Wirtschaftsausblick Ukraine: Höheres Wachstum zu erwarten
Nach Jahren der Krise erholt sich die ukrainische Wirtschaft und ist auf Wachstumskurs. Für die weitere Entwicklung ist entscheidend, ob das Land das IWF-Programm und weitere Reformen umsetzt.
Zusammenfassung
Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft der Ukraine um 2,2% gewachsen, trotz der Handelsblockade im Osten des Landes, die etwa 0,9% Wachstum gekostet hat. Mit Ausnahme der Inflation, die deutlich über dem Zielwert der Nationalbank lag, waren die wirtschaftlichen Indikatoren relativ gut. Hervorzuheben ist die fiskalische Konsolidierung, die erste Früchte trägt und eine Trendwende bei der Staatsverschuldung einleitete: So ging der Schuldenstand von über 80% des BIP auf 73% zurück.
Diese Entwicklungen werden sich in diesem Jahr aller Voraussicht nach fortsetzen; das reale BIP-Wachstum wird dabei auf 3,2% noch etwas zulegen. Die Defizite in der Leistungsbilanz und im Haushalt bleiben moderat und der Schuldenstand wird weiter absinken.
Trotzdem sollte kurzfristig das wichtigste Ziel der Entscheidungsträger sein, das IWF-Programm wieder auf die Spur zu bekommen: Über 10 Mrd. USD Schuldendienst müssen in den Jahren 2018–19 allein für staatliche bzw. staatsnahe Verbindlichkeiten aufwendet werden – eine gewaltige Herausforderung im Hinblick auf das Doppelwahljahr 2019.
Rückblick 2017
Nach ersten Schätzungen der Statistikbehörde ist das reale BIP im letzten Jahr um 2,2% gestiegen, was eine geringe Verlangsamung gegenüber dem Vorjahr 2016 impliziert. Hierbei muss aber berücksichtigt werden, dass mit der Handelsblockade vis-à-vis der nicht-kontrollierten Gebiete in der Ostukraine ab März 2017 ein negativer Sonderfaktor auftrat, der insbesondere die Industrie betraf. Der dadurch induzierte BIP-Rückgang betrug nach aktualisierten Schätzungen der Nationalbank 0,9% des BIP, d.h. etwas weniger als erwartet (ursprünglich: 1,3%).
Die Inflationsentwicklung war im vergangenen Jahr eine der wenigen negativen wirtschaftlichen Überraschungen. Im Jahresdurchschnitt 2017 betrug sie 14,5% und lag damit höher als im Vorjahr. Bedenklich stimmt die Tatsache, dass die Nationalbank ihr Inflationsziel (8% +/- 2 Prozentpunkte zum Jahresende) verfehlte; die Inflation betrug im Dezember 13,7%. Gründe für diese Entwicklungen lagen teilweise auf der Angebotsseite (z.B. höhere Preise bei bestimmten Agrarprodukten), aber auch auf der Nachfrageseite. Hier ist insbesondere das starke Lohnwachstum zu nennen, welches zum Teil durch die wirtschaftliche Erholung, zum Teil aber auch durch die Verdoppelung des Mindestlohns im Januar 2017 verursacht wurde.
Die externe Lage war demgegenüber relativ stabil, trotz der angesprochenen Handelsblockade. Der Außenhandel hat sich spürbar belebt, wobei der Anstieg der Warenimporte mit 21,1% den der Exporte (18,8%) leicht übertraf. Das Leistungsbilanzdefizit betrug 2017 vertretbare 3,5% des BIP und ist somit gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen. Hier spielten auch höhere Rücküberweisungen von Gastarbeitern im Ausland eine wichtige Rolle (z.B. aus Polen). Der flexible Wechselkurs war relativ stabil und schwankte im Jahresverlauf gegenüber dem US-Dollar zwischen 25,6 und 27,5 UAH/USD.
Insbesondere aus fiskalischer Sicht ist das letzte Jahr erfolgreich verlaufen; das Haushaltsdefizit lag mit etwa 1,4% des BIP deutlich unterhalb des ursprünglichen Zielwerts und auch unterhalb des Defizits des Vorjahres. Trotz zusätzlicher Aufwendungen für die Rekapitalisierung von staatlichen Banken (PrivatBank, Oschadbank) konnte im Vorjahr die staatliche Schuldenquote im Vergleich zum BIP erstmals deutlich gesenkt werden: von 81,2% (2016) auf 73,4% (2017). Diese Trendwende zeigt spiegelbildlich die Fortschritte im fiskalischen Konsolidierungsprozess.
Ausblick 2018
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die wichtigsten wirtschaftlichen Indikatoren.
2016 | 2017* | 2018* | |
Reales BIP-Wachstum, in % zum Vorjahr |
2,3 | 2,2 | 3,2 |
Inflation, in % zum Vorjahr (Jahresdurchschnitt) |
13,9 | 14,5 | 10,0 |
Leistungsbilanzsaldo, in % des BIP |
-3,7 | -3,5 | -3,0 |
Haushaltssaldo, in % des BIP |
-2,3 | -1,4 | -2,5 |
Staatsverschuldung, in % des BIP |
81,2 | 73,4 | 66,0 |
Quellen: Nationale Statistikbehörde, IWF, Nationalbank der Ukraine, IER.
*Schätzung bzw. Prognose. Anmerkung: Haushaltssaldo ohne Naftogaz und Bankenrekapitalisierung. Weitere Wirtschaftsindikatoren gibt es hier.
Realwirtschaft/BIP
Nach dem Wegfall des Sonderfaktors „Handelsblockade“ stehen die Zeichen in diesem Jahr gut für eine gewisse Wachstumsbeschleunigung auf 3,2%. Das globale Umfeld mit hohem Wachstum (insbesondere auch beim Haupthandelspartner EU) ist hierbei hervorzuheben, sowie die stabilen Rohstoffpreise.
Angebotsseitig sollten die Industrie und die Landwirtschaft hierfür Beiträge liefern. Nachfrageseitig werden Investitionen und der private Konsum vergleichbare Impulse für das Wachstum setzen, während die Nettoexporte belasten. Die Investitionen sind dabei eng mit dem wirtschaftlichen Erholungsprozess verbunden, während der Konsum die hohe Einkommensdynamik widerspiegelt, die auch im Kontext der anstehenden Wahlen 2019 zu sehen ist. Nach erfolgten Anhebungen von Mindestlohn und Renten in 2017 ist eine weitere Anhebung des Mindestlohns geplant, die allerdings moderater als 2017 (Verdoppelung) ausfallen soll.
Inflation
Als Reaktion auf die negative Inflationsentwicklung hat die Nationalbank seit Oktober 2017 bereits drei Mal die Leitzinsen angehoben. Der letzte Zinsschritt im Januar 2018 betrug 1,5 Prozentpunkte, auf aktuell 16%. Im Jahresdurchschnitt sollte die Inflation auf die 10%-Marke fallen, allerdings erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass zum Jahresende 2018 das Inflationsziel der Nationalbank (dann zwischen 4–8%) erreicht werden kann. Dies dürfte erst im Jahresverlauf 2019 der Fall sein.
Leistungsbilanz
Exporte und Importe werden auch in diesem Jahr weiter expandieren, möglicherweise mit einem etwas reduzierten Tempo. Die Verringerung des Leistungsbilanzdefizits dürfte sich dabei auch in diesem Jahr fortsetzen; ein Wert von 3% des BIP ist zu erwarten. Eine moderate Entwicklung der externen Situation, die auch die Wechselkursentwicklung einschließt, würde es der Nationalbank ermöglichen, ihren graduellen Prozess der Liberalisierung von administrativen Devisenrestriktionen fortzuführen.
Staatsverschuldung und Haushaltssaldo
Der im Dezember 2017 angenommene Haushalt 2018 sieht ein Defizitziel von 2,5% des BIP vor, welches von der Höhe im Einklang mit den Zielvorgaben des IWF-Programms steht. In Abwesenheit von weiteren verschuldungsrelevanten Transaktionen (z.B. Bankenrekapitalisierung, Naftogaz) sollte dies dazu führen, dass der Schuldenstand im Verhältnis zum (wachsenden) BIP in diesem Jahr unter die 70%-Marke fällt.
Gretchenfrage: Fortsetzung IWF-Programm?
Eine sowohl für die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität, als auch für die weitere Reformpolitik der Ukraine zentrale Frage liegt in der weiteren Zusammenarbeit mit dem IWF. Es sei daran erinnert, dass die letzte Kredittranche im April 2017 geflossen ist. Nach damaligem Planungsstand hätten in der Zwischenzeit bereits vier weitere Tranchen ausgezahlt werden sollen; tatsächlich wurde aber kein weiteres Geld überwiesen.
Die Liste an Reformschritten, die der IWF fordert, ist dabei relativ umfangreich. Neben der Schaffung eines Anti-Korruptionsgerichts ist mit der automatischen Anpassung der Energietarife ein weiterer zentraler Punkt zu klären. Auch das Thema „Privatisierung“ steht auf der Tagesordnung; hier hat das Parlament vor kurzem ein wichtiges Gesetz verabschiedet, welches den Prozess vereinfachen soll. Im Zuge laufender Gespräche (eine Expertenmission war im Februar in Kiew) wird sicher auch der Haushalt 2018 im Detail näher analysiert, und auch das Thema „Landmarkt“ wieder angesprochen werden.
Fazit
Die graduelle wirtschaftliche Erholung ist weiter intakt, und wird sich in diesem Jahr noch etwas beschleunigen. Auch wenn die Verluste der Krisenjahre 2014/15 bei weitem noch nicht kompensiert wurden, stimmt zumindest die positive Richtung der Entwicklung, auch wenn die hohe Inflation bedenklich stimmen muss.
Wie wichtig ist in diesem Kontext dann eine Fortsetzung der Kooperation mit dem IWF im Vorwahljahr 2018 bzw. im Doppelwahljahr 2019 (Präsidentschafts- und Parlamentswahlen)? Aus unserer Sicht sehr wichtig, wenn man bedenkt, dass die Ukraine in diesem Zeitraum mehr als 10 Mrd. USD Schuldendienst für staatliche bzw. staatsnahe Verbindlichkeiten aufwenden muss. Die offiziellen Devisenreserven betragen im Vergleich gegenwärtig 18,4 Mrd. USD. Auch wenn seit letztem Jahr wieder die Möglichkeit besteht, auf den internationalen Kapitalmärkten Eurobonds zu begeben, erscheint es fraglich, ob auf diesem Wege der gesamte Betrag zu einem vertretbaren Zins zu refinanzieren ist.
Wir danken der Deutschen Beratergruppe Ukraine für die Bereitstellung des Wirtschaftsausblicks. Die Beratergruppe berät seit 1994 die ukrainische Regierung zu wirtschaftspolitischen Fragen. Sie wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie finanziert und von Berlin Economics durchgeführt.
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