken, dass Poroschenko seine Veranstaltung eher auf die Schnelle hinkriegen musste. Die Kongresshalle war von außen außer einem nichtauffallenden Plakat nicht besonders dekoriert, auch wurden anders als bei Tymoschenko keine großzügigen Wahlsouvenirs verteilt. Die Ex-Ministerpräsidentin hat für jeden Besucher ein eigenes Paket vorbereitet, bei Poroschenko gab es seinerseits nichts außer Kaffee und Kekse, das angebotene Essen ging schnell aus. Der Vorteil für Journalisten war aber, dass man den gleichen Eingang wie alle anderen VIP-Gäste nutzte und sich letztlich in gleichen Räumen befand. Dieses Offenheitsniveau ist für die Ukraine eher unüblich.
„2019 siegt entweder Poroschenko oder Putin“
Nach zwei patriotischen Liedern am Anfang ging es im dramatischen Einspieler gleich zur Sache: „2019 siegt entweder Poroschenko oder Putin.“ Dann kam Poroschenko selbst auf die Bühne – mit einer guten, aber keinesfalls überraschenden 45-minutigen Rede, die er mit „Ich kandidiere“ beendet. Poroschenko selbst verspricht, dass die Ukraine bis spätestens 2024 einen Mitgliedsantrag an die EU stellen und der EU sowie der NATO letztlich als regionaler Anführer beitreten wird. Auch brauche die Ukraine natürlich den Frieden mit Russland, sollte aber ihren eigenen Weg gehen und sich deutlich von Russland abgrenzen.
Und ebenfalls wie Tymoschenko, die in ihrer Wahlrede Poroschenko zwar kritisierte, diesen aber nicht namentlich erwähnte, vermied der ukrainische Präsident, Tymoschenko sowie andere Konkurrenten beim Namen zu nennen. Wobei die Ex-Ministerpräsidentin doch als solche in seiner Rede genannt wurde. Die grundsätzliche Botschaft lautet: Tymoschenko sei klare Populistin – und Populismus ist für die Ukraine eine genauso große Gefahr wie die mögliche Revanche pro-russischer Kräfte. Am Ende bleibt ein gemischter Eindruck. Mit der Anwesenheit des Ministerpräsidenten Grojsman, des Parlamentsvorsitzenden Parubij und des Ex-Generalsekretärs der NATO Rasmussen konnte Poroschenko viel Prominenz im Saal vorweisen. Dieser war aber bei weitem nicht voll – und man hat subjektiv weniger Begeisterung als bei Tymoschenko gespürt. Bei Poroschenko haben aber Organisationshelfer auch nicht gezeigt, wann das Publikum klatschen soll, die Show wirkte also dafür weniger konstruiert.
Selenskyj setzt auf Show und führt erstmals in einer Umfrage
Doch während Poroschenko und Tymoschenko auf die klassische Politikshow setzen, fährt der Komiker Wolodymyr Selenskyj eine völlig andere Linie. Auf eine große und öffentliche Nominierungsveranstaltung hat er verzichtet, dafür lässt er seine Kampagne mit einer Videokamera drehen und betreibt einen Videoblog „Ze President“, der gelegentlich auch im Fernsehsender 1+1 läuft. Außerdem konnte Selenskyj, dadurch punkten, dass er als erster Präsidentschaftskandidat die sogenannte Antikorruptionsagenda einer Reihe von Zivilgesellschaftsorganisationen, unter anderem des Anti-Corruption Action Centre, unterstützte.
Am 31. Januar wurde dann die erste seriöse Umfrage veröffentlicht, die Seleskyj überraschend vor Tymoschenko und Poroschenko sieht. In der neuen Umfrage der Rating Group, die zwischen dem 16. und dem 24. Januar durchgeführt wurde, schafft es Selenskyj zum ersten Mal auch die Favoritin Julia Tymoschenko zu überflügeln. Eine andere Umfrage, die gemeinsam vom Sozis Center, dem Kiev International Institute for Sociology und dem Razumkov Centre ebenfalls am Freitag veröffentlicht wurde, liegt er sogar mit deutlichem Vorsprung vor Poroschenko und Timoschenko. Der Skandal um die ihm gehörende Produktionsfirma, die auch nach 2014 in Russland aktiv war, obwohl der Komiker und Produzent sein Engagement in Russland 2014 nach eigenen Angaben beendete, scheint ihm nicht geschadet zu haben. Die Kandidatur Selenskyjs sollte also immer ernster genommen werden, vor allem von Tymoschenko und Poroschenko selbst.
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