Das Finale einer absurden Show
Mit dem Rede bzw. TV-Duell im Kiewer Olympijskyj-Stadion endet am Freitag der spektakuläre ukrainische Wahlkampf. Dieser war teilweise absurd und ungeheuer dramatisch. Viel wichtiger ist jedoch, was nun in den nächsten fünf Jahren nach der Wahl am Sonntag mit der Ukraine passieren wird. Von Denis Trubetskoy
In der Regel wird im Kiewer Olympijskyj-Stadion Fußball gespielt, wie zuletzt im Mai 2018, als Real Madrid im Endspiel der Champions League den FC Liverpool besiegte. Auch ist das ukrainische Olympiastadion mit einer Kapazität von rund 70.000 Menschen für ausverkaufte Konzerte bekannt. Im letzten Sommer haben etwa die US-Amerikaner Imagine Dragons sowie die beliebteste ukrainische Band Okean Elsy die Arena mit ihren Shows gefüllt. Doch die Show, die das Olympijskyj am Freitagabend erleben wird, ist etwas ganz Besonderes. Vor Zuschauern und mit Rahmenprogramm werden die Präsidentschaftskandidaten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj ihr Rede-Duell in diesem Stadion austragen. Dabei wurden für Poroschenko und Selenskyj zwei unterschiedliche Bühnen eingerichtet, auch die Anhänger der Kandidaten werden in der Arena getrennt. Beide haben auf unterschiedliche Arten kostenlose Tickets verteilt, Stand Donnerstagabend gab es bereits keine Karten mehr.
Dass ausgerechnet eine Show, die wohl nichts mit einer seriösen politischen Diskussion zu tun haben wird, zum Höhepunkt des ukrainischen Wahlkampfes wird, ist symptomatisch für drei inhaltlose Wochen zwischen den beiden Wahlgängen. Dass die von vielen erwartete Debatte überhaupt stattfindet, ist grundsätzlich gut. Schließlich hat man seit der Auseinandersetzung zwischen Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch im Jahr 2004 kein richtiges TV-Duell zwischen den Präsidentschaftskandidaten erlebt. Jedoch ist bei diesen Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass die Diskussion zwischen Poroschenko und Selenskyj dem Telefonstreit der beiden ähneln wird, den man letzte Woche im Fernsehsender 1+1 verfolgen durfte. Dass die beiden Kandidaten wieder aneinander vorbeireden werden, ist wohl kaum zu verhindern, obwohl es ernsthafte Diskussionsthemen gäbe. Etwa die Frage, was die neueste Entscheidung des Kiewer Bezirksgerichts bedeutet, wonach die Verstaatlichung der Privatbank, früher dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj gehörend, rechtswidrig war.
Es bleibt aber nach wie vor eine große Errungenschaft für die Ukraine, dass die Präsidentschaftswahlen derart offen und demokratisch sind. Und eigentlich spricht wenig gegen ein TV-Duell im Stadion, denn: Warum eigentlich nicht? Warum nicht mal von Zehntausenden Zuschauern live diskutieren, auch wenn das Gespräch vermutlich darunter leidet? Es ist doch ein Zeichen unglaublicher Transparenz, die für die ganze Welt beispielhaft sein könnte. Das bedeutet allerdings bei weitem nicht, dass man die ganzen Absurditäten der letzten Wochen, von Alkohol- und Drogentests der Kandidaten bis zu den zwei Bühnen im Olympiastadion, unbedingt gut finden muss. Natürlich gehört ein bisschen Show irgendwie dazu, davon hängt schließlich auch das Interesse der Wählerschaft ab. Man sollte aber bitteschön dabei nicht vergessen: Präsident der Ukraine zu sein, vor allem während der russischen Annexion der Krim und des Krieges im Donbas, ist ein verantwortungsvoller Job, den man nicht zu einer Lachnummer machen darf. Schließlich geht es, so banal es auch klingen mag, ebenfalls um die Wahl des Oberbefehlshabers der ukrainischen Armee.
Dabei war vor allem die Strategie des Amtsinhabers Petro Poroschenko enttäuschend. Denn das, was Wolodymyr Selenskyj in diesen drei Wochen angeboten hat, war auch so zu erwarten. Wer glaubte, Selenskyj würde plötzlich massenhaft Interviews geben und sich der Öffentlichkeit stellen, der hat sich geirrt. Vielmehr hat der 41-jährige Komiker es geschafft, Poroschenko zum Teil der eigenen Show zu machen. Wer hätte gedacht, dass Präsident Poroschenko, der sich immer so seriös wie möglich darstellt, plötzlich gleich zweimal Drogentests macht oder letztlich fast allen Bedingungen seines Kontrahenten bezüglich des TV-Duells zustimmen wird?
Das ist aber gar nicht die wichtigste Frage an Poroschenko. Eine andere Wahl als die, auf dem Feld von Selenskyj zu spielen, hatte er aufgrund seiner Umfragewerte ohnehin nicht. Das wirkliche Problem ist die gesamte Strategie des ukrainischen Präsidenten. Denn er hat einerseits versucht, sich konstruktiv zu geben und seine Fehler, unter anderem in der zuvor sehr hochnäsigen Kommunikation, zuzugeben. Poroschenko hat sich in der Tat mit Vertretern der Zivilgesellschaft getroffen, er besuchte fast jeden Tag eine Talkshow, auch in kritischen Sendern, oder absolvierte wichtige öffentliche Auftritte. Doch andererseits betrieb er bemerkenswert schwarze PR, mit der er immer wieder suggerierte, Selenskyj sei entweder drogensüchtig oder gar ein Kreml-Agent – oder natürlich beides zusammen. Und auch die generelle Botschaft, „Ich oder Putin“, insbesondere auf seinen Wahlplakaten, wirkten sich im Vergleich zur positiven Agenda Wolodymyr Selenskyjs wohl negativ aus.
Nun, dieser Wahlkampf ist auf jeden Fall einer gewesen, der nicht nur in die Geschichte der Ukraine eingehen wird, sondern den man auch im Ausland aufmerksam studieren wird, zumindest die Wahlprofis. Vielwichtiger als die Frage, was letztlich am Freitag beim Duell passieren und wie groß der Abstand zwischen Selenskyj und Poroschenko am Sonntag sein wird, ist jedoch, wie die Ukraine sich in den nächsten fünf Jahren entwickeln wird. Das lässt sich aber heute nicht genau prognostizieren.
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