Beschlagnahmung russischer Vermögen: Der Teufel steckt im Detail
Wie können die von westlichen Staaten eingefrorenen russischen Vermögen beschlagnahmt und für den Wiederaufbau der Ukraine verwendet werden? Die Journalistin Anna Romandash sprach darüber mit dem ukrainischen Juristen Timur Bondarjew, der eine internationale Umsetzungsstrategie fordert.
„Die zivilisierte Welt hat endlich einen Konsens darüber erreicht, dass Russland zur Rechenschaft gezogen werden und für den Krieg bezahlen muss“, sagt Timur Bondarjew, Gründer und Gesellschafter von Arzinger, einer der führenden Anwaltskanzleien der Ukraine, „das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass es dabei viele Hindernisse geben wird.“
Bondarjew hat sich eingehend mit einer möglichen Entschädigung der Ukraine durch Russland beschäftigt. Er ist vorsichtig optimistisch: „Die Länder suchen sehr aktiv nach Entschädigungsmechanismen“, so der Anwalt, „sie arbeiten bereits an nationalen Gesetzgebungen. Es gibt erste Möglichkeiten, eingefrorene Vermögen zu beschlagnahmen, nicht nur jene, die dem russischen Staat, sondern auch jene, die staatsnahen Oligarchen gehören.“
Die eingefrorenen russischen Vermögen, auf die sich Bondarjew bezieht, stehen unter westlichen Sanktionen, seit Russland am 24. Februar seine umfassende Invasion in der Ukraine begann. Derzeit sind unter anderem in den USA, der EU, dem Vereinigten Königreich und Kanada Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Höhe von etwa 300 Milliarden US-Dollar eingefroren, wobei der Betrag noch deutlich höher liegen dürfte, da es dauert, bis alle Vermögenswerte und Mittel sanktionierter Stellen identifiziert sind. Hinzu kommen die Vermögen staatsnaher russischer Oligarchen. In der EU und den USA gibt es Einsatzgruppen, die nach verborgenen russischen Vermögen suchen, die eingefroren werden sollen. Viele Oligarchen haben ihr Vermögen kurz vor Inkrafttreten der Sanktionen verlagert oder die Eigentümerschaft verborgen, was die Angelegenheit erschwert.
Das ukrainische Verteidigungsministerium schätzt, dass das Land rund 600 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau benötigen wird. Dieser Betrag wird sich mit der Fortsetzung der Kriegshandlungen wahrscheinlich noch erhöhen. Die ukrainische Wirtschaft wird infolge der russischen Invasion im Jahr 2022 voraussichtlich um 50 Prozent schrumpfen. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden vertrieben, 40 Prozent der kritischen Infrastruktur des Landes beschädigt oder zerstört.
Rechtliche Lage und praktische Schwierigkeiten
„Unser Fall ist einzigartig, weil Russland der Aggressor ist und viele Länder das anerkannt haben“, sagt Bondarjew, „deshalb schließen wir nicht aus, dass trotz des völkerrechtlich garantierten Schutzes von Staatseigentum Ausnahmen für Russland und seine Vermögenswerte gelten werden. Das internationale Recht bietet uns keinen einfachen Weg für die Beschlagnahmung russischer Vermögen. Es gibt noch kein Instrument, das es erlauben würde, der Ukraine diese Vermögenswerte zu übertragen oder Objekte zu verkaufen, um das Geld der Ukraine zukommen zu lassen.“
Für den Juristen liegen die Schwierigkeiten nicht nur in der fehlenden Gesetzgebung, sondern auch in der praktischen Umsetzung. „Es tauchen Zweifel auf, wenn man über die Durchführung von Beschlagnahmungen spricht, denn man kann nicht jemandem sein Eigentum wegnehmen, ohne seine Schuld zu beweisen und ihm das Recht einzuräumen, Berufung einzulegen“, erklärt Bondarjew, „es klingt zwar richtig, russisches Geld für die Ukraine zu verwenden, aber das derzeitige Rechtssystem funktioniert nicht so.“
Die Beschlagnahmung staatlicher Vermögen könnte durch nationale Gesetzgebungen erleichtert werden. Bei den Geldern der Oligarchen könnte es jedoch schwieriger werden, da man nachweisen müsste, dass ihr Vermögen in direktem Zusammenhang mit der Invasion steht und zu dem vom Kreml geführten Krieg beiträgt. Davon abgesehen ist es wahrscheinlich, dass die Oligarchen klagen werden, sollte ihr Vermögen beschlagnahmt werden, sodass die Länder sich gegen mögliche Gerichtsverfahren absichern müssten. Darüber hinaus ist das Abrufen von Oligarchengeldern aufgrund von Offshore-Konten und Miteigentümerschaften eine Herausforderung. Ein Ausweg könnte darin bestehen, von den sanktionierten Personen die Offenlegung ihres Eigentums zu verlangen und es andernfalls als Verstoß gegen die Sanktionen zu werten.
„Jeder Besitzer von Vermögen hat das Recht, Einspruch zu erheben, wenn ihm sein Vermögen entzogen wird“, sagt Bondarjew, „die Zeit wird zeigen, ob die sanktionierte Partei – oder die sanktionierende Partei – beweisen kann, dass die Beschlagnahmung rechtmäßig war oder nicht.“
Erste Gesetze zur Beschlagnahmung eingefrorener Vermögen
Kanada hat als erstes Land ein Gesetz verabschiedet, das die Beschlagnahmung eingefrorener russischer Vermögen ermöglicht. Gemäß diesem neuen Gesetz können die Behörden alle Vermögenswerte beschlagnahmen, die unter Sanktionen stehen. Das gilt für sämtliche Vermögenswerte, die im Zusammenhang mit internationalen Konflikten eingefroren wurden, wobei der Schwerpunkt derzeit auf dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine sowie der Unterstützung der ukrainischen Opfer liegt.
Obwohl das Gesetz bereits im Sommer verabschiedet wurde, ist es bisher noch nicht zu Beschlagnahmungen gekommen. „Ich kann mir vorstellen, dass Kanada mit Gerichtsverfahren rechnen muss, wenn es mit der Beschlagnahmung russischer Vermögen beginnt“, so Bondarjew, „ich kann nicht ausschließen, dass einige Personen, deren Vermögen beschlagnahmt wurde, beweisen können, dass ihr Eigentum nicht mit der russischen Invasion in Verbindung steht.“
Der Anwalt äußert die Überzeugung, dass die westlichen Staaten eine Möglichkeit der Zusammenarbeit finden und einen internationalen Beschlagnahmungsmechanismus schaffen werden, anstatt einzeln zu arbeiten: „Es wäre sinnvoll, ein gemeinsames System aufzubauen. Das internationale Recht ist relativ einheitlich, und auch die nationalen Rechtssysteme sind inzwischen sehr harmonisiert. Auf dieser Grundlage werden wir einen Vorschlag sehen, wie Russland zur Rechenschaft gezogen werden und sein eingefrorenes Staatsvermögen sowie die Vermögen der Oligarchen beschlagnahmt werden können. Jedes Land wird einen auf seine nationale Gesetzgebung zugeschnittenen Mechanismus haben, aber die Staaten werden dabei zusammenarbeiten.“ Das hieße, dass es bei der Frage nach einer Beschlagnahmung russischer Vermögen nicht darum geht, ob diese möglich ist, sondern vielmehr, wann und wie.
„Wir brauchen einen praktischen Mechanismus“
Laut Bondarjew ist es wichtig, eine effektive Umsetzungsstrategie zu entwickeln. „Das größte Problem ist, dass wir, selbst wenn sich alle Länder zusammentun und damit beginnen, sanktionierte Vermögenswerte zu beschlagnahmen und sie zu verkaufen, um der Ukraine das Geld zukommen zu lassen, keinen Mechanismus haben, um dieses Geld zu verwalten“, so der Jurist. Zum Beispiel gebe es ca. 13 Milliarden US-Dollar an sanktionierten Oligarchenvermögen in verschiedenen europäischen Ländern. „Nehmen wir an, dass diese Vermögenswerte verkauft werden und das Geld an die Ukraine fließt. Nun wissen wir nicht, wie wir dieses Geld auf möglichst transparente und faire Weise an die Ukraine weitergeben können. Es existiert eine Politisierung dieses Themas, weil jeder das Geld für Häuser und Infrastruktur verwenden möchte. Aber wir wissen auch, dass es viele Unternehmen gibt, die zerstört wurden und viel Geld verloren haben, und niemand spricht über deren Wiederherstellung.“
Bondarjew zufolge müssten die Ukraine und die Weltgemeinschaft ein Instrument schaffen, das sämtliche Schäden berücksichtigt. Dieser internationale Mechanismus solle nicht nur die Verluste von Einzelpersonen, sondern auch jene von Unternehmen bewerten, die die ukrainische Wirtschaft wiederaufbauen, Menschen beschäftigen und Steuern zahlen. „Wir brauchen eine Art Koalition der Ukraine und der Länder, die sie unterstützen,“ so der Experte, „die Verbündeten könnten eine Kommission einrichten, die die entsprechenden Mittel und Verfahren verwaltet. Formal müssen diese Länder erklären, dass die Gelder nicht mehr Russland, dem Aggressor, gehören, und die Verantwortung dafür übernehmen, die Gelder umzuleiten. Das würde bedeuten, dass im Falle eines Rechtsstreits oder einer Berufung das Land, das die Vermögenswerte beschlagnahmt hat, die Verantwortung für sein Handeln trägt – und nicht die Ukraine. Deshalb müssen sich die sanktionierenden Länder es gut überlegen, bevor sie einen solchen Mechanismus einführen, denn sie müssten sich vor vielen potenziellen Gerichtsverfahren seitens russischer Oligarchen und des russischen Staates schützen. Alles muss mit großer Präzision erfolgen.“
Ein internationaler Mechanismus kann die Transparenz erhöhen und mehr Vertrauen zwischen der Ukraine und ihren Verbündeten schaffen. Laut Bondarjew ist wichtig, dass die Gelder nicht für politische Kampagnen oder populistische Forderungen verwendet werden. Jede Politisierung des Themas müsse vermieden werden: „Wir brauchen eine internationale Kommission, die überwacht, wie das Geld umgeleitet und später verwendet wird.“ Das gelte auch für die Mittel, die die westlichen Staaten der Ukraine aus ihren eigenen Haushalten zukommen lassen. „Die Umsetzung ist nicht so einfach, wie es scheinen mag,“ schließt der Experte, „und wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Opfer der militärischen Aggression am besten unterstützen können.“
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