Lwiws Bürgermeister Sadowyj zieht es nach Kyjiw
Andrij Sadowyj wurde in der Westukraine als Bürgermeister Lwiws (Lemberg) bekannt. 2019 zieht es ihn nach Kyjiw. Steffen Halling zeichnet das Wirken des ambitionierten Lokalpolitikers mit nationalen Ambitionen nach
Andrij Iwanowytsch Sadowyj wurde 1968 in Lwiw geboren. Nach dem Militärdienst schloss er 1995 ein Ingenieursstudium an der Nationalen Technischen Universität in Lwiw ab. Es folgten ein Studium der Finanzwissenschaften sowie ein weiterer Abschluss an der Akademie für Staatsverwaltung beim Präsidenten der Ukraine in Verwaltungswissenschaften. 2002 gründete er die Fernsehen- und Radiogesellschaft »Lux«, die er später auf den Namen seiner Ehefrau überschreiben ließ. Das Unternehmen betreibt heute zwei Radiosender, das in der Westukraine populäre Online-Medium »zaxid.net« sowie den landesweit ausstrahlenden Nachrichtensender »24 Kanal«. Dieser hat sich zuletzt als Sprachrohr der liberalen, reformorientierten Opposition etabliert. Die politische Karriere von Sadowyj, der Vater von fünf Söhnen ist, begann 1998, als er in den Stadtrat von Lwiw gewählt wurde. Dort leitete er bis 2002 die Kommission für städtische Wirtschaftspolitik.
2004 gründete er die Bürgervereinigung Samopomitsch (Selbsthilfe), die zunächst als eine Art Selbstverwaltungsbewegung fungierte und sich durch ein Netz von Freiwilligen sozialen Problemen in Lwiw annahm. Zwei Jahre später wurde Sadowyj zum Bürgermeister von Lwiw gewählt. Seine Wiederwahl 2010 und 2015 gelang ihm auch deshalb, weil er es schaffte, sich als bürgernaher und integrer Politiker zu profilieren und sich damit von vielen seiner ukrainischen Amtskollegen positiv abgrenzen konnte. Die sichtbare Verbesserung der städtischen Infrastruktur, die Aktivierung der lokalen Wirtschaft wie auch die Entwicklung Lwiws zu einem beliebten Touristenziel werden Sadowyj zugeschrieben. 2012 ließ Sadowyj Samopomitsch als Partei registrieren, nachdem er drei Jahre zuvor aus dem Parteirat von Nascha Ukrajina des damaligen Präsidenten Juschtschenko ausgetreten war.
Nach dem Euromaidan wurde Samopomitsch – laut Sadowyj eine ideologische Partei mit christlich-konservativen Positionen – bei der Parlamentswahl 2014 mit einem Stimmanteil von elf Prozent auf Anhieb drittstärkste Partei des Landes. Es zeigte sich, dass die Partei nicht nur ein regionales, westukrainisches Phänomen darstellt, sondern in fast allen Regionen des Landes beachtliche Ergebnisse erzielen konnte. Dies bestätigten auch die Lokalwahlen 2015. Sadowyj selbst, der sich auf Listenplatz 50 seiner Partei aufstellen ließ, zog nicht ins Parlament ein. Eine Offerte der Regierung, Vize-Premierminister im Kabinett von Arsenij Jazenjuk zu werden, lehnte er ab. Kritiker warfen ihm damals vor, dass er sich davor scheue, Verantwortung für unpopuläre Reformmaßnahmen zu übernehmen.
Anfang 2016 verließ Samopomitsch die Regierungskoalition und löste eine Regierungskrise aus, an deren Ende der Rücktritt Jazenjuks stand. Als Vorsitzender der Partei, die nun die größte Oppositionsfraktion im Parlament stellte, brachte Sadowyj fortan offen sein Misstrauen gegenüber Poroschenko zum Ausdruck. Das Angebot, Jazenjuk als Ministerpräsident zu beerben, soll er abgelehnt haben. Den Austritt aus der Regierungskoalition begründete er damit, dass Samopomitsch der Regierung und dem Präsidenten, die in erster Linie die Interessen von Oligarchen bedienen würden, nicht länger als Feigenblatt dienen wollte. Umfragen zufolge galt Sadowyj zu dieser Zeit als einer der beliebtesten Politiker des Landes und somit auch als Hoffnungsträger der reformorientierten Opposition. Gespräche über die Gründung einer gemeinsamen politischen Kraft mit Micheil Saakaschwili, der Demokratischen Allianz sowie der interfraktionellen Gruppe der sogenannten »Eurooptimisten« scheiterten jedoch.
Zugleich formierte sich gegen die wachsende Popularität Sadowyjs zunehmend Widerstand. Neben dem Vorwurf, dass er eine Marionette des in Lwiw geborenen russischen Milliardärs Michail Fridman sei, wurde ihm vor allem die sogenannte Müllkrise zum Verhängnis. Nachdem auf der größten Müllkippe der Ukraine, die sich unweit des Stadtzentrums von Lwiw befindet, ein Feuer ausgebrochen war, bei dem mehrere Menschen starben, war die Stadt mehr als ein Jahr vergebens auf der Suche nach alternativen Deponien. Die Regierung machte Sadowyj für die Krise verantwortlich. Die Müllkrise hat Sadowyjs Chancen auf einen Wahlerfolg bei der Präsidentschaftswahl minimiert. Laut aktuellen Umfragen würden nur 1–3 Prozent der Bevölkerung den einstigen Hoffnungsträger wählen. Er wird seine Kandidatur daher voraussichtlich vor allem dazu nutzen, um Samopomitsch frühzeitig für die kommende Parlamentswahl zu bewerben.
Update: Anfang März kündigte Sadowyj an, seine Kandidatur zu Gunsten von Hryzenko zurückzuziehen und diesen zu unterstützen.
Der Artikel ist als Teil einer Kooperation mit den Ukraine-Analysen (Nr. 213) entstanden, wo er parallel veröffentlicht wurde.
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