Ukraine Insights: Bedrohte Minderheiten – die nordasowschen Griechen in der Region Donezk
Die griechische Minderheit in der Region Donezk gehört zu den am stärksten vom russischen Angriffskrieg betroffenen Minderheiten. Oleksandr Rybalko und Olha Zuprykowa informierten im Rahmen von Ukraine Insights am 21. Februar 2024 bei LibMod über die besorgniserregende Situation der nordasowschen Griechen – und warben für mehr internationale Aufmerksamkeit.
Die ukrainischen Aktivisten Oleksandr Rybalko und Olha Zuprykowa führten mit einem Vortrag über die nationalen Minderheiten der Ukraine und die prekäre Situation der nordasowschen Griechen während des russischen Angriffskrieges in der Region Donezk ins Thema ein. Die beiden Minderheiten, die sich selbst als nordasowsche Griechen definieren, sind die Urum und die Rumei. Rybalko und Zuprykowa machten auf die durch die russische Invasion verursachte katastrophale Situation in den Gebieten aufmerksam, in denen die nordasowschen Griechen leben.
Wer sind die nordasowschen Griechen?
Laut Rybalko haben sich die nordasowschen Griechen als separate ethnische Gruppe im Mittelalter auf der Krim gebildet. Im späten 18. Jahrhundert seien sie vom russischen Kaiserreich an die Nordküste des Asowschen Meeres deportiert worden. Dort hätten sie die Stadt Mariupol und mehrere Dutzend Dörfer gegründet. Die nordasowschen Griechen behielten Rybalko zufolge die ursprünglichen Namen ihrer Siedlungen auch in der Region Donezk bei.
Bedrohtes kulturell-sprachliches Erbe
Stand 2001 waren die nordasowschen Griechen die drittgrößte ethnische Gruppe in der Region Donezk: Laut der letzten Volkszählung lebten über 91.500 Griechen in der Ukraine, wobei 77.500 von ihnen in der Region Donezk ansässig waren und der Urum- und Rumei-Bevölkerung angehörten.
Das kulturelle und sprachliche Erbe der nordasowschen Griechen ist bedroht: Ihre Sprachen Urum und Rumei haben keine standardisierte Form, wurden nie ins formale Bildungssystem aufgenommen und sind vom Aussterben bedroht. Sie sind offiziell als bedrohte Sprachen anerkannt.
Folgen der russischen Invasion
Die nordasowschen Griechen der ukrainischen Region Donezk gelten laut Zuprykowa als eine der am stärksten vom Krieg betroffenen ethnischen Minderheiten. 2014 besetze Russland Teile der Region Donezk, darunter die Stadt Donezk und mehrere griechische Siedlungen wie Starobeschewe, Welyka Karakuba (Rosdolne) und Styla. Allein in der Stadt Donezk wohnten Zuprykowa zufolge damals ca. 10.000 Griechen. Seitdem befanden sich viele der Siedlungen nahe der Konfliktlinie oder in der sogenannten Grauzone.
Die umfassende russische Invasion im Jahr 2022 hatte desaströse Auswirkungen: Die genaue Zahl der Opfer aus den Reihen der Community ist zwar unbekannt, jedoch schätzt die Föderation der griechischen Gesellschaften der Ukraine laut Zuprykowa dass etwa 15.000 nordasowsche Griechen allein in Mariupol getötet wurden. Mehrere Dörfer in der Oblast Donezk wurden zerstört oder schwer beschädigt. Infolgedessen wurden Zuprykowa zufolge rund 60.000 Menschen vertrieben, davon 30.000 ins Ausland, vor allem nach Griechenland, Zypern und in andere EU-Länder. Weitere 30.000 Menschen seien innerhalb der Ukraine vertrieben worden.
Internationale Aufmerksamkeit dringend geboten
In dem von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teil der Region Donezk gibt es nur noch wenige griechische Dörfer, überwiegend in der Umgebung von Welyka Nowosilka, und sie befinden sich zudem in unmittelbarer Nähe zur Frontlinie.
Viele wichtige Kultureinrichtungen, Museen und Objekte des kulturellen Erbes sind laut Zuprykowa beschädigt oder zerstört. Internationale Aufmerksamkeit ist dringend geboten, um die Situation dieser gefährdeten Minderheitengruppe zu verbessern.
Neuer Lebenssinn an einem fremden Ort
Die nordasowschen Griechen als Binnenvertriebene sehen sich mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie andere vertriebene Ukrainerinnen und Ukrainer. Es geht, so Zuprykowa, nicht nur um die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse, sondern auch um die Wiederherstellung eines neuen Lebenssinns an einem fremden Ort. Um dieses verlorengegangene Gefühl der Verortung und Zugehörigkeit wiederherzustellen, gründeten Rybalko und Zurpykowa die Initiative Nadasowski.Swoji (Nordasowsche Menschen. Unser Volk), die Veranstaltungen zur Kultur, Sprache und Geschichte der nordasowschen Griechen organisiert und sich aktiv für den Erhalt der ethnischen Identität, der Sprachen und der Kultur einsetzt.
Ukraine Insights bringt regelmäßig Regierungsvertreter und Thinktank-Experten zusammen. Das Format dient als informelle Plattform für vertiefte Diskussionen über Entwicklungen in der Ukraine und in ihren Nachbarländern.
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