5 Jahre Maidan (3/4): „Der Maidan führte zu einer Neuorientierung der Menschen“
Im dritten Interview der Reihe sprachen wir mit Andrij Waskowycz, dem Präsidenten der Charitas Ukraine.
Am 21. November 2013 gab die ukrainische Regierung überraschend nach starkem Druck der russischen Regierung bekannt, das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vorerst nicht unterzeichnen zu wollen. Der Investigativjournalist Mustaja Najem und andere riefen daraufhin zu friedlichen Protesten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kyjiw auf. Der pro-europäische Protest wurde kurze Zeit später zu einer breiten Protestbewegung gegen den Präsidenten und seine Regierung. Kurz nach dem fünften Jahrestag des Protestbeginns sprachen wir im Rahmen einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung mit Mustafa Najem, Arkady Ostrowsky, Andrij Waskowycz und Andrij Portnow darüber, wie sie die vergangenen fünf Jahre bewerten und wie sie auf das so wichtige Superwahljahr 2019 schauen. Das dritte Interview in der Reihe ist mit Andrij Waskowycz, dem Präsident der Charitas in der Ukraine,
Was hat sich 5 Jahre nach dem Maidan verändert und wie kann man dieser Veränderung an praktischen Beispielen festmachen?
Zunächst einmal glaube ich, dass der Maidan 2013/14 einen enormen Einfluss auf das Bewusstsein der Ukrainer hatte. Er führte zu einer Neuorientierung der Menschen. Ich sehe es auch im Denken der Menschen. Wir sind heute eine andere Gesellschaft als die wir vor dem Maidan gewesen sind. Wir sind bereit, dort wo es möglich ist, die Initiative und unser Schicksal in die eingenen Hände zu nehmen.
Zunächst einmal glaube ich, dass der Maidan 2013/14 einen enormen Einfluss auf das Bewusstsein der Ukrainer hatte. Er führte zu einer Neuorientierung der Menschen. Ich sehe es auch im Denken der Menschen.
Das ist ein interessanter Punkt, der eben auch zusammenhängt mit der Erfahrung der Orangenen Revolution, die auch etwas bewirkt hat, dass dieser zweite Maidan entstanden ist. Dieser zweite Maidan hat dazu geführt, dass die Menschen – und das ist die Lehre aus dem ersten Maidan – begriffen haben, das man nicht einfach das Ziel erreichen kann, indem man eine neue Regierung an die Macht bringt, indem man neue Menschen an die Spitze der Macht stellt. Das ist für mich die wichtigste Lehre des Maidans und das hat man in einer enorm schwierigen Situation versucht zu tun. Trotz der Annexion der Krim und dem von Russland vom Zaun gebrochenen Krieg im Osten und trotz der prekären wirtschaftlichen Situation.
Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so sichtbar erscheint, so ist es gelungen, die Voraussetzung für große Veränderungen zu schaffen. Das ist für mich die wichtigste Errungenschaft des Maidans.
Was sind Hoffnungen und Ängste für das Jahr 2019?
Die Hoffnung ist, dass es endlich gelingen wird das oligarchische System, das größte Hindernis für die Entwicklung des Landes ist, zu durchbrechen und dass man endlich die systematische Korruption spürbar verringern und bekämpfen kann. Die Voraussetzungen dafür sind geschaffen. Der Widerstand dagegen ist leider enorm groß. Hier gehört Mut und Ausdauer dazu, dass die Gesellschaft den angestoßenen Prozess weiterführt.
Die größte Befürchtung ist eben, dass die Gegenreaktion zu stark wird und dass die Menschen entmutigt werden und sich wieder – wie nach der Orangenen Revolution – ins Private zurückziehen.
Andrij Waskowycz ist seit 2001 Präsident der Charitas Ukraine. Von 2007 bis 2015 Vorstandsmitglied der Caritas Europa; von 2011 bis 2014 Vizepräsident der Caritas Europa.
Das Interview führte Mattia Nelles.
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