Panische Angst vor einer Pandemie – Ukrainer und Gruppenchats
Viele Falschmeldungen um COVID-19 kursieren zur Zeit online. Vor allem weitergeleitete Nachrichten in Gruppenchats machen die Runde. In der Ukraine sind vor allem Nutzer des Chat-Dienstes Viber ungeschützt vor Fake News, Panikmache und Hackern. Die Journalistin Oksana Iliuk hat ein paar dieser Falschmeldungen für uns zusammengetragen.
Die Ukraine steht bei der Nutzung von Viber weltweit an der Spitze, 96 Prozent der Ukrainer haben die App auf ihrem Smartphone installiert.
„Ich schreibe dir auf Viber“ ist in der Ukraine aktuell ein geläufiger Satz. Der Nachrichtendienst erfreut sich bei Privatnutzern, kleinen Unternehmen und sogar Beamten großer Beliebtheit. Trotz vieler offizieller Quellen zum Coronavirus vertrauen einige Ukrainer eher Nachrichten, die auf Viber oder ähnlichen Chatplattformen verbreitet werden. Ein Dorfchat, ein Chat mit Klassenkameraden, mit alten Freunden oder mit Nachbarn.
In diesem Text stellen wir einige Verschwörungstheorien vor, die sich derzeit in den Chats verbreiten und in der Ukraine Panik auslösen und Unruhe stiften.
Zunächst gibt es Bedenken zum Datenschutz bei Viber, wobei es hauptsächlich um die Zwei-Faktor-Authentifizierung, um Backups und Verschlüsselungstechnologien geht. Außerdem befinden sich mehrere Viber-Server in Russland, weshalb russische Sicherheitsdienste auf Benutzerinformationen und Nachrichten zugreifen könnten.
Auch eröffnet Viber die Möglichkeit, Werbung und Spam zu verbreiten. Ist man zum Beispiel in einer Viber-Gruppe mit zehn Personen, kann man leicht auf die Telefonnummern der anderen Nutzer zugreifen. Dann sammelt man die Nummern einer anderen Gruppe und gelangt schließlich an eine lange Mailingliste. Wer bei Viber registriert ist, kann verschiedenen Gruppen mit Tausenden von Mitgliedern hinzugefügt werden.
Die ukrainische Regierung hat einen offiziellen Viber-Kanal namens ‚Coronavirus_info‘ eingerichtet, um die Bürger über den Virus auf dem Laufenden zu halten. Doch am 25. März wurde der Kanal mit seinen über 3.600.000 Abonnenten von Unbekannten gehackt. Die Hacker schalteten eine Option zum Austausch von Nachrichten frei und verbreiteten dadurch eine beträchtliche Menge Spam. Die User wunderten sich darüber, was passiert war, scherzten und schrieben „wir werden alle sterben“. Der Fehler wurde in kurzer Zeit behoben. Der Telegram-Kanal der Regierung und andere offizielle Quellen blieben von Hackern unangetastet.
In der Corona-Krise sind Fälschungen und Verschwörungstheorien weit verbreitet. Das Vertrauen, das die User in die Chat-Nachrichten legen, kann zugleich eine Bedrohung sein. Manche User glauben der Nachricht eines Freundes mehr als der Regierung, die bei vielen als nicht vertrauenswürdig wahrgenommen wird. Es folgt eine Übersicht der beliebtesten Coronavirus-Fakes, die auf Viber verbreitet werden.
Hubschrauber versprühen Desinfektionsmittel
Magische Hubschrauber wurden zu einer Top-Fälschung, die sich über Viber verbreitete. So hieß es, dass „in der Nacht zum 17. März Hubschrauber das Desinfektionsmittel versprühen, also halten Sie Ihre Fenster und Balkontüren geschlossen.“ Außerdem forderte die Botschaft die Menschen auf, nach 23 Uhr nicht mehr auszugehen, und fügte hinzu: „Ich bin mir nicht sicher, ob diese Information zuverlässig ist, aber mal für alle Fälle.“ Diese Fälschung wurde hauptsächlich in Chats von Eltern und Wohnungseigentümern auf Ukrainisch und Russisch verbreitet. Die Sprache des Originalbeitrags ist Russisch, was man daran erkennt, dass in der ukrainischen Version mehrere Fehler enthalten sind. Übersetzt man den russischen Beitrag mit Hilfe von Google-Translate ins Ukrainische, entdeckt man leicht die Übersetzungsfehler des ukrainischen Beitrags.
Obwohl diese Fälschung längst entlarvt wurde, verbreiteten einige Nutzer sie immer weiter. Zum Beispiel schickte eine Beamtin – die stellvertretende Leiterin einer Bildungsabteilung auf Bezirksebene – diese Nachricht an den Viber-Chat ihrer Mitarbeiter. Die Gruppenmitglieder beschwerten sich daraufhin beim Bürgermeister sowie bei den Bezirksbehörden und beim Sicherheitsdienst der Ukraine und erklärten: „Während wir uns bemühen, die Panik einzudämmen, verbreitet die Beamtin in einem Gruppenchat unmoralische Fehlinformationen an ihre Kollegen (Direktoren und Leiter staatlicher Bildungseinrichtungen).“
Whisky und Selbstgebrannter aus der Wasserleitung
Whisky fließt aus dem Wasserhahn – so lautete eine gefälschte Nachricht, die in Gruppenchats in Odesa verbreitet wurde. Diese Botschaft schien zu gut, um wahr zu sein: „Um eine Infektion mit dem Coronavirus zu verhindern, fließt nachts Whisky oder Samogon (selbstgebrannter Schnaps) aus dem Wasserhahn.“ In dieser Botschaft wurde auch erklärt, dass in großen Bezirken „Elite-Whiskey“ ausgegeben werde, während der Selbstgebrannte für kleine Dörfer bestimmt sei.
Tödliche Bananen
Eine der in Viber populären Fälschungen betrifft einen unbekannten Virus namens n7n9. Diese Nachricht informiert: „23 Menschen starben letzte Nacht im Xinhua-Krankenhaus – Frauen und Männer, die mit dem Virus ‚n7n9‘ infiziert waren. Der Älteste war 35 Jahre alt, der Jüngste ein Jahr.“ Der Botschaft zufolge sei der Virus in Bananen enthalten. Der Hauptfernsehsender Chinas hätte angeblich aufgefordert, Bananen vorübergehend zu meiden, insbesondere die aus dem Süden. Dieser Fake wurde hauptsächlich auf Russisch auf Viber und anderen Chatplattformen verbreitet.
Geldstrafen für Verletzung der Quarantäne
Einige Nachrichten behaupteten auf Viber, dass die Regierung bei Verstößen gegen die Quarantäne-Regeln Geldstrafen verhängen würde. Bewohner der Region Wolhynien erhielten eine Nachricht, dass auf der Sitzung des Regionalrats mehrere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verabschiedet worden seien. Beigefügt war ein Dokument mit drakonischen Strafen, das auf Viber und auf Facebook zu heißen Diskussionen führte.
Außerdem kursierten verschiedene Ein-Freund-von-mir-Geschichten: Erzählungen von Leuten, die für verschiedene Aktivitäten angeblich Geldbußen zahlen mussten. So hieß es, dass in Charkiw die Polizei auf Patrouille gehe, um Kinder ausfindig zu machen, die sich draußen aufhalten. „Bei meiner Mutter auf der Arbeit gibt es eine Frau, die 5000 Griwna (etwa 160 Euro) zahlen musste, nur weil ihr Sohn spazieren ging“, hieß es in einer Falschmeldung.
Kostenloser COVID-19-Test-Betrug
Eine weitere Falschnachricht forderte Chat-User auf, sich kostenlos für einen COVID-19-Test anzumelden. „Das Gesundheitsministerium informiert die Bürger über den Coronavirus (COVID-19) !!!!“, begann die Nachricht. Rentner, Veteranen, Menschen mit Behinderungen und benachteiligte Gruppen hätten oberste Priorität bei den Tests und sollten eine bestimmte Telefonnummer anrufen. Betrüger nutzen die Masche, um bei einem Anruf zusätzliche Gebühren zu kassieren oder Zugang zu SIM-Karten und Kreditkartendaten zu bekommen. Diese Nachrichten wurden vor allem in der Südukraine verbreitet.
Ein Wundermittel gegen COVID-19 aus Israel
Teilnehmer mehrerer Viber-Gruppen verbreiteten ein „magisches“ Rezept für eine Heilung von Corona. „Israel hat keine Todesfälle durch COVID-19“, beginnt die Botschaft und beruft sich auf einen angeblichen Impfstoff aus Israel. Dann folgt das simple Rezept: heißes Wasser mit Zitrone und Bikarbonat. Empfohlen wird auch den Verzehr von zahlreichen sauren Lebensmitteln wie Zitronen, Limetten, Avocados, Ananas, Mangos, Löwenzahn, Knoblauch, Mandarinen und orangefarbenen Früchten. Die Erwähnung von Orange als Farbe (auf Ukrainisch und Russisch gibt es unterschiedliche Wörter für Orange als Farbe und als Frucht) weist darauf hin, dass der Text mit Google-Translate übersetzt wurde.
Die Preise für Medikamente schießen in die Höhe
„Mädchen, ich arbeite in der Geschäftsleitung eines Pharmaunternehmens. Ich hatte gerade ein Skype-Treffen mit Topmanagern. Alle Pharmaunternehmen erhöhen die Preise für Medikamente“, sagt eine Fake-Nachricht auf Viber. Die Autorin wiederholt, dass sie geheime Informationen habe, und fordert die Leser auf, sich noch vor der Preiserhöhung mit Medikamenten einzudecken. „Alles, was wir in unseren Lagern haben, wird zu den aktuellen Preisen verkauft werden, also beeilt euch, entzündungshemmende und fiebersenkende Medikamente zu kaufen.“
Während einige Fälschungen auf Viber sehr schnell auffliegen, werden andere verändert und weiterverbreitet. Gruppenchats können eine starke Anziehungskraft ausüben, besonders wenn es einigen Menschen in der Quarantäne oder Isolation an Kommunikation fehlt.
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