Stile und Inszenierungen der Präsidentschaftskandidaten
Noch im Herbst kündigten Reformkräfte an, eine „En Marche“-Bewegung nach französischem Vorbild gründen zu wollen. Jetzt vereinen sich einige der Euro-Optimisten hinter dem Kandidaten Hryzenko. Derweil haben andere Kandidat*innen im Wahlkampf ihre Rollen gefunden. Ein Streifzug durch Politikstile, Ambitionen und Macher-Attitüden in der Ukraine. Von Philip Klein
Svitlana Zalischchuk gehört neben Mustafa Najem und Serhij Leschtschenko zu den bekanntesten ehemaligen Aktivist*innen des Euromaidan, die inzwischen in der Werchowna Rada sitzen. Mit ihrer Vision eines ukrainischen „En Marche“ plante sie, mit einem Problem der Vergangenheit aufzuräumen. So erklärt sie, dass die ursprüngliche Energie der Menschen vom Euromaidan nicht institutionalisiert worden sei. Im vergangenen Herbst skizzierte sie in Kyjiw: „Wir wollen Anfang 2019 eine Grassroot-Kampagne starten, liberal-konservativ, wie Macron. Dazu sprechen wir mit allen Reformwilligen im Land. Und sie alle teilen fundamentale Prinzipien: Verantwortung, Transparenz und Antikorruption.“ Dazu stellte ihr Mitstreiter Leschtschenko klar: „Ohne Kandidaten können wir bei der Präsidentschaftswahl nichts erreichen, aber als Bewegung wollen wir bei der Parlamentswahl antreten.“ Die Antwort auf die Frage, wer der Kopf der Bewegung werden würde, blieben die ehemaligen Aktivist*innen lang schuldig. Der Rockmusiker Swjatoslaw Wakartschuk erklärte inzwischen, dass er bei der Präsidentschaftswahl nicht kandidieren werde, er könne in Jeans mehr erreichen als im Anzug. Ihre Unterstützung lassen die Euro-Optimisten nun dem ehemaligen Verteidigungsminster Anatolij Hryzenko zuteil werden. Dessen Partei Bürgerliche Position (Hromadjanska posyzija) ist derzeit nicht im Parlament vertreten, seine Chancen bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen sind relativ gering. In den jüngsten Umfragen von Ende Februar 2019 lag der ehemalige Verteidigungsminister Hryzenko unter neun Prozent – lediglich auf Platz fünf. Und das, obwohl Andrij Sadowyj und Dmytro Gnap jüngst angekündigt hatten, ihre Kandidatur zu Gunsten Hryzenkos zurückzuziehen. So steht ein schwieriger Enspurt im Wahlkampf an.
Politischer Wille zur Antikorruption
Mit dem Pfund eigener Integrität wuchernd prescht Sadowyj beim Thema Korruptionsbekämpfung vor: „Korruption zu bekämpfen, ist immer ganz einfach – es braucht den politischen Willen dazu. Poroschenko zeigt den nicht: Niemand wurde bestraft, aber seine Einkünfte haben sich verachtfacht. Ich habe den politischen Willen, die Korruption zu bekämpfen.“ Dabei malt der Bürgermeister von Lwiw, der nach dem Präsidentenamt strebt, düstere Bilder. „Denn sonst werden wir nie einen Aufschwung unserer Produktion erreichen und nie ein erfolgreiches Land werden. Ich habe bei Lwiw gesehen, was zu tun ist. Ich bin da sowohl Praktiker als auch Optimist“, sagte der Bürgermeister Ende letzten Jahres im Interview.
Doch mit seinen Erfolgen in Lwiw sieht er sich in Kyjiw am Zug, habe er doch die inzwischen modernste Stadt des Landes aufgebaut. „Aber eine Stadt kann nicht erfolgreich sein, wenn das Land nicht erfolgreich ist. Darum bin ich in der Politik aktiv, habe eine politische Partei gegründet“, betonte der Bürgermeister. Sadowyj inszeniert sich als über jeglichen Zweifel erhabenen Manager und Macher.
Seine Präsidentschaftskandidatur gab der Vorsitzende der Partei Selbsthilfe (Samopomitsch) am 8. Januar 2019 offiziell bekannt, um diese am 1. März zu Gunsten von Hryzenko zurückzuziehen. Seine abgebrochene Kandidatur kann man auch als Schaulaufen für die anstehenden Parlamentswahlen im Herbst verstehen. Spätestens dann will der Bürgermeister auch in der nationalen Politik mitmischen.
Poroschenko als alternativloser Oberbefehlshaber
Ebenfalls in Lwiw tätig ist der Gouverneur des gleichnamigen Oblasts, Oleh Syniutka. Selbst Mitglied des Block Poroschenkos und in seiner Funktion direkt ernannt vom Präsidenten, lässt er keinen Zweifel aufkommen, wem gegenüber er sich verpflichtet fühlt. „Wenn ich aufhöre, die Politik des Präsidenten zu teilen, dann würde ich sofort aufhören, auf diesem Posten zu arbeiten“. Für seinen Chef macht er sich auch stark, indem er Poroschenkos wichtige Rolle als Oberbefehlshaber betont. „Die Ukrainische Armee verteidigt nicht nur die Ukraine, sondern die ganze zivilisierte Welt. Man darf nicht davon ausgehen, dass die russischen Panzer am Dnipro stehenbleiben oder an der Weichsel, die bleiben dort stehen, wo sie gestoppt werden“, sagt der Gouvaneur mit Pathos.
Durch die neuerliche Situation im Asowschen Meer und die zeitweise Ausrufung des partiellen Kriegsrechts könnte die martialische Rhetorik Poroschenko nutzen. Andererseits bietet Syniutka innenpolitisch einfache Lösungen: „Es ist sehr wichtig, dass Populisten nicht wieder an die Macht kommen. Leute, die unrealistische Versprechungen machen, wie billiges Gas.“ Dabei führt er auch Angela Merkel ins Feld, die Ähnliches angemerkt habe. Deutschland legt der Oblastverwalter den Verzicht auf die Gaspipeline Nord Stream 2 nahe. Insbesondere an Julija Tymoschenko arbeitet sich Syniutka dabei immer wieder zwischen den Zeilen ab und vermittelt bei seinem Werben für den amtierenden Präsidenten eine unbedingte Alternativlosigkeit: „Ich bin sicher, dass der Name des nächsten Präsidenten mit einem ‚P‘ anfängt. Die große Frage ist aber, ob es Poroschenko oder Putin wird.“
„Verschiedene Arten von Populismus“
„Poroshenko oder Putin“ – diese ultimative Lehrformel kennt Hryhoriy Nemyria. Der zweite Mann der Batkiwschtschyna, der allukrainischen Vereinigung „Vaterland“, ist auch oft mit dem Vorbehalt konfrontiert, die Präsidentschaftskandidatin Tymoschenko sei eine gnadenlose Populistin. In Kyjiw sagt er dazu: „Populist*innen würden nie vor der Wahl ein Wirtschaftsprogramm präsentieren, einen neuen wirtschaftlichen Kurs. Mit einer Steuerreform, einem Investitionsplan, Hilfen für kleine und mittelständische Unternehmen und Familienfonds. Populist*innen würden so etwas nie machen.“ Nemyria steht dem Menschenrechtskomitee des ukrainischen Parlaments vor, stammt aus Charkiw und weiß um das verbreitete Misstrauen gegenüber seiner Parteivorsitzenden. Er betont: „Populist*innen würden vor der Wahl nie eine detaillierte Verteidigungsreform präsentieren. Oder einen Friedensplan. Die würden eher sagen: ‚Beerdigt Minsk!‘. Das hat Julija nie gesagt. Ohne eine gute Alternative würde sie Minsk niemals aufgeben. Und Populist*innen würden sich nicht an Referenzpunkten, wie denen des Club of Rome, orientieren. Das alles würden Populist*innen nie machen.“
Kein Mangel an Antikorruptionsbehörden, aber Diskreditierung derselben
Einmal an der Macht, könnten sich jedoch Zweifel regen, wie Batkiwschtschyna handeln würde, um die hochrangigen Eliten endlich zur Rechenschaft zu ziehen. „Was gerade fehlt, ist ein großer Fang. Korruption in der Ukraine ist systemisch, die Quelle ist der Staat, es läuft von oben nach unten. Die Führung ist involviert. Und solange das Volk nicht sieht, dass die großen Fische verurteilt werden und ins Gefängnis kommen, wird es nicht an Antikorruption glauben.“ Dabei mangele es nicht an Behörden, alleine deren Effizienz sei das Problem, so Nemyria. Es liege an Strukturen: „Viele der Antikorruptionsbehörden wurden diskreditiert, das System frisst sie auf. Richter werden intransparent gewählt, viele sind korrupt, recycelt aus der Janukowytsch-Zeit. Wir wollen Top-Politiker zur Verantwortung ziehen, dafür muss ein Mechanismus her. Derzeit gibt es kein wirkliches Amtsenthebungsverfahren, es bräuchte eine Gesetzesrundlage, die Poroschenko versprochen hat, aber bisher fehlt. Julija wird das machen.“
„Macron-Effekt“ unwahrscheinlich
Die Kandidat*innen präsentieren eine klare Stoßrichtung, haben augenscheinlich ihre Agenda und ihr Narrativ gefunden –Sadowyj gibt den Manager, Poroschenko den patriotischen und alternativlosen Oberbefehlshaber und Tymoschenko versucht, sich als Reformerin zu präsentieren. Ob hingegen die Euro-Optimisten mit Hryzenko aufs richtige Pferd gesetzt haben, wird sich zeigen. Zalischchuk kritisierte, dass es dem liberalen Lager nicht gelungen sei, einen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Die späte Einigung knapp vier Wochen vor der Wahl komme spät: „Trotzdem bereiten wir die Bewegung vor, versuchen, zu mobilisieren und damit ins Parlament zu kommen.“ Dass sich zur Präsidentschaftswahl mit Hryzenko der gewünschte „Macron-Effekt“ einstellt, scheint unwahrscheinlich. Zu gering sind seine Umfragewerte. Deswegen wird es von großer Bedeutung sein, wie sich die liberale Opposition nach den Präsidentschaftswahlen positioniert und ob sie sich frühzeitig einigen kann, geschlossen bei den Parlamentswahlen im Herbst anzutreten.
Der Bericht entstand im Rahmen einer vom Zentrum Liberale Moderne organisierten Journalistenreise, die im November 2018 gefördert vom Auswärtigen Amt fünf deutsche Journalisten nach Lwiw, Kyjiw und Charkiw führte.
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