Der sowje­ti­sche Ein­marsch in Afgha­ni­stan nach 40 Jahren: Kon­se­quen­zen für die Ukraine

Vor 40 Jahren mar­schierte die sowje­ti­sche Armee in Afgha­ni­stan ein und es lohnt sich, über das Erbe nach­zu­den­ken, ana­ly­siert unser Autor Jan-Claas Beh­rends. In diesem Artikel zeigt er, welche Kon­se­quen­zen der Ein­marsch in Afgha­ni­stan und der ver­hee­rende Krieg auch für die Geschichte der Ukraine seit dem Ende der Sowjet­union hatte.

Im Dezem­ber jährt sich zum vier­zigs­ten Mal die Ent­schei­dung zum sowje­ti­schen Ein­marsch in Afgha­ni­stan. Bereits zeit­ge­nös­sisch mar­kierte diese gewalt­same Inter­ven­tion Moskaus eine Zäsur: sie been­dete die Ära der Détente und leitete eine neue Phase der Kon­fron­ta­tion im Kalten Krieg ein. Ein Jahr­zehnt lang dau­er­ten die sowje­ti­sche Besat­zung und der Par­ti­sa­nen­krieg am Hin­du­kusch. Afgha­ni­stan wurde ver­wüs­tet, Zehn­tau­sende Sol­da­ten und Zivi­lis­ten wurden getötet, Mil­lio­nen Men­schen aus ihrer Heimat ver­trie­ben. Auch vierzig Jahre und einen wei­te­ren Krieg später ist es nicht gelun­gen, in Afgha­ni­stan eine funk­tio­nie­rende Ordnung wiederaufzubauen.

Portrait von Jan Claas Behrends

Jan Claas Beh­rends ist Pro­fes­sor an der Europa-Uni­ver­si­tät Via­drina und His­to­ri­ker am Zentrum für Zeit­his­to­ri­sche For­schung in Potsdam.

Ein­marsch in Afghanistan

Für die Sowjet­union hatte der Ein­marsch eben­falls weit­rei­chende Kon­se­quen­zen. Der erfolg­lose Einsatz gegen die afgha­ni­schen Auf­stän­di­schen unter­mi­nierte den Mythos von der unbe­sieg­ba­ren sowje­ti­schen Armee. Trotz bru­ta­len Vor­ge­hens schaffte sie es nicht, das gesamte Land unter ihre Kon­trolle zu bringen. Hohe Ver­luste und die Demo­ra­li­sie­rung der eigenen Truppen waren die Kon­se­quen­zen der Inva­sion. In der Heimat wurden dieses Dilemma ver­bor­gen: Über Ver­luste wurde nicht berich­tet, Ange­hö­rige durften ihre Gefal­le­nen nicht bestat­ten und die streng zen­sier­ten Medien ver­schwie­gen die Rea­li­tä­ten des Krieges. Nur durch Gerüchte ver­brei­tete sich in der Sowjet­union ein wirk­lich­keits­treues Bild des Einsatzes.

Neben der Reak­tor­ka­ta­stro­phe von Tscher­no­byl, dem wirt­schaft­li­chen Zusam­men­bruch und den Ent­hül­lun­gen über Stalin war es der Krieg in Afgha­ni­stan, der die Legi­ti­mi­tät der sowje­ti­schen Herr­schaft in den 1980er Jahren erschüt­terte. Dies galt nicht nur in der Rus­si­schen Sowjet­re­pu­blik, sondern in sämt­li­chen sowje­ti­schen Repu­bli­ken. Heute wissen wir aus den geöff­ne­ten Archi­ven des ehe­ma­li­gen KGB in Kyjiw, dass es in der Ukraine von Beginn an Pro­teste gegen den Krieg in Afgha­ni­stan gab. Große Teile der Bevöl­ke­rung lehnten den Einsatz ab. Dennoch mussten Tau­sende junger Wehr­pflich­ti­ger in einem Kon­flikt kämpfen, der vom Einsatz will­kür­li­cher Gewalt und von Kriegs­ver­bre­chen geprägt war. Die Kor­rup­tion in der Truppe, die Dis­kri­mi­nie­rung durch Offi­ziere, der Dro­gen­miss­brauch und die man­geln­den mili­tä­ri­schen Erfolge deckten sich nicht mit dem offi­zi­el­len Bild heroi­scher sowje­ti­scher Soldaten.

Das schwie­rige Erbe des Afghanistankrieges

Nach dem Ende der Sowjet­union 1991 gingen die ein­zel­nen Repu­bli­ken unter­schied­lich mit dem Erbe des Afgha­ni­stan­krie­ges um. Während in Russ­land zahl­rei­che Vete­ra­nen – wie etwa Alex­an­der Ruzkoi oder Alex­an­der Lebed – als Vete­ra­nen und Kriegs­hel­den bereits in den 1990er Jahren pro­mi­nente Posten in der Politik ein­nah­men und die Sehn­sucht nach auto­ri­tä­rer Herr­schaft und einer „starken Hand“ ver­kör­per­ten, wandten sich andere Repu­bli­ken vom mili­ta­ris­ti­schen Erbe der Sowjet­union ab. Dies galt auch für die Ukraine, die im Unter­schied zu Russ­land und den Repu­bli­ken im Kau­ka­sus oder in Zen­tral­asien ihr Militär weder in innen­po­li­ti­schen Macht­kämp­fen noch in der Außen­po­li­tik ein­setze – mit der Aus­nahme von UN-Mis­sio­nen, die der Frie­dens­si­che­rung dienten. Bis 2014 gelang es der Ukraine, sich aus den zahl­rei­chen post-sowje­ti­schen Kriegen her­aus­zu­hal­ten. Dies unter­schei­det ihre jüngere Geschichte von anderen Sowjet­re­pu­bli­ken, denen es schwe­rer fiel, sich vom Erbe der Gewalt zu emanzipieren.

Während der Revo­lu­tion auf dem Maidan im Winter 2013/​14 machten die ukrai­ni­schen Afgha­ni­stan­ve­te­ra­nen wieder von sich reden. Obwohl sie viele Jahre älter waren als die jungen Demons­tran­ten, die den Protest began­nen, enga­gier­ten sich bald zahl­rei­che „afgantsy“ auf Seiten der Auf­stän­di­schen. Beson­ders in der gewalt­tä­ti­gen Schluss­phase des Maidan pro­fi­tierte der Protest von ihrem mili­tä­ri­schen Know-how und ihrem Mut, der die Revo­lu­tion mit zum Erfolg führte. Wegen des rus­si­schen Über­falls auf die Ukraine kämpf­ten ukrai­ni­sche Afgha­ni­stan­ve­te­ra­nen seit dem Früh­jahr 2014 auch in den Frei­wil­li­gen­ver­bän­den, die in den ersten Kriegs­mo­na­ten die Ver­tei­di­gung des Donbas unter­stütz­ten. Viel­fach gehör­ten sie zu den ersten Opfern eines Kon­flik­tes, in dem sich nun auf beiden Seiten Afgha­ni­stan­ve­te­ra­nen befan­den. Ähnlich wie in den 1980er Jahren han­delte es sich um einen unglei­chen Kampf: der rus­si­schen Mili­tär­ma­schi­ne­rie standen die her­un­ter­ge­wirt­schaf­tete ukrai­ni­sche Armee und Frei­wil­li­gen­ver­bände gegen­über. Nach einem Vier­tel­jahr­hun­dert des Frie­dens hat mit der rus­si­schen Inva­sion von 2014 der Krieg die Ukraine wieder ein­ge­holt. Dennoch zeigt das Bei­spiel des Afgha­ni­stan­krie­ges, wie unter­schied­lich die Nach­fol­ge­staa­ten der UdSSR mit ihrem Erbe umgin­gen. Während sich in Russ­land aus der Afgha­ni­sta­n­er­fah­rung eine neue Kultur der Gewalt for­mierte und zahl­rei­che Mili­tärs im neuen Staat Kar­riere machten, ging die Ukraine einen zivi­le­ren Weg. Bereits in den 1990er Jahren unter­schied sich die Ukraine von Russ­land, weil sie sich um die gewalt­freie Bei­le­gung von Kon­flik­ten bemühte – wie etwa im Falle des Status der Krim oder bei der Auf­tei­lung der Schwarz­meer­flotte. Moskau hin­ge­gen setzte zur selben Zeit zuneh­mend auf mili­tä­ri­sche Gewalt: 1992 in Moldau, 1993 im Macht­kampf zwi­schen Kreml und Obers­tem Sowjet, seit 1994 in Tsche­tsche­nien, 2008 gegen Geor­gien und in der Gegen­wart auf der Krim, im Donbas und in Syrien.

Vier Jahr­zehnte nach dem Beginn des Afgha­ni­stan­krie­ges lohnt es sich, über sein Erbe nach­zu­den­ken. Der Kon­flik­tes beschäf­tigt uns bis in die Gegen­wart; in Deutsch­land in Form der Betei­li­gung am NATO-Einsatz im Hin­du­kusch, dessen Erfolge seit 2001 über­schau­bar blieben. Afgha­ni­stan ist wei­ter­hin ein failed state, der seinen Bür­ge­rin­nen und Bürgern keine Sicher­heit gewäh­ren kann. Zugleich wird deut­lich, dass es im post-sowje­ti­schen Raum ver­schie­dene Mög­lich­kei­ten gab, mit dem Afgha­ni­stan­krieg umzu­ge­hen. Die Ukraine ent­schied sich nach 1991 zwar für den zivilen Weg, doch auch sie wurde 2014 vom Ver­mächt­nis des letzten sowje­ti­schen Krieges ein­ge­holt. Im Rück­blick zeigt sich: Eine Spur der Gewalt führt vom Hin­du­kusch in den Donbas.

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