Wiederaufbau von Kyjiw: Bauarbeiten unter extremen Bedingungen
In Kyjiw wurden durch russische Angriffe etwa 400 Häuser kritisch beschädigt. Fast zwei Dutzend Hochhäuser wurden zerstört. Oleksandra Babichina von Unser Kyjiw erzählt, wie und für welche Kosten der Wohnungsbau in der Hauptstadt und der Region trotz anhaltendem Krieg vorangeht.
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums wurden seit Beginn des Krieges in der Ukraine mehr als 152.000 Häuser beschädigt oder vollständig zerstört. Laut Kyiv School of Economics ist der Wohnungsbestand in den Regionen Donezk (78.700 Wohnungen), Kyjiw (22.800), Luhansk (11.300), Tschernihiw (7.000) und Charkiw (6.500) am stärksten betroffen. Für die Stadt Kyjiw veröffentlichte der Bürgermeister Vitalij Klitschko am 24. Februar 2023 folgende Zahlen: Insgesamt wurden mehr als 700 Gebäude beschädigt, darunter 417 Hochhäuser, 109 Privathäuser und 93 Lehranstalten.
Wer finanziert den Wiederaufbau?
Die Rekonstruktion des Wohnungsbestands in der Ukraine wird aus den regionalen und lokalen Haushalten finanziert. Gemäß den Anordnungen des Ministerkabinetts wurde eine Milliarde Hrywnja (etwa 26 Millionen Euro) aus dem Reservefonds des Staatshaushalts für die Wiederherstellung der Infrastruktur der Region Kyjiw bereitgestellt. Ein Teil dieser Mittel ist für den Wiederaufbau von Wohnungen vorgesehen. Etwas mehr als 320.000 Hrywnja (etwa 8.000 Euro) wurden der Region in Form von Subventionen für lokale Haushalte zugeteilt. Mit diesem Geld kaufen die Behörden Baumaterialien für Bergungs- und Instandsetzungsarbeiten.
Zudem gibt es das Programm „Neues Wohnen“, das den Kauf von Wohnungen für Familien vorsieht, die infolge der russischen Aggression ihre Wohnungen verloren haben. Dank dieses Programms, das aus dem Budget der Regionalverwaltung finanziert wird, erhielten 31 Familien Anfang 2023 neue Unterkünfte.
Darüber hinaus helfen auch ausländische Partner, karitative Organisationen und Stiftungen beim Wiederaufbau beschädigten Wohnraums, etwa UNHCR, die Caritas oder die Internationale Organisation für Migration (IOM).
„Mit Unterstützung der Caritas wurden im Rahmen des Nothilfeprogramms ‚Wohnungs- und Finanzhilfe für gefährdete Haushalte in der Ukraine‘ Instandsetzungsarbeiten in 400 Wohnungen durchgeführt. Diese Arbeiten werden bei weiteren 1.200 Wohnungen fortgeführt. Auch durch das UN Volunteers-Projekt ‚Emergency Response to the War in Ukraine‘ wurden bis Ende 2022 Instandsetzungsarbeiten in 576 Haushalten abgeschlossen“, sagt Mykola Bojko, stellvertretender Leiter der Kyjiwer Regionalen Militärverwaltung. Ihm zufolge wurden in der Region Kyjiw bereits mehr als 6.400 Objekte, darunter fast 5.500 Wohnhäuser, neu gebaut. Mehr als 3.600 Objekte konnten wiederhergestellt werden. Bei dem Bau neuer Wohnhäuser anstelle der zerstörten wird in erster Linie an Menschen mit Behinderungen, Familien von Gefallenen und Verwundeten, Kriegsversehrte, kinderreiche Familien, schwangere Frauen und Rentner gedacht.
Wie viele Häuser wurden bereits wiederaufgebaut?
Ab dem 24. Februar 2022 wurden in der Hauptstadt elf Hochhäuser rekonstruiert, die durch den russischen Beschuss schwer beschädigt worden waren. Im Jahre 2022 stellten die Stadtverwaltung und die Regierung dafür weitere 800 Millionen Hrywnja (etwa 21 Millionen Euro) bereit. Nach Anordnung der Militärverwaltung der Stadt Kyjiw wurde das Kommunalunternehmen Zhytloinvestbud-UKB zum Auftraggeber der Arbeiten.
Auch für 2023 ist der Wiederaufbau geplant. In diesem Jahr sollen in der Hauptstadt sechs beschädigte Hochhäuser wiederaufgebaut werden. Der Kostenvoranschlag dieser Projekte beträgt 169 Millionen Hrywnja (etwa 4,3 Millionen Euro). Ob dieses Geld ausreicht, ist jedoch unklar, Zhytloinvestbud-UKB prognostiziert ein Defizit. Denn in der Regel wird beim Abbau der zerstörten Konstruktionen festgestellt, dass der Schaden größer ist, als bei der Voruntersuchung erkannt wurde.
Welche Probleme haben die Bauherren bei ihrer Arbeit?
Auch wenn das Budget stimmt und es eine ausreichende Anzahl von Beschäftigten gibt, stehen die Bauunternehmen oft vor Problemen. Denn sie müssen unter extremen Bedingungen agieren. „Während eines Stromausfalls arbeiten wir mit einem Generator. Seine Leistung erreicht jedoch nur 30 Kilowatt. Ein solcher Generator kann dem Baukran nicht genug Strom liefern. Wir müssen uns also an den Zeitplan der Stromausfälle anpassen“, sagt Wladlen Sterschynskyj, Direktor des Bauunternehmens Askon, das sich mit dem Wiederaufbau des Wohnkomplexes „Lwiwskyj Kwartal“ in der Hlybotschyzka-Straße befasst, der während des Krieges zweimal von russischen Truppen angegriffen wurde. Im Februar 2023 resümiert er: „Bei den aktuellen Wetterbedingungen ist es nicht einfach zu arbeiten. Bei einer Temperatur unter fünf Grad Celsius muss der Beton elektrisch beheizt werden. Wenn es keinen Strom gibt, arbeitet der Generator tatsächlich nur dafür.“
Bei Luftangriffen unterbrechen die Bauarbeiter ihre Tätigkeit und ziehen sich in einen speziell ausgestatteten Schutzraum zurück. Wenn ein Haus von russischen Raketen zerstört wurde, heißt das nicht, dass es nicht ein zweites Mal getroffen wird. Die erste Rakete traf den erwähnten Gebäudekomplex am 28. April abends. Sie zerstörte die siebte Sektion und die beiden ersten Stockwerke. Infolge des Angriffs starb eine Person, etwa ein Dutzend Menschen wurde verletzt.
Nach zwei Monaten, am 26. Juni, schlug eine zweite Rakete ein. Die drei Obergeschosse der dritten Sektion wurden beschädigt. Zwölf Wohnungen wurden komplett zerstört, weitere 80 Wohnungen in unterschiedlichem Ausmaß beschädigt. Leider gab es erneut Opfer. Bei dem Angriff im Juni starb ein Mann, mehrere weitere Personen wurden verletzt.
Wo wohnen die Kyjiwer, deren Wohnungen zerstört wurden?
Die meisten der obdachlos gewordenen Kyjiwer, die Unser Kyjiw befragte, leben während des Wiederaufbaus bei Verwandten und Freunden oder mieten eine Wohnung. In einigen Fällen boten die Stadtbehörden ihnen eine vorübergehende Bleibe in Wohnheimen und anderen Einrichtungen an. In den meisten Fällen lehnten die Menschen dies jedoch aus persönlichen Gründen ab.
Wiederaufbau eines Hochhauses im Lobanowskyj-Prospekt
Ein 27-stöckiges Haus im Lobanowskyj-Prospekt nahe dem Zentrum ist eines der Gebäude, die bereits wieder instand gesetzt wurden. Am dritten Kriegstag, dem 26. Februar, schlug hier eine Rakete ein. Der Einschlag traf die Stockwerke 17 bis 21.
Die komplizierte Konstruktion des Objekts machte seinen Wiederaufbau zu einem äußerst schwierigen Projekt. Der Kostenvoranschlag betrug etwa 50 Millionen Hrywnja (etwa 1,3 Millionen Euro), die von der Stadtverwaltung bereitgestellt wurden. Bereits im Sommer begannen die Arbeiten. Heute fehlt von dem großen Loch im Hochhaus jede Spur.
Die Rakete verwüstete das Kinderzimmer
Tetjana Lischtschuks Wohnung liegt im 21. Stock. Infolge des Einschlags wurde ihre Wohnung zu 70 Prozent zerstört. Die Rakete verwüstete das Kinderzimmer, die Hälfte des Schlafzimmers und die Hälfte des Wohnzimmers. Knapp ein Jahr nach dem Einschlag sieht die Wohnung wieder ganz anders aus.
„Alle Wohnungen, nicht nur meine, sind bereits fertiggestellt und die Fenster eingebaut. In einigen Wohnungen wurden auch schon Tapeten geklebt und Linoleum verlegt. Diejenigen Bewohner, die das ablehnten, werden ihre Wohnungen selbst in Ordnung bringen. Alle Vorbereitungsarbeiten sind abgeschlossen“, sagt sie. Lischtschuks Familie beschloss, die Wohnung selbständig zu renovieren. Zuerst will sie ein wenig durchatmen und Geld ansammeln. Einen Teil des Baumaterials hat die Familie bereits – es sind Reste von der letzten Renovierung am Vorabend des Krieges. Gegenüber den Bauarbeitern hat Lischtschuk keinerlei Beschwerden, im Gegenteil, sie fühlt „nur Dankbarkeit dafür, dass sie sich so sehr um uns bemüht haben.“
Oleksandra Babichina ist Journalistin und berichtet seit 2022 für „Unser Kyjiw“ aus der ukrainischen Hauptstadt.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Kooperation mit „Unser Kyjiw / Наш Київ“.
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