Krisenkommunikation in Zeiten COVID-19: Wie effizient kommunizieren die Behörden?
Das Vertrauen der ukrainischen Bevölkerung in ihre Behörden und politische Führung ist historisch gering. Laut KIIC trauen nur 46 Prozent der Bevölkerung Selenskyj- vor fünf Monaten lag der Wert noch bei 74%. Obwohl es sich bei der Corona-Pandemie um eine umfassende Krise handelt, könnte die Situation auch zu einer Chance für den Aufbau von neuem Vertrauen werden, mit kluger Krisenkommunikation als Eckpfeiler. Von Oksana Iliuk
Die Krisenkommunikation der ukrainischen Behörden (ukrainische Regierung und Präsident) begann die Coronakrise überwiegend mit Schweigen, wodurch Raum für eine giftige Mischung aus Verschwörungstheorien, Klatsch und gezielten Fake-News-Kampagnen von bis dahin nicht identifizierten bösartigen Akteuren war, die Verbindungen zu Russland pflegten. Laut dem Institut für Masseninformation nutzten traditionelle und Online-Medien diese Gelegenheit auch, um Klickzahlen und Seitenaufrufe zu erhöhen. Das führte zum Fall von Nowi Sanschary, der zu trauriger Berühmtheit gelangte, als Einheimische gegen ihre Landsleute, Evakuierte aus der chinesischen Stadt Wuhan, protestierten. Ein Mangel an Informationen, angetrieben von Angst, Panik und Chaos, führte zu Verletzungen, Festnahmen und Schlagzeilen voller Anschuldigungen in den führenden internationalen Medien. Der ukrainische Präsident Selenskyj reagierte mit einer Stellungnahme, beschrieb das Verhalten als „mittelalterlich“ und rief die Bevölkerung auf, Mitgefühl zu zeigen. Dennoch waren die folgenden Maßnahmen und Stellungnahmen eher geeignet, das Feuer noch anzufachen, als es zu löschen.
Schleppender Start der Krisenkommunikation
Nach dem 2. März, als in einer Stadt im Westen des Landes der erste Coronafall bestätigt wurde, nahm die Krisenkommunikation an Dynamik auf. Es folgten tägliche Pressekonferenzen und eine Vielzahl von Stellungnahmen auf unterschiedlichen Kanälen. Es schien, als versuchten die ukrainischen Behörden, den Informationsmangel durch eine Vielzahl von Kanälen zu kompensieren. Am 3. März startete die Regierung die Website www.covid19.com.ua mit Informationen zum Coronavirus. Außerdem ging eine weitere Website für kleine und mittlere Betriebe online. Doch beide weisen einen Mangel an belastbaren Informationen auf und, wichtiger noch, spalten die Aufmerksamkeit der Nutzer. Außerdem sind die meisten Titel Hyperlinks, die auf andere Seiten der jeweiligen Ministerien und zugeordneter Institutionen verweisen. Beispielsweise ist die besagte Corona-Website das offizielle Informationsportal des Ministerkabinetts. Gleichzeitig empfiehlt diese Webseite allerdings auch, den Webseiten des Zentrums für Öffentliche Gesundheit sowie des Nationalen Gesundheitsdienstes der Ukraine zu folgen. All diese Webseiten verfügen über jede Menge hilfreicher Informationen, aber der Weg zu ihnen ist für den durchschnittlichen Nutzer ziemlich kompliziert.
Präsenz auf vielen Kanälen
Für die Verbreitung regelmäßiger Neuigkeiten wurden Kanäle auf Telegram (mehr als 866.000 Abonnenten) und Viber (mehr als 3.600.000 Mitglieder) ins Leben gerufen. Die ‚Coronavirus_info‘-Kanäle auf Viber und Telegram enthalten größtenteils dieselben Informationen: Zahlen und Statistiken zur Ausbreitung des Virus (zweimal täglich) und verschiedene Empfehlungen (mehrmals täglich). Manche Nachrichten auf diesen Kanälen bieten Links, über die man weitere Informationen abrufen kann, die auf die offizielle Facebook-Seite des Gesundheitsministeriums der Ukraine als weitere Plattform führen. Außerdem gibt es den offiziellen Kanal auf Telegram, auf dem Ärzte ihre Empfehlungen geben.
Um auch die Jugendlichen der Ukraine zu erreichen, entschieden die Behörden, Instagram (mehr als 27.000 Follower) und TikTok (mehr als 2000 Follower) zu nutzen. Diese sozialen Medien sind informell, dynamisch und verfügen über eine starke Bildsprache; deshalb sind sie bei den Jugendlichen populär. Die ukrainischen Behörden wussten diesen Umstand zu nutzen und setzten Stars und Influencer für kurze Videoempfehlungen für ihre Krisenkommunikation ein.
Offizielle Webseiten, Kanäle auf Telegram und Viber, Instagram- und TikTok-Profile und die Facebook-Seiten der Ministerien werden durch mehrere Sprecher*innen bespielt. Es gibt Video-Botschaften des Präsidenten, Stellungnahmen des Gesundheitsministeriums und des Zentrums für Öffentliche Gesundheit, tägliche Briefings des Obersten Amtsarztes, Kommentare des Premierministers und verschiedener Minister. Außerdem gab es am 4. und am 30. März Regierungsumbildungen, weswegen die ukrainische Bevölkerung einige neue Gesichter unter jenen fand, die sie über das Coronavirus informierten.
Zu viele Informationen von zu vielen Quellen?
Der Versuch einer Diversifizierung der Informationsquellen der Krisenkommunikation ist erfolgversprechend, insbesondere auf Messenger-Kanälen, aber die Anzahl der Kanäle und Gesichter ist verwirrend. Während die Weltgesundheitsorganisation dazu aufruft, die Anzahl der Quellen zu reduzieren und das Narrativ einfach zu halten, weil diese Pandemie durch eine massive „Infodemie“ begleitet werde, wurden in der Ukraine gegenteilige Maßnahmen ergriffen.
Nicht nur die Menge der Informationen, sondern auch ihr widersprüchlicher Inhalt stiftet Verwirrung. Beispielsweise stellte der Gesundheitsminister die Notwendigkeit fest, den Notstand auszurufen, während der Premierminister dies für unnötig hielt. Ein anderer Fall betrifft die medizinischen Schutzmasken, die nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen und außerdem überteuert sind. Manche Lokalbehörden untersagten es, öffentliche Plätze ohne Maske zu betreten, während das Gesundheitsministerium erklärte, dass die Masken für diejenigen gebraucht werden, die sich um Menschen mit Symptomen kümmern. Unterdessen erklärte der Oberste Amtsarzt der Ukraine, dass die Masken zwar nicht gesunde Menschen schützen könnten, in Quarantäne aber trotzdem notwendig seien, da potenziell jeder Mensch erkranken könne.
Die Kommunikationskampagne in Zeiten der Unsicherheit sollte der Öffentlichkeit immer vollständige Antworten liefern. Die Strategie der ukrainischen Regierung erinnert manchmal eher an ein ausschlagendes Pendel, aber eine effektive Kommunikationskampagne könnte dies ausgleichen. Leider sorgte dies zunächst für zusätzliche Herausforderungen. Beispielsweise kündigte Präsident Selenskyj am 16. März an, dass alle internationalen Linienflüge und Züge aus der und in die Ukraine eingestellt werden. All jene, die Buchungen für den 17., 18. und 19. März vorgenommen hatten, erlitten zusätzlichen Stress, weil sie keine klaren Anweisungen und Erklärungen hatten, außer einer sich wiederholenden Botschaft des Präsidenten: „Ihr müsst in der Lage sein, zurückzukehren.“ Am 26. März informierte Selenskyj die ukrainische Bevölkerung, dass die Grenze am Ende des nächsten Tages geschlossen werden müsse. Und wieder sorgte Informationsmangel für eine Atmosphäre der Panik, die zu Menschenmengen von Ukrainer*innen an den Grenzübergängen zwischen Polen und der Ukraine führte, die zurückkommen wollten.
Mangel an kohärenter Krisenkommunikation
Die wichtigste Farbe der ukrainischen Kommunikationskampagne ist GELB – eine ziemlich überraschende Wahl, da diese Farbe meist mit Glück, Energie und Kreativität in Verbindung gebracht wird. In einem negativen Kontext aber könnte sie für Angst, Frustration oder gar Panik sorgen. Die wichtigste Infografik zu COVID-19 in der Ukraine verbindet Gelb, Grau und Weiß, aber im offiziellen Instagram ist auch dunkelblau vertreten. Gleichzeitig gibt es in Kyjiw die offiziellen Anzeigetafeln und Plakatstrecken, die hauptsächlich in Weiß und Blau gehalten werden, aber nicht so wie auf Instagram. Insofern gibt es weder eine kohärente visuelle Assoziationskette noch einen Slogan oder ein visuelles Symbol, das mit genau dieser Kommunikationskampagne in Verbindung gebracht werden könnte.
Zusammenfassend sei gesagt, dass sich die ukrainische Regierung darauf konzentriert, Menschen zu informieren, während sie vermutlich besser beraten wäre, mit ihnen in einen kommunikativen Austausch zu treten. In der Kommunikation ist das Feedback ein wertvolles Gut, dass bei Verbesserung und Anpassung hilft. Außerdem ist die Hauptaufgabe der Kommunikationskampagne in Zeiten des Coronavirus nicht nur zu informieren, sondern eine Verhaltensänderung der Bevölkerung zu bewirken. Mit anderen Worten: Die Behörden sollten die Ukrainer nicht nur über die Hauptsymptome und die Anzahl der Infizierten informieren, sondern auch dazu beitragen, dass die Bevölkerung eine bestimmte Lebensweise verfolgt, etwa zu Hause zu bleiben. Die ukrainische Regierung hat ihre Kommunikation bereits verbessert, indem sie von Schweigen zu interaktiven Kommunikationsinitiativen übergegangen ist; dennoch bleibt die Frage: Kann die Krise zu einer Chance werden, um das Vertrauen der Ukrainer*innen zurückzugewinnen?
Aus dem Englischen übersetzt von Ingrid Müller.
Verwandte Themen
Newsletter bestellen
Tragen Sie sich in unseren Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden.