Schluss nach 26 Jahren?
Der 8. November war ein schwarzer Tag für die Pressefreiheit in der Ukraine. Nach 26 Jahren stellt die größte englischsprachige Zeitung des Landes, die „Kyiv Post“, ihr Erscheinen vorerst ein, die gesamte Redaktion wurde entlassen. Wie konnte es dazu kommen?
Die Zeitung solle nach einer Pause „größer und stärker“ zurückkommen, hieß es in einem offiziellen Statement des Verlegers Adnan Kiwan. „Ich hoffe, das wird der Fall“, sagt der mittlerweile ehemalige Chefredakteur Brian Bonner. Eine Hoffnung, die in der Redaktion jedoch kaum jemand teilt.
Für viele Journalistinnen und Journalisten der „Kyiv Post“ kam die Hiobsbotschaft nicht überraschend, wohl aber die Radikalität, mit der Verleger Kiwan die Entscheidung getroffen hatte. „Ich habe damit gerechnet, dass vielleicht unser Chefredakteur gefeuert wird, aber nicht die gesamte Redaktion“, sagt Redakteur Oleg Suchow.
Die Spannungen zwischen Redaktion und dem Immobilienlöwen aus Odessa, den das Magazin „Forbes“ als einen der 50 reichsten Ukrainer listet, hatten spätestens in den vergangenen Wochen begonnen. Viele in der Redaktion äußerten indes bereits 2018 Bedenken und fürchteten um ihre Unabhängigkeit, nachdem der Unternehmer das Blatt für mehr als drei Millionen US-Dollar von dem britischen Geschäftsmann Mohammad Zahoor übernommen hatte.
In ukrainische Journalistenkreisen hieß es schnell, aus Wolodymyr Selenskyjs Präsidialverwaltung sei zunehmend Druck auf Redaktion und Verleger ausgeübt worden. Bonner, der seit 2008 Chefredakteur ist und nach der Übernahme durch Kiwan 2018 zusätzlich Geschäftsführer in Personalunion ist, weist derartige Vorwürfe zurück: „Kiwan hat viel Wert auf die Unabhängigkeit der Redaktion gelegt“, sagte Bonner „Ukraine verstehen“. Der gebürtige Syrer habe versichert, es habe keinen Druck von außen gegeben. Und auch ein Sprecher Selenskyjs zeigte sich überrascht von den Vorwürfen.
Die gefeuerten Journalisten der „Kyiv Post“ berichten indes, es habe bereits unter der Poroschenko-Regierung Einflussnahme seitens des Verlegers gegeben. „Er meinte, es sei okay die Regierung zu kritisieren, aber die Kritik solle mild sein. Sein Lieblingszitat war: Schweigen ist Gold“, sagt Oleg Suchow, der seit 2014 für die „Kyiv Post“ arbeitet. Er habe nie erlebt, dass ein Verleger versucht habe, die Arbeit der Redaktion zu beeinflussen, bis Kiwan das Blatt übernahm.
Der Verleger habe Journalisten gebeten, Recherchen über Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen Präsidenten Poroschenko nicht zu veröffentlichen, berichtet Suchow: „Er hat mich schon 2018 aufgefordert, meine Kritik an der Regierung zu reduzieren, weil er unter Druck gerate und keine Probleme mit der Regierung haben wolle.“ Und bereits unter Poroschenko habe es unzufriedene Anrufe aus der Regierung bei der Chefredaktion gegeben, so Suchow weiter. „Das hat sich unter Selenskyj genauso fortgesetzt.“
Wachsender Druck auf Journalisten
Die Entlassung der gesamten Redaktion fällt in eine Zeit zunehmenden Drucks auf Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine. Bereits Selenskyjs Vorgänger Poroschenko war spätestens seit der zweiten Hälfte seiner Amtszeit als äußerst dünnhäutig gegenüber kritischen Journalisten aufgefallen. Selenskyj kann ähnlich empfindlich sein – so antwortete er 2019 auf die Frage eines Journalisten, ob er Geschäftsverbindungen nach Russland habe, mit „ich schulde Ihnen gar nichts ... ich dachte, Sie sind ein anständiger Kerl!“
Das allein ist sicherlich ein ertragbares Übel. Jedoch scheint es der Präsident dabei nicht zu belassen. So berichtet die Redaktion des ukrainischen Investigativ-Portals Slidstwo.Info, es habe Versuche gegeben, die Ausstrahlung eines Filmes über die durch die „Pandora Papers“ bekannt gewordenen Offshore-Geschäfte des Präsidenten zu verhindern.
Gleichzeitig ging die ukrainische Regierung gegen mehrere pro-russische Fernsehsender vor und ließ diese schließen. Der Kyjiwer Politologe Wolodymyr Fessenko verteidigt das Vorgehen, indem er sagt, dass viele Ukrainer sich die Schließung dieser Kanäle bereits von Poroschenko gewünscht hätten.
Dennoch: Mit Rechtsstaatsprinzipien sind derartige Angriffe auf die Pressefreiheit nicht vereinbar.
Wie es mit der „Kyiv Post“ weitergeht, ist derzeit unklar. Die gefeuerten Journalisten vermuten, Verleger Kiwan wolle Namen und Marke behalten und die Redaktion mit neuen, loyalen Leuten besetzen. „Druck hat es immer gegeben, der Unterschied jetzt ist, wie der Verleger damit umgegangen ist“, sagt die „Kyiv-Post“-Journalistin Anna Myroniuk.
Kiwan wollte ursprünglich mit der Zeitung expandieren. Die Artikel sollten nicht nur auf Englisch erscheinen, sondern auch einem ukrainischen Publikum zugänglich gemacht werden. Zudem wünschte sich der Unternehmer einen Fernsehsender und wollte die Zusammensetzung der Chefredaktion beeinflussen. In den vergangenen Wochen krachte es intern mehrmals heftig.
Medien als Mittel für politische Einflussnahme
„Jeder Tag auf der Arbeit war wie Krieg“, sagt Anna Myroniuk. „Wir mussten jeden Tag aufs Neue unsere journalistischen Standards verteidigen.“ Vor zwei Wochen eskalierte die Situation, als die Journalistin Elena Rotari auf Facebook bekannt gab, zukünftig die ukrainische Version der „Kyiv Post“ zu leiten. Ohne Wissen der Redaktion, ohne Wissen des Chefredakteurs Brian Bonner. Nach Gesprächen zog sie ihr Statement zurück. Rotari die beim Odesaer TV-Sender 7. Kanal arbeitet, der ebenfalls Kiwan gehört, gilt bei den Journalisten der „Kyiv Post“ als loyal gegenüber dem Verleger.
Wer die ukrainische Medienlandschaft kennt, weiß: Die meisten Geschäftsleute nutzen Medien, um sich politischen Einfluss zu verschaffen. Denn profitabel sind die wenigsten von ihnen und auch die „Kyiv Post“ wirft laut Aussage der Chefredaktion seit 12 Jahren keine Gewinne ab. Gelesen wird sie hauptsächlich von Ausländern und Diplomaten, innenpolitisch ist ihr Einfluss gering. In diesem Kontext spricht eine Expansion inklusive Inhalten auf Ukrainisch und ein TV-Sender durchaus für den Wunsch des Eigentümers, sich politische Vorteile zu verschaffen.
Für Chefredakteur Bonner bedeutet das Ende der „Kyiv Post“ sein Karriereende. Die gefeuerten Journalisten aber wollen kämpfen. Einen Tag nach ihrer Entlassung trafen sie sich erneut, um einen Plan zu entwickeln, die „Post“ zu retten. „Ich hoffe, dass wir die Marke ‚Kyiv Post‘ an das Team zurückgeben können. Denn ohne das Team ist es nicht das gleiche“, sagt Myroniuk.
Redaktioneller Hinweis: Die Autorin war im Rahmen eines Marion-Gräfin-Dönhoff-Journalistenstipendiums der Internationalen Journalisten Programme als Gastredakteurin bei der „Kyiv Post“
Gefördert durch:
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.