Neuer Minis­ter­prä­si­dent Schmyhal – unab­hän­gi­ger Tech­no­krat oder Ach­me­tows Mann?

Der neue Premierminister der Ukraine Denys Schmyhal
© Volo­dymyr Tarasov, Imago

Wolo­dymyr Selen­skyj hat einen Regie­rungs­wech­sel in der Ukraine voll­zo­gen. Nach nur sechs Monaten löst Vize­pre­mier Denys Schmyhal seinen Vor­ge­setz­ten Olexij Hont­scha­ruk als Minis­ter­prä­si­dent ab. Schmyhal gilt als unab­hän­gi­ger Tech­no­krat. Zuvor war er jedoch in wich­ti­ger Funk­tion für das Ener­gie­im­pe­rium des Olig­ar­chen Ach­me­tow tätig. Von Denis Trubetskoy

Was in den letzten Wochen bereits stark ver­mu­tet wurde, ist nun Rea­li­tät gewor­den. Große Unbe­liebt­heit und kata­stro­phale Umfra­ge­werte haben Olexij Hont­scha­ruk nach nur sechs Monaten das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten gekos­tet. Doch Gerüchte über Kan­di­da­ten mit Erfah­rung aus der Amts­zeit des Ex-Prä­si­den­ten Wiktor Janu­ko­wytsch wie Serhij Tihipko oder Walerij Cho­rosch­kow­skyj haben sich nicht bestä­tigt, obwohl Wolo­dymyr Selen­skyj etwa Gesprä­che mit Tihipko zugab. Statt­des­sen setzt der Prä­si­dent auf den bis­he­ri­gen Vize­pre­mier Denys Schmyhal, der auch die Funk­tion des Minis­ters für Gemein­de­ent­wick­lung ausübt. Aller­dings wurde Schmyhal erst in diesem Februar in die Regie­rung geholt, er ist also frisch im Kabinett.

Mög­li­che Pro­bleme mit Figuren wie Cho­rosch­kow­skyj oder Tihipro waren für Selen­skyj offen­sicht­lich. Dabei ging weniger um deren Image als viel­mehr um mög­li­che Ambi­tio­nen der beiden. Warum soll zum Bei­spiel Tihipro, der nach seinem Aus­stieg aus der Politik äußerst erfolg­reich als Unter­neh­mer agiert, wieder in diese stres­sige Umge­bung wech­seln, ohne etwa bei der nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wahl kan­di­die­ren zu wollen? Des­we­gen wurde im Umfeld von Selen­skyj von Anfang an ver­mu­tet, dass sich der Prä­si­dent doch wieder für einen „reinen Tech­no­kra­ten“ ent­schei­den wird. Diese Vor­aus­set­zung scheint der 44-jährige Schmyhal, bis Februar noch lan­des­weit unbe­kannt, auf den ersten Blick zu erfüllen.

Wer ist Denys Schmyhal?

Schmyhal stammt aus dem west­ukrai­ni­schen Lwiw, wo er auch an der Wirt­schafts­fa­kul­tät der Lwiwer Poli­tech­nik-Uni­ver­si­tät stu­dierte. In den 2000-er-Jahren arbei­tete er im Manage­ment meh­re­rer west­ukrai­ni­schen Finanz­fir­men, bis 2009 der Wechsel in den Staats­dienst erfolgte. Erst war er als Berater des Lwiwer Gou­ver­neurs tätig, danach leitete Schmyhal Wirt­schafts- und Inves­ti­ti­ons­ab­tei­lun­gen, auch war der zukün­fitge Minis­ter­prä­si­dent als Vize­chef der Lwiwer Fis­kal­be­hörde tätig. Inter­es­sant ist aber vor allem seine Rück­kehr in die Wirt­schaft, denn in der Zeit zwi­schen 2017 und 2019 arbei­tete Schmyhal für die füh­rende Ener­gie­hol­ding DTEK. Diese gehört dem reichs­ten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow.

Konkret war Schmyhal zuerst stell­ver­tre­ten­der Gene­ral­di­rek­tor des Unter­neh­mens Sapad­energo, das die West­ukraine und euro­päi­sche Länder mit Strom belie­fert. Dann wurde aus ihm der Direk­tor eines wich­ti­gen west­ukrai­ni­schen Wär­me­kraft­wer­kes. Diese Tätig­keit dauerte bis August 2019 an – bis Selen­skyj Schmyhal zum Gou­ver­neur des west­ukrai­ni­schen Bezirks Iwano-Fran­kiwsk ernannte. Diese Ernen­nung wurde in der Ukraine mit dem Unter­neh­mer Ilja Pawljuk, der großen Ein­fluss auf die ukrai­ni­sche Zoll­be­hörde ausüben soll, in Ver­bin­dung gebracht. Pawljuk soll auch das Ver­trauen des Prä­si­den­ten Selen­skyj genie­ßen und stellt eine der größten Inter­es­sen­grup­pen inner­halb der Regie­rungs­frak­tion „Diener des Volkes“ im ukrai­ni­schen Par­la­ment. Auch der Par­tei­chef Olex­an­der Kor­ni­jenko soll ihm nahe stehen.

Außer­dem haben Pawljuk und Ach­me­tow offen­bar gemein­same Inter­es­sen im Kampf gegen den anderen Olig­ar­chen Ihor Kolo­mo­js­kyj, dessen Ein­fluss auf Selen­skyj zwar kleiner als zunächst erwar­tet ist, der aber trotz­dem auch auf eine Abge­ord­ne­ten­gruppe in der Frak­tion um Selen­skyj zurück­grei­fen kann. Dies­be­züg­lich gab es in lokalen Medien in Iwano-Fran­kiwsk Berichte, dass Schmyhal ein Projekt im Inter­esse von DTEK unter­stützt haben soll. Sonst ist aber Schmyhal nicht negativ auf­ge­fal­len. Große Erfolge blieben dagegen aus, was für diese kurze Zeit als Gou­ver­neur aber wenig über­ra­schend ist. Selen­skyj war mit seiner Arbeit jedoch angeb­lich sehr zufrieden.

Wie nah steht Schmyhal zu Ach­me­tow und Pawljuk?

Weil zuletzt eine deut­li­che Annä­he­rung zwi­schen dem Prä­si­di­al­büro und dem Olig­ar­chen Ach­me­tow statt­fin­det, sind die Spe­ku­la­tio­nen berech­tigt, ob die Beför­de­rung Schmy­hals nicht auch in diese These passt. Und ob seine Ernen­nung zum Minis­ter­prä­si­den­ten die starke Rolle von Ilja Pawljuk bestä­tigt. Denys Schmyhal bestrei­tet aller­dings, die beiden per­sön­lich zu kennen. „Ich habe Rinat Ach­me­tow, wie alle anderen, nur im Fern­se­hen gesehen“, sagte Schmyhal im Januar in einem Inter­view mit der staat­li­chen Nach­rich­ten­agen­tur Ukr­in­form. „Beim DTEK bin ich nach einer öffent­li­chen Aus­schrei­bung gelan­det.“ Ilja Pawljuk kenne der 44-Jährige über­haupt nicht.

Als Vize­pre­mier und Minis­ter wollte Schmyhal vor allem um die Voll­endung der Dezen­tra­li­sie­rungs­re­form und eine Bau­re­form kümmern. Er hatte dafür aber noch weniger Zeit als im Amt des Iwano-Fran­kiw­s­ker Gou­ver­neurs. Nun geht der rasante Kar­rie­re­auf­stieg wieder weiter. Eine radi­kale Ände­rung der Regie­rungs­po­li­tik ist unter Schmyhal auf keinen Fall zu erwar­ten, dafür spre­chen auch weitere zahl­rei­chen Wechsel im Kabi­nett nicht. Zwar gibt es nun viel Men­schen mit Erfah­rung, die auch mal selbst Minis­ter waren, aber die grund­sätz­li­che Aus­rich­tung des Kabi­netts sollte erhal­ten bleiben. Span­nend ist dagegen, wie stark sich die Macht­ver­hält­nisse in diesem höchst­kom­pli­zier­ten Kon­strukt „Diener des Volkes“ ändert. Und: sollte es auch diese Regie­rung nicht auf die Reihe kriegen, wird wohl die Zeit der neuen Gesich­ter in der ukrai­ni­schen Politik tat­säch­lich vorbei sein. Denn die Her­aus­for­de­run­gen auf­grund der kata­stro­pha­len Wirt­schafts­leis­tun­gen Anfang 2020 sind groß genug.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

 

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