Sekt aus dem Donbas
Der größte Sektproduzent Osteuropas befindet sich im ostukrainischen Donbas. Doch seit der Krim-Annexion neigen sich die Vorräte für das wichtigste Exportprodukt der Kellerei dem Ende zu. Von Daniela Prugger
Der größte Sekthersteller Osteuropas befindet sich in Bachmut, einer Stadt in der Donbass-Region, die vor allem für Schwerindustrie, Kohleabbau und den einzigen Krieg auf europäischem Boden bekannt ist. Weinberge sucht man hier vergebens. Die Trauben werden aus der Südukraine angeliefert, bis zum Jahr 2014 vor allem von der gut 500 Kilometer südwestlich gelegenen Halbinsel Krim. Und genau deshalb könnte es für das bekannteste Exportprodukt der Kellerei „Artwinery“ nun eng werden, erzählt Svetlana Pilosyan, Die Vorräte für den auch weit über die Grenzen der Ukraine hinaus bekannten und beliebten Krimsekt neigen sich dem Ende zu.
Die Touristenführerin läuft durch einen weitläufigen Park, an hohen Käfigen vorbei, in denen Ziervögel die Besuchergruppen fröhlich zwitschernd begrüßen. Vor dem lachsfarbenen Eingang, der in die unterirdischen Gewölbe der Kellerei führt, bleibt sie stehen und warnt die Besucher streng davor, die abgefüllten Sektflaschen zu berühren. „ explodieren, weil der Druck in den Flaschen so groß ist.“ Dann macht sich die Gruppe in die gewaltigen Produktionshallen auf.
In der Kellerei „Artwinery“ findet der gesamte Produktionszyklus unter der Erde statt, in einem Gipsbergwerk, das bis zu 72 Metern tief ist. Sofort steigt den Besuchern der Gärgeruch in die Nase; die Geräusche der Abfüllanlagen und Maschinen hallen durch die Tunnelgänge. Arbeiterinnen in grüner Arbeitskleidung sitzen an den Fließbändern. Obwohl 70 Prozent der gesamten Herstellung automatisiert sind, werden die Flaschen noch immer per Hand gedreht. So lange, bis sich die Hefe im Flaschenhals sammelt und einfach entfernen lässt. Es sind vor allem Frauen, die diesen wichtigen Produktionsschritt mit der dafür notwendigen Fingerfertigkeit ausführen. Pilosyan führt die Gruppe durch die Produktions- und Lagerräume, an deren Wände bunte Felder gemalt wurden, mit jungen Frauen, die Weintrauben ernten. „Die Arbeiter sollen sich an den Malereien erfreuen, weil sie die Sonne kaum sehen“, sagt Pilosyan.
Die Nutzung als Weinproduktionsstätte ist bloß das jüngste Kapitel in der langen Geschichte des Stollens, in dem bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Gips abgebaut wurde. Ein Wanddenkmal, die sogenannte Mauer der Tränen, Kerzen und eine Inschrift, erinnern an das dunkelste Kapitel des Bergwerks: Während der Nazi-Besetzung im Jahr 1943 wurden hier 3.000 Juden lebendig eingemauert. Nach Kriegsende und um den Sieg über die Nazis zu feiern, erfolgten die Arbeiten zur Herstellung von „sowjetischem Schaumwein“ auf Stalins persönlichen Befehl. Die vielen leeren Stollen mit ihren Eisenbahnschienen, der feuchten Luft und Temperaturen zwischen zwölf und 14 Grad boten die idealen Bedingungen für den Reifeprozess des Weins.
Heute ist die Kellerei „Artwinery“ eine private Aktiengesellschaft. Vor zwei Jahren kauften sich der ukrainische Oligarch Boris Kolesnikow und seine Frau Svitlana mit einem Anteil von 19,42 Prozent ein. In der Ukraine ist Kolesnikow nicht unumstritten: Unter Ex-Präsident Wiktor Janukowytsch, der nach den Euromaidan-Protesten ins Moskauer Exil flüchtete, war er noch Infrastrukturminister – heute ist der aus der Schwarzmeerstadt Mariupol stammende 58-jährige der Vorsitzende der prorussischen Partei „Oppositionsblock“. Zu den Besitzverhältnissen und den politischen Akteuren, die hinter der Kellerei stehen, äußert sich das Unternehmen daher nicht und weist lieber auf die Produktionsmenge hin: Ganze zwölf Millionen Flaschen werden pro Jahr abgefüllt. Die Produktionskapazität liegt bei der doppelten Menge.
Doch die Auswirkungen des Krieges, der seit bald sechs Jahren andauert und mehr als 13.000 Menschenleben gekostet hat, schlagen sich nicht nur in der Wirtschaft nieder. Keine zwanzig Kilometer sind es heute von Bachmut bis zur Frontlinie; die Einwohnerzahl ist seit Kriegsbeginn von 78.000 im Jahr 2014 auf mittlerweile 74.000 gesunken. Und auch die Distanz zum Zentrum der Ukraine hat sich vergrößert: Während in der 570 Kilometer Luftlinie entfernt liegenden Metropole Kiew neue Business-Center aus dem Boden schießen und der boomende IT-Sektor immer mehr internationale Investoren anlockt, sieht die Realität im Donbass ganz anders aus.
Vor Ausbruch des Krieges war Russland für in der Region ansässige Unternehmen wie die „Artwinery“ der wichtigste Exportpartner. Damit ist es nun vorbei. Um den Einbruch dieser Handelsbeziehungen wettzumachen, konzentriert man sich auf die Exportmärkte in der Europäischen Union, den USA und Kanada. Allein nach Deutschland und Österreich werden jährlich zusammen knapp 600.000 Flaschen geliefert. „Die vergangenen Jahre waren schwierig für uns. Aber wir haben die Produktion nie gestoppt. Weil wir uns auf den Weltmarkt konzentrieren, geht es uns verhältnismäßig gut“, teilt das Unternehmen mit. Am nationalen Schaumweinmarkt ist die „Artwinery“ laut eigenen Aussagen mit einem Anteil von 30 Prozent Marktführer.
Doch all der Zweckoptimismus ändert nichts am Verlust der wichtigsten Rohstoffbasis des Unternehmens, der Krim, aus dem die Traubenlieferungen seit der Annexion 2014 ausbleiben. Wie lange die Ernte aus den Jahren 2012 und 2013 noch ausreicht, kann das Unternehmen nicht genau abschätzen. „Mittlerweile kaufen wir mehr Rohstoffe aus den Regionen rund um Odessa, Kherson und Nikolaev ein.“ Doch Krimsekt braucht Krimtrauben. Immer mehr verlagert sich deshalb die Produktion auf andere Weinsorten.
Durch die Führungen für internationale Touristengruppen will die Geschäftsleitung die Bekanntheit der hauseigenen Marken außerhalb der Ukraine weiter steigern. Mehr als 200.000 Menschen haben die Tunnel seit dem Jahr 2000 besucht, die meisten kommen aus der Ukraine, Polen und Ungarn. „Viele Menschen interessieren sich dafür, wie wir den Sekt produzieren. Aber der Krieg schreckt die Besucher ab“, so das Unternehmen. Immerhin: Vor kurzem wurden die Erzeugnisse zum ersten Mal bei der „Vinexpo“ in New York ausgestellt.
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