Die Ukraine kann der EU aus der Gas­krise helfen

@ Mykola Tys /​ Shut­ter­stock

 

In der der­zei­ti­gen Gas­krise spielt der Kon­flikt zwi­schen Russ­land und der Ukraine eine Schlüs­sel­rolle. Wenn Gazprom weiter die ukrai­ni­schen Tran­sit­ka­pa­zi­tä­ten umgeht, drohen in Europa neue Ver­sor­gungs­ri­si­ken, schreib Olena Pav­lenko von der DiXi-Group.

Europa leidet unter hohen Gas­prei­sen. An einigen Gas­han­dels­plät­zen sind diese seit Januar um mehr als 250 Prozent gestie­gen. Dies wirkt sich bereits auf die End­ver­brau­cher­preise für Haus­halte in vielen EU-Staaten aus. Die Regie­run­gen erwägen mil­li­ar­den­schwere Ret­tungs­pa­kete, um den rapiden Preis­an­stieg abzu­fe­dern. Und es hat nicht den Anschein, als würde die Krise ein schnel­les Ende finden – ange­sichts nied­ri­ger Tem­pe­ra­tu­ren und unzu­rei­chend gefüll­ter Gas­spei­cher steht zu erwar­ten, dass die Preise während der Win­ter­sai­son hoch bleiben.

Gazprom und der nor­we­gi­sche Ener­gie­kon­zern Equinor sind die beiden wich­tigs­ten Gas­lie­fe­ran­ten der EU. Sie decken mehr als die Hälfte des euro­päi­schen Bedarfs. Equinor reagierte mit Plänen zur Stei­ge­rung der Gas­pro­duk­tion und zur Erhö­hung des Lie­fer­vo­lu­mens an die euro­päi­schen Länder auf die Krise. Die Reak­tion des Vor­stands­vor­sit­zen­den von Gazprom, Alexei Miller, bestand darin, den asia­ti­schen Gas­markt als attrak­ti­ver zu bezeich­nen – selbst bei den der­zei­ti­gen Gas­prei­sen in Europa. Die Euro­päer sollten sich nicht der Illu­sion hin­ge­ben, dass Russ­land die Volks­wirt­schaft der EU oder seine Kunden retten wird – auch wenn die IEA argu­men­tiert, dass Gazprom in der Lage wäre, seine Gas­ex­porte in die EU zu erhöhen und das erwar­tete Defizit auszugleichen.

Nicht nur die IEA ist der Ansicht, dass Gazprom die Mög­lich­keit, nicht jedoch den Willen hat, zur Lösung der Gas­krise in der EU bei­zu­tra­gen. Mehr als 40 Mit­glie­der des Euro­päi­schen Par­la­ments haben die Euro­päi­sche Kom­mis­sion in einem Schrei­ben dazu auf­ge­for­dert, poten­zi­elle Mani­pu­la­tio­nen durch Gazprom und mög­li­che Ver­stöße gegen gel­ten­des EU-Wett­be­werbs­recht zu unter­su­chen. Die US-Ener­gie­mi­nis­te­rin Jen­ni­fer Gran­holm kon­sta­tierte während eines Brie­fings, dass es mög­li­cher­weise zu Mani­pu­la­tio­nen bei der Gas­ver­sor­gung gekom­men sei, was mehr Einig­keit zwi­schen den USA und ihren euro­päi­schen Part­nern erfor­dere. Obwohl Gazprom darauf besteht, dass es die Ver­träge ein­hun­dert­pro­zen­tig erfüllt, wird von Unter­neh­mens­seite nicht geleug­net, dass mehr getan werden könnte, wenn der poli­ti­sche Wille dazu vor­han­den wäre.

Gazprom beharrt auf dem Stand­punkt, dass es seine Exporte in die EU auf ein Niveau „nahe am his­to­ri­schen Höchst­stand“ ange­ho­ben habe. Ein genauer Blick auf die Gas­pro­duk­tion und die Nutzung der Export­rou­ten zeigt jedoch, dass es nach wie vor viele Mög­lich­kei­ten gäbe, die Gas­ex­porte auf rus­si­scher Seite zu stei­gern. Obwohl das Jahr 2020 für Gazprom mit einer Pro­duk­ti­ons­menge von 452 Mil­li­ar­den Kubik­me­tern nicht sehr ein­träg­lich ausfiel (im Ver­gleich dazu betrug die Gas­pro­duk­tion im Jahr davor 501,2 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter), betonte das Unter­neh­men, dass es genü­gend pro­du­ziere, um den in- und aus­län­di­schen Bedarf voll­stän­dig decken zu können. Die Höhe der rus­si­schen Gas­ex­porte nach Europa (ein­schließ­lich der Türkei) schwankte zwi­schen 179 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter im Jahr 2020 und 203,9 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter im Jahr 2019, und die Erfah­rung aus dem Jahr 2018 zeigt, dass es für das Unter­neh­men kein Problem sein dürfte, die Gas­ex­porte um bis zu 20 Prozent zu steigern.

Quelle: https://www.kommersant.ru/doc/4642213

Hinzu kommt, dass die bestehen­den Ver­sor­gung­rou­ten die Mög­lich­keit bieten, die Gas­ex­porte in die EU umge­hend zu erhöhen. Während Russ­land die Kapa­zi­tä­ten der Pipe­lines Nord Stream 1 und Jamal voll aus­schöpft, wird das ukrai­ni­sche Gas­tran­sit­sys­tem nur mit einem Teil seiner Gesamt­aus­las­tung betrie­ben. Das System kann jähr­lich mehr als 140 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter Gas in die EU leiten, doch laut dem 2019 unter­schrie­be­nen Vertrag ist das Unter­neh­men dazu ver­pflich­tet, bis Ende 2024 nicht weniger als 40 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter über diese Route zu leiten. Die Daten zeigen, dass die ukrai­ni­schen Gas-Pipe­lines trotz ihrer Kapa­zi­tä­ten vor allem ent­spre­chend dem Resi­du­al­prin­zip dazu genutzt werden, um Spit­zen­las­ten abzu­de­cken, während andere, von Gazprom kon­trol­lierte Pipe­lines mit voller Aus­las­tung arbeiten.

Lie­fe­run­gen nach Estland, Finn­land und Lett­land sind nicht ent­hal­ten; Tran­sit­men­gen aus Russ­land in die ehe­ma­lige jugo­sla­wi­sche Repu­blik Maze­do­nien und Serbien sind nicht ent­hal­ten. Seit der Inbe­trieb­nahme von Turk Stream sind die Gas­ströme in die Türkei über den Balkan nicht mehr signifikant.

Quelle: Basie­rend auf den Daten der ENTSO-G-Trans­pa­rancy Plat­form, Stand: 2. Juni 2021 https://ec.europa.eu/energy/sites/default/files/quarterly_report_on_european_gas_markets_q1_2021_final.pdf

Der ukrai­ni­sche Fern­lei­tungs­netz­be­trei­ber für Gas (GTSOU) meldet regel­mä­ßig, dass er bereit sei, mehr Gas zu trans­por­tie­ren, und dass er den Transit zügig erhöhen könne, da die Sys­tem­ka­pa­zi­tät dies zulasse. Laut GTSOU-Geschäfts­füh­rer Serhiy Makogon kann die Ukraine die Gas­krise in der EU lösen, indem sie mehr Gas trans­por­tiert als Nord Stream 1 und Nord Stream 2 zusam­men­ge­nom­men. Die Kapa­zi­tät der ukrai­ni­schen Gas­tran­sit-Pipe­lines beläuft sich auf 146 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter, während die Kapa­zi­tät der beiden Pipe­lines von Nord Stream 110 Mil­li­ar­den Kubik­me­ter beträgt (sofern sie vom EU-Recht aus­ge­nom­men und durch Gazprom voll aus­ge­las­tet würde – was nicht der Fall sein dürfte). Außer­dem ist der Gas­tran­sit durch die Ukraine in der ersten Jah­res­hälfte 2021 im Ver­gleich zum Vorjahr um 13 Prozent zurück­ge­gan­gen. Obwohl GTSOU bestän­dig zusätz­li­che Tran­sit­ka­pa­zi­tä­ten ver­stei­gert hat, war es Gazprom, welches auf diese Gele­gen­heit ver­zich­tet hat.

Gazprom setzt bereits jetzt die Stra­te­gie um, die Nutzung des ukrai­ni­schen Gas­tran­sit­net­zes in Zukunft zu ver­mei­den. Obwohl einige rus­si­sche Poli­ti­ker im Grund­satz bestä­ti­gen, dass in Zukunft ein gewis­ses Volumen über die Ukraine gelei­tet werden könnte, dürfte dieses nicht aus­rei­chen, um das ukrai­ni­sche Gas­sys­tem pro­fi­ta­bel zu halten. Es könnte auch ein anderes Sze­na­rio ein­tre­ten, wenn zu geringe Tran­sit­men­gen es der Ukraine über­haupt unmög­lich machen würden, die Qua­li­täts­stan­dards für den Transit in die EU ein­zu­hal­ten, und wenn es keine Aus­weich­mög­lich­keit für den Fall einer ähn­li­chen Gas­krise in Europa gäbe – oder einige der rus­si­schen Pipe­lines (ins­be­son­dere die­je­ni­gen, die auf dem Mee­res­bo­den verlegt wurden und nicht die Mög­lich­keit bieten, Gas­ströme schnell umzu­lei­ten) für War­tungs- oder Repa­ra­tur­ar­bei­ten außer Betrieb gesetzt werden. In diesem Fall könnten Sze­na­rien, wie sie die EU dieser Tage erlebt, noch häu­fi­ger eintreten.

Textende

Portrait von Olena Pavlenko

Olena Pav­lenko ist Direk­to­rin der DiXi-Group, einem ukrai­ni­schen Think Tank, der auf Ener­gie­po­li­tik spe­zia­li­siert ist.

 

 

 

 

 

 

 

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