18. Mai 1944: Das Trauma der Depor­ta­tion in der krim­ta­ta­ri­schen Kultur

© Rustem Eminov – Der Todes­zug 2 (1997)

Die Ver­trei­bung aus ihrer Heimat können Krim­ta­ta­ren nicht ver­ges­sen. Durch die Beset­zung der Krim durch Russ­land wurde dieses Trauma noch ver­tieft. Filme und Lieder erin­nern an die Deportation.

Der Umgang mit der Geschichte ist kein leich­ter, sondern oft ein sehr schmerz­haf­ter Prozess – beson­ders im Fall eines kol­lek­ti­ven Traumas. Die Ver­ar­bei­tung dieses Erbes erfor­dert viel Mut, Offen­heit und Geduld.

Wenn man über die größten trau­ma­ti­schen Erfah­run­gen der Krim­ta­ta­ren nach­denkt, fällt das fol­gende Datum sofort auf: 18. Mai 1944.

Vom 18. bis zum 20. Mai 1944 wurde die Mas­sen­de­por­ta­tion des krim­ta­ta­ri­schen Volkes aus seinem Hei­mat­ge­biet Krim durch­ge­führt. Über 200.000 Krim­ta­ta­ren wurden durch gewalt­same Maß­nah­men der sowje­ti­schen Truppen des Innen­mi­nis­te­ri­ums der UdSSR in Vieh­wag­gons getrie­ben und unter unmensch­li­chen Bedin­gun­gen in ent­le­gene Gegen­den Zen­tral­asi­ens, auch nach Sibi­rien und in den Ural verschleppt.

Das Trauma der Depor­ta­tion, das durch die lange erträumte, aber sehr her­aus­for­dernde Rück­kehr auf die Krim in den 1990er Jahren und durch die Beset­zung der Halb­in­sel durch Russ­land im Jahr 2014 noch ver­tieft wurde, zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch den Alltag der Krim­ta­ta­ren. Darüber hinaus setzt sich das Volk mit diesem tra­gi­schen Ereig­nis und dessen Folgen in allen Berei­chen des öffent­li­chen Lebens aus­ein­an­der – beson­ders gut ist das in der krim­ta­ta­ri­schen Kultur mitzuerleben.

Hier ist ein kurzer Über­blick über zeit­ge­nös­si­sche Werke, die sich mit dem Thema Depor­ta­tion beschäftigen:

Filme

  • Spiel­film „Hay­tarma“ (2013, Regie Akhtem Seitablaev)

Hay­tarma ist der erste Krim­ta­ta­ren­film in voller Länge und der erste Spiel­film über die Depor­ta­tion. Der Prot­ago­nist des Films – ein zwei­fa­cher Held der Sowjet­union, der Pilot Amet-Khan Sultan – kommt in seine Hei­mat­stadt Alupka und erlebt dort die Tra­gö­die der Depor­ta­tion. Der Film bildet Szenen aus der Depor­ta­tion nach. Hun­derte Men­schen haben an den Dreh­ar­bei­ten teil­ge­nom­men haben, von denen viele die Depor­ta­tion als Kinder über­lebt haben.

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Kom­plet­ter Film auf Rus­sisch mit eng­li­schen Untertiteln

 

  • Doku­men­tar­film „ARZU | TRAUM “(2018, NGO “Krim­haus” /​ NGO„ Krim­haus in Lwiw “)

Der Film handelt von den gestoh­le­nen Träumen der im Jahr 1944 depor­tier­ten Gene­ra­tion der Krim­ta­ta­ren und über die heu­ti­gen Kind­heits­träume der neuen Gene­ra­tion der Krimtataren.

Das Video wurde im Rahmen des Kunst­pro­jekts „Sürgün: Instal­la­tion. Medien. Ereig­nis “ gedreht.

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Kurz­film mit rus­si­schen Untertiteln

  • Spiel­film „Das Gebet eines anderen“ (2017, Regie Akhtem Seitablaev)

Die Geschichte, die auf realen Ereig­nis­sen basiert, erzählt von der Kin­der­gärt­ne­rin Saida Arifova. Während der deut­schen Beset­zung der Krim rettete Saide Arifova 87 jüdi­sche Kinder vor dem bevor­ste­hen­den Tod, indem sie die Kinder für Krim­ta­ta­ren ausgab. Sie gibt jedem von ihnen einen krim­ta­ta­ri­schen Namen und bringt ihnen mus­li­mi­sche Gebete bei. Diese Hel­den­tat rettete die Prot­ago­nis­tin jedoch nicht vor der Depor­ta­tion der Krim­ta­ta­ren durch die sowje­ti­schen Armee.

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Kom­plet­ter Film auf Ukrai­nisch, ohne Untertitel

 

  • Doku­men­tar­film „Mustafa“ (2016, Regie Ahmedi-Ernes Sarykhalil)

Die Geschichte der Krim­ta­ta­ren von der Depor­ta­tion bis zur Beset­zung durch Russ­land im Jahr 2014 wurde durch die Figur von Mustafa Dzhe­mi­lev, dem Leader der Krim­ta­ta­ren und Symbol der krim­ta­ta­ri­schen natio­na­len Befrei­ungs­be­we­gung, erzählt.

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 Kom­plet­ter Film auf Rus­sisch mit eng­li­schen Untertiteln

Malerei

  • Rustem Eminov

Rustem Eminov wurde am 13. April 1950 in Usbe­ki­stan geboren, wohin seine Familie depor­tiert wurde. Eminov ist Autor von mehr als 400 Gemäl­den und hat an mehr als 80 inter­na­tio­na­len Aus­stel­lun­gen teilgenommen.

Eines seiner bekann­tes­ten Werke ist eine Gemäl­de­se­rie „Depor­ta­tion“ (Krimtat. „Unutma“). Eminov visua­li­sierte anhand von Gemäl­den, die auf den Erin­ne­run­gen der Über­le­ben­den basie­ren, die Ereig­nisse dieser Zeit und die Tra­gö­die der Krimtataren.

Die Bilder kann man sich anschauen auf der krim­ta­ta­ri­schen Online-Zeitung AVDET.

Musik

  • Shatur-Gudur

Shatur-Gudur ist eine ukrai­ni­sche Punk­rock-Band krim­ta­ta­ri­scher Her­kunft, deren Song­texte  aus­schließ­lich auf Krim­ta­ta­risch sind. Dadurch leisten sie ihren Beitrag, die Sprache und Kultur der Krim­ta­ta­ren nach Jahr­zehn­ten der Unter­drü­ckung und Zer­stö­rungs­ver­su­chen wiederzubeleben.

Das Thema der Depor­ta­tion liegt den Band­mit­glie­dern nah am Herzen, da ihre Fami­lien die Depor­ta­tion und die Rück­kehr auf die Krim mit eigener Haut erlebt haben.

Im Lied “Kyysh93” geht es bei­spiels­weise um die Schwie­rig­kei­ten der ersten krim­ta­ta­ri­schen Repa­tri­ier­ten nach der Rück­kehr auf die Krim in den 90er Jahren. Geldnot, Mangel an eigenem Wohn­raum, unfrucht­bare Step­pen­ge­biete der Krim, wo die Krim­ta­ta­ren ange­sie­delt wurden, Stig­ma­ti­sie­rung wegen des von der Sowjet­union geschaf­fenen nega­tiven Bildes des krim­ta­ta­ri­schen Volkes in der Gesell­schaft – dies alles stellte eine riesige Her­aus­for­de­rung für die Rück­keh­ren­den und deren Reinte­gra­tion auf der Halb­in­sel dar.

In dem Lied “Neme­leş­tık”, das über die Verse des krim­ta­ta­ri­schen Dich­ters Shukri Appaz geschrie­ben wurde, reflek­tie­ren die Jungs aus Shatur-Gudur das Thema der Assi­mi­la­tion mit anderen Völkern, das für die Krim­ta­ta­ren wegen ihres lang­jäh­ri­gen Lebens im Exil der direk­ter Weg zum Aus­ster­ben des Volkes ist.

Das ganze Album von Shatur-Gudur kann man hier hören:

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Weitere Infor­ma­tio­nen

 

  • Jamala

Jamala, eine ukrai­ni­sche Sän­ge­rin krim­ta­ta­ri­scher Her­kunft, gewann mit dem Lied “1944“ den Euro­vi­sion Song Contest 2016 als Ver­tre­te­rin der Ukraine. Das Lied widmete sie ihrer Urgroß­mutter, die am 18. Mai 1944 mit fünf Kindern aus ihrem Haus in einem kleinen Dorf nach Kir­gi­stan ver­schleppt wurde, und machte damit das sowje­ti­sche Ver­bre­chen gegen die Krim­ta­ta­ren weltbekannt.

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Wenn Fremde kommen
Kommen sie zu eurem Haus
Sie töten euch alle
Und sagen
Wir tragen keine Schuld
Keine Schuld

Deut­scher Text „1944“

Noch ein Lied von Jamala über die Depor­ta­tion – “Schl­yakh dodomy” (aus dem Ukrai­ni­schen  – “Der Weg nach Hause”). Das ist ein musi­ka­li­sches Geständ­nis über die Rück­kehr zum eigenen Zuhause, zu den eigenen Wurzeln nach der langen, auf­rei­ben­den Reise, was die Rück­kehr der Krim­ta­ta­ren aus dem Exil sym­bo­li­siert. Das Lied wurde am 18. Mai 2015 zum Jah­res­tag der Depor­ta­tion veröffentlicht.

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Wie wir sehen, lebt die Erin­ne­rung an den Hei­mat­ver­lust, an den Kampf für die Wahrung der natio­na­len Iden­ti­tät  in den nach­kom­men­den Gene­ra­tio­nen weiter. Die Erin­ne­rung ver­fliegt nicht. Doch bleibt die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Ver­gan­gen­heit das wich­tigste Mittel, um auf der Basis eines trau­ma­ti­schen Erbes neue Spiel­räume eröff­nen zu können.

Textende

Portrait von Alya Shandra

Vik­to­ria Savchuk ist Refe­ren­tin der Geschäfts­füh­rung beim Zentrum Libe­rale Moderne. Als Juris­tin und Advo­cacy Exper­tin war sie mehrere Jahre bei der NGO „Cri­me­a­SOS“ in Kyjiw (Ukraine) tätig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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