Reformen in der Ukraine: Es steht Spitz auf Knopf
Ein Bericht von der Diskussionsveranstaltung: „Reformen in der Ukraine – ist das Glas halb voll oder halb leer?“ am 6. Dezember 2017 in der Estnischen Botschaft in Berlin. Von Nikolaus von Twickel
Angesichts der zahlreichen politischen Krisen in Kyjiw kommt beim Thema Ukraine derzeit oft Verdruss auf. Die Reformen, so scheint es, treten bestenfalls auf der Stelle. Statt die weiterhin ausufernde Korruption zu bekämpfen geht der Generalstaatsanwalt gegen das Nationale Antikorruptionsbüro vor und in Kiew ruft Micheil Saakaschwili zum Sturz von Präsident Petro Poroschenko auf.
Aber ohne erfolgreiche Reformpolitik scheitert die Vision, eine stabile und demokratische Ukraine in den Westen einzubinden. Das würde einen Sieg für den Kreml bedeuten, so das Fazit einer öffentlichen Diskussion, zu der das „Zentrum Liberale Moderne“ mit der Estnischen Botschaft diese Woche in Berlin einlud.
vlnr.: Ivan Miklos, Miriam Kosmehl, Anders Fogh Rasmussen, Marieluise Beck
„Lasst uns den Ukraine-Verdruss mit Ukraine-Enthusiasmus ersetzen“, forderte der einstige NATO-Generalsekretär und jetzige Poroschenko-Berater Anders Fogh Rasmussen, der wohl prominenteste Teilnehmer der Runde in der estnischen Botschaft am Mittwoch.
Wie genau das geschehen soll, blieb aber umstritten. Während der Däne Rasmussen und sein slowakischer Kollege Ivan Miklos, der Ministerpräsident Wolodymyr Groysman berät, vor allem Kommunikationsdefizite ausmachten, forderten andere ein schnelles Umdenken der Regierenden.
„Ich bin sehr besorgt und würde dem Präsidenten gerne sagen, dass (ein Erfolg der Reformen) in seiner Hand liegt,“ sagte Marieluise Beck, die Grünen-Politikerin und Mitgründerin des Zentrums.
Beck forderte, dass Poroschenko sich zum Regieren auf die Zivilgesellschaft stützt statt auf „alte Oligarchen-Methoden“ zu setzen. „Was mich wahnsinnig irritiert, ist dass wir nicht wissen, welche Rolle hinter den Kulissen von Leuten wie Rinat Achmetow gespielt wird,“ sagte sie mit Verweis auf den reichsten Mann des Landes, dem großer politischer Einfluss zugeschrieben wird.
Sorge wegen Machtkampf um Antikorruptionsbüro
Die langjährige Bundestagsabgeordnete verwies auf den schwelenden Machtkampf zwischen Generalstaatsanwalt Juri Luzenko und dem Chef des Nationalen Antikorruptionsbüros, Artjom Sytnyk. Der Konflikt ist laut Beck viel ernster als das „Spektakel“ um den ehemaligen georgischen Präsidenten Saakaschwili, der sich am Dienstag in Kiew seiner Verhaftung entzog und zum Sturz der Regierung aufgerufen hatte.
Sytnyks neue Behörde gilt als wesentliches Element der vom Westen geforderten effektiven Korruptionsbekämpfung, während der Poroschenko-Verbündete Luzenko als Vertreter des alten Staatsapparats gesehen wird. Sytnyk verbuchte am Donnerstag einen Punktsieg, als das ukrainische Parlament ein Gesetzesvorhaben kippte, das seine Entlassung erleichtert hätte. Aber kurz darauf stimmten die Abgeordneten für die Absetzung des reformorientierten Jehor Soboljew von der Spitze des Anti-Korruptionsausschusses.
Berichte, dass sich Poroschenkos Präsidialamt auf Luzenkos Seite in den Konflikt eingemischt hat, seien sehr beunruhigend, sagte John Lough vom Londoner Think Tank Chatham House.
Rasmussen dagegen verteidigte Poroschenko. Der Präsident habe viel getan und die Schaffung eines Anti-Korruptionsgerichtshofs sei eine wichtige Verpflichtung, sagte er. Am Donnerstag rief Poroschenko das Parlament dazu auf, das Gesetz dazu bis zum Beginn der kommenden Woche auf den Weg zu bringen – sonst werde er ein eigenes Gesetzesvorhaben einbringen.
Chatham-House-Experte Lough, der einen umfassenden Bericht über den Stand der Reformen vorstellte, warnte davor, dass bereits Erreichtes wieder verloren geht. „Die Gefahr einer Rückwärtsentwicklung bleibt hoch, solange die Ukraine ihre Regierungsführung nicht verbessert,“ sagte er.
John Lough, Chatham House London
Dennoch konnte Lough der derzeitigen Krise auch etwas Gutes abgewinnen. Der Machtkampf um die neue Korruptionsbehörde zeige, dass sie mehr als bloße Kosmetik ist. „Die Reformen sind jetzt dabei, zu wirken,“ sagte er und forderte, dass Brüssel den Druck auf die Regierung in Kiew erhöht. „Die EU hat ein starkes politisches Mandat um Druck auszuüben, war aber bisher zu ängstlich, das einzusetzen,“ sagt er.
Rasmussen rief die Europäer dazu auf, in Bezug auf die Ukraine strategischer zu denken – ein so umfassendes Reformprojekt für ein so großes Land habe es noch nie gegeben. Sein Erfolg sei wichtig für die liberale Weltordnung: „Wenn wir diese Schlacht verlieren, gewinnt das autokratische System,“ sagte er, ohne dabei Russland beim Namen zu nennen.
Regierungsberater Miklos, ein ehemaliger slowakischer Finanzminister, warb mit den bisherigen Erfolgen. „Die Ukraine ändert sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte,“ lobte er. So sei mit der Reform des Bankenwesens ein großer Korruptionsherd beseitigt worden. Und das neue System öffentlicher Ausschreibungen funktioniere sehr gut – jedenfalls, wenn man von Staatsunternehmen absehe.
Miklos bemängelte, dass die Ukraine bisher zu wenig getan habe, um diese Reformerfolge öffentlich herauszustellen. Das größte Problem sei die verbreitete Enttäuschung nach der Maidan-Revolution von 2014: „Die Menschen hatten sich eine bessere Wirtschaft und die Bestrafung der korrupten Eliten erhofft – stattdessen bekamen sie eine Rezession von minus 17 Prozent, galoppierende Inflation und niemand sitzt hinter Gittern,“ sagte er.
EU-Beitrittsperspektive als Reformanreiz
Für eine Steigerung des Reformtempos machte Miklos einen simplen Vorschlag: „Eine klare EU-Beitrittsperspektive ist das beste Mittel“ – das habe die Erfahrung der Slowakei und anderer osteuropäischer Mitgliedsländer gezeigt.
Beck, die eine Beitrittsperspektive für die Ukraine seit Jahren fordert, stellte dagegen fest, dass die EU mit der im Frühjahr erfolgten Visaliberalisierung zwar eine richtige Entscheidung getroffen aber gleichzeitig einen ihrer stärksten Hebel verloren hat. Denn ein EU-Beitritt wird von den meisten für die näherer Zukunft als unrealistisch angesehen. Zudem sei das Verständnis, dass die Ukraine wichtig ist, derzeit in Deutschland, Frankreich und Großbritannien nicht sehr ausgeprägt.
Die Grünen-Politikerin betonte, dass die ukrainische Regierung sich zuallererst um das Vertrauen der Bevölkerung kümmern müsse. „Vertrauen macht Kommunikation einfacher,“ sagt sie.
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