„Die Toten haben mich besucht“
Kriegsveteranen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTSB) – Was der ukrainische Staat für sie tut. Über die psychische Gesundheit von Kriegsdienstleistenden. Von Viktoria Roschina
Drei Männer haben etwas gemeinsam – Oleksij Belko, der die Brücke in der Hauptstadt „vermint“ hat, Dmytro Balabucha, der an einer Haltestelle einen Zivilisten erstach, und Mykola Mykytenko, der sich selbst in Brand setzte. Sie alle sind körperlich unversehrt aus dem Krieg zurückgekehrt, aber, wie Dmitry Balabukhas Mutter sagte, der Krieg steckt noch in ihnen.
Sie gehören zu den ca. 500.000 Veteranen des seit sieben Jahren wütenden Krieges zwischen Russland und der Ukraine. In diesen sieben Jahren sind die Nachrichten gespickt mit Berichten von Morden, Anschlägen und Suiziden ehemaliger Kämpfer. Nach der Rückkehr aus dem Krieg gibt es nicht selten Konflikte mit der Familie, Alkoholismus und Drogenmissbrauch.
Ärzte erklären dies mit Veränderungen des psychischen Zustandes der Betroffenen. Fehlende oder abgelehnte psychologische Hilfe, das Ignorieren des Problems posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) auf staatlicher Ebene können in der Zukunft zu schwerwiegenden Folgen führen.
In unserer Recherche und unserem Dokumentarfilm gehen wir diesem Problem auf den Grund, indem wir mit Psychologen, Ärzten, Freiwilligen, mit den Veteranen selbst und mit deren Verwandten sprechen.
„Du schließt die Augen und träumst vom Krieg“
„Nach Debalzewe ist meine Frau ein bisschen ausgeflippt und wollte, dass ich mich versetzen lasse. Ich bin noch ein paar Mal in die ATO gefahren und kam zurück nach Kyjiw und bin dann den Spezialeinsatzkräften beigetreten“, erzählt uns der Ex-Soldat Oleksij Belko.
Er ist seit September 2019 besser bekannt als der „Mann, der gedroht hat, die Metro-Brücke zu sprengen“. Wir treffen ihn in einer psychiatrischen Einrichtung in der Region Kyjiw, wo er sich einer Behandlung unterzieht.
„Kurz und knapp, ich kann sagen, dass ich diese Tat bereue“, sagt Oleksij. Aber er erklärt, dass er zu dieser Zeiteinen der psychischen Anspannung erlebte.
„Du schließt die Augen und träumst vom Krieg, von Explosionen und Schüssen. Die Jungs, die gestorben sind, haben mich besucht, und ich verstand nicht, ob ich träume oder nicht“.
Oleksij Belko wurde in eine Militärfamilie auf der Krim hineingeboren. Er sagt, dass er für sich keine andere Aufgabe als den Militärdienst gesehen hat. Er diente zunächst bei der Marine, und als der Krieg begann, zog er nach Kyjiw und ging als Scharfschütze an die Front.
Oleksij nahm an den Kämpfen um Debalzewe teil. Mit den jungen Offizieren hatte er sich, seinen Worten nach, schon in Kyjiw nicht verstanden. Schließlich ging auch die Beziehung zu seiner Frau aufgrund gewisser Differenzen in die Brüche: „Und wieder nur wegen des Krieges“.
Laut Oleksij berichtete er seinen Vorgesetzten über seinen Zustand, doch diese leugneten ihn.
Aber im Laufe des Gespräches setzt er hinzu: „Ich dachte, ich könnte mich noch selbst bezwingen. Das ist wahrscheinlich bei allen Männern so, sie halten sich für stärker als sie sind“.
Oleksij ist überzeugt, dass alle Veteranen umgehend Hilfe in Anspruch nehmen sollten, sobald sie Veränderungen ihres psychischen Zustands spüren.
„Es kommen definitiv alle in einem veränderten Zustand zurück. Man darf nicht abwarten. Bei Bedarf muss man sich sofort um Hilfe bemühen, auch wenn man noch keinen kritischen Zustand erreicht hat“, sagt Belko.
Er träumt nach wie vor davon, in den Krieg zurückzukehren, aber er schließt auch eine andere Beschäftigung nicht für sich aus: „Wenn nicht in den Krieg? Dann würde ich versuchen, in Kyjiw eine Schmiede aufzumachen“.
Eine Schmiede betrieb Belko einst auf der Krim, auf die er gerne zurückkehren würde.
Der Veteran Oleksij Belko, der damit drohte, die Metrobrücke in der Hauptstadt zu sprengen, während seiner Gerichtsverhandlung in Kyjiw am 20. September 2019.
„Morgens liegt er in voller Kampfmontur unter dem Bett“
In Folge der traumatischen Ereignisse, die die Soldaten an der Front durchmachen, ist der Prozess der Informationsverarbeitung gestört. Verletzungen, der Verlust eines Kameraden, Gefangenschaft, können Stressfaktoren sein. In der Folge kann alles, was auch nur im Entferntesten an die traumatischen Ereignisse erinnert, eine Schutzreaktion des Organismus hervorrufen.
„Der Vater kehrt aus dem Krieg heim, und eigentlich scheint alles in Ordnung zu sein. Alle gehen schlafen, und morgens liegt er dann in voller Kampfmontur unter dem Bett, die Schnürsenkel sind gebunden. Oder der Vater schreit, es gibt Missverständnisse mit der Mutter, die ihn in einer Weise bittet, den Müll rauszubringen, wie er es nicht gern hört. Mehr häusliche Konflikte und, was sehr frustrierend ist – sehr viele Scheidungen“, erzählt man im Zentrum für sozial-psychologische Rehabilitation in Borodjanka.
„Soldaten sagen oft, dass vor ihren Augen ein Film abläuft, und sie sich plötzlich, ohne Grund, unter einer Bank verstecken, so als würden sie vor gegnerischem Feuer in Deckung gehen. Die Leute drumherum sehen das nicht, sie verstehen den Grund für dieses Verhalten nicht. Das kann Gelächter hervorrufen, was wiederum Aggressionen auslösen kann“, erklärt Andrij Tschaikowskyj, der als Arzt im zentralen Militärkrankenhaus arbeitet.
Nach Angaben dieses Krankenhaus leiden 30 bis 40 Prozent der ehemaligen Wehrdienstleistenden an posttraumatischen Belastungsstörungen. Nach Angaben des Ministeriums für Veteranenangelegenheiten sind es 10 bis 15 Prozent.
Die Hauptsymptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sind sogenannte Flashbacks und Intrusionen. Dies bedeutet, dass ein Mensch durch bestimmte Ereignisse, in die er hineingerät, vergangene traumatische Momente noch einmal erlebt. Die Symptome können entweder unmittelbar nach dem Trauma oder erst nach mehreren Jahren auftreten.
„Der klassische Veteran ist als junger Kerl an die Front gekommen, wo man ihm gesagt hat: ‚Schau mal, das hier ist deine Stelle. Hier legst du dich bäuchlings auf den Boden, nimmst dir dein Maschinengewehr und bekommst einen Sicherungsbereich. Falls in diesem Bereich jemand auftaucht, dann schalte ihn aus!‘. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass dieser Bereich nicht 60 Grad umfasst, sondern 360 Grad, und zwar in der U‑Bahn. Du drehst dich im Kreis, und du wirkst dadurch merkwürdig. Die Leute reagieren auf dich, sehen, dass du Uniform trägst. „Der hat eine Gehirnerschütterung!“. Für ihn klingt das natürlich bedrohlich. Möglicherweise fängt er an herumzupöbeln, vielleicht macht er sich auch einfach aus dem Staub. Für ihn ist das völlig normal, er hat ja gelernt zu überleben“, erklärt der Militärpsychologe Andrij Kosintschuk.
Der Veteran Dmytro Balabucha tötete 2018 einen Zivilisten an einer Haltestelle. Seine Tat war nicht bloß Rache für eine Beleidigung, sondern die Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung.
„Er hat die Bedrohung ausgeschaltet“
Kosintschuk ist der Meinung, dass das Verhalten des Soldaten Dmytro Balabucha, der 2018 einen Zivilisten an einer Haltestelle tötete, keine Rache war, sondern Folge seiner posttraumatischen Belastungsstörung.
„Ich will ein Verbrechen verüben und ich will überleben, das sind zwei unterschiedliche Sachen. Ich möchte mich nicht herausreden, aber bei Balabucha ist die Sache klar. Er wurde gedemütigt, geschlagen, und aus Rache hat er dann einen Menschen getötet? Nein, er hat die Bedrohung ausgeschaltet“, sagt der Psychologe.
Nicht lange vor der Tat war der Veteran im Krieg verletzt worden. Er trägt noch immer eine Platte im Kopf.
Der Psychiater Wolodymyr Schurduk erklärt, dass es bei der Beurteilung der Kämpfer wichtig sei, alle ihre Traumata zu berücksichtigen. Derzeit wird solche Expertise noch nicht standardmäßig gemacht.
„Hat ein Mensch die Diagnose, beispielsweise, einer organischen Schädigung des Gehirns erhalten, dann geht diese Schädigung oft auch mit psychischen Störungen einher. Emotionale Unausgeglichenheit, eine gesteigerte Neigung zu effektiven Reaktionsformen und vieles mehr. Das muss also in Betracht gezogen werden, wenn es um die Beurteilung des Verhaltens dieser Menschen in kriminellen Situationen geht“, erklärt der Psychiater.
Die Ärzte fügen hinzu, dass im Land lange Zeit kein Verständnis für die psychische Gesundheit von Kriegsdienstleistenden herrschte. Niemand war sich darüber im Klaren, welche Folgen nach einem Dienst an der Front auftreten können. Das Fehlen einer solchen Ausbildung dürfte nach Meinung der Ärzte ein Grund für die psychischen Schäden vieler Veteranen sein.
Das Ministerium für Veteranen weist darauf hin, dass die bloße Tatsache der Teilnahme an Kampfhandlungen noch keinen strafmindernden Umstand darstellt, sondern in jedem Fall eine Prüfung vorgenommen werden muss.
„Ein Mensch hat ein Verbrechen verübt. Möglicherweise haben bestimmte Umstände dazu geführt. Diese Prüfung muss unvoreingenommen sein. Als Ministerium werden wir die Veteranen unbedingt beschützen und auf ihre Rechte bestehen“, erklärt der Vertreter des Ministeriums Ihor Beskorowainyj.
Eine ähnliche Haltung haben auch die Strafverfolgungsbehörden.
„Wenn ein Mensch ein Verbrechen verübt hat, dann muss er sich dafür verantworten. Es kann also nicht sein, dass ein Mensch, der einen anderen umgebracht hat, nur deswegen wieder freigelassen wird, weil er im Kriegsgebiet war“, sagt man bei der Polizei.
Julia Mykytenko, Soldatin und Tochter des Veteranen Mykola Mykytenko, der sich auf dem Kyjiwer Maidan selbst anzündete.
„Selenskyj lässt mich nicht kämpfen“
In der Nacht auf den 11. Oktober des vergangenen Jahres setzte sich der 49-jährige Veteran Mykola Mykytenko auf dem Maidan in Brand. Er erlitt Verbrennung an 90 Prozent seines Körpers und starb im Krankenhaus.
Die Tochter des Verstorbenen, Julia Mykytenko, sagt, dass ein starkes Gerechtigkeitsgefühl ihren Vater zu der Selbstverbrennung getrieben hat.
„Ich habe die Person gefunden, die den Brand gelöscht hat. Das letzte, was er schrie, war: ‚Selenskyj lässt mich nicht kämpfen‘“, sagt die junge Frau.
Mykola Mykytenko war ein aktives Mitglied der Bürgerwehr auf dem Maidan. Er meldete sich 2014 freiwillig zur Nationalgarde und nahm in den Reihen des Serhij-Kultschytskyj-Bataillons an den Kämpfen um Slowjansk teil. Während der Evakuation eines abgestürzten Hubschraubers bei Karatschun wurde Mykytenko verwundet. Anschließend diente er in verschiedenen Einheiten im Donbas.
„Gleich nachdem Selenskyj die Wahlen gewonnen hatte, fingen diese merkwürdigen Aktionen der trilateralen (russischen, ukrainischen und OSZE) Kontaktgruppe an – über den Rückzug von Truppen, Inspektionen unserer Positionen und Abzug der schweren. Er rief mich an und fragte: ‚Julia, was soll das? Was ist da los?‘. Er hat seinen Schwiegersohn sehr geliebt – meinen Mann, der in der Schlacht von Switlodarsk gefallen ist. Auch dieses Territorium fiel unter den Abzugsbefehl. Das war für ihn eine besondere Tragödie“, erzählt seine Tochter.
Am Vortag seiner Selbstverbrennung veranstaltete Mykola eine einsame Mahnwache vom dem Büro des Präsidenten. Zudem rief er seine Kameraden dazu auf, sich einem Marsch der Ukrainischen Aufständischen Armee anzuschließen.
Die Selbstverbrennung wird von vielen ebenfalls als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung eingeschätzt.
„Solange ein Soldat sich im Krieg befindet, hat er immer eine Rolle. Er verteidigt das Land. Wenn er in das zivile Leben zurückkehrt, dann versucht er diese Rolle oft fortzusetzen, manchmal in sehr übersteigerter Form“, sagt die Freiwillige Oksana Horbatsch, die den Sportwettbewerb für Veteranen „Spiele der Unbeugsamen“ organisiert.
„Wir sehen schon jetzt die negativen Folgen der fehlenden Reintegration der Veteranen. Eine solche Person fühlt sich unerwünscht, schlecht versorgt, einfach wie eine Null. Das Wichtigste, was wir als Gesellschaft tun müssen, ist dafür zu sorgen, dass die Veteranen integriert werden, Rollen für sie zu finden, in denen sie sich wohlfühlen“, fügt Horbatsch hinzu.
Ärzte berichten auch, dass einige Veteranen den Wunsch verspüren, aus dem realen Leben auszusteigen. Das tun sie nicht selten mithilfe von Alkohol und Drogen.
„Es gibt Menschen, die wegen einer physischen Verletzung auf Medikamenten ‚hängengeblieben‘ sind. Ein großes Problem gibt es bei Nalbuphin. Insbesondere bei Menschen mit Amputationen. Einige sind zu mir gekommen und haben gesagt: ‚Helfen Sie mir, ich will aufhören und ohne das Zeug klarkommen‘. Und wenn du siehst, dass er frei davon ist, Fortschritte macht und Ziele setzt, dann ist das ein sehr gutes Gefühl“, sagt der Arzt Andrij Tschaikowskyj.
Oft wollen Veteranen einfach nicht über ihre Probleme reden.
„Veteranen wollen tatsächlich nicht um Hilfe bitten. Erstens, weil sie denken, sie bräuchten das nicht, – bei uns fehlt einfach die entsprechende Kultur, sich an einen Psychologen oder Psychotherapeuten zu wenden. Irgendwie wird es aufgeschoben. Dann heißt es, du seist ein Psycho“, sagt Julia Mykytenko.
Gemäß Daten des Ministeriums für Veteranenangelegenheiten hat es im Zeitraum von 2019 bis 2020 76 Selbstmorde unter Kriegsteilnehmern gegeben. Das Militär betont, dass Freiwillige nicht in diese Statistik enthalten sind, weshalb die tatsächliche Anzahl viel höher sei.
Veteranen am 17. September 2019 bei einer Veranstaltung im Zentrum für psychische Gesundheit und Rehabilitation von Kriegsveteranen
„Jedes Land, das Menschen an die Front schickt, sollte sich auch um sie kümmern“
Im Ministerium für Veteranenfragen erklärt man, dass ein Programm existiert, das die psychologische Rehabilitation ehemaliger Soldaten finanziert. Im vergangenen Jahr erhielt es ca. 80 Millionen Hrywnja.
„Es ist geplant, dass sechs- bis siebentausend Menschen eine Rehabilitation durchlaufen. Dafür sind spezielle Einrichtungen vorgesehen“, gibt man in der Behörde an.
Es existieren derzeit 300 Einrichtungen zur psychologischen Rehabilitation, die in allen Regionen aktiv sind. Bei fünf von ihnen handelt es sich um spezialisierte Einrichtungen.
Eine davon ist „Lisowa Poljana“ in Puschtscha-Wodytsja. Früher wurden hier Heimkehrer des Krieges in Afghanistan behandelt.
„Geholfen werden kann nur auf Bitte des Patienten. Wenn er sagt, dass er sein eigener Psychologe ist, dann hat es keinen Sinn“, sagt die Leiterin des Zentrums Ksenija Wosnitsyna.
„Zuallererst kümmern wir uns um das Trauma selbst. An zweiter Stelle kommen die sogenannten postkommotionellen Syndrome. Das sind Folgen von Schädel-Hirn-Traumata und Barotraumata, die oft mit psychischen Störungen einhergehen. Und an dritter Stelle steht die Behandlung von Abhängigkeiten von diversen psychoaktiven Substanzen“, fügt Wosnitsyna hinzu.
Bei ihrer Arbeit setzen die Psychologen neben Computerspielen auch Malerei und physisches Training ein.
„Die durch Traumata beeinträchtigten Funktionen sind vor allem das Gedächtnis, die Aufmerksamkeit und die Raumwahrnehmung. Die Spiele sind einfach gehalten (Anm. d. Red.: Computerspiele), aber sie unterstützen die Erneuerung dieser Funktionen und ihre Weiterentwicklung“, erzählt der Psychologe Roman Panjuschkin.
Außer den Psychologen und Trainern arbeiten im Zentrum auch Freiwillige des Projekts „Freund eines Helden“ mit den Veteranen. Es handelt sich dabei um eine Therapie mithilfe von Hunden.
„Ein Hund bewertet nicht, er stellt keine Fragen. Er blickt einem Menschen einfach in die Augen und schenkt ihm Liebe. Und das fühlt ein Veteran, der durch bestimmte Ereignisse traumatisiert ist, der schreckliche Dinge gesehen und Schwierigkeit hat, sich wieder in die Normalität einzufinden“, erzählt die Koordinatorin des Projektes Olha Smirnowa.
Ein Psychologe mit einem Patienten im Zentrum für psychische Gesundheit und Rehabilitation von Kriegsveteranen auf dem Gelände des „Krankenhauses für Veteranen – Lisowa Poljana“
Psychologen sagen, dass es für Veteranen sehr wichtig sei, rechtzeitig gehört zu werden, denn die Mehrheit der Suizide seien „ein Schrei nach Hilfe, den niemand gehört hat“.
„Wenn der Wasserkocher brodelt, dann schalten wir ihn aus oder wir klappen ihn auf. Manchmal wissen Menschen aber nicht, was sie damit anfangen sollen. Wenn sie bei uns anrufen, dann können sie den Dampf ablassen und sich aussprechen, denn sie kennen uns nicht persönlich“, sagt der Hotline-Mitarbeiter und Militärseelsorger Wjatscheslaw. Er fügt hinzu, dass es sehr wichtig sei, was für ein Mensch der Veteran vor dem Krieg war.
„Es geht um den Intellekt, womit er sich beschäftigt hat, wie arbeitsam er war, ob er zum Kampf befähigt war, welches Verhältnis er zur Familie hatte. Es gibt eine Menge Faktoren“.
Psychologen berichten, dass eines der Symptome, über das Veteranen oft sprechen, übermäßige Aggressivität ist.
„Wir bringen ihnen bei, wie sie diese Aggressionen möglichst nachhaltig abbauen können. Das kann zum Beispiel in der Sporthalle oder generell durch physische Aktivität passieren. Wir haben Leuten auch schon einfach eine Schaufel in die Hand gedrückt, und sie Schnee schippen geschickt. Denn durch körperliche Aktivität können Aggressionen sehr gut abgebaut werden. Daneben lehren wir auch Entspannungsmethoden, das Zählen bis zehn“, sagt Panjuschkin.
Eine Initiative zur Rehabilitation von ehemaligen Soldaten sind die „Spiele der Unbesiegten“. Die Koordinatorin des Projektes Oksana Horbatsch erklärt, dass die Teilnahme an sportlichen Wettbewerben den Veteranen, insbesondere den Verwundeten, dabei hilft, aus ihrem „Schneckenhaus“ zu kommen, und mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
„Wenn ein Mensch bei den ‚Spielen der Unbesiegten‘ antritt, dann hat er ein Ziel, eine Motivation. Ich werde das Land verteidigen, und wenn auch nicht mehr auf dem Schlachtfeld, dann wenigstens in der internationalen Sportarena“, erklärt die Organisatorin.
Der ehemalige Soldat und heutige stellvertretende Kommandeur der Ukrainischen Freiwilligenarmee Serhij Ilnytskyj bereitet sich auf die „Spiele der Unbesiegten“ vor.
Der ehemalige Soldat und heutige stellvertretende Kommandeur der Ukrainischen Freiwilligenarmee Serhij Ilnytskyj, der 2018 am Wettbewerb teilgenommen hat, sagt, dass ein solches Projekt vor allem der Rehabilitation dient.
„Wenn du zu diesem globalen Netzwerk des Veteranensports hinzustößt, dann ist schon der bloße Umgang miteinander Teil der Rehabilitation. Wenn ein Mensch nicht die Möglichkeit des Kontakts mit anderen Menschen hat, kein Ziel hat, dann wird er sich noch weiter verkriechen. Im Januar gab es allein in unserer Einheit zwei Suizide. Das sind Menschen, die nicht in der Statistik auftauchen“, sagt Serhij Ilnytskyj.
Er fügt hinzu, dass es wichtig sei, über die Probleme zu sprechen.
„Wenn ich ein Problem habe, dann, glaub mir, Kumpel, hast du auch eins. Du willst es dir nur nicht eingestehen. Es ist wichtig, dass es mehr Menschen gibt, die auf sich als Beispiel verweisen, und zeigen, dass das Problem existiert. Denn posttraumatische Belastungsstörungen existieren, und sie können jeden treffen, nur eben zu unterschiedlichen Zeitpunkten“, so der Veteran.
Der Veteran Serhij Poplawskyj ist nach seiner Rückkehr aus dem Krieg im Osten der Ukraine in den Polizeidienst eingetreten.
„Der Mensch muss verstehen, dass er wieder auf friedlichem Territorium ist“
„Ein Soldat sollte nicht direkt nach Hause zurückkehren, sondern sich zunächst mal wenigstens für eine Woche in eine Spezialeinrichtung begeben. Eine offene, natürlich. Sich wieder einfinden, zur Besinnung kommen. Das gilt vor allem für diejenigen, die zum ersten Mal am Krieg teilgenommen haben. Wenn er dann nach Hause kommt, weiß er genau, wohin er sich wenden kann, mit wem er sprechen kann, was die ersten Schritte sind“, erzählt Ljudmyla Boiko, Direktorin des Zentrums für sozial-psychologische Rehabilitation der Bevölkerung in Borodjanka.
Aber brauchen wirklich alle diese Einrichtungen? Manche Veteranen meinen, es reiche aus sich abzulenken.
„Psychologische Rehabilitation? Einerseits ist das nötig. Aber nicht im Sinne von Psychologen und Psychiatern. Der Mensch muss sich einfach umstellen. Er muss verstehen, dass er sich wieder auf friedlichem Territorium aufhält“, sagt Serhij Poplawskyj. Er hat im Osten gekämpft und ist nach seiner Rückkehr in den Polizeidienst eingetreten. Er sagt, dass es auch im zivilen Leben einiges gebe, wofür es sich zu kämpfen lohne.
„Es gibt eine Menge Leute, die sich nicht selbst schützen können. Die Kriminalität steigt leider, und dagegen muss angekämpft werden“, sagt der Polizist.
Bei den Ukrainischen Streitkräften heißt es, Armeeangehörige hätten angefangen, Anzeichen von Stress bei sich selbst und den Kameraden anzusprechen. Und man betont die Wichtigkeit professioneller psychologischer Hilfe.
„Es ist richtig, sich an einen Psychologen zu wenden. Nicht mutig, sondern richtig für jeden Kriegsdienstleistenden. Probleme verschwinden nicht einfach so, insbesondere nicht jene psychischen Charakters“, sagt Jaroslaw Kalinitschenko von den Ukrainischen Streitkräften.
Taras Leljuch, der am Krieg im Donbas teilgenommen hat, findet, dass die beste Rehabilitation für Soldaten aus Arbeit und Sport besteht:
„Wenn du permanent beschäftigt bist, nachhause kommst und denkst, wie du am besten für deine Jungs sorgen kannst, wie du sie durchbringst, dann denkst du nicht an deine psychischen Probleme. Du denkst nur daran, dass du gebraucht wirst“.
Derzeit betreibt er ein eigenes Unternehmen. Er züchtet und verkauft Mais in der Region Poltawa. Er gibt zu, dass es nicht immer so gut lief.
„Ich spaziere so durch die Stadt und komme an einem Fenster vorbei. Sagen wir, eine Kunstschule. Ich bücke mich so, dass mein Kopf nicht auf Ebene des Fensters liegt. Die Leute drehen sich um, und erst in diesem Moment merke ich, dass irgendwas nicht stimmt“.
Der Ex-Soldat Taras Leljuch (links) wurde nach seiner Rückkehr aus dem Krieg als Landwirt tätig. Für ihn ist das die beste Form der Rehabilitation.
„Ein erfolgreicher, toller Mensch und auch noch ein Veteran“
Aus Sicht der Direktorin des Rehabilitationszentrums „Lisowa Poljana“ Kesnija Wosnitsyna ist es wichtig, den Veteranen nach dem Krieg dabei zu helfen, zu sich selbst zu finden.
„Damit sie den Krieg vor der Türschwelle des eigenen Hauses abstreifen. Und damit sie sich in die Gesellschaft einfügen und erfolgreich werden können. Ein eigenes Unternehmen gründen, beispielsweise“.
Im Ministerium für Veteranenfragen ist man überzeugt, dass es am wichtigsten sei, den Veteranen wieder aufzubauen. Dann wird er die richtigen Entscheidungen für sich selbst treffen.
„Du schaust dir den Menschen an, er ist erfolgreich, gut drauf. Und dann erfährst du, dass er auch noch Veteran ist. Wow, beeindruckend. So würde ich es mir wünschen. Uns geht es nicht darum, dass der Veteran wieder für den Krieg oder für das zivile Leben fit gemacht wird. Wir bauen sie bis zu dem Punkt auf, an dem wieder eine gewisse Normalität herrscht. Und der Veteran kann als eigenständiges Subjekt selbst entscheiden, ob er wieder in den Krieg will“, sagt der Vertreter des Ministeriums Ihor Beskorowainyj.
„Es ist sehr wichtig, sie nicht abzuwerten. Aber ich wäre auch froh, wenn wir ohne die Heroisierung auskämen. Ein Veteran ist kein Held, denn auch ein Veteran kann Mist bauen“, findet der Psychologe Andrij Kosintschuk.
Die Psychologin Tetjana Sirenko sagt, dass man mit PTBS nicht für immer leben muss. Es sei eine Frage der Willenskraft und der Zeit.
„Es gibt dieses wunderbare Phänomen des posttraumatischen Wachstums. Wenn man aufgrund der Kampferfahrungen, aufgrund dessen, was man erlebt hat, alles Überflüssige abschneiden kann, auf sich selbst hört und sich einem Lebenswerk widmen. Und es gibt eine Menge solcher Geschichten unter unseren Veteranen“.
Aus dem Ukrainischen übersetzt von Dario Planert und Christoph Brumme.
Anmerkung
Wir danken Hromadske und Viktoria Roschina für die freundliche Genehmigung zur Übersetzung. Hier geht es zum Originaltext. Zudem gibt es einen dazugehörigen Dokumentarfilm von Viktoria Roschina/hromadske: „PTBS. Geänderter Zustand“ (Sprache: UA & RU; Untertitel: ENG).
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen
Gefördert durch:
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.