Presseschau (12. bis 25. Oktober 2023)
Auswirkungen der Wahlen in Polen auf die Ukraine +++ Unterstützung der Ukraine durch die USA vor dem Hintergrund des Krieges im Nahen Osten +++ Das mögliche Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat)
Auswirkungen der Wahlen in Polen auf die Ukraine
Die am 15. Oktober in Polen abgehaltenen Parlamentswahlen haben in den ukrainischen Medien viel Aufmerksamkeit erfahren, denn das Ergebnis könnte einen beträchtlichen Einfluss auf die Unterstützung der Ukraine haben. Zeitgleich zu den Wahlen stimmten die Polen über ein Referendum ab, in dem es auch um die zukünftige Unterstützung der Ukraine ging.
NV weist darauf hin, dass der 66-jährige Donald Tusk gute Chancen habe, neuer Ministerpräsidenten Polens zu werden. Das Medium hebt hervor, dass sich Tusk vor den Wahlen positiv zu einigen für die Ukraine wichtigen Punkten geäußert habe. Er habe gesagt, Kyjiw sei „auf jeden Fall ein Schlüsselpartner Polens“ und die bisherige Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) kritisiert: Sie habe für die eingewanderten Ukrainer „keine Infrastruktur bereitgestellt, weder Kliniken noch Schulen“. Außerdem habe Tusk gesagt „Die polnische Regierung hat einen überraschenden Streit mit der Ukraine begonnen, zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Ausgang des Krieges entscheiden könnte“ und betont: „Es gibt keine Alternative zu einer proukrainischen Politik, aber es sollte Maßnahmen geben, die die polnischen Interessen in dieser Politik schützen. Wir können uns jedoch unter keinen Umständen einen plötzlichen Wechsel der Taktik leisten.“
Auch die Ukrajinska Prawda befasst sich mit den Wahlen in Polen: „Der schwere Konflikt mit Kyjiw könnte nach Meinung polnischer Politologen einer der Faktoren gewesen sein, die zum Rückgang der Umfragewerte der PiS geführt haben.“ Aber könne man deshalb in Zukunft mit einer Verbesserung der ukrainisch-polnischen Beziehungen rechnen? Das hänge von beiden Ländern ab: „Natürlich wird die neue Regierung nicht andeuten, die Militärhilfe könnte aussesetzt werden, wie es Kyjiw im September hören musste. Aber im Bereich des Agrarhandels können wir davon ausgehen, dass die neue Regierung eine harte Haltung einnehmen wird, auch wenn im ‚Getreidekonflikt‘ wahrscheinlich bald ein Kompromiss gefunden wird.“ Die Ukrajinska Prawda mahnt: „In dieser Situation ist es wichtig für Kyjiw, auch zur PiS gute Beziehungen aufrechtzuerhalten. Die Ukraine hat dieser Partei und ihrer Führung viel zu verdanken.“
Unterstützung der Ukraine durch die USA vor dem Hintergrund des Krieges im Nahen Osten
Die ukrainischen Medien zeigen sich über die Entwicklungen im Nahen Osten besorgt. Die grundsätzliche Frage ist: Wird die amerikanische Hilfe für die Ukraine abnehmen? Und wie genau wird sich der Krieg zwischen Israel und der Hamas auf die Weltordnung auswirken?
Der ehemalige ukrainische Botschafter in den USA und Frankreich, Oleh Schamschur, ordnet das Themas im Dserkalo Tyschnja ein: „Offensichtlich versteht Biden, dass ein Sieg der Ukraine […] zu einem wichtigen Teil der Errungenschaften seiner ersten Amtszeit und seines politischen Erbes insgesamt werden könnte. Umgekehrt würde ein auch nur teilweiser Erfolg Putins die amerikanischen Wähler in ihrer Wahrnehmung zu bestärken, Biden sei ein schwacher Präsident“, so Schamschur. Der Botschafter ist der Meinung, dass Bidens Rede am 19. Oktober sowie auch die ersten Lieferungen der Kurzstreckenraketen ATACMS bezeugen würden, dass er und sein Team einen weiteren, wenn auch verspäteten Schritt getan hätte. Ziel sei die radikale militärische Niederlage des Putin-Regimes und Russlands.
In einem anderen Beitrag des Dserkalo Tyschnja schreibt Oleksij Jischak, Experte am ukrainischen Nationalen Institut für Strategische Studien, durch die Aktionen der Hamas werde die Aufmerksamkeit des Westens vom Krieg gegen die Ukraine abgelenkt. Russland könne seine Freude darüber kaum verbergen. Jischak zieht folgende Schlussfolgerung: „Für die Ukraine hat Israels Krieg nichts an der Tatsache geändert, dass der Frieden auf dem Schlachtfeld erreicht wird. Was sich verändert hat, ist, dass das Schicksal der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung von nun an durch Bodenoperationen nicht nur in der Region Melitopol, sondern auch im Gazastreifen entschieden wird.“
Der prominente ehemalige Journalist und heutige Parlamentsabgeordnete Serhij Rachmanin vertritt in einem Interview mit NV folgende Meinung zur amerikanischen Unterstützung der Ukraine: „Ich würde nicht sagen, dass die USA beabsichtigen, der Ukraine die kalte Schulter zu zeigen oder die Hilfe einzustellen. Es gibt aber wohl Gründe, anzunehmen, dass diese Hilfe kleiner, weniger systematisch und weniger umfassend sein wird.“ Rachmanin zufolge gehöre die Ukraine nicht so sehr zu den Prioritäten der USA wie Israel. „Was immer unsere Haltung dazu sein mag, das ist eine Tatsache. Eine vollendete Tatsache. Denn die Ukraine ist ein Partner. Israel ist ein Verbündeter.“
Das mögliche Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat)
Am 19. Oktober nahm die Werchowna Rada in erster Lesung einen Gesetzentwurf an, der auf das Verbot der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchat) in der Ukraine abzielt. Dieses Thema rief zahlreiche Diskussionen in den ukrainischen Medien hervor.
In einer Kolumne für NV meint Ljudmyla Filipowytsch, Professorin am G. S. Skoworoda Institut für Philosophie in Kyjiw: „In dem Gesetzentwurf geht es nicht um ein Verbot der Religion, sondern um das Verbot staatsfeindlicher, antiukrainischer Aktivitäten jener religiösen Organisationen, die das Land des Aggressors als Zentrum ihres religiösen Lebens gewählt haben. Das ist nicht zu verwechseln.“ Ihrer Meinung nach befänden sich die Kleriker der mit Moskau verbundenen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in ihrem eigenen „historiographischen Paradigma“. Sie nähmen keine Rücksicht auf die Veränderungen durch den Krieg. Diese Veränderungen hätten bereits seit 2014 begonnen.
Der Dserkalo Tyschnja meint, dass dieses „höchst harmlose Gesetz“ die Existenz der mit Moskau verbundenen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in der Praxis keineswegs gefährde. In dem Artikel wird folgender Standpunkt vertreten: „Es handelt sich keineswegs um die Auflösung der mit Moskau verbundenen Ukrainisch-Orthodoxen Kirche als solcher, wie viele hitzköpfige ‚Experten‘ entschieden haben. Es geht nicht um die Kirche als Ganzes, sondern um ‚religiöse Organisationen‘. Diese Organisationen sind nach unseren Gesetzen konkrete Pfarreien, Klöster, Bildungseinrichtungen und andere juristische Personen, die unter dem Zeichen der Kirche tätig sind.“ Der Dserkalo Tyschnja äußert die Ansicht, dass die Regierung eigentlich gar nicht den Wunsch habe, das Problem des Moskauer Patriarchats in der Ukraine zu lösen. Es gebe in der Ukraine keine politischen Kräfte, die die Regierung dazu bringen könnten, das Notwendige zu tun: die mit Moskau verbundene Ukrainisch-Orthodoxe Kirche völlig zu verbieten.
Gefördert durch:
Ukrainische Medien
Die Online-Zeitung Ukrajinska Prawda veröffentlicht als regierungskritisches Medium investigative Artikel und deckte auch Korruptionsfälle innerhalb der ukrainischen Regierung auf. Sie zählt zu den meistgenutzten Nachrichtenportalen der Ukraine.
Die Ukrajinska Prawda wurde im Jahr 2000 vom ukrainisch-georgischen Journalisten Heorhij Gongadse gegründet, der im darauffolgenden Jahr – angeblich auf Veranlassung des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – ermordet wurde. Die heutige Chefredakteurin ist die bekannte ukrainisch-krimtatarische Journalistin Sevgil Musaieva.
Im Mai 2021 verkaufte die damalige Eigentümerin Olena Prytula 100 Prozent der Anteile an Dragon Capital, eine ukrainische Investment-Management-Gesellschaft, die vom tschechischen Unternehmer Tomáš Fiala geleitet wird.
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Das Online-Nachrichtenportal und ‑Fernsehen Hromadske finanziert sich über Crowdfunding bei seinen Leserinnen und Lesern, Spenden, Werbung und über für andere Medien aufgenommene Videos.
Hromadske wurde als NGO mit dazugehörigen Online-Medien im November 2013 mit Beginn des Euromaidan gegründet. Die jetzige Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Jewhenija Motorewska, die sich zuvor mit dem Thema Korruption in ukrainischen Strafverfolgungsbehörden befasst hat.
Die Weiterentwicklung von Hromadske wird von einem Vorstand vorangetrieben, der aus sieben prominenten ukrainischen Persönlichkeiten besteht, darunter Nobelpreisträgerin Oleksandra Matwijtschuk.
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Der ukrainische Fernsehsender mit Online-Nachrichtenportal, dessen Chefredakteurin die ukrainische Journalistin Chrystyna Hawryljuk ist, wird finanziell von der ukrainischen Regierung unterstützt. In diesem Zusammenhang hat sich die Website einer ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet.
Das renommierte Institute of Mass Information führte Suspilne.Novyny im September 2021 auf der sogenannten „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die ein sehr hohes Niveau an zuverlässigen Informationen bieten.
Suspilne.Novyny wurde im Dezember 2019 gegründet und gehört zur Nationalen öffentlichen Rundfunkgesellschaft der Ukraine. Im Januar 2015 war die zuvor staatliche Rundfunkanstalt entsprechend europäischen Standards in eine öffentliche Rundfunkgesellschaft umgewandelt worden.
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NV ist eine Print- und Online-Zeitschrift, deren Schwerpunkt auf Nachrichten aus dem Ausland und der ukrainischen Politik liegt. Zu den Hauptthemen zählen die internationale Unterstützung der Ukraine, Korruption sowie die künftige Entwicklung des Landes. Die Online-Ausgabe veröffentlich oft Artikel renommierter ausländischer Medien wie The Economist, The New York Times, BBC und Deutsche Welle. Die Zeitschrift erscheint freitags als Druckausgabe auf Ukrainisch, die Website ist auf Ukrainisch, Russisch und Englisch verfügbar. NV gilt als eine der zuverlässigsten Nachrichtenquellen in der Ukraine.
NV wurde im Jahr 2014 – ursprünglich unter dem Namen Nowjoe Wremja („Die neue Zeit“) – vom ukrainischen Journalisten Witalij Sytsch gegründet, der die Chefredaktion übernahm. Zuvor arbeitete Sytsch bei dem ebenfalls populären Magazin Korrespondent. Er verließ Korrespondent, nachdem es an Serhij Kurtschenko – einen Janukowytsch nahestehenden Oligarchen aus Charkiw – verkauft worden war. NV gehört zum Verlagshaus Media-DK, dessen Eigentümer der tschechische Unternehmer Tomáš Fiala ist.
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Dserkalo Tyschnja liefert Hintergrundberichte und Analysen; das Themenspektrum umfasst politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Themen. Die Zeitung betrachtet die ukrainische Politik und deren Akteure in einem internationalen Zusammenhang. Dserkalo Tyschnja steht auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die zuverlässige Informationen liefern.
Dserkalo Tyschnja ist eine der ältesten ukrainischen Zeitungen und erschien zuerst 1994. Seit 2020 ist die Zeitung nur noch online verfügbar: auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Chefredakteurin ist die bekannte ukrainische Journalistin Julija Mostowa, Ehefrau des ehemaligen ukrainischen Verteidigungsministers Anatolij Hrysenko.
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Das ukrainische Online-Magazin Babel wurde im September 2018 gegründet. Das Themenspektrum umfasst soziale und politische Themen; besonderes Augenmerk gilt aber auch Nachrichten aus der Wissenschaft und über neue Technologien.
Nach dem 24. Februar 2022 wurde die zuvor ebenfalls angebotene russische Version der Website geschlossen. Stattdessen wird nun eine englische Version angeboten. Babel finanziert sich über Spenden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Babel engagieren sich in zahlreichen Projekten, die darauf abzielen, die ukrainischen Streitkräfte während des Krieges zu unterstützen.
Die Eigentümer des Online-Magazins sind der erste Chefredakteur Hlib Husjew, Kateryna Kobernyk und das slowakische Unternehmen IG GmbH. Heute ist der ukrainische Journalist Jewhen Spirin, der aus dem besetzten Luhansk stammt, Chefredakteur von Babel.
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Das Online-Magazin Liwyj Bereh gehört zum Horschenin-Institut, einer ukrainischen Denkfabrik, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Prozessen in der Ukraine und der Welt beschäftigt. Liwyj Bereh hat sich auf Interviews spezialisiert; häufige Themen sind die ukrainische Innen- und internationale Politik sowie soziale Fragen in der Ukraine.
Liwyj Bereh wurde im Juni 2009 gegründet, Chefredakteurin Sonja Koschkina hat seit 2018 einen eigenen Youtube-Kanal „KishkiNA“, auf dem sie Interviews mit verschiedenen Personen veröffentlicht.
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Im Fokus des ukrainischen im Jahr 2000 gegründeten Online-Nachrichtenportals LIGA stehen wirtschaftliche, politische und soziale Themen. Seit 2020 steht LIGA auf der „weißen Liste“ ukrainischer Medien, die stets präzise Informationen und zuverlässige Nachrichten anbieten.
Chefredakteurin ist die ukrainische Journalistin Julija Bankowa, die davor eine leitende Position bei dem Online-Magazin Hromadske hatte.
Der Eigentümer des Nachrichtenportals ist die ukrainische unabhängige Mediaholding Ligamedia, deren Geschäftsführer Dmytro Bondarenko ist.
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Censor präsentiert sich als Website mit „emotionalen Nachrichten“. Der Fokus liegt vor allem auf innenpolitischen Entwicklungen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind viele Beiträge den Ereignissen an der Front und den ukrainischen Streitkräften gewidmet. Censor ist auf drei Sprachen verfügbar: Ukrainisch, Russisch und Englisch.
Das Nachrichtenportal Censor wurde 2004 vom bekannten ukrainischen Journalisten Jurij Butusow gegründet und zählt zu den populärsten Nachrichtenseiten des Landes. Butusow gilt als scharfer Kritiker von Präsident Selenskyj. Er erhebt schwere Vorwürfe in Bezug auf Korruption innerhalb der ukrainischen Regierung, schlechte Vorbereitung auf den Krieg gegen Russland und unbefriedigende Verwaltung der Armee. Butusow wird von über 400.000 Menschen auf Facebook gelesen. Seine Posts auf dem sozialen Netzwerk haben enormen Einfluss und lösen hitzige Diskussionen aus.
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