Krim: sechs Jahre nach der Annexion

Im Februar und März jährt sich die mili­tä­ri­sche Beset­zung und Anne­xion der Krim seitens Russ­land zum sechs­ten Mal. In ihrer Kolumne erläu­tert Olek­san­dra Bienert die gegen­wär­tige Men­schen­rechts­lage auf der Krim und geht der Frage nach, was man tun kann.

Vor zwei Tagen habe ich von der Krim geträumt. Es war Sommer, und ich war zusam­men mit Ver­wand­ten auf einem Berg. Die Sonne schien milde, unten lag ruhig das Schwarze Meer, die Was­ser­ober­flä­che glit­zerte, um uns herum standen Zypres­sen. Und wir spra­chen viel mit­ein­an­der. Meine Ver­wand­ten leben seit jeher in Russ­land und spre­chen Rus­sisch, aber in meinem Traum spra­chen wir alle Ukrainisch.

Mich lässt die Anne­xion der Krim auch im Schlaf nicht los. Laut Umfra­gen von 2016 und 2018, die in allen Gebie­ten der Ukraine, außer der okku­pier­ten Krim sowie der Donets­ker und Luhans­ker Region, durch­ge­führt wurden, geht ist der Mehr­heit der Ukrai­ne­rIn­nen genauso: Min­des­tens 69% denken, dass die Krim ein inte­gra­ler Bestand­teil der Ukraine ist.

Ich habe immer noch die Bilder meiner letzten Reise auf die Krim im Kopf. Damals beglei­tete ich eine gute Freun­din aus Sim­fe­ro­pol in ihre Hei­mat­stadt und machte einen Abste­cher nach Sewas­to­pol. Es war Dezem­ber 2013. Im Winter ist das Schwarze Meer beson­ders schön. Kaum zwei Monate später am 27. Februar besetz­ten rus­si­sche Sol­da­ten ohne Mili­tär­ab­zei­chen meine Krim. Am 3. März ver­schwand der Krim­ta­tare Reshat Ametov, eines der ersten zivilen Opfer der Okku­pa­tion und Anne­xion. Sein Körper wurde mit zahl­rei­chen Fol­ter­spu­ren am 15. März 2014 – am Vortag des so genann­ten ‚Refe­ren­dums‘ – ca. 70 Kilo­me­ter von Sim­fe­ro­pol ent­fernt gefunden.

Men­schen­rechts­lage auf der Krim seit der Anne­xion 2014

Die rus­si­schen und ukrai­ni­schen Men­schen­recht­le­rIn­nen zeich­nen in ihren Berich­ten über die Lage auf der Krim seit der Anne­xion eine Bilanz des Schre­ckens: Men­schen werden ver­schleppt, zwangs­weise in die rus­si­sche Armee ein­ge­zo­gen oder einer psych­ia­tri­schen Behand­lung unter­zo­gen, es finden sys­te­ma­ti­sche Haus­durch­su­chun­gen statt, vor allem bei Krim­ta­ta­rIn­nen. Zwi­schen den Strän­den und Fes­tun­gen von Yev­pa­to­riya, Yalta und Sudak werden Men­schen für das Zeigen einer ukrai­ni­schen Fahne oder für eine ‚falsche‘ Äuße­rung heut­zu­tage gefol­tert, getötet, inhaftiert.

Die NGO „Crimea SOS“ berich­tet, dass zwi­schen 2014 und 2018 auf der Krim min­des­tens sechs Men­schen ermor­det wurden und 41 Men­schen ver­schwun­den sind. Min­des­tens 88 Men­schen sind aus poli­ti­schen oder reli­giö­sen Gründen bis heute auf der Krim oder in Russ­land inhaf­tiert. Die UN spricht zudem in ihrem Bericht von über 186 Haus­durch­su­chun­gen, die 2017–2019 statt­fan­den. Laut der „Crimean Human Rights Group“ wurden außer­dem bis zum Ende 2019 ins­ge­samt 21.334 Men­schen in die rus­si­sche Armee zwangs­ein­ge­zo­gen, was gegen die Inter­na­tio­nale Kon­ven­tion über den Schutz der Zivil­be­völ­ke­rung während des Krieges ver­stößt. Zahl­rei­che ukrai­ni­sche Radio­sen­der sowie 18 ukrai­ni­sche Nach­rich­ten­por­tale werden im Norden der Krim blo­ckiert, so dass die Bevöl­ke­rung auf der Krim von dem Infor­ma­ti­ons­raum der Ukraine abge­schnit­ten ist.

Min­des­tens 50.000 Men­schen mussten seit 2014 die Krim seit der Anne­xion ver­las­sen. Ande­rer­seits wird ehe­ma­li­gen Bewoh­ne­rIn­nen der Krim teil­weise das Betre­ten der Halb­in­sel ver­wehrt. So durfte der ukrai­ni­sche Staats­bür­ger Andriy Slyvka nicht zur Beer­di­gung seines Vaters anrei­sen. Die rus­si­sche FSB hat ihm zusätz­lich eine Ein­rei­se­sperre für 35 Jahre erteilt. Gleich­zei­tig sind nach offi­zi­el­len Angaben und mit aktiver Unter­stüt­zung Russ­lands min­des­tens 160.000 Men­schen auf die Krim umge­zo­gen. Dagegen nennen poli­ti­sche und Men­schen­rechts­kreise aus der Ukraine eine viel höhere Zahl. Seit 2014 seien demnach ins­ge­samt 500.000 Men­schen aus Russ­land auf die Krim gekom­men. Bei einer Gesamt­be­völ­ke­rung der Krim von 1.900.000 Men­schen (Stand 2013) ist das eine sehr große Zahl.

Was tun?

Die Situa­tion auf der Krim seit der Anne­xion ist zwar Exper­tIn­nen bekannt, aber die Gescheh­nisse auf der Halb­in­sel sind aus dem Fokus der Öffent­lich­keit in Deutsch­land fast voll­stän­dig ver­schwun­den. Trotz der von der EU ver­häng­ten Sank­tio­nen, die jeg­li­che Geschäfts­be­zie­hun­gen auf der Krim unter­sa­gen, unter­hal­ten immer noch ein­zelne große deut­sche Firmen – wie zum Bei­spiel „Metro AG“ – ihre Sitze auf der Krim. Und sogar der deut­sche Wirt­schafts­mi­nis­ter Peter Alt­maier bekun­dete neulich die Bereit­schaft Deutsch­lands, „die Wirt­schafts­be­zie­hun­gen mit Russ­land wei­ter­hin auszubauen“.

Die EU, als Wer­te­ge­mein­schaft, unter anderem auch Deutsch­land, sollte aber keinen Mil­li­me­ter weichen und auf Kosten der Sou­ve­rä­ni­tät und ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät der Ukraine Geschäfte machen. Die Okku­pa­tion und Anne­xion der Krim muss auf der tages­po­li­ti­schen Ordnung bleiben. Gleich­zei­tig müssen wir unsere unein­ge­schränkte Soli­da­ri­tät mit den Ver­folg­ten auf der Krim zeigen, die Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen auf der Krim anpran­gern sowie wei­ter­hin gemein­sam Druck auf die rus­si­sche Regie­rung ausüben. In welchem Europa wollen wir leben? Wir müssen mutig genug sein, Men­schen­rechte über finan­zi­elle Inter­es­sen zu stellen.

Hinweis: Im März kann man die Situa­tion auf der Krim in einem Doku­men­tar­film „My granny from Mars“ (2018) sehen, welcher im Rahmen des Ukrai­ni­schen Kino­klubs Berlin (https://ukkb.wordpress.com/) aus­ge­strahlt wird.

Portrait von Oleksandra Bienert

Olek­san­dra Bienert ist eine in der Ukraine gebo­rene und in Berlin lebende For­sche­rin und Aktivistin.

 

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