Positionen zum NATO-Beitritt der Ukraine: Polen, Tschechien, Italien, Spanien
Die Ukraine hofft, auf dem NATO-Gipfel in Vilnius ein Bekenntnis zur Aufnahme des Landes in das Bündnis zu erhalten. Wir haben im Vorfeld Expertinnen und Experten aus verschiedenen NATO-Mitgliedstaaten zu den Positionen ihrer Länder befragt. Sollte die Ukraine nach dem Krieg der NATO beitreten? Und sollte sie einen präzisen Fahrplan für diesen Beitritt anbieten?
Polen
Tadeusz Iwanski, Abteilungsleiter für Ukraine, Belarus und Moldau am Centre for Eastern Studies (OSW), Warschau
Polen unterstützt nachdrücklich den Antrag der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft. Im Juni 2023 verabschiedete das polnische Parlament mit 443 von insgesamt 460 Stimmen eine Sonderresolution zur Unterstützung der euroatlantischen und europäischen Bestrebungen der Ukraine. Warschau spricht sich dafür aus, die Ukraine so bald wie möglich in das Bündnis einzuladen, zusammen mit einem klaren Fahrplan für die Integration, und zwar auf Grundlage eines ähnlichen Verfahrens wie im Falle Finnlands und Schwedens. Die Ukraine hat durch ihre Verteidigung Europas die Mitgliedschaft im Bündnis voll und ganz verdient. Durch die Kampferfahrung der ukrainischen Armee würde die NATO gestärkt, und Russland würde ein klares Signal erhalten, dass die Ukraine Teil des Westens mit dessen Institutionen ist. Die Ausweitung der Sicherheitsgarantien nach Artikel 5 auf dieses Land wird einen positiven Beitrag zur Stabilität Europas und zu einem wirksamen und schnelleren Wiederaufbau leisten.
Italien
Michelangelo Freyrie, Research Fellow, Programm für Sicherheit und Verteidigung beim Institut für Internationale Beziehungen, Rom
Die aktuelle Regierung unter Giorgia Meloni führt die Politik von Mario Draghi weiter: Die einzige Chance für einen echten Frieden besteht aus Draghis Sicht in einem Sieg der Ukraine, und langfristig kann nur ein Beitritt Kyjiws zum Nordatlantischen Bündnis die Stabilität Osteuropas gewährleisten. Es ist wahrscheinlich, dass sich Italien im Schulterschuss mit Polen für einen schnellen Beitritt einsetzen wird – und sei es auch nur, um die eigene diplomatische Position als eine führende europäische Macht gegenüber Frankreich, Deutschland und Großbritannien zu stärken.
Obwohl Meloni in Warschau die Notwendigkeit substanzieller Sicherheitsgarantien explizit angesprochen hat, kann sich Rom kaum für ein schnelleres Beitrittsverfahren starkmachen. Die Unterstützung der Wähler für Waffenlieferungen schwindet, und die Angst vor einer Eskalation ist auch im Parlament verbreitet. In den Expert Surveys unseres Instituts zeigt sich, dass auch unter Vertreterinnen und Vertretern von Ministerien und Streitkräften die Zustimmung für einen ukrainischen NATO-Beitritt unter 50 Prozent liegt. Die innenpolitischen Umstände werden deshalb wahrscheinlich dafür sorgen, dass Italien einen NATO-Beitritts Kyjiws zwar deklaratorisch unterstützen, aber faktisch passiv bleiben wird.
Spanien
Borja Lasheras, Non-Resident Senior Fellow im Programm Transatlantische Verteidigung und Sicherheit am Center for European Policy Analysis (CEPA), Washington DC
Spanien befürwortet die Aufwertung des politischen Status der Ukraine beispielsweise durch einen NATO-Ukraine-Rat, der eines der Ergebnisse des Gipfels sein könnte, und unterstützt engere Beziehungen auf der Ebene der Interoperabilität der ukrainischen Streitkräfte mit NATO-Standards und ‑Ausrüstung. Dies bekräftigte Präsident Pedro Sánchez am 1. Juli 2023 bei seinem mittlerweile dritten Besuch des ukrainischen Parlaments seit Februar 2022. Dazu gehört auch die Zusicherung des Schutzes: langfristige militärische Unterstützung der Ukraine, um ihr jetzt und in Zukunft bei der Verteidigung gegen Russland zu helfen. Was Sicherheitsgarantien betrifft – sei es in der aktuellen Situation oder auch im Falle einer NATO-Mitgliedschaft – bleibt Spanien ambivalent und gibt dem Konsens innerhalb der NATO den Vorrang. Demnach wird diese Frage bis zum Ende des Krieges aufgeschoben – wann immer das sein wird.
Tschechien
Pavel Havlicek, Research Fellow am Forschungszentrum der Gesellschaft für Internationale Beziehungen, Prag
Tschechien gehört im Allgemeinen zu den entschiedensten Befürwortern eines künftigen Beitritts der Ukraine, sowohl zur EU als auch zur NATO. Dies waren in den vergangenen Jahren das langfristige außenpolitische Ziel und der strategische Kurs in den bilateralen Beziehungen des Landes mit der Ukraine. Zugleich ist die Führung des Landes – vertreten durch Präsident Petr Pavel, einen ehemaligen Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses – jedoch sehr realistisch, was den Zeitpunkt eines solchen Schrittes angeht, um die Glaubwürdigkeit des Bündnisses nach innen und außen nicht zu untergraben.
Daher besteht die offizielle Position des Landes darin, die NATO-Erweiterung der Ukraine eindeutig zu unterstützen und aktiv darauf hinzuarbeiten. Dafür müssen aber erst die Voraussetzungen geschaffen werden, etwa durch die weitere Bereitstellung von militärischer Ausrüstung und Sicherheitsgarantien. So soll zunächst die heiße Phase der russischen Aggression überwunden und die Lage so weit stabilisiert werden, dass die NATO die Ukraine aufnehmen kann und will.
Dies bedeutet auch, dass die Tschechische Republik ehrgeizige Formulierungen in der Abschlusserklärung des Gipfels in Vilnius und die Aufwertung der bilateralen Beziehungen zur Ukraine unterstützten und aktiv dazu beitragen würde, die eher zurückhaltenden Länder davon zu überzeugen, mehr Raum für eine engere Zusammenarbeit zu schaffen. Es ist für die tschechische Regierung jedoch auch klar, dass die endgültige Entscheidung auch die Meinungen der wichtigsten Verbündeten, einschließlich der Vereinigten Staaten, Deutschlands oder Frankreichs, widerspiegeln muss.
Und nicht zuletzt: Finnland und Schweden mussten nicht den Membership Action Plan (MAP) durchlaufen, einen umständlichen bürokratischen Prozess. Tschechien würde die Ukraine deshalb nicht zum Durchlaufen des MAP ermutigen, sondern einen klaren und vorhersehbaren Zeitplan befürworten – was auch weitgehend mit der Position der ukrainischen Führung übereinstimmt.
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