Der Fall Poroschenko: Ist der ex-Präsident ein Verräter oder Opfer eines politischen Verfahrens?
Ex-Präsident Petro Poroschenko drohen bis zu 15 Jahre Haft wegen Staatsverrat und Unterstützung von Terrorismus. Doch nach seiner Rückkehr am Montag verfügte ein Gericht am Mittwoch zunächst, dass er lediglich seinen Pass abgeben muss. Was ist an den Vorwürfen dran?
Es gibt zu viele Parallelen, um noch an einen Zufall glauben zu können: Exakt ein Jahr nach der Rückkehr des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny nach Moskau ist der in der Ukraine angeklagte fünfte Präsident des Landes Petro Poroschenko am frühen Morgen des 17. Januar nach Kyjiw zurückgekehrt. Eigentlich hätte Poroschenko, dem Staatsverrat und Unterstützung von Terrorismus vorgeworfen werden, gleich am Flughafen verhaftet werden müssen.
Doch nach einer kurzen Zitterpartie bei der Passkontrolle, wo Mitarbeiter des Staatlichen Ermittlungskomitees vergeblich versuchten, dem von seinen Anhängern umringten 56-Jährigen eine Verdachtsmitteilung zu überreichen, durfte Poroschenko einreisen – und fuhr nach einer Ansprache vor Tausenden Anhängern direkt zu einem Kyjiwer Gericht, welches entscheiden musste, ob Poroschenko in Untersuchungshaft muss.
Denn auf dem Papier drohen Poroschenko bis zu 15 Jahre Haft, und die ukrainischen Staatsanwälte fordern vom Gericht zudem U‑Haft als „vorbeugende Maßnahme“ oder die Zahlung einer Kaution in Höhe von umgerechnet fast 32 Millionen Euro. Die Entscheidung dazu wurde allerdings auf Mittwoch vertagt. Die Kautionszahlung wäre für den Ex-Präsidenten trotz eines Milliardenvermögens kompliziert gewesen, weil seine Konten per Gerichtsentscheid eingefroren wurden.
Zu erwarten war, dass Poroschenko ein ähnliches Schicksal droht wie dem prorussischen Politiker Wiktor Medwedtschuk, der unter Hausarrest gestellt wurde. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft sollen sich Poroschenko und Medwedtschuk, der Großunternehmer und ein enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist, abgesprochen haben, um den Einkauf von Kohle aus den von Russland kontrollierten sogenannten Volksrepubliken im umkämpften Donbass zu sichern. Am Ende blieb Poroschenko jedoch überraschend vorerst frei und muss lediglich seinen Reisepass abgeben.
Das Verfahren basiert großteils auf abgehörten und im Sommer 2021 von dem Investigativjournalisten Denys Bihus veröffentlichten Telefonaten Medwedtschuks, in denen zwar Poroschenkos Stimme nicht zu hören ist, sein Name aber oft fällt. Die Relevanz dieser Aufnahmen ist juristisch umstritten.
Vor Ausbruch des Krieges im Donbass waren viele ukrainische Wärmekraftwerke von Anthrazitkohle abhängig, die fast ausschließlich in den Separartistengebieten gefördert wird. Deswegen versuchte die ukrainische Regierung, Alternativen zu finden, etwa Kohle aus Südafrika zu kaufen. Auf einer Sitzung des Sicherheitsrates im November 2014 sprach sich Poroschenko gegen südafrikanische Kohle aus und begründete das mit niedriger Qualität sowie überhöhten Preisen.
Daraufhin kam es zu Durchsuchungen im Energieministerium und der damalige Minister, der als Gegner von Kohlekäufen bei den Separatisten galt, wurde entlassen. Unter dem neuen Energieminister Wolodymyr Demtschyschyn wurde die Kohle weiter aus dem besetzten Donbas eingekauft. Formell handelte der ukrainische Staat mit Verkäufern in von Kyjiw kontolliertem Gebiet, doch eigentlich soll das Geld in die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk geflossen sein. All das fand angeblich in Absprache mit Medwedtschuk statt, der Ende 2014 auch den Abbruch russischer Kohlelieferungen in die Ukraine koordiniert haben soll, um Kyjiw keine Wahl mehr zu lassen.
Die Geschäfte liefen anschließend bis Anfang 2017. Damals musste Präsident Poroschenko wegen der einsetzenden Blockade des Donbas, als Aktivisten Schienen und Straßen in die Separatistengebiete blockierten, alle Wirtschaftsbeziehungen mit Donezk und Luhansk einstellen. Außerdem blieb Kyjiw nach der de-facto Verstaatlichung wichtiger Industrieunternehmen durch die „Volksrepubliken“ keine Alternative. Die Folgen sind in der Ukraine heute noch zu spüren, denn die Stromknappheit in diesem Winter hat viel mit dem Wegfall der Kohle aus dem besetzten Gebiet zu tun.
Das Verfahren ist auch nicht die erste Ermittlung gegen Poroschenko, seit dem Sieg seines Rivalen Wolodymyr Selenskyj bei der Präsidentschaftswahl 2019. Insgesamt gibt es mehr als 20, von denen es aber bisher nur eines vor ein Gericht geschafft hat – dabei ging es um die Ernennung eines Poroschenko-Bekannten in eine hohe Geheimdienstposition – von diesem Verfahren ist aber seit rund 1,5 Jahren nichts zu hören.
Der aktuelle Fall scheint trotz der milderen „vorbeugenden Maßnahme“ deutlich seriöser zu sein, und auf den ersten Blick auch nicht ganz haltlos. Denn eine enge Beziehung zwischen Poroschenko und Medwedtschuk liegt auf der Hand: Während Poroschenkos Präsidentschaft spielte Medwedtschuk eine bedeutende Rolle bei den Donbas-Verhandlungen und baute ein Medienimperium aus drei prorussischen Nachrichtensendern auf, die von Wolodymyr Selenskyj allesamt gesperrt wurden.
Andererseits ist nicht nur die Beweislage gegen Poroschenko äußert dünn. Der Kohlehandel mit den Separatisten war in der Form bis 2017 nicht illegal, wogegen die Kohleverträge mit Südafrika in der Tat Fragen aufwerfen.
Fest steht, dass der Ukraine wohl ein längerer Prozess bevorsteht, der das politische Leben des Landes in den nächsten Monaten prägen wird – egal ob das Verfahren juristisch begründet oder rein politisch ist.
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