Wie eine ehemalige Kindergärtnerin die ukrainische Rapszene aufmischt
Vor einem Jahr war Aljona Sawranenko noch Kindergärtnerin in der Provinz. Inzwischen ist die 28-jährige Rapperin die Musik-Sensation der Ukraine. Ein Treffen in Kyjiw.
Eigentlich war es ein ganz gewöhnlicher Mittwochmorgen im Oktober. Doch bevor Aljona Sawranenko ihren Rechner herunterfuhr, ihre Tasche packte und zur Arbeit ging, lud sie noch ihr neues Musikvideo im Netz hoch. Tagsüber, beim Dienst im Kindergarten des Nachbardorfes, war der Empfang ohnehin immer so schlecht, dass es sich gar nicht lohnte, ihre Nachrichten auf dem Handy zu checken. Als sie sich dann aber am Abend wieder vor den Bildschirm setzte, staunte sie nicht schlecht, wie die Zahlen auf Youtube nach oben schnellten: zuerst 70.000, 100.000 und dann 130.000 Klicks. „Am nächsten Tag stand plötzlich ein Fernsehteam vor dem Kindergarten“, erinnert sie sich heute, und lacht: „Das war für mich erst mal ein Schock.“
Nicht mal ein Jahr später rappt sie hauptberuflich vor ausverkauften Hallen in der Ukraine
Die Rapperin alyona alyona ist die ukrainische Musik-Sensation dieses Jahres. Vor einem Jahr arbeitete sie noch als Erzieherin in einem 500-Seelen-Dorf, eine gute Autostunde von Kiew entfernt, heute rappt sie in der Ukraine vor ausverkauften Hallen. So wie heute, an einem heißen Juniabend im „Grünen Theater“, einer Freiluftlocation, eine Metrostation vom berühmten Kyjiwer Unabhängigkeitsplatz, dem Maidan, entfernt. Alyona alyona, ihre dunklen Haare zu einem hohen Haarknoten gebunden, Adidas-Shirt und bodenlanger, schwarzer Boxermantel mit grell-gelben Aufschlägen, schleudert die Lyrics in den schwülen Kyjiwer Abendhimmel: „Ich bin eine puschka, pyschka, puschka!“. Eine Bombe. Eine Wucht. Ein Gustostück. Hinter ihr wummert der Beat aus den Boxen, vor ihr wogt die Menschenmenge im Takt auf und ab, begeistert, selig und schwitzend. „Ukraine’s most unlikely rap star“, so nannte sie die Zeitschrift Vogue zuletzt in einer Geschichte. Die New York Times zählte alyona alyona zuletzt zu den „15 europäischen Pop-Acts, die Sie kennen sollten.“
Der Erfolg kam auch für die 28-jährige Kindergartenpädagogin Sawranenko überraschend. Am Morgen nach dem Konzert sitzt sie im Garten eines hippen Kyjiwer Innenstadtlokals, pinke Bauchtasche und knallblaue Fingernägel, und zieht Limonade aus einem Strohhalm. Es ist neun Uhr früh, ihr Terminkalender ist voll. Proben, Interviews, Termine. Sie lacht gerne und viel und bietet sofort das Du an. Es fällt schwer, sie nicht sofort zu mögen. „Hey, da klebt was auf deinem Hintern“, ruft sie einem jungen Anzugträger nach, der zuvor schüchtern um ein Selfie gefragt und sich dann ehrfürchtig neben sie auf die Holzbank gesetzt hat, auf der sich abgefallene Blätter von den Bäumen ringsum gesammelt haben. Immer wieder halten Passanten an, um nach einem Foto oder einem Autogramm zu fragen. „Dawaj“, na klar, sagt Sawranenko jedes Mal mit einer Geste, als wäre das ohnehin zur freien Entnahme.
Mit ihren Auftritten trifft sie den Nerv der Zeit einer Generation, die das enge Korsett der post-sowjetischen Gesellschaftstradition abstreifen möchte
Mit dem Musikvideo „Rybky“ (zu deutsch: Fischchen), der an jenem denkwürdigen Herbstmorgen vor einem Jahr viral ging und der inzwischen auf Youtube fast zwei Millionen Mal geklickt wurde, traf Sawranenko einen Nerv der Zeit. Die Plus-Size-Rapperin im Badeanzug, wie sie auf dem Jet-Ski über das Wasser flitzt, auf gängige Schönheitsideale pfeift und auf Ukrainisch von den „Fischchen unter dem Schutzglas“ rappt – eine Anspielung auf junge Frauen, die nicht in das strenge gesellschaftliche Korsett der ukrainischen Gesellschaft passen wollen. Bald hängte Sawranenko ihren Job an den Nagel, um sich nur noch der Musik zu widmen. „Erzieherin und Rapperin – das passte irgendwie nicht mehr zusammen“, sagt sie heute. Die schiefen Blicke der Eltern und der Kollegen in der Provinz. Ihr erstes Konzert spielte sie im Dezember, Anfang dieses Jahres nahm sie dann ihr Album „Puschka“ auf. Inzwischen ist sie kein Geheimtipp mehr, sondern der Youtube-Star der Ukraine. Ihre Musikvideos werden millionenfach geklickt.
Kyjiw hat sich durch seine lebendige Musik- und Techno-Szene schon den Ruf eines „zweiten Berlins“ erworben. Aber Hip-Hop ist hier vor allem eines: männlich geprägt. Besonders im Netz, das ihren kometenhaften Aufstieg erst ermöglicht hat, wurde Sawranenko stark angefeindet. „Eine Frau sollte besser Borschtsch kochen, statt rappen“, war da noch einer der freundlicheren Kommentare. „Spring wieder zurück ins Wasser, von wo du hergekommen bist, du Nilpferd“, ein anderer. Darauf angesprochen, lacht sie nur. „Man kann es nun mal nicht allen recht machen. Ich denke, dass es den Leuten ja gerade gefällt, dass ich mich nicht dafür schäme, so zu sein, wie ich bin“, sagt sie. Nachsatz: „Außerdem wollte ich beweisen, dass auch Mädchen verdammt gut rappen können.“
Es sind Sätze wie diese, die sie weit über die ukrainische Rapszene hinaus beliebt gemacht haben. „Ihr Mut und ihr Humor imponieren mir“, sagt Julia, eine 29-jährige Juristin, die zum Konzert in Kyjiw gekommen ist, obwohl sie eigentlich gar kein Hip-Hop-Fan ist. „Es ist einfach cool, sein eigenes Ding zu machen und sich selbst anzunehmen, wie man ist.“
Trotz der politischen Bedeutung ihrer Text möchte sich die junge Rapperin politisch nicht vereinnahmen lassen
Schon als Kind hat Sawranenko den Rap für sich entdeckt. Zuerst mit Coolios „Gangsta’s Paradise“, das sie als Fünfjährige im Fernsehen sah und dann später mit dem Eminem-Album „The Eminem Show“, das ihr Vater von einer Reise mitbrachte. Als Schülerin, die selbst düstere Gedichte schrieb, jobbte sie an einer Supermarktkasse und verkaufte Make-Up auf einem Markt, um sich Konzerttickets leisten zu können. Ihre Texte heute haben aber so gar nichts mit den düsteren Visionen der US-Vorstädte zu tun. Bei alyona alyona geht es um Toleranz, Reizüberflutung in den sozialen Medien oder die Sehnsucht nach der Heimat. Wie in ihrem Hit „Salyschaju swij dim“, „Ich verlasse mein Zuhause“, über das Wegziehen aus der Provinz und das Verwurzeltsein in der Familie (3,5 Millionen Klicks auf Youtube). Als sie den Song bei ihrem Konzert in Kyjiw anstimmt, singen tausende Fans aus vollen Kehlen mit. Bodenständig, fast bieder wirken ihren Texte. Sie machen kein großes Gewese um Sex, Drogen und Geld, die in ihren Clips nur noch als ironische Zitate vorkommen. „Wenn die Leute Erfolg haben, vergessen sie schnell, woher sie kommen“, sagt sie. „Heute fühlen sie sich wie Gott, aber gestern haben sie noch Kühe gemolken.“
Heimat – das ist in der Ukraine sowieso so eine Sache. Umso mehr nach den Maidan-Protesten vor mehr als fünf Jahren. Sawranenko schmierte damals im Kindergarten Brote für die Demonstranten und sammelte Essen, zur Versorgung der Protestierenden im 70 Kilometer entfernten Kyjiw. Dass sie als erste Frau auf Ukrainisch rappt, trifft den Nerv der Maidan-Generation, die sich endlich aus dem post-sowjetischen Erbe und von Moskau lösen will. „Seit der Revolution der Würde schätzen die Ukrainer ihr Land, ihre Kultur und ihre Sprache viel mehr als früher“, sagt sie. Sawranenko wurde 1991 geboren – in dem Jahr, als die Ukraine unabhängig wurde. Russischer Rap ist heute zwar immer noch populär in der Ukraine, aber Sawranenko zieht es nach Westen, nicht nach Osten. Ihre Konzerttour führt sie im Sommer etwa zum Sziget Festival in Budapest und nach Deutschland, Österreich, Frankreich und Island. Am 23. August trat sie beim Berliner Pop-Kultur-Festival auf. In Russland spielt sie keine Konzerte.
Sich politisch vereinnahmen lassen, das will sie hingegen nicht. Als sie der Ex-Präsident Petro Poroschenko zu einer Veranstaltung einlud – unter dem Vorwand, soziale Projekte zu fördern, und sich herausstellte, dass es eigentlich sein Wahlkampfauftakt für die Präsidentschaftswahlen war, habe Sawranenko umgehend den Saal verlassen. Politisch äußern will sie sich nicht. Nur so viel: „Wenn du unzufrieden bist, heul nicht tatenlos herum“, sagt sie. „Sondern stell’ selbst etwas auf die Beine.“
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