Die Maidan-Opposition in der Ukraine organisiert sich endlich, wird das irgendetwas ändern?
Die Maidan-Opposition hat knapp vier Monate vor den Präsidentschafts- und zehn Monate vor den Parlamentswahlen angefangen sich zu organisieren- endlich! Ob sie jedoch politischen Einfluss nehmen kann, bleibt abzusehen. Eine Analyse von Melinda Haring.
Am 7. Dezember kamen in Kiew über 250 Ukrainer zusammen, um eine neue soziale Bewegung ins Leben zu rufen, die sich anschickt, die erste liberale Partei der Ukraine zu werden.
Die Plattform von Die Menschen zählen (Lyudi Waschliwi) möchte die Rolle, die der Staat in der Wirtschaft spielt, reduzieren und das gesamten Staatswesens Nutzer bzw. Bürgerfreundlicher gestalten. Nach US-amerikanischen Maßstäben würde die Bewegung als libertär oder mitte-rechts gelten. Sie wird von fünf prominenten Reformern angeführt, die innerhalb wie auch außerhalb der Regierung Erfahrungen gesammelt haben: von dem Unternehmer und Abgeordneten des Kiewer Stadtparlaments Serhij Husowskyj; von dem ProZorro-Gründer und Erstem stellvertretenden Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Handel, Max Nefjodow; vom Geschäftsführer eines Think Tanks, Wiktor Andrusiw; von dem Experten für Open Government, Oleksij Hontscharuk, und der Leiterin einer NGO, Oksana Netschyporenko. Der Arbeitstitel „Die Menschen zählen“ fasse die Vision der Bewegung zusammen, sagte Husowskyj, der meint, eine Reform des Staates laufe letztendlich darauf hinaus, die richtigen Leute zur rechten Zeit an der richtigen Stelle zu haben.
Nach einer dreistündigen Diskussion wurden die Teilnehmer aufgerufen, Zeit und Geld zu spenden. Die Bewegung solle durch kleine und mittelgroße Spenden von gewöhnlichen Bürgern und Unternehmen finanziert werden, erklärte Husowskyj.
Die bisherigen Versuche der Maidan-Opposition sind wenig erfolgreich
Das alles hört sich natürlich prächtig an, nur gibt es in der Ukraine bereits über 120 politische Parteien, und in den letzten Monaten haben die Reformer wenig unternommen, sieht man von dem Versuch ab, eine vereinigte politische Bewegung auf die Beine zu stellen, mit der man in die Präsidentschaftswahlen 2019 ziehen will.
Die Ergebnisse sind bislang nicht beeindruckend. Es hat eine Unmenge hitzige Treffen, lange Unterredungen über mögliche Partnerschaften und ein endloses Gerangel gegeben, aber nur wenig spürbare Ergebnisse.
Nun, da der Termin für die Wahlen näher rückt, fangen die Parteien und Akteure an, Koalitionen zu schmieden. In weniger als vier Monaten stehen die ukrainischen Präsidentschaftswahlen an, bis Ende 2019 müssen die Parlamentswahlen stattgefunden haben.
Von den alten Parteien der Maidan-Opposition nehmen zwar Samopomitsch („Selbsthilfe“) und Bürgerliche Position an den Präsidentschaftswahlen teil, haben aber ohne Koalitionspartner kaum Chancen, den zweiten Wahlgang zu erreichen. Es gibt nur wenig Hoffnung, dass sich die beiden Parteien einigen werden, da sich die beiden Parteiführer nicht ausstehen können. Im Oktober schlossen sich Samopomitsch und die Demokratische Allianz (DemAllianz) zusammen, doch sorgte das bei den Experten für kaum mehr als ein Schulterzucken. DemAllianz hat Samopomitsch, dessen Umfragewerte seit dem unerwartet guten Abschneiden bei den Parlamentswahlen 2014 drastisch zurückgegangen sind, wenig zu bieten. Bürgerliche Position begann stark, und Parteichef Anatolij Hryzenko ist zwar brillant, aber nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem Präsidenten sind.
Bisher gibt es vier Maidan-Oppositions Gruppen
In den neuen Kräften der Maidan-Opposition sind mindestens vier Gruppen sehr aktiv, doch wird von keiner erwartet, dass sie an der Präsidentschaftswahl teilnehmen wird.
Dem Leser im Westen dürfte am ehesten die erste Gruppe bekannt sein, die aus dem charismatischen Rundfunk- und Fernsehjournalisten Mustafa Najem, dem beinharten Investigativjournalisten Serhij Leschtschenko und der NGO-Aktivistin Switlana Salischtschuk besteht. Alle drei gehören als Rada-Abgeordnete zu Block Petro Poroschenko ‚Soldarität‘, sind aber Kritiker des derzeitigen Präsidenten. Diese Gruppe von Abgeordneten ist hinter den Kulissen aktiv gewesen, um einen Zusammenschluss aller reformorientierten Parteien und Politiker – in und außerhalb der Regierung – zu erreichen, ist aber bislang erfolglos geblieben. Sie steht vor zwei Problemen: Zum einen könnte es sein, dass die drei Abgeordneten zu viel wollen. Sie wollen ins nächste Parlament einziehen, und es könnte sein, dass sie sich in ihren Unterredungen mit den Parteien einfach zu sehr aufgeblasen haben.
Das zweite Problem ist Leschtschenko. Einst ein Journalist mit einer Mission, wurde er in einen Skandal um seine Wohnung verwickelt und hat sich hiervon leider nie wieder erholt. Najem und Salischtschuk sind in Kiew wie im Westen weiterhin hoch angesehen, doch werden sie von Leschtschenko zurückgehalten, sich leicht von einer etablierten Partei einfangen zu lassen. Solang sie nicht bereit sind, ohne Leschtschenko zu verhandeln, gibt es keine Garantie, dass die Gruppe Teil der nächsten Regierung sein wird.
Eine zweite Gruppe, die man im Augen haben sollte, besteht aus Hanna Hopko der Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses der Werchowna Rada, Iwanna Klympusch-Zinzadse, der für die europäische und euroatlantische Integration der Ukraine zuständigen stellvertretenden Ministerpräsidentin, Serhij Kwit, einem ehemalige Bildungsminister, sowie einigen neuen Abgeordneten von der Partei Volksfront, unter anderem Andrij Lewus und Serhij Wysozkyj. Da die Anführer dieser Gruppe einflussreiche Posten innegehabt hatten und wissen, wie man verhandelt und Teams leitet, gibt es jeden Grund, sie weiter zu beobachten.
Die dritte Gruppe – Die Menschen zählen – verdient Beachtung, falls sie in der Lage sein wird, regionale Abteilungen aufzubauen, Geld zu akquirieren sowie weitere wichtige Liberale und Geschäftsführer für sich zu gewinnen.
Die vierte Gruppe, die Europäische Hundert, ist eine politische Partei junger Führungskräfte zwischen zwanzig und dreißig Jahren ohne jede politische Erfahrung. Das Hirn hinter dieser Gruppe ist Hennadij Kurotschka, ein brillanter PR-Fachmann mit engen Verbindungen zur Präsidialadministration. Am 30. November, genau fünf Jahre, nachdem Janukowytsch Gewalt gegen Studenten einsetzte, die friedlich gegen die Weigerung des Präsidenten protestierten, das Handelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, stellte die Europäische Hundert ihr Projekt auf dem Maidan vor, mit Reden aus vollem Herzen und bei frostigen Temperaturen. Während die Gruppe zwar Unterstützung für NATO und Europäische Union demonstriert, energisch auftritt sowie die Werte und Visionen des Maidan beschwört, stellt sie gleichwohl keine ernstzunehmende Kraft dar.
Beschränkter Einfluss der demokratischen Kräfte
Selbst dann, wenn sich diese verschiedenen Gruppen sich schnell organisieren, Teams und Regionalabteilungen aufbauen, ins nationale Fernsehen gelangen und echtes Geld besorgen sollten, gibt es immer noch keinen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentschaftswahl – es sei denn, Slawa Wakartschuk springt in letzter Minute ein.
Wakartschuk, der äußerst populäre Rockstar des Landes, bleibt die letzte Hoffnung für einen gemeinsamen Kandidaten der Maidan-Opposition, und Gott allein weiß, ob er sich zu einer Kandidatur entscheiden wird. Ohne Wakartschuk wird der zweite Durchgang der Präsidentschaftswahl wohl auf eine Wahl zwischen Petro Poroschenko und Julia Tymoschenko hinauslaufen. Und für all die Millionen, die auf dem Maidan gestanden haben, und die Tausenden, die Angehörige im Donbass verloren haben, und die Millionen, die ihre Heimat verlassen mussten, wäre das mehr als enttäuschend. Der Präsidentschaftswahlkampf wird zeigen, wie und ob sich die Maidan-Opposition vereinigen kann. Ein erster Test für die für die Innenpolitik entscheidenden Parlamentswahlen. Wie immer mit der Ukraine, bleibt es spannend.
Der Text erschien zu erst im Ukraine-Alert des Atlantic Councils. Übersetzung von Hartmut Schröder.
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