Eine Frage des Timings – Gasförderung im Schwarzen Meer
In den Medien wird ausführlich über Nord Stream 2 und die türkischen Ambitionen im Mittelmeerraum berichtet. Aber was im Schwarzen Meer passiert, wird kaum thematisiert. Auch die ukrainische Naftogaz Group wird in diesem Jahr mit der Suche nach Erdgas beginnen. Von Daniela Prugger und Marine Leduc
Die Nachricht, dass der staatliche ukrainische Energiekonzern Naftogaz im Sommer 2021 mit der Suche nach Erdgas im Schwarzen Meer beginnen will, treibt Borys Babin lediglich ein Lächeln auf die Lippen. Die Diskussion rund um Offshore-Gasförderungen im Schwarzen Meer ist nicht neu. Und so zieht der Anwalt und ehemalige Präsidentenvertreter der Ukraine auf der Krim etwas skeptisch die Augenbrauen hoch, als er in einem kleinen Restaurant im touristischen Zentrum der Schwarzmeerstadt Odesa eine Landkarte auf dem Tisch ausbreitet und sagt: „Für mich stellen sich dabei vor allem sicherheitspolitische Fragen.“
Mit einem Stift zeichnet Babin die Gebiete ein, die seit bald sieben Jahren von Russland kontrolliert werden, große Teile des Asowschen Meeres, die Krim und die Gewässer rund um die Halbinsel. Odesa befindet sich nur circa 170 Kilometer Luftlinie von der Krim entfernt, erklärt der Experte. Dazwischen schwimmen Gasbohrinseln, die seit Jahrzehnten in Betrieb sind und laut Medienberichten von Russland mittlerweile auch zu militärischen Zwecken verwendet werden.
„Einige dieser Bohrinseln schwimmen näher an Odesa als an der Krim. Niemand, nicht einmal Umweltschützer oder Fischer, können in ihre Nähe gelangen. Wer den Abstand von 500 Metern nicht einhält, riskiert angegriffen zu werden.“
Wie wahrscheinlich ist es also, dass die Ukraine dort tatsächlich mit der Förderung von Erdgas beginnen kann? Der staatliche Dienst für Geologie hat der ukrainischen Naftogaz bereits 37 Genehmigungen erteilt, um 30 Jahre lang neben der rumänischen Grenze und vor der Region Odesa nach Erdgas suchen zu können, erklärt Naftogaz-Beraterin Olena Zerkal. Ein Vorhaben, das laut Experten wie Babin direkt die Interessen Russlands stört.
„Die Möglichkeit, dass Russland die Situation im Schwarzen Meer weiter eskalieren lässt, besteht“, sagt Zerkal, die bis zum Jahr 2019 stellvertretende Außenministerin der Ukraine für die europäische Integration war. „Aber gleichzeitig können wir die Gelegenheit nicht verpassen, dieses Gebiet zu erkunden.“
“Chance nicht verpassen”
Wie groß die Gasmengen im Schwarzen Meer sind, ist noch nicht bekannt. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass das ukrainische Schelf mehr als zwei Milliarden Kubikmeter Gas enthält.
„Wir gehen davon aus, dass das Schwarze Meer genügend Ressourcen für die nächsten 20 oder 30 Jahre zur Verfügung stellt“, so Zerkal. Den Beginn der seismographischen Erkundung plant der Konzern für den Sommer 2021; in fünf bis sieben Jahren könnte dann die Gasförderung starten.
Für die Ukraine, die zwar über die größten Gasspeicher-Kapazitäten in Europa verfügt, jedoch aus historischen und geopolitischen Gründen vor allem Gas-Importeur ist, habe die Unabhängigkeit im Energiebereich oberste Priorität und sei vor allem eine Frage des Timings. „Die Europäische Union hat ihre Politik in Bezug auf Gas, Öl und andere fossile Brennstoffe geändert. Wir verstehen deshalb, dass das Zeitfenster für die Exploration und Produktion und die Möglichkeit, Investoren anzuziehen, sehr klein ist. Wir haben entweder die Chance, jetzt damit anzufangen oder wir verpassen sie komplett.“
Zunächst gehe es darum, das importierte durch lokal produziertes Gas zu ersetzen. Und wenn die Marktbedingungen es zulassen, so Zerkal, könnte das Gas in Zukunft auch exportiert werden.
Im Februar holte Naftogaz deshalb die österreichisch-rumänische OMV Petrom ins Boot und unterzeichnete eine Absichtserklärung, die auf eine gemeinschaftliche Erkundung des Offshore-Gases abzielt. In Rumänien fördert OMV Petrom bereits Erdgas in den flachen Gewässern und teilt mit, dass das Schwarze Meer damit zehn Prozent des rumänischen Gasbedarfs sichert. Zuletzt ersteigerte der Konzern auch Anteile an bulgarischen und georgischen Offshore-Projekten. „Diese Erfahrung von OMV Petrom ist für uns sehr relevant“, so Zerkal.
Energie-Hotspot Schwarzes Meer
Auch die ukrainische Botschaft in Bukarest weist darauf hin, dass die Präsenz der russischen Marine im Schwarzen Meer als Risikofaktor angesehen wird, der sich negativ auf den Beginn der direkten Arbeiten an der Entwicklung des Schelfs auswirken kann.
„Die Ukraine sucht nach Möglichkeiten, um diese Risiken zu minimieren. Die Diversifizierung der Energieversorgung der Ukraine ist eine der strategischen Prioritäten Kyjiws“, so Botschaftssekretär Petro Stoian.
Das Schwarze Meer könnte in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einem der Hotspots im Bereich der Energieförderung werden, einhergehend mit zahlreichen geopolitischen Komponenten und ungelösten militärischen Konflikten in den angrenzenden Staaten. Das ist die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist das hochsensible Ökosystem des Schwarzen Meeres. „Das Schwarze Meer ist ein geschlossenes Becken, in das Flüsse aus allen möglichen Ländern münden“, erklärt der in Odesa lebende Umweltaktivist Vladislav Balynskyi. Und diese Flüsse schwemmen beispielsweise bereits jetzt Plastikmüll, Plastikpartikel, Pestizide und Pharmazeutika heran.
In einem zentral gelegenen Bürogebäude öffnet der 47-jährige Vladislav Balynskyi eine der vielen gleich aussehenden Holztüren und bittet in ein Büro, das von einem befreundeten Anwalt gemietet wird. Zwei Zimmerpflanzen, zwei abgewetzte rote Ledersessel, eine schwarze Ledercouch und ein Glastisch mit schwarzer Plastikfassung stehen darin. Wenn man aus dem Fenster blickt, sieht man eine Militärkaserne und eine Gruppe Soldaten neben einer stark befahrenen Straße.
„Odesa ist, ehrlich gesagt, keine sehr komfortable Stadt zum Leben“, erklärt der studierte Biologe. Aber das Meer halte ihn hier. Die Möglichkeit schwimmen zu gehen, zu tauchen, in die Ferne zu blicken. Er zeigt ein Poster des EU-Projektes EMBLAS, an dem er selbst mitgearbeitet hat, um den Schutz des Schwarzen Meeres zu verbessern.
Auf dem Plakat werden die Verschmutzungsquellen bebildert: „Das Schwarze Meer ist ziemlich tief, aber nur in den maximal 150 Metern an der Oberfläche ist Leben möglich“, erklärt Balynskyi. „Und lasst uns realistisch sein. Wenn wir über Gasbohrungen im Schwarzen Meer sprechen, müssen wir nicht nur das Bohren selbst mitdenken. Es geht auch um den Transport des Gases und den Aufbau einer Infrastruktur für diese Aktivität.“
Hochsensibles Ökosystem
In einer Stadt wie Odesa werden Umweltschützer noch immer als Spinner angesehen, erzählt Balynskyi – und vielleicht habe er selbst auch mal so gedacht. Erst seit der Maidan-Revolution will er etwas in diesem Land verändern: vor allem die Ignoranz vieler Leute gegenüber der Umwelt. Gemeinsam mit seiner Umweltschutzorganisation Zelenyy Lyst (Grünes Blatt) kämpft er dafür, dass das Meer und die Flüsse geschützt werden.
„Man kann sagen, dass in unserem Land, immer dann, wenn jemand gegen ökologische Standards und ökologische Gesetze verstößt, Korruption dahintersteckt.“
Diese grundlegenden Bedingungen müssten mitbedacht werden, wenn Konzerne in der Gegend vor Odesa mit solchen Projekten starten wollen. Wie eine Studie des Ausschusses für Fischerei des Europäischen Parlaments warnt auch Balynskyi vor Unfällen vor den Küsten, die im Zuge der Öl- und Gasproduktion erfolgen können und damit erhebliche schädliche Auswirkungen auf die Meeresumwelt und insbesondere auf die Fischerei- und Aquakultur-Industrie haben.
Ihm geht es nicht nur um die Bohrungen selbst. “In den tiefen Zonen des Schwarzen Meeres gibt es eine hohe Konzentration von Schwefelwasserstoff, der den Sauerstoff aus dem Wasser drückt und das Meer zu großen Teilen für Pflanzen und Tiere unbewohnbar macht. Jede zusätzlich menschliche und industrielle Aktivität in diesem sensiblen Meer stellt eine weitere Bedrohung für das Ökosystem dar.”
Partnerschaft zwischen Rumänien und der Ukraine
Auf der Landkarte, die vor ihm liegt, zeichnet Balynskyi das Biosphärenreservat im Donaudelta ein, das weit über die Grenzen der Ukraine und Rumäniens hinaus für seine Artenvielfalt bekannt ist, etwa für eine der größten europäischen Kolonien von Pelikanen. Etwa 70 Kilometer von hier entfernt befindet sich die Schlangeninsel, eine der Gegenden, in denen Naftogaz hohe Reserven an Gas vermutet. Die Schlangeninsel markiert nicht nur die Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien, sondern einen wichtigen Punkt in der außenpolitischen Beziehung der beiden Länder.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion fiel die Insel an die Ukraine. Bis zum Jahr 2009 stritten sich Bukarest und Kyjiw um das unbewohnbare Eiland – auch aufgrund der dort vermuteten Öl- und Gasvorkommen. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag sprach die Insel schließlich der Ukraine zu, das heutige NATO-Mitglied Rumänien erhielt das Recht, eventuelle Gas- und Ölvorkommen ebenfalls zu nutzen.
“Viele politischen Beobachter sind heute um das Schicksal der Schlangeninsel besorgt”, sagt Sicherheitsexperte Borys Babin. “Sollte Russland die Insel einnehmen, könnte der Zugang zum Schwarzen Meer für die Ukraine blockiert werden.”
Die Schifffahrtsrouten vom Bosporus zu den ukrainischen Häfen verlaufen heute durch eine enge Lücke zwischen der Schlangeninsel und dem Festland. Auch deshalb setzt Naftogaz auf eine Zusammenarbeit mit Konzernen aus Skandinavien und der OMV Petrom.
Naftogaz-Beraterin Olena Zerkal sagt: “Wir hoffen, dass uns diese Partnerschaften mehr Sicherheit bringen und dass Russland aufgrund einer solchen Zusammenarbeit weitere Provokationen vermeiden wird.”
Diese Recherche wurde von Investigative Journalism for Europe IJ4EU gefördert. Das International Press Institute (IPI), das Europäische Zentrum für Journalismus (EJC) und andere Partner des IJ4EU-Zuschusses sind nicht verantwortlich für die veröffentlichten Inhalte und deren Verwendung.
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