Sank­tio­nen gegen pro­rus­si­sche Fern­seh­sen­der: Ursa­chen und Aus­wir­kun­gen auf die Unter­stüt­zung der Partei von Putins Freund Medwedtschuk

Design: Saskia Heller

Am 2. Februar hat Prä­si­dent Wolo­dymyr Selen­skyj Sank­tio­nen gegen Taras Kosak, Abge­ord­ne­ter des ukrai­ni­schen Par­la­ments, ver­hängt und drei pro­rus­si­sche Fern­seh­sen­der blo­ckiert. Kon­trol­liert werden die Fern­seh­sen­der von Putins Freund Wiktor Med­wedt­schuk. Die Gründe dieser Ent­schei­dung und deren Aus­wir­kun­gen auf die Innen- und Außen­po­li­tik der Ukraine ana­ly­siert für uns Serhii Schapow­a­low, poli­ti­scher Analyst bei Demo­cra­tic Initiatives.

Der Erlass Nummer 43/​2020 des Prä­si­den­ten Selen­skyj, mit dem per­sön­li­che Sank­tio­nen gegen­über dem Abge­ord­ne­ten Taras Kosak von der pro­rus­si­schen Partei „Oppo­si­ti­ons­platt­form – für das Leben“ ver­hängt wurden, war in der Ukraine in den letzten Tagen eines der wich­tigs­ten poli­ti­schen Ereignisse.

Der Haupt­grund für die Sank­tio­nen sind die Ermitt­lun­gen in der Frage einer teil­wei­sen Finan­zie­rung von Kosaks Fern­seh­sen­dern durch eine Firma, die auf dem besetz­ten Gebiet ope­riert. Laut Medi­en­be­rich­ten steht diese Firma bei den Geheim­diens­ten im Ver­dacht, die Kohle, die in den besetz­ten Gebie­ten geför­dert wird, illegal nach Russ­land zu ver­kau­fen. Der Inlands­ge­heim­dienst SBU hat deshalb ein Straf­ver­fah­ren wegen Finan­zie­rung des Ter­ro­ris­mus ein­ge­lei­tet. Die Ermitt­lungs­ak­ten sind bis dato geheim, jedoch hat der Sekre­tär des Natio­na­len Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­rats der Ukraine (RNBOU) schon annon­ciert, dass die gesam­mel­ten Infor­ma­tio­nen sogar für weitere Sank­tio­nen aus­rei­chen würden.

Drei Fern­seh­ka­näle fallen unter die Sank­tio­nen und können nicht mehr senden. Das sind ZIK, NewsOne und 122 Ukraine. Alle drei gehören Taras Kosak und werden von Wiktor Med­wedt­schuk kon­trol­liert. Die Sender waren Sprach­rohre für die Stand­punkte der „Oppo­si­ti­ons­platt­form – für das Leben“ (OPfL) in vie­ler­lei Fragen. Die Sender wurden u. a. auch beschul­digt, rus­si­sche Pro­pa­ganda zu ver­brei­ten und sich der „Hate speech“ zu bedie­nen, Hass zu schüren und den Aggres­si­ons­krieg Russ­lands zu unterstützen.

Der Minis­ter für Kultur und Infor­ma­ti­ons­po­li­tik Olek­sandr Tkat­schenko ver­kün­dete, dass auch die ent­spre­chen­den YouTube Kanäle gesperrt werden sollen. Dabei ent­ste­hen zwei mit dem Sach­ver­halt ver­bun­dene Fra­gen­kom­plexe, die wir hier ver­su­chen werden, zu beantworten:

  • Womit hängt diese Ent­schei­dung zusam­men? Womög­lich mit anderen Ten­den­zen in der ukrai­ni­schen Außenpolitik?
  • Wie wird die Schlie­ßung der o. g. Fern­seh­sen­der die Popu­la­ri­tät der „Oppo­si­ti­ons­platt­form – für das Leben“ bei den Wählern beeinflussen?

Wie effi­zi­ent waren Med­wedt­schuks Sender bei der Gewin­nung neuer Wähler für die Partei?

Auf den ersten Blick sind die Wahl­er­folge ukrai­ni­scher Par­teien eine Frage der ukrai­ni­schen Innen­po­li­tik. Jedoch hängt der außen­po­li­ti­sche Kurs auch von der Zusam­men­set­zung des künf­ti­gen Par­la­men­tes ab. Die Balance zwi­schen den pro­rus­si­schen und pro­eu­ro­päi­schen Par­teien wird sowohl die gene­relle Aus­rich­tung der Außen­po­li­tik bestim­men, als auch die kon­kre­ten Ent­schei­dun­gen bei den Bezie­hun­gen zur EU, den USA und auch zu Russ­land, dem Aggres­so­ren prägen.

Ab Oktober 2020 haben die Umfra­gen des renom­mier­ten Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tuts KMIS fest­ge­stellt, dass die “Oppo­si­ti­ons­platt­form – für das Leben“ mit einem kleinen Vor­sprung gegen­über der Prä­si­den­ten­par­tei „Diener des Volkes“ vorne liegt und somit den ersten Platz im Ranking der Par­teien ein­nimmt. Das hat Sorgen zutage gerufen, dass diese pro­rus­si­sche Partei  von Med­wedt­schuk ihre Wäh­ler­schaft und den poli­ti­schen Ein­fluss aus­wei­ten wird, weil etliche Wäh­le­rin­nen und Wähler von Prä­si­dent Selen­skyj ent­täuscht sind.

Wir glauben jedoch, dass ein solches Sze­na­rio eher unwahr­schein­lich ist. Die Analyse von Umfra­gen zeigt, dass die Oppo­si­ti­ons­platt­form-Wähler, unter sozial-demo­gra­phi­schen Gesichts­punk­ten betrach­tet, sehr spe­zi­ell sind.

Man kann leicht regio­nale Unter­schiede in der Gunst der Wähler ausmachen.

Die Graphik zeigt, dass die Unter­stüt­zung für die Oppo­si­ti­ons­platt­form im Süden und Osten des Landes höher ist als im Westen oder im Zentrum. Für ein voll­stän­di­ges Bild sollte man auch das Alter der Befrag­ten berücksichtigen*:

*Die Summe der Pro­zente in jeder Spalte beträgt weniger als 100, da hier die Unter­stüt­zer anderer, weniger popu­lä­rer Par­teien fehlen sowie die­je­ni­gen, die sich ent­we­der unsi­cher sind oder gar nicht zur Wahl gehen würden.

Wie man sieht, genießt die Med­wedt­schuks Partei Oppo­si­ti­ons­platt­form unter den jün­ge­ren Wahl­be­rech­tig­ten keine allzu große Unter­stüt­zung, dafür aber umso mehr unter den­je­ni­gen, die älter sind als 44 Jahre.

Somit ist die “Oppo­si­ti­ons­platt­form – für das Leben” im Rahmen ihrer Kern­wäh­ler­schaft “gefan­gen”. Diese besteht aus älteren Men­schen im Süden und Osten der Ukraine. 

Die hohe Unter­stüt­zung für die OPfL inner­halb dieser gesell­schaft­li­chen Gruppe ist weniger ver­wun­der­lich, ist es doch die­selbe Bevöl­ke­rungs­gruppe, die einen pro­rus­si­schen Kurs in der Außen­po­li­tik auch unter­stüt­zen würde:

Die OPfL sichert sich effi­zi­ent die Unter­stüt­zung dieser Bevöl­ke­rungs­gruppe, die nach ihren demo­gra­phi­schen Para­me­tern und außen­po­li­ti­schen Ansich­ten sehr spe­zi­ell ist. Es ist für die Partei jedoch schwie­rig, brei­tere Schich­ten zu errei­chen, da der pro­rus­si­sche Kurs unter den anderen Bevöl­ke­rungs­grup­pen keine Popu­la­ri­tät genießt.

Die Umfra­gen belegen das auch. Ver­gli­chen mit den Umfra­gen vom Oktober hat sich die Unter­stüt­zung für die OPfL nicht wesent­lich ver­än­dert (unter­schied­li­che Umfra­ge­werte liegen meist inner­halb der übli­chen sta­tis­ti­schen Abwei­chung). Also haben die Fern­seh­sen­der von Kosak und Med­wedt­schuk während dieser gesam­ten Zeit daran gear­bei­tet, die schon vor­han­de­nen Unter­stüt­zer einfach zu halten.

Ein Ver­dienst dieser Fern­seh­sen­der könnte ledig­lich darin bestehen, dass sie die ähnlich gestimmte Wäh­ler­gruppe „zurück­ge­führt“ haben, die 2019 „Diener des Volkes“ gewählt hat. Dies erklärt auch die schein­bar wach­sende Unter­stüt­zung, ver­gli­chen mit den 13% nach der Wahl 2019. Eine solche Rück­kehr hat statt­ge­fun­den, aber somit haben die Sender keine wirk­lich neuen Unter­stüt­zer gewon­nen bzw. Bevöl­ke­rungs­grup­pen erreicht.

Der Sen­de­stopp für die zur Oppo­si­ti­ons­platt­form loyalen Sender erschwert es, neue poten­zi­elle Wähler für die Partei zu erreichen

Um Auf­merk­sam­keit außer­halb der eigenen Kern­wäh­ler-Gruppe zu errei­chen, sollte man Mes­sa­ges ver­brei­ten, die auch für brei­tere Bevöl­ke­rungs­schich­ten aktuell sind. Die fol­gen­den zwei Punkte könnten zu solchen Bot­schaf­ten werden.

Zum einen das Thema der Kom­mu­nal­ta­rife: Sie findet eine hohe Reso­nanz bei vielen Men­schen, da das Problem für die Mehr­heit der Bürger sehr aktuell ist. Ab Ende Dezem­ber gab es auf Web­sei­ten und in den Fern­seh­sen­dun­gen der Media­hol­ding „Nowosti“ (zu dem ZIK, NewsOne und 112 gehören) mehr als 200 Erwäh­nun­gen des Wortes „Genozid“ im Kontext der Erhö­hung von Tarifen.

Zum anderen sollte die Message vom rus­si­schen Corona-Impf­stoff zwei Fliegen mit einer Klat­sche schla­gen: Eine Lösung für das sehr aktu­elle Problem des feh­len­den Impf­stoffs vor­schla­gen und zugleich ein Argu­ment für die Not­wen­dig­keit einer freund­schaft­li­chen Bezie­hung zu Russ­land liefern.

Offen­sicht­lich erschwert der Sen­de­stopp für Med­wedt­schuks Fern­seh­ka­näle nun die Aufgabe, neue Wähler für die Oppo­si­ti­ons­platt­form zu gewinnen. 

Darüber hinaus begüns­tigt dieser Sen­de­stopp die Auf­lö­sung der tra­di­tio­nel­len Kern­wäh­ler­schaft der Oppo­si­ti­ons­platt­form. Für die meisten Ukrai­ner ist das Fern­se­hen immer noch die wich­tigste Infor­ma­ti­ons­quelle. Mehr noch, wir wissen, dass die OPfL-Wähler meist ältere Men­schen sind. Mehr als 80% älterer Men­schen schauen fern. Und sie sind auch nicht in den sozia­len Medien aktiv, wo sie die blo­ckier­ten Sender trotz­dem ver­fol­gen könnten.

Man kann davon aus­ge­hen, dass der Sen­de­stopp einiger Kanäle das Medi­en­ver­hal­ten nicht wesent­lich ändern wird. Die Zuschauer, die die Med­wedt­schuks Sender ver­folgt haben, werden auch wei­ter­hin fern­se­hen. Aber jetzt werden sie auch die anderen Sender sehen, wo sie öfter eine alter­na­tive Sicht auf die Ereig­nisse in der Ukraine und der Welt prä­sen­tiert bekom­men. Folg­lich werden sich die elek­to­rale Prä­fe­ren­zen dieser Men­schen verändern.

Die Angst vor den Umfra­ge­wer­ten sowie der poten­ti­el­len Reak­tion euro­päi­scher Partner können die Ent­schlos­sen­heit der Regie­rung erschüttern

Das Blo­ckie­ren ein­zel­ner Medien ist kein ele­gan­tes Mittel und löst das Problem der rus­si­schen Pro­pa­ganda nur teil­weise. „Detec­tor Media“ hat her­aus­ge­fun­den, dass auch andere ukrai­ni­sche Medien dabei ertappt wurden, rus­si­sche Nar­ra­tive zu ver­brei­ten. Der Fern­seh­sen­der “Nasch” (“Unser”) wird eben­falls beschul­digt, wie­der­holt rus­si­sche Pro­pa­ganda zu verbreiten.

Sender zu schlie­ßen, das ist keine beson­ders popu­läre Ent­schei­dung. Es gibt in der Gesell­schaft immer noch keinen Konsens darüber, dass das Verbot rus­si­scher Filme im Jahre 2016 ange­bracht war; 36% halten es für richtig, 44% aller­dings – für falsch. Die Gesell­schaft billigt keine Verbote und Blo­cka­den, und die Not­wen­dig­keit solcher Schritte, auch im Namen der natio­na­len Sicher­heit, ist nicht für alle nach­voll­zieh­bar. Darum können die Umfra­ge­werte der Macht­ha­ben­den nach solchen Ent­schei­dun­gen sogar sinken. Die Angst, die Wäh­ler­gunst zu ver­lie­ren, kann zu einem inkon­se­quen­ten Handeln hin­sicht­lich anderer Pro­pa­gan­da­quel­len führen.

Außer­dem waren die Reak­tio­nen seitens der EU nicht ein­deu­tig. Die Ukraine hat schon in unter­schied­li­chen Pres­se­frei­heit-Ran­kings mehr­mals Punkte ver­lo­ren, weil rus­si­sche Res­sour­cen geblockt wurden.

Darum muss die ukrai­ni­sche Argu­men­ta­tion für die Schlie­ßung von Med­wedt­schuks Sendern vor den inter­na­tio­na­len Part­nern ein­wand­frei auf­be­rei­tet sein.

Das kann der Regie­rung auch dabei helfen, im Anbe­tracht einer mög­li­chen Reak­tion aus Europa die Ent­schlos­sen­heit nicht zu verlieren.

Man sollte her­vor­he­ben, dass der Grund für diese Ent­schei­dung nicht die Inhalte waren, die diese Medien ver­brei­te­ten, sondern das geset­zes­wid­rige Handeln von deren Eigen­tü­mern. Dies sollte gegen­über den euro­päi­schen Part­nern klar her­aus­ge­stellt werden, sodass die Ent­schlos­sen­heit der ukrai­ni­schen Macht­ha­ber wei­ter­hin groß bleibt.

Der Ein­fluss der USA auf die ukrai­ni­sche Politik der Informationssicherheit

Die Ereig­nisse um Wiktor Med­wedt­schuks Sender schei­nen auch mit den Ver­än­de­run­gen in der US-Politik ver­bun­den zu sein. Die Biden-Admi­nis­tra­tion nimmt eine ganz strikte Posi­tion ein, wenn es um die Ver­tei­di­gung der natio­na­len Inter­es­sen der Ukraine geht, unter anderem gegen­über Russ­land. Wahr­schein­lich war das auch der Impuls für eine Ver­schär­fung der Infor­ma­ti­ons­si­cher­heits­po­li­tik sowie für die stär­kere pro­west­li­che Rhe­to­rik des Prä­si­den­ten Selenskyj.

Ein Schritt in diese Rich­tung waren die Sank­tio­nen des US-Finanz­mi­nis­te­ri­ums gegen­über Olek­sandr Dubin­s­kij, einem Abge­ord­ne­ten aus der Frak­tion des Prä­si­den­ten. Er war schon früher dafür bekannt, die rus­si­schen Thesen zu ver­brei­ten, dass die Ukraine von außen gelenkt wird, sprach von Soros-Zög­lin­gen usw. Dies hatte jedoch keine Reak­tion von Seiten des Prä­si­den­ten zur Folge. Jetzt hat der Wunsch einer Annä­he­rung an die Biden-Admi­nis­tra­tion Selen­skyj dazu bewogen, auf das Ver­hal­ten Dubin­s­kijs zu reagie­ren und ihn aus der Frak­tion aus­zu­schlie­ßen.

Aber auch hier kann man eine Inkon­se­quenz des Han­delns fest­stel­len. Dubin­s­kij bleibt an der Spitze des “Diener des Volkes”-Regionalbüros im Gebiet Kyjiw. Es werden auch keine Maß­nah­men gegen andere Abge­ord­nete ein­ge­lei­tet, die pro­pa­gan­dis­ti­sche Bot­schaf­ten wie­der­ho­len und sys­te­ma­tisch gegen die Initia­ti­ven des Prä­si­den­ten abstimmen.

Darum werden sowohl die ukrai­ni­schen Bezie­hun­gen zu den USA als auch die olig­ar­chi­schen Inter­es­sen inner­halb des Landes die Innen- und Außen­po­li­tik des Prä­si­den­ten in den nächs­ten Jahren bestim­men. Es wäre keine Offen­ba­rung, wenn man sagt, dass diese im Wider­spruch zuein­an­der­ste­hen. Und trotz­dem deuten gewisse Ver­än­de­run­gen in der ukrai­ni­schen Politik darauf hin, dass die Inter­es­sen der Olig­ar­chen ihre ent­schei­dende Rolle bei der Innen- und Außen­po­li­tik ver­lie­ren können.

Darum werden sowohl die Bezie­hun­gen zu den USA als auch die olig­ar­chi­schen Inter­es­sen inner­halb des Landes die Innen- und Außen­po­li­tik des Prä­si­den­ten in den nächs­ten Jahren bestim­men. Es wäre keine Offen­ba­rung, wenn man sagt, dass diese im Wider­spruch zuein­an­der stehen. Und trotz­dem deuten gewisse Ver­än­de­run­gen in der ukrai­ni­schen Politik darauf hin, dass die Inter­es­sen der Olig­ar­chen ihre ent­schei­dende Rolle bei der Innen- und Außen­po­li­tik ver­lie­ren können.

Aus dem Ukrai­ni­schen über­setzt von Ludmila Shnyr. 

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