Was man über das ASOW-Regiment wissen muss
In westlichen Medien sind das ukrainische Regiment “Asow” und seine Verbindungen zur Rechten Dauerthema. Zwölf Fragen und Antworten von Vyacheslav Lykhachov.
1. Ist Asow eine Bedrohung?
Ich bin fast jeden Tag gezwungen, mit ausländischen Journalisten aus verschiedenen Ländern, von Indien bis Brasilien, über Asow zu sprechen. Vor dem Hintergrund der schrecklichen humanitären Situation in Mariupol, das von den Asow-Kämpfern heldenhaft verteidigt wird, reagiere ich ziemlich emotional, wenn das Gespräch, sagen wir, mit der Frage beginnt: „Inwieweit ist Asow wirklich eine Bedrohung?“
Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass es höchstwahrscheinlich nicht die Schuld der Person ist, dass sie etwas nicht weiß oder nicht versteht, wie man verfügbare Informationen kritisch analysieren kann. Die Tatsache, dass die Person fragt, sollte meiner Meinung nach als eine bewusste Einladung zur Aufklärung gesehen werden.
Wenn jemand nach dem Asow-Regiment fragt, lohnt es sich zunächst einmal herauszufinden, was er oder sie überhaupt über Asow weiß, woher und warum sich die Frage nach dieser Einheit der Nationalgarde überhaupt stellt. Unter westlichen Journalisten und allen, die glauben, etwas über die „Ukraine-Krise“ zu wissen, taucht fast immer die Frage nach Asow auf. Doch wenn man nachfragt, können nur wenige überhaupt artikulieren, was genau sie beunruhigt und woher die Gründe für diese Besorgnis kommen.
Die Obsession der Medien
Meistens hat man es mit zwei Möglichkeiten zu tun: a) alle reden über Asow, alle Medien schreiben darüber; b) es wird von den Russen im Zusammenhang mit der „Entnazifizierung“ erwähnt. Im ersten Fall sollten wir uns auf die Feststellung beschränken, dass sich die Aufregung der Medien selbst nährt: Die Medien schreiben über Asow nur, weil andere Medien über Asow schreiben. Das ist einfach eine Obsession, auf die es sich nicht lohnt, zu reagieren.
Im zweiten Fall sollten wir deutlich machen, wie absurd die Vorstellung ist, dass irgendwelche Behauptungen des Kremls irgendeine Grundlage haben. Wenn der russische Außenminister behauptet, Russland habe die Ukraine nicht angegriffen, wird niemand nachprüfen, ob in der Ukraine wirklich ein Krieg stattfindet. Das westliche Publikum sollte sich einfach an den Gedanken gewöhnen, dass Russland und seine Beamten jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachen, lügen. Für viele im Westen ist es schwierig, dies zu erkennen, aber es ist notwendig.
In den besprochenen Fällen ist es sinnvoll, sich auf die Aussage zu beschränken, dass Asow eine der Einheiten der ukrainischen Nationalgarde ist, die gerade jetzt, während der Fragesteller seine Neugierde befriedigt, die Zivilisten von Mariupol vor der Vernichtung schützt. In den meisten Fällen wird dies eine ausreichende Antwort sein. Nur wenn der Fragesteller wirklich etwas über den Gegenstand der Diskussion weiß, ist es sinnvoll, die weiter unten erörterten Einzelheiten anzuführen.
Die kurze Antwort auf die Frage lautet also: Nein, Asow ist kein Neonazi-Regiment.
2. Sind alle Mitglieder des Regiments Neonazis?
Nein, natürlich nicht. Weder in der ukrainischen Nationalgarde noch in den Streitkräften der Ukraine gibt es Einheiten, die auf einer ideologischen Grundlage geschaffen wurden. Die einzige mögliche Ideologie einer Einheit der Nationalgarde der Ukraine ist das Disziplinarstatut. Darin heißt es unter anderem, dass die Verpflichtung besteht, „die Menschenrechte, die Ehre und die Würde des Menschen zu achten“ und „Äußerungen und Handlungen zu unterlassen, die die Menschenrechte verletzen oder die Ehre und die Würde einer Person herabsetzen können“.
Um nicht nur vom technischen Standpunkt aus zu antworten, könnte ich hinzufügen, dass es unter den Gründern und Kämpfern von Asow von Anfang an Personen mit neonazistischem Hintergrund und rechtsextremen Ansichten gab. Allerdings hatten nicht alle Gründer des Bataillons einen solchen Hintergrund. Unter den ersten Kämpfern von Asow, Aktivisten aus den Automaidan-Gruppen, befanden sich zum Beispiel auch mehrere ethnische Juden (und mindestens ein israelischer Staatsbürger).
Die meisten der rechtsextremen Kämpfer verließen das Regiment bis Ende 2014. Der Rest der Rechtsradikalen, die ihre Ansichten klar artikulierten, wurde durch das neue Kommando des Regiments im Jahr 2017 bewusst „ausgemerzt“. In den letzten Jahren gibt es keinerlei Anhaltspunkte für den Vorwurf, dass Neonazis im Asow-Regiment dienen.
3. Handelt es sich um eine paramilitärische oder eine offizielle Struktur?
Asow ist eine eigene Spezialeinheit der Nationalgarde der Ukraine (Militäreinheit 3057), eine offizielle staatliche Einheit unter dem Kommando des ukrainischen Innenministeriums. Im Gegensatz zu einigen 2014 gegründeten Freiwilligeneinheiten war Asow zudem nie eine inoffizielle Einheit – sie war von Anfang an Teil des Innenministeriums der Ukraine. Daher ist es ein Fehler, sie als „Miliz“ zu bezeichnen, ein Begriff, der im Zusammenhang mit Asow immer noch weit verbreitet ist.
4. Wer dient in Asow?
Diejenigen, die bereit sind, ihre Heimat und ihr Volk zu verteidigen, und die das Auswahlverfahren bestanden haben (Asow genießt den Vorteil, dass man sich die Leute aussuchen kann – es gibt viele, die bereit sind, in seine Reihen einzutreten). Es gibt Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft – beispielsweise Russen, Juden oder Krimtataren – mit verschiedenen religiösen Ansichten und politischen Zugehörigkeiten. Es gibt keine Beschränkung, wer der Einheit angehören kann. Nach Angaben der Offiziere der Einheit ist die Mehrheit des Personals russischsprachig.
5. Ist der Leiter von Asow auch Chef der rechtsextremen Partei „Nationales Korps“?
Nein. Aktive Militärangehörige in der Ukraine dürfen keiner politischen Partei angehören, da die Verteidigung des Vaterlandes über allen Parteiinteressen und politischen Zugehörigkeiten steht. Andrij Biletskyjj, der Vorsitzende der politischen Partei Nationales Korps, der wirklich eine Rolle bei der Bildung der Einheit gespielt hat und zu Recht als ihr Gründer gilt, leitete Asow nur für ein paar Monate im Sommer und Anfang Herbst 2014 und ist seitdem wieder politisch aktiv. Es ist kein Geheimnis, dass er mit seinem eigenen „Geistesprodukt“ in Kontakt stand, Geld für die Behandlung und Rehabilitation verwundeter Soldaten sammelte, seine ehemaligen Waffenbrüder in seine politischen Projekte oder kommerziellen Organisationen (vor allem private Sicherheitsfirmen) einbezog. Seit Oktober 2014 hat er aber keine formale Beziehung mehr zur Asow-Einheit.
6. Ist die Nationale Druschyny (Nationale Bürgerwehr) Teil des Asow-Regiments?
Nein. Die Nationale Druschyny ist eine öffentliche Organisation, die übrigens seit fast zwei Jahren nicht mehr aktiv ist. Sie hat keine direkte Beziehung zum Regiment der Nationalgarde. Allerdings war Igor Mykhaylenko, der Andryj Biletskyj als Regimentskommandeur ablöste, der Leiter der Nationalen Druschyny.
7. Ist das Asow-Regiment ein Kampfverband des Nationalen Korps?
Nein. Die politische Partei hat keine direkte Beziehung zum Regiment. Das Regiment existiert nicht nur formell, sondern auch inhaltlich getrennt von der Partei. Die Streitkräfte der Ukraine und die Nationalgarde sind nicht politisch.
Andryj Biletskyj ist jedoch sehr stolz auf die Gründung von Asow. Die Teilnahme an der ATO (Anti-Terror-Operation), die Befreiung von Mariupol und die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit des Regiments haben ihn bekannt und beliebt gemacht, seine Wahl ins Parlament und seine Präsenz in den Medien gesichert. Aus diesem Grund versucht Biletskyj, das „Markenzeichen“ Asow im politischen Leben zu nutzen.
Sein erstes politisches Projekt nach der Rückkehr ins öffentliche Leben im Oktober 2014 hieß sogar „Asowsches Zivilkorps“. Andryj Biletskyj war froh darüber, dass sich die Veteranen des Regiments dem Nationalen Korps anschlossen. Eine Reihe an öffentlichen Organisationen um die Partei herum nannte er die „Asow-Bewegung“.
Bestimmte informelle Verbindungen werden auch weiterhin aufrechterhalten. Aber es geht mehr um die öffentliche Legitimation und die Umwandlung eines gewissen sozialen Kapitals, das in der ATO erworben wurde, in ein politisches Kapital. Das Gleiche gilt für andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die der breiten Öffentlichkeit als Gründer von Freiwilligenverbänden bekannt wurden – zum Beispiel der erste Kommandeur des Donbas-Bataillons, Semen Sementschenko.
8. Dienen dort auch Rechtsextremisten aus Europa und den USA?
Nein. Ausländer können in den Reihen der Nationalgarde überhaupt nicht dienen (anders als bei den Streitkräften der Ukraine). Es ist erwähnenswert, dass im Jahr 2014, als noch nicht alle Formalitäten eingehalten wurden, de facto Ausländer in Asow dienten. Asow war an Leuten mit Diensterfahrung in westlichen Armeen interessiert. Das rechtsextreme Image der Einheit zog Ausländer an.
Im Jahr 2014 waren auch persönliche Verbindungen wichtig. Unter den Gründern von Asow gab es eine einflussreiche Gruppe von Aktivisten mit rechtsextremem Hintergrund. Sie wurden von Menschen, auch von ausländischen Gleichgesinnten, beobachtet. Innerhalb von acht Jahren hat sich jedoch viel verändert. Mehrere Jahre lang waren keine Ausländer bei Asow. In den letzten Jahren haben einige abenteuerlustige, westliche Rechtsextremisten versucht, sich dem Regiment anzuschließen. Im schlimmsten Fall mussten sie vom Inlandsgeheimdienst des Landes verwiesen werden.
9. Wird die Organisation als extremistisch eingestuft?
Sie gilt in der Russischen Föderation, wo bekanntlich Facebook und Instagram als extremistische Quellen gelten, als extremistisch. Vor einigen Jahren wurde jedoch auch in den Vereinigten Staaten eine Initiative zur Anerkennung von Asow als ausländische terroristische Organisation diskutiert. Damals beschlossen die Kongressabgeordneten wegen der Zunahme an rechtsextremen Terror im Land zum ersten Mal, eine ausländische Gruppe von „White Supremacists“ in die Liste solcher Organisationen aufzunehmen (zuvor standen nur Islamisten, einige nationale Separatistenbewegungen und Linksradikale auf dieser Liste).
Die Initiatoren, die sich von dem von den Medien geschaffenen Bild leiten ließen, wussten jedoch nicht einmal, dass es sich um eine Abspaltung einer staatlichen Einrichtung und nicht um eine informelle, paramilitärische Gruppe handelte. Nach der Klärung geriet die Initiative in Vergessenheit, und die erste Gruppe von „White Supremacists“, die in die Liste der terroristischen Organisationen aufgenommen wurde, war die Russische Reichsbewegung.
10. Sind Mitglieder der Organisation in Kriegsverbrechen verwickelt?
Es ist bekannt, dass nur ein Gericht feststellen kann, ob eine Person kriminell ist oder nicht. Bei Kriegsverbrechen, die während eines bewaffneten Konflikts begangen werden, ist dies jedoch schwieriger. Selbst Wladimir Putin und Sergei Schoigu sind nicht als Kriegsverbrecher anerkannt worden – zumindest noch nicht. Wenn wir stattdessen fragen: Gibt es glaubwürdige Gründe für die Annahme, dass Asow-Kämpfer im Verdacht stehen, Kriegsverbrechen begangen zu haben, lautet die Antwort: Ja.
Es gibt Gründe für die Annahme, dass 2014 einige Kämpfer gegen das Kriegsrecht und die Kriegsgepflogenheiten verstoßen haben. Diese Fälle waren jedoch nicht systematisch. Die UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission, die bis Ende Februar 2022 in Mariupol präsent war (und weiterhin in Donezk tätig ist), hat solche Fälle überhaupt nicht registriert. Auch die russische Seite hat keine überzeugenden Beweise für solche Verbrechen vorgelegt. Die Mitglieder, die verdächtigt wurden, haben die Einheit spätestens 2015 verlassen.
11. Steht Asow für „die Reinheit der weißen Rasse“?
Nein. Nicht einmal die politische Partei des Nationalen Korps steht dafür. Ja, Andryj Biletskyj hat sich in den Jahren 2006 bis 2010 persönlich rassistisch geäußert. Allerdings sind spätestens seit Anfang 2014 keine derartigen Äußerungen von ihm mehr zu verzeichnen.
12. Verherrlicht Asow die Nazi-Ideologie?
„Wir verachten Nazismus und Stalinismus“ heißt es in einem der letzten Posts auf dem offiziellen Telegrammkanal der Einheit (vom 28. März). Übrigens auf Russisch.
Wenn also alles so offensichtlich ist, warum zeigt sich das westliche Publikum weiterhin besorgt über Asow?
Erstens stimmt es, dass einige Gründer einen rechtsextremen und in einigen Fällen neonazistischen Hintergrund haben. Dies spiegelte sich teilweise im Emblem von Azow wider, aber in keiner Weise in den Aktivitäten von Azow. So gab es beispielsweise in Mariupol eine recht große jüdische Gemeinde und eine funktionierende Synagoge, die in acht Jahren nie Probleme mit einem Asow-Kämpfer bekommen hat. Ähnlich verhält es sich mit den Muslimen in der Stadt oder einer großen (etwa 100.000 Menschen umfassenden) griechischen Gemeinde. Die größte Gefahr für die ethnischen Gemeinschaften von Mariupol wie auch für alle Einwohner der Stadt sind die Bombardierungen ziviler Infrastruktur durch die russischen Aggressoren.
Zweitens ist die russische Propaganda daran beteiligt, das Bild eines kriminellen neonazistischen „nationalen Bataillons“ zu schaffen. Sie vernachlässigt dabei nicht offene Lügen, sondern nutzt bestimmte objektive Fakten (wie das Emblem des Regiments und die politische Vergangenheit seiner Gründer), um ein abschreckendes Bild zu schaffen. Dieses Bild ist virtuell, aber wir sollten die russische Propaganda nicht unterschätzen.
Sie ist systematisch, professionell und erstaunlich überzeugend, vor allem in der westlichen Gesellschaft, die an solche Lügen nicht gewöhnt ist. Die westliche Gesellschaft neigt dazu, die Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt abzulehnen und komplexere Modelle in Betracht zu ziehen. Typisch für diese Sichtweise ist es, die Wahrheit irgendwo in der Mitte, zwischen den polaren Standpunkten, zu suchen. Aber die Wahrheit liegt, wie Adam Michnik sagte, nicht in der Mitte – sie liegt dort, wo sie liegt.
Nun, zum Schluss das Unangenehmste. Jede Propaganda funktioniert nur, wenn die Menschen bereit sind, daran zu glauben. Sie wirkt auf einen Menschen überzeugend, wenn er ihr innerlich bereits zustimmt. Für den Westen ist es bequem, sich mit Fabeln einzulullen, dass alles kompliziert und zweideutig ist, denn in diesem Fall kann man sich einfach in nichts einmischen, ohne dass das sensible Gewissen Vorwürfe macht.
Der Text ist am 3. April 2022 auf Englisch beim Center for Civil Liberties erschienen.
Gefördert durch:
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.