Eskalation der Kirchenfrage angesichts der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine
Seit der Anerkennung der neuen, ukrainischen Landeskirche von Konstantinopel ist die Sorge vor neuen Eskalationen von Seiten des Kremls in der Ukraine groß. Jede noch so kleine Auseinandersetzung könne als Vorwand genutzt werden, die Ukraine zu diskreditieren bzw. die militärische Gewalt gegen die Ukraine zu eskalieren, kommentiert Mykola Worobiow.
Am 15. Dezember erklärte die Ukraine die Unabhängigkeit ihrer lokalen orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat. Zuvor existierten drei orthodoxe Kirchen in der Ukraine, von denen die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK-MP) die mit Abstand größte war. Dies geschah, nachdem die Versammlung zur Vereinigung der Kirche in der Sophienkathedralein Kiew stattfand, in der Vertreter aller drei ukrainischen orthodoxen Kirchen versammelt waren, darunter das Patriarchat von Kiew (UOK-KP), die ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche und die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats (UOK-MP). Unter den Teilnehmern des Treffens waren Präsident Poroschenko und ein Vertreter des Patriarchats Konstantinopel, der Metropolitan Emmanuel. Vom UOK-MP nahmen lediglich zwei der 97 Erzbischöfe, Simeon und Drabynko, statt. Anschließend wurden die beiden Erzbischöfe umgehend von ihren kirchlichen Positionen innhalb der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats entfernt.
Am nächsten Tag warf das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK), Patriarch Kirill, Poroschenko grobe Verstöße gegen die Verfassung der Ukraine und Einschränkungen der religiösen Freiheit vor. Später sandte Kirill Briefe an die Staats- und Regierungschefs der EU, darunter Angela Merkel und Emanuel Macron sowie Papst Francis und UN-Generalsekretär Antonio Guterres. In den Briefen warnte er vor “Verfolgung russisch-orthodoxer Gemeindemitglieder, die von den lokalen Behörden in der Ukraine organisiert wurden“.
Am orthodoxen Heiligenabend des 6. Januar wurde dann ein Unabhängigkeitserlass namens „Tomos“ von einer Residenz des Patriarchats Bartholomäus I. von Konstantinopel in Istanbul nach Kiew überstellt, mit welchem das spirituelle Oberhaupt der Orthodoxen Welt die neue, vereinigte ukrainische Landeskirche anerkannte. Danach wurde das von Bartholomäus unterzeichnete Dokument in der Sophienkathedrale ausgestellt.
Abspaltung der ukrainischen Landeskirche ein Rückschlag für Moskau
Das Moskauer Patriarchat, das die Ukraine seit dem 17. Jahrhundert in einer gemeinsamen Jurisdiktion hält, wollte die vollständige Eigenständigkeit der ukrainischen mit allen Mittel verhindern und bezeichnete diese immer wieder als „Katastrophe für die Orthodoxie“. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 sprach die ROK der Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats (UOK-MP) die Unabhängigkeit aus. Dabei handelt es sich jedoch um eine umfassende Autonomie bei gleichzeitiger Wahrung der engen Beziehungen zur ROK. Bis heute hat die UOK-MP 12.000 Gemeinden mit zwei bis drei Millionen Gläubigen. Dies entspricht einem Drittel aller Kirchen des Moskauer Patriachats. Sollten sich die meisten ukrainischen Gemeinden mittel- oder langrfristig der neuen, von Konstantinopel anerkannten Landeskirche, anschließen, würde das den Status des russischen Patriarchats in der orthodoxen Welt untergraben.
Eine neu geschaffene orthodoxe, ukrainische Landeskirche bleibt für den Kreml nicht nur aus religiöser, sondern auch aus politischer Sicht äußerst schmerzhaft, da die ROK eine sehr wichtige Rolle spielt und ein wirksames Instrument der „Soft Power“ in den Händen des Kremls ist.
Seit der Annexion der Krim und der russischen Invasion in der Ostukraine spielten religiöse Fragen eine wichtige ideologische Rolle unter den pro-russischen Separatisten im Donbas, die ihre militärischen Aktionen zum Teil mit dem Schutz der Bevölkerung begründen. Infolgedessen wurden anders Gläubige, darunter Protestanten und Mitglieder des Patriarchats der UOK von Kiew, entweder aus der Region vertrieben oder von Separatisten gefoltert.
Bisher noch wenige Kirchenübertritte
Nach Erhalt des „Tomos“ über die Autokephalie – vereinfacht gesagt die vollständige geistliche Anerkennung – aus Konstantinopel waren die ukrainischen Behörden zunächst rhetorisch dezidiert um Deeskalation bemüht. Petro Poroschenko äußerte Verständnis auch für diejenigen Gläubigen, die in ihren bestehenden Gemeinden verbleiben möchten. Gleichzeitig riefen er und andere Politiker und Geistliche zur absoluten Gewaltverzicht auf. Gleichzeitig unterzeichnete der Präsident Ende Dezember ein Dekret, das die Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriachats verflichtet, sich in die russisch-orthodoxe Kirche in der Ukraine umzubennnen.
Trotz hoher Erwartungen wechselten bisher nur eine überschaubare Zahl von Gemeinden – ca. 70 vor allem im Westen und in der Zentralukraine- zur neuen Landeskirche. Das kann man zum Teil mit dem Fehlen einer Klaren Regelung, wie einzelne Gemeindemitglieder in die neue Kirche wechseln können, begründen. Zum Teil warten Gläubige und Gemeinden auch noch ab, wie die Lage sich entwickelt.
Der Kreml wird die Situation versuchen auszunutzen
Ohne Zweifel wird der Kreml alles in seiner Macht Stehende tun, um die Situation in der Ukraine mit möglichen religiösen Spannungen zu destabilisieren, insbesondere in den Fällen, in denen es um das Eigentum der UOC-MP in der Ukraine geht. Als am 14. Januar ein Teil des Höhlenklosters Lawra in Kiew brannte, war die Besorgnis groß, dass es sich um eine Provokation handeln könnte bzw. das der Brand instrumentalisiert werden könnte. Die Polizei reagierte schnell und konnte bereits kurz nach dem Vorgang den Brandstifter festnehmen. Nach ersten Angaben handele es sich um ein nicht-religiöses Motiv.
Diese Spannungen könnten sich mit den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in der Ukraine am 31. März noch verschärfen. Der Kreml wird versuchen, auf Millionen seiner Gemeindemitglieder der UOC-MP, insbesondere im östlichen und südlichen Teil der an Russland angrenzenden Regionen der Ukraine, zurückzugreifen. Zu befürchten ist die diskrete Unterstützung einzelner pro-russischer Kandidaten. Wie die politische Einflussnahme aussehen wird, bleibt aber abzusehen.
Putins Umfragewerte Anreiz für neue Außenpolitische Aggression?
Laut den Umfragen des Lewada-Zentrums vom November 2018 haben die Zustimmungszahlen Putins mit 33 Prozent Ablehnung bei den Befragten einen Tiefpunkt seit Januar 2014 erreicht. Anfang 2014 hatte Putin mit der Krim-Annexion seine Umfragewerte umfänglich steigern können. Deswegen liegt die Vermutung nahe, dass neue außenpolitische Abenteuer instrumentalisiert werden könnten, um von innenpolitischen Spannungen wie der Rentenreform oder Steueranhebungen abzulenken.
In dieser Hinsicht kann die „religiöse Karte“ als Vorwand für die weitere militärische Invasion bzw. Eskalation dienen, die als „Schutz der Gemeindemitglieder der ROK“ in der Ukraine erklärt werden könnte. Da die Ukraine heute – anders als 2014 – seine militärischen Fähigkeiten deutlich steigern konnte, bleibt eine größere Invasion aufgrund der hohen Kosten für Russland aber eher unwahrscheinlich
Trotzdem sucht der Kreml nach fünf Jahren seit der Euromaidan Revolution weiterhin nach verschiedenen Wegen, um die westorientierte ukrainische Demokratie zu diskreditieren, einschließlich der freien und fairen Wahlen des Landes. Daher wird der Keml alles in ihrer Macht Stehende tun, um die Situation zu destabilisieren und die Ukraine der westlichen und russischen Bevölkerung als „gescheiterten Staat“ darzustellen.
Schwächung der Russischen Soft Power
Die Kirchenfrage geht weit über die Grenzen des geistlichen hinaus und hat zweifelsohne direkte Auswirkungen auf die Soft Power des Kremls in der Ukraine. Jetzt bleibt abzusehen, wie viele Gemeinden und Gläubige sich kurz- und mittelfristig für die neue ukrainische Landeskirche entscheiden. Gleichzeitig birgt die Unabhängigkeit und Anerkennung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche imenses Konfliktpotential. Jede noch so kleine Eskalation könnte als Vorwand genutzt werden die ohnehin aufgeheizte Stimmung weiter eskalieren zu lassen.
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