Der Schatten der Oligarchen über den ukrainischen Wahlen 2019
Nach wie vor haben die Oligarchen immensen Einfluss auf die ukrainische Politik. Während des Wahlkampfs für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen setzen sie ihre Ressourcen – Geld und Medien – ein, um gezielt Kandidat*innen und politische Kräfte zu unterstützen. Eine Analyse von Olena Makarenko
„Oligarchie“ – Herrschaft der Wenigen – ist der Begriff, der oft benutzt wird, um die Situation in der Ukraine zu charakterisieren. Bei jeder Wahl versprechen Politiker*innen hoch und heilig, diesen Zustand zu beenden. Bisher waren dies allerdings immer nur leere Worte, denen keine Taten folgten. Auch bei den nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dreht sich in der Ukraine (erneut) alles um die Oligarchen. Sie erpressen Geld vom Staat, indem sie zentrale staatliche Unternehmen monopolisieren und ihre Macht auf verschiedene Lebensbereiche ausdehnen, den freien Markt blockieren, Korruption unterstützen und potentielle Inverstor*innen vergraulen. Für die Umsetzung ihrer Pläne brauchen die Oligarchen Werkzeuge – Verbündete in der Regierung, die ihre Macht sichern und Politiker*innen, die günstige Gesetze verabschieden und die Botschaften unterstützen, die die Oligarchen die Menschen hören lassen wollen.
Welches sind die einflussreichsten Akteure in der Ukraine?
Im August 2018 veröffentlichte das ukrainische Magazin Novoje Wremja eine Rangliste der einflussreichsten Menschen in der Ukraine. Der amtierende Präsident Petro Poroschenko führte die Liste an. Sein Geschäftsvermögen wurde auf eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Sein Wirtschaftsimperium besteht vor allem aus dem Süßwarenkonzern Roschen sowie landwirtschaftlichen Unternehmen. Nach der Wahl zum Präsidenten im Jahr 2014 versprach er, seine Unternehmen mit Ausnahme des Fernsehsenders Kanal 5 zu verkaufen, transferierte sein Vermögen aber letztendlich in einen Blind Trust. Die ukrainischen Medien werfen ihm außerdem vor, von den Korruptionsstrukturen im Bereich Verteidigung zu profitieren.
An zweiter Stelle der Liste steht Rinat Achmetov – der reichste Oligarch der Ukraine, dessen Vermögen eng mit der ökonomischen Situation des Landes verbunden ist und entsprechend wächst und schrumpft. Achmetovs Einflussbereiche sind vor allem Energie, Metallurgie, Kommunikation, Medien und noch einige andere.
Den bekannten Oligarchen Ihor Kolomojskyj führt die Liste an fünfter Stelle. Seine Hauptinteressen liegen in der Ölindustrie und im Banksektor. In den Jahren 2015–2016 war er der einzige, gegen den sich Poroschenkos „De-Oligarchisierungspolitik“ richtete und man entzog ihm die Kontrolle über die Ölfirma Ukrnafta sowie die größte ukrainische Bank PrivatBank. Kolomojskyj gelang es aber, weiterhin einen der beliebtesten ukrainischen Fersehkanäle – 1+1 – zu kontrollieren.
Laut Novoje Wremja steht der Oligarch Viktor Pintschuk unter den einflussreichen Menschen in der Ukraine an achter Stelle. Er ist Medienmogul, Mäzen und vertritt die Interessen des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma, mit dessen Tochter er verheiratet ist.
Weitere zentrale Figuren im Wahlkampf sind die beiden Oligarchen Dmytro Firtasch und Serhiy Liovotschkin, die es nicht unter die ersten zehn geschafft haben, sowie der graue Kardinal Viktor Medvetschuk, der kein Oligarch im traditionellen Sinn ist, aber einen enormen Einfluss auf die ukrainische Politik hat. Außerdem ist er bekannt dafür, dass er die Interessen des russischen Präsidenten Vladimir Putin vertritt.
Die Absprachen zwischen Politiker*innen und Oligarchen entscheiden in großem Ausmaß über den Wahlkampf der beiden Wahlen 2019 – die Kandidat*innen würden ihre politische Agenda gegen die Unterstützung der Oligarchen tauschen.
Wie unterstützen Oligarchen „ihre“ Politiker*innen?
Wahlen sind in der Ukraine eine teure Angelegenheit. Das ist der Hauptgrund, der neue Akteur*innen davon abhält, die Bühne zu betreten. Zum einen müssen Präsidentschaftskandidat*innen eine Kaution von 2,5 Millionen UAH (ca. 83.600€) hinterlegen, das nur diejenigen zurückbekommen, die in es in die zweite Runde schaffen. Das ist allerdings nur ein kleiner Teil der Wahlkampfkosten.
Da ukrainische Wähler*innen häufig auf populistische Märchen hereinfallen und nur selten die tatsächlichen Taten oder Politikvorschläge analysieren, ist es für die Kandidat*innen sehr wichtig, vor allem bekannt und beliebt zu sein. Medienpräsenz ist für sie daher zentral und sie sind bereit, horrende Summen für ihre Popularität zu zahlen. Während des Präsidentschaftswahlkampfs 2014 gab Poroschenko laut offziellen Angaben beispielsweise 96,5 Mio. UAH (ca. 3,2 Mio. Euro) aus – die inoffiziellen Schätzungen belaufen sich allerdings auf einen vielfach höheren Wert. Der Politikwissenschaftler Serhij Hajdaj schätzt, dass eine Präsidentschaftswahlkampagne pro Kandidat*in ungefähr 44,5 Millionen Euro kostet. Trotz gesetzgeberischer Versuche, die Finanzierung der politischen Parteien zu regulieren, indem man ihnen staatliche Unterstützung zukommen lässt, ist die Rolle des sogenannten „Schwarzen Geldes“ immer noch zentral. Bei der Registrierung als offizielle/r Kandidat*in ist die Einrichtung eines Wahlfonds verpflichtend, in den die Unterstützer*innen Geld einzahlen können. Es ist verboten, den Wahlkampf mit Geld zu bezahlen, das nicht aus diesem Fonds stammt.
Obwohl die Kampagnen offiziell erst nach der Registrierung bei der Zentralen Wahlkommission beginnen dürfen, sieht man in den Straßen bereits lange vorher politische Werbetafeln für die Kandidat*innen. Aufgrund von Schlupflöchern in der Gesetzgebung können sie ihre inoffizielle Kampagne früher beginnen (ohne dabei preisgeben zu müssen, wer den Auftrag erteilt hat) und andere Finanzquellen außerhalb ihres Fonds nutzen.
Die Kandidat*innen brauchen inoffizielles Geld nicht nur für den Wahlkampf. Laut Olha Ajvazovska, Leiterin der NGO Civic Network Opora, stellen Menschen – Agitator*innen, Vertreter*innen der jeweiligen Kampagnen, Mitglieder der Wahlkommissionen und Beobachter*innen – den größte Posten bei den Ausgaben der Kandidat*innen im Wahlkampf dar. Diese Ausgaben würden, so Ajvazovska, von Schwarzem Geld bezahlt. Sie schätzt außerdem, dass die Ausgaben für diesen Bereich der „Human Ressources“ den offiziellen Wahlkampffonds um mindestens 80 Prozent übertreffen.
Ein großer Teil der Wahlkampfausgaben entfällt auf die Medien. Vor Beginn des Wahlkampfs veröffentlichten die Fernsehsender die Preise für die Sendezeiten politischer Werbespots. Die Kandidat*innen dürfen zur Finanzierung nur ihren Wahlkampffonds nutzen. Allerdings versuchen sie, neben den offiziellen Spots auch nicht gekennzeichnete politische Werbung unterzubringen, die sie als echte Nachrichten (sogenannte „Jeansa“) tarnen. Und schließlich sind auch die Fernsehkanäle selbst im Besitz der genannten Oligarchen. Ein Oligarch kann also diese Plattform jederzeit für zusätzliche Berichterstattung über ein/e Kandidat*in nutzen – eine Praxis, die bisher noch nicht reguliert worden ist. „Mein Vorschlag ist, die Gesetzgebung so zu ändern, dass alle Kandidat*innen den gleichen Zugang zu Sendezeiten garantiert bekommen“, so Taras Schevtschenko, Mitbegründer des NGO-Zusammenschlusses Reanimation Package of Reforms. Bisher können nur die Kandidat*innen, die von den Kanälen ignoriert oder negativ dargestellt wurden, sich an ein Gericht oder die Zentrale Wahlkommission wenden.
Eine weitere Art der Einmischung durch Oligarchen ist die Beeinflussung oder sogar Erpressung von Angestellten ihrer Unternehmen, damit sie für eine/n bestimmte/n Kandidat*in stimmen.
Wer unterstützt wen?
Die Oligarchen geben zwar nicht öffentlich bekannt, wen sie unterstützen, aber in einigen Fällen sind ihre Präferenzen erkennbar. In anderen Fällen wiederum sieht die Sache etwas komplizierter aus. Es gibt keinen Zweifel, dass Poroschenko sich selbst als Präsidentschaftskandidaten unterstützt. Kolomojskyj leugnet zwar seine materielle Unterstützung für den Komiker Volodimir Zelenskij, viele ukrainische Expert*innen zweifeln aber nicht daran. Zelenskijs Sendungen laufen auf Kolomojskyjs Kanal 1+1. Am Silvesterabend 2018/19 strahlte der Sender Zelenskijs Rede vor der Rede des Präsidenten aus, die normalerweise immer als erstes gesendet wird, und man vermutete, dass Kolomojskyj seine Hände im Spiel gehabt hatte.
„Er [Selenskyj] war ein Schauspieler, vielleicht geht die Idee auch auf ihn zurück. Aber nur Kolomojskyj selbst, der seine schlechte Meinung über den gegenwärtigen Präsidenten wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, könnte sich als Eigentümer des Senders eine solche Aktion erlauben,“ erklärte Inna Kuznetsova, Chefredakteurin des Kiewer Büros von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL).
Hinter Oleh Ljaschko, Vorsitzender der Radikalen Partei, steht angeblich der Oligarch Rinat Achmetov ‑derselbe, der auch den pro-russischen Kandidaten Oleksandr Vilkul unterstützt. Expert*innen geben allerdings zu bedenken, dass der reichste Oligarch der Ukraine seine eigentliche Partie erst nach der Wahl beginnen werde.
„Er hat ein gutes Verhältnis zu Poroschenko, wenn aber Tymoschenko oder sogar Anatolij Hrytsenko gewählt werden sollten, wird er auch mit dem/der neuen Präsident*in klarkommen“, meint der Politikwissenschaftler Volodimir Fesenko.
Der Medienmogul Pintschuk ist ebenfalls dafür bekannt, mit allen eine Übereinkunft zu finden. Die Website Ukrajinska Pravda berichtete unter Verweis auf den inneren Kreis des Oligarchen, dass er vor den Wahlen verschiedenen Kandidat*innen Zugang zu seinen Kanälen geben würde. Medienberichten zufolge setzen Firtasch und Liovotschkyn auf den pro-russischen Kandidaten Jurij Boiko. Ihr Hauptziel ist jedoch nicht der Wahlsieg, sondern eine möglichst große Parlamentsfraktion nach den Wahlen im Herbst.
Der graue Kardinal Medvedtschuk gilt ebenfalls als Unterstützer von Boiko. Man hat ihm jedoch wiederholt auch nachgesagt, dass er geheime Absprachen mit Präsident Poroschenko habe. Medvedtschuks pro-russische Rhetorik – während des von Russland begonnenen Krieges in der Ukraine alles andere als beliebt – hilft, die patriotischen Wähler*innen um Poroschenkos zu scharen. Im November 2018 enthüllten RFE/RL-Journalist*innen, dass Poroschenko und Medvetschuk sich mehrfach heimlich getroffen haben, der Inhalt der Gespräche ist unbekannt.
Für die Oligarchen besteht zwischen den diesjährigen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ein enger Zusammenhang. Daher werden Oligarchen und Geschäftsleute 2019 für Wahlkampf und undurchsichtige Absprachen in der Ukraine Unsummen ausgeben. Leider ist auch nach den Parlamentswahlen nicht mit einem Ende des oligarchischen Systems zu rechnen, da die Oligarchen bereits ihre Kräfte in Stellung bringen. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass allmählich auch neue Gesichter aus der Gesellschaft die Bühne betreten.
Aus dem Englischen von Dorothea Traupe
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