Olha Stefanishyna: “Die Ukraine ist bestrebt, ein Vorbild für die Länder im postsowjetischen Raum zu werden.”
Die stellvertretende Premierministerin der Ukraine Olha Stefanishyna war zu Gast beim Zentrum Liberale Moderne. Im Gespräch mit Marieluise Beck berichtete sie über den Kampf gegen Korruption und die vielen Reformprojekte im Land und über die Hoffnung, ein Vorbild für andere postsowjetische Staaten sein zu können.
Reformen und der Kampf gegen Korruption
Auf Becks Frage nach dem künftigen Kurs des Präsidenten Selensky führte Olha Stefanishyna aus, dass 70% der Bevölkerung von der politischen Führung vor allem Reformen erwarten, was den Ausschlag für seine Wahl gab. Er habe demonstriert, dass sein Fokus auf einer echten Transformation des Landes liege. Das zeige sich in seinen Bemühungen, das Verfassungsgericht zu reformieren, in den Sanktionen gegen russische Propagandasender und gegen ukrainische Politiker, die in den von Russland besetzten Gebieten investieren. Dabei räumte sie ein, dass die Ukraine bei allen Bestrebungen, ein regionales Vorbild zu werden, noch weit von Perfektion entfernt sei. Ihre Hoffnung liege auf der Bevölkerung, die sehr entschlossen sei, Reformen zu fordern und mitzutragen. Sie sei glücklich über ihre Rolle in der Regierung, da sie verantwortlich sei für die Westintegration des Landes, die sie auf einem guten Weg sieht.
Unter Verweis auf die Maskenaffaire merkte Beck an, dass auch Deutschland offenbar weiter von idealen politischen Verhältnissen entfernt sei, als man das hoffen durfte und mahnte zur Bescheidenheit. Es stelle sich die Frage, ob Selensky tatsächlich systematisch gegen Korruption in der ukrainischen Justiz kämpfe, oder ob inhärente Mängel dem im Wege stünden. Oligarchen hätten über Bestechung Macht über Abgeordnete und über Richter auch am Höchsten Gericht.
Das „alte System“ leistet Widerstand
Stefanishyna bestätigte, dass genau diese Reform das Maß sei, an dem das Land sich auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit messen lassen müsse. Es gebe signifikante Fortschritte beim Kampf gegen Korruption, doch seien weiterhin einige Richter bestechlich, was zu einem großen Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber der Justiz führe. Sie sehe das Land auf einem guten Weg zu Reformen, diesen seien aber noch lange nicht abgeschlossen. Es sei richtig gewesen, die Institutionen zur Korruptionsbekämpfung direkt dem Präsidialamt unterzuordnen, da das Verfassungsgericht jederzeit regulär verabschiedete Antikorruptionsgesetze als verfassungswidrig kassieren könne, sowie solche, die Bildung und Sprache betreffen, die Land- und Bankenreform. Dies seien aber genau die Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt wurden. Das „alte System“ kämpfe, um seinen Niedergang zu verhindern, was zügige Erfolge verhindere. Reformen könnten nicht über Nacht erfolgen und die Gesetzgebung sei nur der erste notwendige Schritt. Die Regierung verfolge dieses Ziel intensiv, aber der Prozess sei kompliziert.
Deutschland als Vermittler weiterhin erwünscht
Beck merkte an, dass im Wahl- und Coronajahr die Außenpolitik nicht im Fokus der deutschen Öffentlichkeit stehe, doch der neue Bundestag den Reformprozess der Ukraine im Auge behalten werde. Dabei stelle sich die Frage, wie Deutschland ihn unterstützen könne.
Stefanishyna würdigte Deutschlands vermittelnde Rolle im Konflikt um den Donbass, sie hoffe, dass diese Unterstützung auch von der folgenden Regierung beibehalten würde. Weiterhin hoffe sie auf fortlaufende politische und technische Unterstützung Deutschlands beim Reformprozess der Ukraine, diese sei von hoher Bedeutung, auch um internationale Anerkennung zu erlangen. Auch auf die USA unter Joe Biden und die NATO, G7 und G20, sowie die New-Europe-Initiative Portugals setze sie große Hoffnungen. Dabei solle die Ukraine und die ganze Region auf der internationalen Agenda mehr Gewicht erhalten, und die Ukraine nicht nur als ein Land, welches sich in einem Krieg verteidigen muss, sondern als ein wichtiger Akteur in der Region, ein postsowjetisches Land, das versucht, sich in die Europäische Familie zu reintegrieren, der es entstamme. Dies sei von Bedeutung auch für Moldawien, Georgien und natürlich Europa und den Freien Westen insgesamt.
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