Abgang von Andrij Bohdan: Das Ende des Turboregimes?
Nach acht Monaten entließ Präsident Selenskyj seinen mächtigen Chef des Präsidialbüros, Andrij Bohdan und ersetzte ihn durch Andrji Jermak. Der Abgang könnte das Ende des innenpolitischen „Turbo-Regimes“ bedeuten, kommentiert Mattia Nelles.
Am 11. Februar verkündete Präsident Wolodymyr Selenskyj überraschend das Ende seines mächtigen Chefs des Präsidentenbüros Andrij Bohdan. Dieser war seit der Amtseinführung Selenskyjs vor acht Monaten der wichtigste Mann hinter Selenskyj. Bohdans Berufung war damals aus verschiedenen Gründen höchst umstritten. Zum einen fiel er wegen seiner Tätigkeit in der Janukowytsch-Regierung unter das Lustrationsgesetz. Zum anderen vertrat Bohdan als erfolgreicher Anwalt unter anderen den umstrittenen Oligarch Ihor Kolomojskyj. Kritiker befürchteten daher, dass er die Interessen des Oligarchen vertreten könnte. Bohdan gehörte, anders als sein Nachfolger Andrij Jermak, nicht zu den längeren Weggefährten des Präsidenten. Als einer der wenigen Berater in Selenskyjs Team beherrschte der 43-jährige die Klaviatur der Macht.
Bohdan als graue Eminenz
Als de-facto Chef von Selenskyjs Wahlkampagne baute Bohdan in Windeseile Parteistrukturen auf und stellte nach Selenskyjs Wahl ein junges Kabinett zusammen. Seit dem Erdrutschsieg von Sluha Narodu bei den Parlamentswahlen im Sommer 2019 verfügte die Partei überraschenderweise über die größte Parlamentsmehrheit seit der Unabhängigkeit. Bohdan erwirkte, dass innerhalb weniger Wochen hunderte von Gesetzesvorhaben zu zentralen Themen wie Justiz- oder Antikorruptionsreformen in die Werchowna Rada eingebracht und zum Teil im Eilverfahren durchgedrückt wurden. Für jedwede Konsultationen blieb bei der Gesetzgebung oft keine Zeit.
Bohdan der Autor des „Turbo-Regimes“
Wie kein zweiter verkörperte Bohdan dieses selbsterklärte „Turbo-Regime“ und die große Ambition des Präsidenten und seines Teams, das Land grundlegend umzukrempeln. Bohdan selbst räumte offen ein, dass er das sog. Fenster der Möglichkeiten schnell nutzen wolle. Sein Fokus lag, so betonte er in seinen seltenen Interviews gerne, auf schnellen Ergebnissen, dem Output. Parlamentarische Regeln sah er dabei eher als Hindernis. Fehler oder Schlupflöcher könne man im Nachhinein noch korrigieren, so Bohdan. Seine Kompromisslosigkeit führte oft zu Konflikten mit Parlamentariern, und auch innerhalb des Präsidentenbüros wuchs der Unmut über ihn.
Ausgestochen wurde Bohdan letztlich von Andrij Jermak, der als Selenskyjs Berater für den Donbas und die schwierigen Verhandlungen mit den USA und Russland zuständig war. Jermaks Erfolge gerade bei den beiden Gefangenenaustauschen im September und Dezember ließen Bohdans Stern sinken.
Innen- und außenpolitische Folgen des Abgangs von Bohdan
Über die Folgen des Personalwechsels wurde in Kyjiw heiß diskutiert. Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich die hohe Geschwindigkeit der Gesetzgebungsprozesse verlangsamen werde. Die zentrale Landreform beispielsweise wird wahrscheinlich erst im April verabschiedet, räumte jüngst der Fraktionsvorsitzende von Sluha Narodu ein. Vollkommen offen ist auch, wie sich das angespannte Verhältnis zwischen Selenskyj und Kolomojskyj weiter entwickelt. Bohdan galt zuletzt als jemand, der die Eskalation zu verhindern versuchte. Dieser Konflikt kommt nun auf Jermak zu, der im Parlament auf die Stimmen der Kolomojskyj-Gruppe innerhalb der Fraktion angewiesen sein wird.
Durch Jermaks Berufung rücken die Friedensbemühungen noch stärker in den Vordergrund. Bei seiner ersten Pressekonferenz bekräftigte Jermak den Frieden mit Russland als eines seiner wichtigsten Ziele. Ob Jermak beim nächsten Normandie-Gipfel, der im Frühjahr in Berlin stattfinden soll, einen Durchbruch erreichen kann, liegt letztendlich an Putin. Ob dieser allerdings zu notwendigen Zugeständnissen bereit ist, ist trotz des Abgangs des Hardliners Wladislaw Surkow, der im Kreml für die Donbas-Politik verantwortlich war und am 18. Februar von Putin offiziell entlassen wurde, offen. Innenpolitisch muss Jermak nun schnell unter Beweis stellen, dass er ohne umfassende politische Erfahrung die hochambitiöse Agenda des Präsidenten vorantreiben kann. Die Geduld der Wähler jedenfalls ist begrenzt, wie die jüngsten Umfragen zur politischen Stimmung im Land zeigen.
Dieser Text erscheint parallel in den Ukraine Analysen 330.
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