Die Bedeutung der Europäischen Integration für die Ukraine
Die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen markieren den Beginn des Prozesses, den man als „Rückkehr der Ukraine nach Europa“ bezeichnen kann. Auch wenn die militärische Aggression Russlands diesen Prozess auslöste, sodass man nun oft über die „geopolitische Erweiterung“ der EU spricht, sollte das vorrangige Ziel die Transformation der Ukraine in ein europäisches Land in Bezug auf demokratische und rechtsstaatliche Standards sein. Ein Beitrag von Dr. Iryna Solonenko für das Cafe Kyiv Magazin.
Verbindung zwischen der Revolution der Würde und dem EU-Beitrittsprozess der Ukraine
Ende Februar 2024 jährt sich zum zehnten Mal das Ende der Massenproteste in der Ukraine, die als Euromaidan oder „Revolution der Würde“ bekannt wurden. Die dreimonatigen Proteste während des kalten Winters und die Flucht von Präsident Janukowitsch nach Russland führten zu einer Umgestaltung der ukrainischen Regierungsinstitutionen, zum Abschluss und zur Umsetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU und zu einem regelrechten Reformen-Durchbruch. Gleichzeitig löste das Ende der Revolution der Würde eine militärische Aggression seitens Russlands aus. Russland annektierte die Krim und begann eine militärische Intervention im Donbass. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland kostete zwischen 2014 und 2022 14.000 Menschen auf ukrainischer Seite das Leben, während Teile der Ukraine unter russischer Besatzung blieben. Während dieses Zeitraums hat Russland sein Hauptziel, die Souveränität der Ukraine zu untergraben und die junge Demokratie in seiner Umlaufbahn zu halten, nicht erreicht. Aufgrund des Widerstands der Ukraine bislang ohne Erfolg. Außerdem reagierte sie mit dem Antrag auf EU-Mitgliedschaft, der den Beginn einer neuen geopolitischen Realität markiert. Mit dem Beitritt der Ukraine zur EU wird sich der historische Kreis schließen, der die Euromaidan-Proteste und die zukünftige EU-Mitgliedschaft der Ukraine miteinander verbindet. Der Krieg für die Unabhängigkeit, den die Ukraine jetzt auf Kosten von Menschenleben und Zerstörung führt, begann an dem Tag, als die Menschen in der Ukraine im November 2013 auf die Straße gingen, um ihre Entscheidung für Europa zu verteidigen. Präsident Janukowitsch weigerte sich, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, und tat dies, wie bald bekannt wurde, im Gegenzug für einen 15-Milliarden-Dollar-Kredit und Gaspreiszugeständnisse von Russland. Nach mehreren Eskalationen durch die Sicherheitskräfte kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. Die Gerichtsverfahren in der Ukraine, die die Verbrechen auf dem Maidan untersuchen, enthüllten Beweise für die Beteiligung russischer Sicherheitsdienste an den Eskalationen während der Proteste und der Ermordung von Demonstranten durch Scharfschützen. Putin hätte diesen Krieg während der Revolution der Würde gewinnen können, wenn das ukrainische Volk nicht so mutig und bereit gewesen wäre, zu kämpfen. Der heutige Krieg ist ein Bestandteil dieses Krieges, der im Herbst 2013 begann.
Künftiger EU-Beitritt als „Ende der Geschichte“ für die Ukraine
Auch wenn die Ukraine traditionell zwischen Russland und Europa balancierte, haben Generationen von Ukrainerinnen und Ukrainern für die europäische Zukunft der Ukraine gekämpft und ihr Leben geopfert. Außerdem gibt es in der Ukraine eine intellektuelle und literarische Tradition, die die Ukraine als unverzichtbaren Teil Europas in historischer und kultureller Hinsicht betrachtet. In diesem Zusammenhang sind die Verleihung des Kandidatenstatus an die Ukraine und die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen wichtige Etappen, die den Beginn des Prozesses markieren, den man als „Rückkehr der Ukraine nach Europa“ bezeichnen kann. Es wird, in Anlehnung an das berühmte Konzept von Francis Fukuyama, das „Ende der Geschichte“ der Ukraine sein: der Abschluss des Prozesses, für den die ukrainische Gesellschaft seit Herbst 2013 gekämpft hat und, in einer breiteren historischen Perspektive betrachtet, Generationen von Ukrainerinnen und Ukrainern seit Jahrhunderten. In gewisser Weise könnte man auch den von Milan Kundera vorgeschlagenen Begriff des „entführten Westens“ auf die Ukraine anwenden (wenn auch mit Vorbehalten). Denn der Beginn des Prozesses in Richtung eines EU-Beitritts der Ukraine kann nicht nur das erfolgreiche Ende der Geschichte markieren, die im Herbst 2013 begann, sondern auch die Wiederherstellung der historischen Zugehörigkeit der Ukraine zu Europa. Heute unterstützen über 80 Prozent der ukrainischen Gesellschaft den EU- und NATO-Beitritt der Ukraine. Dies ist nicht nur eine Entscheidung für Werte wie Demokratie, Achtung der Menschenrechte und verantwortungsvolle (und rechenschaftspflichtige) Staatsführung, sondern auch eine sicherheitsrelevante Notwendigkeit. Eine Ukraine, die Teil der EU und der NATO ist, wird zukünftig wahrscheinlich nicht mehr Ziel einer russischen Militäraggression werden.
Optimale Gestaltung des Erweiterungsprozesses: Was ist zu berücksichtigen?
Auch wenn der EU-Erweiterungsprozess aufgrund der militärischen Aggression Russlands neu belebt wurde und nun oft als „geopolitische Erweiterung“ bezeichnet wird, sollte das Ziel die Veränderung der beitretenden Länder bleiben. Für die EU gibt es angesichts der russischen Militäraggression keine andere Möglichkeit, als sich zu erweitern und zu bekräftigen, dass Länder wie die Ukraine zum Klub gehören. Der Beitrittsprozess sollte jedoch die Umwandlung der Ukraine in ein demokratisches und rechtsstaatliches Land bewirken. Der Großteil des EU-Besitzstandes, den die Ukraine in ihr nationales Recht übernehmen muss, mag diesem Ziel nur teilweise dienlich sein, ist jedoch unerlässlich im Zuge des Beitrittsprozesses zum Binnenmarkt. Die Ukraine wird alle Verhandlungskapitel durchlaufen und alle damit verbundenen Anforderungen erfüllen müssen. Den Prozess leiten sollte jedoch die Transformation der Ukraine in ein europäisches Land in Bezug auf demokratische und rechtsstaatliche Standards.
Zwei Elemente scheinen in dieser Hinsicht wichtig zu sein:
Erstens sollte es keine Abkürzungen und überzogene Erwartungen geben. Der Prozess muss weiterhin leistungsorientiert sein, und die EU sollte in allen Phasen und unter Verwendung aller möglichen Benchmarks (z. B. Öffnung und Schließung der jeweiligen Kapitel) eine sehr spezifische Konditionalität anwenden.
Zweitens sollte die EU der Stärkung der Verwaltungskapazität der Ukraine zur Übernahme und Umsetzung der EU-Anforderungen mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Humanressourcen im Verwaltungsapparat in Kyiv sind knapp und unterfinanziert. Die EU sollte die Einrichtung von Einheiten unter Einbeziehung von ukrainischen Expertinnen und Experten aus dem privaten Sektor und der Zivilgesellschaft sowie internationalen Expertinnen und Experten unterstützen und direkt finanzieren. Eine Überwachung der gesamten Verwaltungsreform vonseiten der EU wäre ebenfalls sinnvoll.
Geht man davon aus, dass der Beitrittsprozess langwierig sein wird, ist es darüber hinaus notwendig, die Beitrittsverhandlungen mit einem echten Integrationsprozess zu begleiten, bei dem die ukrainische Gesellschaft und die verschiedenen Interessengruppen die Vorteile lange vor dem vollständigen Beitritt erkennen. Es wäre hilfreich, Bereiche des Binnenmarktes zu ermitteln, in die sich die Ukraine kurz- und mittelfristig integrieren kann. Diese Bereiche sollten auch mit den Prioritäten des Wiederaufbaus übereinstimmen. Auf diese Weise kann die Ukraine noch vor ihrem EU-Beitritt in weite Teile des Binnenmarktes schrittweise integriert werden.
Der Beitrag erschien zuerst im Cafe Kyiv Magazin.
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