Russisch nicht Putin überlassen
Ukrainisch sollte alleinige Staatssprache in der Ukraine bleiben. Dennoch ist das neue Sprachgesetz nicht nur zeitlich fehl am Platz, es ist auch inhaltlich fragwürdig. Die Ukraine müsste die Entwicklung des Ukrainischen positiv fördern, Russisch aber nicht alleine Wladimir Putin überlassen. Von Denis Trubetskoy
Die Ukraine wäre aus politischer Sicht ein viel erfolgreicheres Land, hätte sie ihre grundsätzlichen Entscheidungen besser überlegt, den Zeitpunkt für die eine oder andere Debatte besser gewählt. Als das ukrainische Parlament im Februar 2014 gleich nach der Flucht des damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch nach Russland das umstrittene Regionalsprachengesetz, das dem Russischen den offiziellen Status in neun Regionen der Ukraine verlieh, außer Kraft setzte, war das ein fatales Signal an die russischsprachige Bevölkerung. Dass der Interimspräsident Olexander Turtschynow ganz schnell sein Vetorecht nutzte, änderte daran kaum noch etwas. Man muss sich hier keine falschen Illusionen machen: Russland hätte so oder so seine Gründe etwa für die Krim-Annexion gefunden, völlig abgesehen davon, was Kyjiw getan hätte. Eine Entscheidung zu treffen, die zum gegebenen Zeitpunkt fehl am Platz ist, die aber dennoch gut bei der eigenen politischen Klientel ankommt, das ist in der hiesigen Politik eine gefährliche Tradition.
Sie wurde in diesem April, nur wenige Tage nach dem souveränen Sieg von Wolodymyr Selenskyj bei der ukrainischen Präsidentschaftswahl, fortgesetzt – und zwar mit der Verabschiedung des neuen Sprachgesetzes, das Ukrainisch zur alleinigen Sprache im öffentlichen Raum des Landes macht. Selenskyjs Vorgänger wollte das Gesetz noch unbedingt vor der Amtsübernahme unterschreiben – vor allem im Hinblick auf die kommende Parlamentswahl, um dafür politische Punkte zu sammeln. Das Sprachgesetz ist aber etwas, worüber man gründlich diskutieren sollte, sowohl über seine positiven, als auch über seine negativen Auswirkungen. Es ist trotz der rund 2000 Änderungen, über die die Werchowna Rada vor der zweiten Lesung abstimmen musste, im Sinne der nationalorientierten Agenda Poroschenkos und seines Slogan „Armee! Sprache! Glauben!“ geschrieben, die während der Präsidentschaftswahl wenig erfolgreich war. Der hohe Sieg des russischsprachigen Selenskyj, der allerdings auch viele ukrainischsprachige Wähler überzeugen konnte, war zum Teil eine klare Absage an diese Agenda. Ob solche Entscheidungen langfristig zur Verbesserung der Atmosphäre innerhalb des Landes beitragen, ist daher eher fraglich.
Nun, es bleibt auch ein Monat nach dem Amtseintritt Selenskyjs unklar, was er mit dem Sprachgesetz machen wird. Der neue Präsident hat zwar angekündigt, dass Ukrainisch alternativlos die einzige Staatssprache in der Ukraine sein sollte. Jedoch erklärte er auch seine Unzufriedenheit mit dem fehlenden gesellschaftlichen Dialog vor der Verabschiedung des Gesetzes. Konkrete Schritte sind von Selenskyj sowieso erst nach der Parlamentswahl zu erwarten, vor allem dann, wenn seine bis jetzt quasi noch virtuelle Partei „Diener des Volkes“ wirklich in die Nähe der absoluten Mehrheit kommt. Eine Anpassung des Gesetzes an die tatsächlichen ukrainischen Realitäten täte der Sache jedoch gut, zumal fast 30 Prozent der Menschen bei der Volkszählung von 2001 Russisch als ihre Muttersprache angaben und die reale Zahl eigentlich noch höher liegen sollte. Dass etwa der Unterricht auf Russisch nur im Kindergarten und in den ersten Schulklassen möglich bleibt, dass die Auflage einer Zeitung auf Russisch oder in anderer Sprache maximal so groß wie auf Ukrainisch sein darf und vieles mehr, verkennt trotz der Übergangsfristen die Realität des Lebens in der Ukraine. Obwohl es eine immer größere Nachfrage nach Medien auf Ukrainisch gibt, wird es für viele ohnehin defizitär wirtschaftende Verlage schwer bis unmöglich sein, unter diesen Bedingungen zu überleben.
Doch es geht um etwas grundsätzlich anderes. Der Wunsch vieler Ukrainer nach der Etablierung der eigenen nationalen Sprache, die mit dem Russischen konkurrieren muss, ist mehr als nachvollziehbar. Vor allem, wenn man die Politik der gezielten Russifizierung zu den Zeiten des Russischen Reiches bedenkt, die Ukrainisch quasi zur uncoolen Dorfsprache machte. So etwas bleibt natürlich immer irgendwo hängen. Auf der anderen Seite kann man kaum übersehen, dass die Lage in der Ukraine eine völlig andere als die in Belarus ist, wo die belarussische Sprache de facto um das Überleben kämpft, zuletzt mit gewissem Erfolg. Ukrainisch hat sich in letzter Zeit dagegen massiv weiterentwickelt und hat sich eindeutig als alternativlose einzige Staatssprache etabliert. Russisch als weitere Amtssprache scheint heute politisch nicht mehr durchsetzbar. Man darf zwar immer noch darüber klagen, dass es etwa zu wenig ukrainischsprachige Printpresse gibt. Doch Hand aufs Herz, wäre es angesichts der heutigen Entwicklung nicht besser, durch Begünstigungen, zum Beispiel im Steuerbereich, die Sprache zu fördern und nicht so, wie es jetzt gemacht wird?
Denn dass dies ein gefährlicher Weg ist, das übersehen viele, die außerhalb ihrer politischer Blase nicht blicken können. Sogar in der Hauptstadt Kyjiw, in der nach wie vor massiv Russisch gesprochen wird, sind viele etwas unzufrieden, das kann einer leicht übersehen, wenn man lediglich auf das politische Facebok blickt, wo man sich gerade über den Vorstoß des Präsidentenbürochefs Andrij Bohdan aufregt, Russisch als Regionalsprache im Donbass durchzusetzen. Und schließlich gilt in der Ukraine mit der „Oppositionsplattform – Auf das Leben” fünf Jahre nach der Annexion der Krim eine eindeutig prorussische Partei als Favorit auf den zweiten Rang bei der Parlamentswahl. Das ist keine Katastrophe, jedoch ein alarmierendes Signal. Wichtig ist aber auch, dass es grundsätzlich falsch seitens der Ukraine wäre, Russisch alleine Russland zu überlassen. Einige Ukrainer meinen dazu, wenn Moskau schon unter der These des Schutzes der russischsprachigen Bevölkerung die Krim annektiert, dann solle man eben auf Russisch lieber verzichten. Das Gegenteil ist der Fall. Wieso soll die Ukraine Russisch, dessen Entwicklung Teile der heutigen Ukraine entscheidend mitgeprägt haben, einfach abgeben? Sollte sich aber Kyjiw selbst um Russisch kümmern, zum Beispiel ein eigenes Institut für die russische Sprache gründen, wäre das der beste Beweis, dass Russisch keinen Schutz Wladimir Putins braucht. Die Debatte um die Sprachenfrage, die vor allem vor und während der Orangen Revolution 2004 zum Gegenstand der großen Politik aufstieg, ist allerdings derzeit zu emotionsgeladen für differenzierte und gut durchdachte Entscheidungen.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder und repräsentiert nicht notwendigerweise die Position Redaktion von Ukraine verstehen bzw. dem Zentrum Liberale Moderne.
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