Ukraine beim Eurovision Song Contest: Mit ukrainischer Sprache nach Rotterdam
Im Februar fieberten die Ukrainer bei ihrem nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest mit. Nach mehreren Skandalen im letzten Jahr wurden nun Künstler ausgeschlossen, die seit 2014 in Russland gastiert hatten oder dies planen. Gewonnen hat überraschend ein ukrainischsprachiger elektronischer Ethno-Act. Von Denis Trubetskoy
Der Eurovision Song Contest (ESC) ist in der Ukraine eine feste Institution. Mindestens dreimal hat das Land innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte beim ESC für Furore gesorgt. Zweimal gelang es der Ukraine in diesem Zeitraum sogar, den Wettbewerb zu gewinnen – 2004 siegte Ruslana mit ihrem Hit „Wild Dances“ und 2016 die krimtatarische Sängerin Jamala mit dem Lied „1944“, einer Erinnerung an die Deportation ihres Volkes von der Krim-Halbinsel zur Stalin-Zeit.
In die Geschichtsbücher des Eurovision Song Contest hat es aber vor allem der Auftritt von Werka Serdjutschka aus dem Jahr 2007 geschafft. Die vom Sänger und Produzenten Andrij Danylko gespielte Figur einer älteren Dame aus der ukrainischen Provinz, die Surschyk, eine Mischung aus dem Ukrainischen und dem Russischen, spricht, belegte mit dem zum Teil auf Möchtegern-Deutsch gesungenen Titel “Dancing Lasha Tumbai” den zweiten Platz. An den extravaganten Auftritt Danylkos erinnern sich bis heute ESC-Fans europaweit.
Neue Regeln nach dem Skandel von 2019
Im letzten Jahr hatte die Ukraine die Chance, mit der aus dem Bereich der elektronischen Tanzmusik stammenden Sängerin MARUV (Hanna Korsun) wieder um den Sieg mitzukämpfen. Mit dem Hit-Lied “Siren Song”, das in der Ukraine zu den größten Songs des Jahres zählte, hätte sie zu dem Favoritenkreis um den späteren Sieger Duncan Laurence aus den Niederlanden gehört. Zumindest der Sieg beim nationalen Vorentscheid, veranstaltet von dem bekannten Privatsender STB, war für MARUV trotz starker Konkurrenz ein leichtes Spiel.
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Schwieriger wurde es erst danach: Trotz großer Beliebtheit in der Bevölkerung zeigte sich die ukrainische Zivilgesellschaft mit MARUVs Erfolg unzufrieden. Es brach ein Skandal aus, welcher zur Nichtteilnahme der Ukraine am Eurovision Song Contest 2019 führte.
Um solche Umstände diesmal auszuschließen, wurden diesmal die Regeln geändert. Alle Künstler, die ab dem 15. März 2014 in Russland, auf der annektierten Krim oder im von prorussischen Separatisten besetzten Teil des Donbas aufgetreten sind, wurden zum Vorentscheid nicht zugelassen. Gleiches galt für die Künstler, die über Russland auf die Krim reisten, was laut der ukrainischen Gesetzgebung verboten ist.
Diese Regelung schloss zwar einerseits einige starke Acts aus, andererseits sorgte sie für die Milderung des politischen Klimas um den Wettbewerb. Das war auch dringend notwendig, denn außer dem Skandal um MARUV gab es 2019 auch harte Kritik an dem von der Krim stammenden Schwesterduo ANNA MARIA, dessen Mutter in der russischen Krim-Regierung arbeitet. Die Sängerinnen hätten sich nicht genug davon distanziert, hieß es.
Der nationale Entscheid Vidbir
Nun hat die Ukraine aber endlich ihren ESC-Kandidaten. Die vorher eher unbekannte Band Go_A hat am Samstag mit dem ukrainischsprachigen Lied “Solovey” (Nachtigall) den Vorentscheid gewonnen. Go_A siegte souverän sowohl beim Voting der Zuschauer als auch bei der Abstimmung der drei Jury-Mitglieder, zu denen übrigens auch Andrij Danylko höchstpersönlich gehörte, der 2007 bei den ESC in Helsinki den zweiten Platz geholt hatte.
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Die klare Entscheidung für die Band Go_A ist etwas überraschend, allem eben in dieser Höhe. Solovey ist allerdings auch ein spannendes Lied – und zwar nicht nur deswegen, weil vollständig auf Ukrainisch gesungen wird. Denn es ist eine interessante Mischung aus einem elektronischen Beat, afrikanischem Schlagzeug-Sound, der Elektrogitarre und natürlich dem traditionellen ukrainischen Volksgesang. Für diesen ist übrigens die Frontfrau und Chor-Spezialistin Kateryna Pawlenko verantwortlich.
Vor allem Danylko, der das Finale des Vorentscheids mit einer Riesenshow eröffnete, zeigte sich vom Auftritt von Go_A sehr überzeugt.
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Wie sehen die Chancen beim Eurovision 2020 aus?
Bei den Buchmachern liegt die Ukraine jedoch nach dem Vorentscheid nur auf dem 22. Rang. Favorit ist derzeit Litauen, das durch die Band The Roop und ihr interessantes Elektro-Hit On Fire vertreten wird. Zum Favoritenkreis gehören aber wie gewöhnlich auch Italien und Schweden, das noch keinen Kandidaten ausgewählt hat, jedoch in der Regel weit vorne abschneidet. Spannend wird mit Sicherheit der Auftritt der berühmten belgischen Pop-Rock-Band Hooverphonic, die bei den Buchmachern aber zur Zeit nur auf Platz 13 notiert wird.
Dass die Ukraine nach dem Vorentscheid einige Plätze eingebüßt hat, ist kein gutes Zeichen. Während die Wettanbieter nicht immer richtig auf den Sieger tippen, liegen sie mit der Einschätzung des Favoritenkreis fasst immer richtig. Das bedeutet aber nicht, dass ein ukrainischsprachiges Folk-orientiertes Lied eine falsche Kandidatur für den Eurovision Song Contest ist.
Wichtig ist auch, dass seit der Kooperation des Privatsenders STB und dem öffentlich-rechtlichen Sender UA:Perschyj der nationale Vorentscheid zu einer fantastischen Bühne für ukrainische Künstler wurde, auf der sie sich vor dem größtmöglichen Publikum präsentieren können. Und dabei gibt es wie immer mehrere Gewinner und Verlierer. Zu den Letzteren gehört leider die große Aufsteigerin des letzten Jahres, Jerry Heil. Die Ochrana-Otmena-Sängerin präsentierte mit ihrem umweltfreundlichen Lied Vegan eine Mischung aus modernem Synth-Pop à la Taylor Swift, Katy Perry und Carlye Rae Jepsen und Pop-Rap aus dem Lehrbuch von Kesha. Der Song hätte Potenzial, die Sängerin lieferte aber eine katastrophale Vorstellung ab und belegte gar den letzten Platz, was doch etwas ungerecht erscheint.
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Etwas gemischt sind die Gefühle beim elektronischen Duo TVORCHI aus dem westukrainischen Ternopil, zu dem der nigerianische Sänger Jeffery Kenny und der ukrainische Produzent Andrij Huzuljak gehören. Bonfire ist eine geile Tanznummer, die bereits Charts in der Ukraine stürmt. Doch die Gesangsleistung von Kenny war beim Live-Auftritt durchwachsen. Angeblich lag es daran, dass er nur seine eigene Stimme, aber keine Musik in seinen Kopfhörern hatte. Das Ergebnis war aber ein enttäuschender Platz vier.
Der Sänger Khayat, der bereits im letzten Jahr am Vorentscheid teilnahm, und KRUTЬ, die neben dem Gesang auch Bandura, ein traditionelle ukrainische Lautenzither, beherrscht, dürfen mit ihren Rängen drei und zwei dagegen durchaus zufrieden sein – und zumindest KRUTЬ ist dabei sicher eine Entdeckung für viele ukrainische Musikfans.
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