UN-Mission für den Donbas: ein Instrument zur Teillösung des „Ukrainekonflikts“?
Die Diskussion um eine UN-Mission im Donbas gibt es nicht erst seit Putins Vorstoß Ende letzten Jahres. Wie stehen die Chancen einer Mission und wo liegen die Hürden bei der Implementierung?
Bei seinem Ukrainebesuch Anfang Januar 2018 sprach Außenminister Sigmar Gabriel die Entsendung einer vollwertigen UN-Friedensmission in das Donezbecken (bzw. „der Donbas“) als Mittel zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine an. Die Idee dahinter ist, dass eine vorübergehende internationale Verwaltung der derzeit besetzten ukrainischen Gebiete des Donbas die Bedingungen dafür schafft, diese Territorien schrittweise und friedlich unter Kiewer Kontrolle zurückzubringen. Gabriel wünscht sich ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrates noch vor den russischen Präsidentschaftswahlen im März 2018, was in Kiew mit großem Interesse aufgenommen wurde.
Der Kreml, die UNO und der Frieden
Bereits 2015 brachte die Ukraine die Entsendung einer Friedensmission in den Donbas als Vorschlag zur Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine in die UNO ein. Allerdings wurde die Idee einer UN-Friedensmission zur Lösung des Ostukrainekonflikts erst seit Putins Vorschlag einer kleinen und leicht bewaffneten UN-Truppe zum Schutz der unbewaffneten OSZE-Beobachter im Donbas im September 2017 von der westlichen Diplomatie (insbesondere den USA, Frankreich und Deutschland) in den Rang eines nun offiziell verfolgten Ziels erhoben. Damit besteht nun die Möglichkeit, einen Fahrplan zur Umsetzung der für sich genommen unrealistischen Minsker Vereinbarungen zu entwickeln und zu implementieren.
Das fundamentale Problem des Lösungsvorschlags ist freilich, dass Russland als ständiges Sicherheitsratsmitglied ein Vetorecht hat. Moskau müsste seine Zustimmung zur Entsendung einer zahlen- und ausrüstungsmäßig relevanten sowie mit einem adäquaten Mandat ausgestatteten UN-Friedensmission von mehreren tausend bzw. sogar einigen zehntausend schwerbewaffneten Blauhelmsoldaten nebst begleitender Zivilverwaltung erklären. Nicht nur wird es – selbst bei einer Bereitschaft des Westens, eine solche aufwändige Friedensmission vollständig über etliche Monate zu finanzieren – schwierig sein, dieses Einverständnis vom Kreml zu erhalten. Man kann auch davon ausgehen, dass Moskau – falls es sich überhaupt auf die Entsendung einer vollwertigen Friedensmission einlässt – versuchen wird, die politische und organisatorische Ausgestaltung eines solchen UN-Einsatzes zugunsten Russlands zu beeinflussen.
So könnte der Kreml darauf bestehen, als „unbeteiligter Dritter“ ein eigenes Truppenkontingent zu stellen bzw. eine Einheit mit Truppen aus Verbündeten des Kremls, so etwa aus den Mitgliedsstaaten der Moskau-dominierten Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit und Eurasischen Wirtschaftsunion oder auch aus kremlfreundlichen Dritte-Welt-Ländern, in die Mission einzuschließen. Solchen russischen und/oder mit Moskau inoffiziell verbündeten Blauhelmen könnte – so wird eventuell im Kreml kalkuliert – dann ein eigenes Kontrollgebiet innerhalb der derzeit besetzten ostukrainischen Gebiete zugesprochen werden. Womöglich würde dann dieser weiterhin de facto aus dem Kreml kontrollierte Teil der heutigen sog. „Lugansker“ und/oder „Donezker Volksrepublik“ zum Zufluchtsort und Sammelbecken der zuhauf im Donezbecken aktiven (russischen) paramilitärischen Abenteurer, Extremisten, Kosaken, Söldner usw. werden. Dieses Teilgebiet würde vermutlich über längere Zeit für die Ukraine verloren bleiben.
Probleme und Chancen der Implementierung
Diese oder ähnliche Zugeständnisse werden der Preis sein, den der Kreml fordern wird, um sein Einverständnis für eine umfassende Friedensmission im UN-Sicherheitsrat zu geben. Ein für diesen Fall wahrscheinliches Folgeproblem wäre, dass entweder die ukrainische Regierung postwendend oder aber das ukrainische Parlament bzw. die ukrainische Gesellschaft im Anschluss derartige Moskauer Bedingungen für eine russische Zustimmung zu einer UN-Mission als unakzeptabel zurückweist. Es wird für die ukrainische Führung angesichts der aufgepeitschten Anti-Putin-Stimmung im Land schwierig sein, auch nur auf minimale Kompromisse im Verhandlungsprozess öffentlich einzugehen. Für viele Ukrainer wird bereits der stillschweigende Ausschluss der Krimfrage aus den Verhandlungen mit Russland und dem Westen eine solch große zu schluckende Kröte darstellen, dass wenig politischer Raum für weitere Zugeständnisse Kiews an Moskau bleiben wird.
Eine internationale Übergangsverwaltung und Truppenstationierung sind für den Donbas vermutlich die einzige Möglichkeit, eine dauerhafte Befriedung und Stabilisierung der Ostukraine zu erreichen
Trotz solcher Komplikationen, mit denen die westliche Diplomatie bei der Umsetzung eines UN-Friedensplans für das Donezbecken zu kämpfen haben wird, scheint dieser Ansatz die derzeit realistischste Chance für eine Lösung des Konflikts zu sein. Wenn man einmal von der Möglichkeit eines prinzipiellen Führungs‑, Regime- und/oder Politikwechsels in Moskau in den nächsten Jahren absieht, bleibt eine internationale Übergangsverwaltung und Truppenstationierung für den Donbas vermutlich die einzige Möglichkeit, um eine dauerhafte Befriedung und Stabilisierung der Ostukraine zu erreichen. Ein großes UN-Truppenkontingent im Donezbecken würde die geopolitische Sicherheitslage der Ukraine merklich verbessern, es Staat und Zivilgesellschaft erlauben, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den inneren Reformprozess zu konzentrieren, sowie das politische Risikoempfinden potenzieller aus- und inländischer Investoren in der (Ost-)Ukraine senken. Eine sich daraufhin erfolgreich reformierende und wirtschaftlich dynamisch entwickelnde Ukraine würde auf den gesamten postsowjetischen Raum ausstrahlen – eine Perspektive, die freilich auch der Hauptgrund für die Aggressivität des Kremls gegenüber der Ukraine ist.
Westliches Verhalten gegenüber Moskau
Im Lichte von Gabriels Bestreben einer schnellen Sicherheitsratsentscheidung und im Falle westlicher Bereitschaft zur Finanzierung der UN-Mission wird die Hauptfrage der kommenden Monate darin bestehen, wie man die russische Führung zu einem Einverständnis mit diesem UN-Missionsplan bewegen kann. Knackpunkt dabei ist, inwieweit die EU und USA im Jahr 2018 fähig sein werden, ihre Sanktionspolitik gegenüber Moskau zu koordinieren und – falls nötig – zu verschärfen. Angesichts der außenpolitischen Schwerfälligkeit der EU müssen hier womöglich einzelne Mitgliedsstaaten – allen voran Deutschland – aktiver als bisher werden und gemeinsam mit den USA eine Art Good Cop/Bad Cop-Strategie entwickeln.
Deutschland muss aktiver werden als bisher
Womöglich kann das Zuckerbrot einer schrittweisen Aufweichung der Sanktionen im Falle substanzieller und dauerhafter Lageverbesserungen im Donbas neben der Peitsche einer drohenden Sanktionsverschärfung bei weiterer Eskalation oder andauernder Stagnation weiterhelfen.
Welche Mittel und Signale auch immer zum Einsatz kommen: Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die russische Führung auf einen Entwicklungspfad zu bringen, der zu einer für die Ukraine annehmbaren sowie geopolitisch nachhaltigen Lösung – und nicht nur zu einem Einfrieren – des Donbas-Konfliktes führt. Da Putin inzwischen die ukrainische Forderung einer Involvierung von UN-Blauhelmen im Donbas zumindest im Ansatz aufgegriffen hat, gibt es nun womöglich die Chance, einen Prozess zu starten, der zwar schwierig und lang sein wird, aber letztlich zum Frieden führen kann, den vor allem die Zivilbevölkerung in der Region herbeisehnt.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version eines Textes, der in den Ukraine-Analysen 194 erscheint.
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