Weih­nach­ten als Politikum?

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Der rus­si­sche Angriffs­krieg hat in der Ukraine seit 2014 viele Berei­che der vor­he­ri­gen Nor­ma­li­tät in Frage gestellt – auch den Kalen­der, der sich tra­di­tio­nell an der ost­kirch­li­chen Zählung ori­en­tierte. Dieses Jahr wurde in der Ukraine der neu­ju­lia­ni­sche Kalen­der ein­ge­führt: Statt wie bisher am 7. Januar wird nun am 25. Dezem­ber Weih­nach­ten gefei­ert. Warum das nicht unum­strit­ten ist, ana­ly­siert Regina Elsner.

Die west­li­chen Kirchen und Staats­we­sen führten im 16. Jahr­hun­dert den soge­nann­ten gre­go­ria­ni­schen Kalen­der anstelle des julia­ni­schen ein, die byzan­ti­ni­schen Kirchen behiel­ten den julia­ni­schen bei. 1923 ent­schied ein ortho­do­xer Kon­gress die Ein­füh­rung eines neuen Kalen­ders. Dieser neu­ju­lia­ni­sche Kalen­der lehnte sich an den gre­go­ria­ni­schen Kalen­der an und sollte per­spek­ti­visch zu einer iden­ti­schen Zählung mit diesem führen. In fast allen Kirchen, die den neuen Kalen­der ein­führ­ten – das Öku­me­ni­sche Patri­ar­chat, Alex­an­drien, Antio­chien, Rumä­nien, Bul­ga­rien, Zypern, Grie­chen­land und Alba­nien – kam es zu inner­kirch­li­chen Abspal­tun­gen von den „Alt­ka­len­da­ri­ern“, die in der neuen Zählung einen ver­rä­te­ri­schen Moder­nis­mus und das Abwei­chen von der hei­li­gen Tra­di­tion sahen. Manche ortho­do­xen Kirchen folgen deshalb bis heute dem julia­ni­schen Kalen­der, so die ortho­do­xen Kirchen von Jeru­sa­lem, Moskau, Serbien, Geor­gien, Tschechien/​Slowakei und Polen.

2016 konnte die Kalen­der­frage nicht dis­ku­tiert werden

Die Kalen­der­frage gilt als eine der größten Her­aus­for­de­run­gen für die ortho­doxe Kir­chen­ge­mein­schaft welt­weit, da sie gerade für eher tra­di­tio­nell den­kende Men­schen einen hohen Sym­bol­wert und damit ein enormes Spal­tungs­po­ten­tial hat. Ein pan­or­tho­do­xes Konzil im Juni 2016 auf Kreta hatte die Pro­ble­ma­tik von der Tages­ord­nung nehmen müssen – dabei war das Thema knapp 100 Jahre zuvor eines der bren­nends­ten Themen zur Ein­be­ru­fung eben dieses Konzils. Eine Eini­gung schien in dieser Frage offen­sicht­lich unmöglich.

Die großen ukrai­ni­schen Kirchen – die zwei ortho­do­xen Kirchen und die grie­chisch-katho­li­sche Kirche – haben die Kalen­der­frage lange Zeit nicht aus­drück­lich the­ma­ti­siert. Der bür­ger­li­che Kalen­der rich­tete sich in der Fei­er­tags­re­ge­lung nach den kirch­li­chen Ange­bo­ten der Mehr­heits­kir­chen. Pro­tes­tan­ti­sche und römisch-katho­li­sche Gläu­bige hatten mit dem west­li­chen Kalen­der eine Min­der­hei­ten­po­si­tion. Wie in vielen mehr­heit­lich ortho­do­xen Ländern ent­stan­den Pro­bleme vor allem da, wo inter­kon­fes­sio­nelle Ehen und Fami­lien die ver­schie­de­nen Kalen­der an wich­ti­gen Fei­er­ta­gen aus­han­deln müssen – Weih­nach­ten am 25. Dezem­ber oder am 7. Januar, Ostern mit unter­schied­li­chen beweg­li­chen Daten, Hei­li­gen­tage wie Niko­laus nach altem oder neuem Kalen­der. Für reli­giöse Men­schen betrifft das auch unter­schied­li­che Fas­ten­zei­ten, die sich mit den Fei­er­ta­gen des anderen Kalen­ders kreuzen. In der Ukraine sahen viele Men­schen diese Unter­schiede jedoch pragmatisch.

Seit dem Krieg ist der Kalen­der­wech­sel poli­tisch gewollt

Das änderte sich mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg. Bereits 2015 hatten poli­ti­sche Akteure den Wechsel der ukrai­ni­schen Kirchen zum gre­go­ria­ni­schen Kalen­der gefor­dert. Olek­sandr Turtschi­now, damals Sekre­tär des natio­na­len Sicher­heits- und Ver­tei­di­gungs­ra­tes der Ukraine, regte an: „Viel­leicht ist es an der Zeit, dass auch die Ukraine zur Feier des Weih­nachts­fests am 25. Dezem­ber über­geht, gemein­sam mit der Mehr­heit der zivi­li­sier­ten Länder?“ 2017 ent­schied die Regie­rung, zusätz­lich zum 7. Januar auch den 25. Dezem­ber als arbeits­freien Tag ein­zu­füh­ren. Dies wurde poli­tisch aus­drück­lich als Schritt der Ablö­sung von rus­si­schen Ein­flüs­sen und als Anschluss an die euro­päi­sche Zivi­li­sa­tion bewertet.

Die ukrai­ni­schen Kirchen der byzan­ti­ni­schen Tra­di­tion folgten dieser poli­ti­schen Ent­schei­dung jedoch nicht. Sie beklag­ten diesen Schritt als einen rein poli­tisch moti­vier­ten, der die Gesell­schaft ent­ge­gen der Inten­tion nicht ver­ei­nen, sondern eher spalten würde. Dieser Konsens hielt auch über die Aner­ken­nung der Ortho­do­xen Kirche der Ukraine, die 2019 für eigen­stän­dig erklärt worden war, und die umfäng­li­che Inva­sion Russ­lands in die Ukraine im Februar 2022 an. Erst Ende 2022 began­nen auch die Kirchen, den Über­gang zum neuen Kalen­der zu diskutieren.

Kampf gegen den rus­si­schen Kulturimperialismus

Dies geschah vor dem Hin­ter­grund des wach­sen­den poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Drucks auf die Ukrai­ni­sche Ortho­doxe Kirche, die bis 2022 Teil des Mos­kauer Patri­ar­chats gewesen war. Es kam zu Haus­durch­su­chun­gen und Straf­pro­zes­sen gegen Ver­tre­ter der Kirche, die mit Russ­land koope­riert oder rus­si­sche Pro­pa­ganda ver­brei­tet hatten. Das bedeu­tende Kyjiwer Höh­len­klos­ter wurde der Kirche ent­zo­gen. Zuneh­mend kamen reli­giöse Symbole als Maßstab natio­na­ler Iden­ti­tät in den Blick. Mitt­ler­weile wurde die Kalen­der­frage ähnlich wie die kir­chen­sla­wi­sche Lit­ur­gie­spra­che oder bestimmte Heilige als Objekt des Kampfes gegen den rus­si­schen Kul­tur­im­pe­ria­lis­mus ein­ge­ord­net, mit dem man die Ortho­do­xie „ukrai­ni­sie­ren“ will.

Bereits 2022 stellte die selb­stän­dige Ortho­doxe Kirche der Ukraine ihren Gemein­den frei, den alten oder neuen Weih­nachts­ter­min zu feiern. Im Sommer 2023 ent­schied das Bischofs­kon­zil der Kirche schließ­lich den Über­gang zum neuen Kalen­der ab dem Beginn des neuen Kir­chen­jah­res am 1. Sep­tem­ber 2023. Zuvor hatte auch die Ukrai­ni­sche Grie­chisch-Katho­li­sche Kirche diesen Über­gang beschlos­sen. Sie hatte trotz der Gemein­schaft mit der römisch-katho­li­schen Kirche lange aus Iden­ti­täts­grün­den am alten Kalen­der fest­ge­hal­ten. Beide Kirchen bleiben vorerst bei dem alten Oster­ter­min, der sie mit allen ortho­do­xen Kirchen verbindet.

Manche Kirchen bleiben auch jetzt beim alten Kalender

Bei der julia­ni­schen Kalen­der­zäh­lung bleibt die Ukrai­ni­sche Ortho­doxe Kirche, aller­dings auch ein Teil der Ortho­do­xen Kirche der Ukraine, die den Über­gang als uner­wünschte Moder­ni­sie­rung und Anpas­sung an den latei­ni­schen Westen bewer­ten. So muss man für den Moment fest­stel­len, dass die Ände­rung keine größere Einheit für die ukrai­ni­schen Kirchen gebracht hat. Wohl aber spricht sie denen, die beim alten Kalen­der bleiben, die ukrai­ni­sche Iden­ti­tät ab.

Sta­tis­ti­ken ver­deut­li­chen, dass sich immer größere Teile der Gesell­schaft seit 2016 für den neuen Kir­chen­ka­len­der aus­spra­chen, aller­dings sind gerade reli­giöse Men­schen in den ortho­do­xen Kirchen – also die Men­schen, für die die Fei­er­tage eine wirk­lich reli­giöse Rele­vanz haben – eher unent­schie­den. Auch die jüngste Umfrage des Ras­um­kow-Zen­trums zu den Fei­er­ta­gen zeigt ein sehr gemisch­tes Bild, danach feiert ein Viertel der christ­li­chen Bevöl­ke­rung weiter nach dem alten Kalen­der, ein Viertel macht es von Umstän­den abhän­gig. Vor diesem Hin­ter­grund erscheint die von den poli­ti­schen Umstän­den getrie­bene Ent­schei­dung eines Teils der ukrai­ni­schen Kirchen für den neuen Kalen­der problematisch.

In der Situa­tion des großen gesell­schaft­li­chen Drucks auf die Ukrai­ni­sche Ortho­doxe Kirche auf­grund ihrer nach wie vor unge­klär­ten Bezie­hung zum Mos­kauer Patri­ar­chat führt diese Poli­ti­sie­rung von reli­giö­sen Sym­bo­len schnell zu ver­schärf­ten Vor­ur­tei­len gegen­über Gläu­bi­gen. Diese können viele Gründe für ein Fest­hal­ten an dem tra­di­tio­nel­len Kalen­der haben – wie auch die­je­ni­gen aus der unab­hän­gi­gen Ortho­do­xen Kirche der Ukraine, die nach dem alten Kalen­der Weih­nach­ten feiern werden, eine Soli­da­ri­täts­er­klä­rung mit Moskau dürfte das ange­sichts der Unter­stüt­zung des ukrai­ni­schen Ver­tei­di­gungs­kamp­fes in der Kirche aller­dings nicht sein. Es besteht die Gefahr, dass ein Got­tes­dienst­be­such zum Weih­nachts­fest am 7. Januar unge­wollt zu einem öffent­li­chen poli­ti­schen State­ment und damit zu einem Grund für gesell­schaft­li­che Spal­tung wird.

Gesell­schaft­li­che Viel­falt würdigen

Die Beto­nung des Über­gangs zum neuen Kalen­der als Abschied von Russ­land igno­riert, dass auch andere ortho­doxe Kirchen in Europa am alten Kalen­der fest­hal­ten, ähnlich übri­gens wie an der kir­chen­sla­wi­schen Lit­ur­gie­spra­che. Mit Blick auf das öku­me­nisch bedeu­tende Jahr 2025 wird die Kalen­der­frage derzeit von allen christ­li­chen Kirchen dis­ku­tiert – aller­dings unter rein theo­lo­gi­schen und seel­sorg­li­chen Aspekten.

Ange­sichts dieser theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen hätte die Ukraine die Chance, die Viel­falt der ver­schie­de­nen Kir­chen­ka­len­der als normale – euro­päi­sche – gesell­schaft­li­che Viel­falt zu wür­di­gen und zu schüt­zen. Für ein solches fried­li­ches Weih­nachts­fest aber müsste grund­sätz­lich die Rhe­to­rik ver­mie­den werden, dass ein Datum euro­päi­scher, ukrai­ni­scher und zivi­li­sier­ter sei als das andere.

Portrait von Regina Elsner

Dr. Regina Elsner ist Theo­lo­gin und ver­tritt seit April 2023 den Lehr­stuhl für Ost­kir­chen­kunde und Öku­me­nik an der Uni­ver­si­tät Münster.

 

 

 

 

 

 

 

 

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