Kwartal 95 nach Selenskyj: Die ukrainische Staatssatire?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj redigiert angeblich immer noch die Scherze seiner ehemaligen Arbeitskollegen von der Satire-Sendung “Wetschirnij Kwartal“. Umso größer war der mediale Aufschrei, als „Kwartal“ neulich eine persönliche Feindin des Oligarchen Ihor Kolomojskyj angriff.
Seit 2005 ist die Satire-Sendung „Wetschirnij Kwartal“ („Das Abendquartal“) eine Institution im ukrainischen Fernsehen. Am Samstagabend führen die Schauspieler des Studios „Kwartal 95“ durch das politische Geschehen der letzten Woche. Parodien spielen dabei eine besondere Rolle. So hat Selenskyj in diesen Sendungen bereits fast alle führenden Politiker gespielt, von Julia Tymoschenko bis zu Petro Poroschenko.
Über die Qualität dieser Satire lässt sich aus unterschiedlichen Gründen streiten. Zum einen hat „Kwartal 95“ seit 2012 einen zehnjährigen Vertrag mit dem Sender 1+1 des umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomojskyj, womit automatisch Spekulationen über mögliche politischen Abhängigkeiten der Sendungen ins Spiel kommen. Zum anderen wird „Wetschirnij Kwartal“ wegen des Niveaus der Scherze oft knallhart angegriffen. Am Rande des Skandals um das Telefonat zwischen US-Präsident Trump und Selenskyj hat sogar die US-amerikanische HBO-Show “Last Week Tonight with John Oliver“ eine Episode thematisiert, in der Selenskyj vermutlich zeigt, wie er mit seinem Penis Piano spielt.
In diesem Jahr musste sich „Kwartal 95“ stark umstellen. Seitdem Selenskyj im April zum Präsidenten gewählt wurde, tritt er in den Sendungen nicht mehr auf, wobei er gelegentlich doch im Publikum sitzt. Für „Kwartal“ ist das natürlich ein Verlust, nicht nur weil neue Schauspieler gefunden und verpflichtet werden mussten, wie etwa Jurij Welykyj, der neulich unter anderem Selenskyj spielte. Sondern vor allem deswegen, weil mit dem Präsidenten der größte Star gegangen ist, ebenso wie einige weitere prominente Drehbuchautoren und Schauspieler, die auch in die Politik wechselten.
Sogar über den neuen Moderator von „Wetschirnij Kwartal“, den Komiker Jewhen Koschewyj, einen Jugendfreund Selenskyjs, kursiert das Gerücht, er könnte bald für das Amt des Kyjiwer Bürgermeisters kandidieren. Doch in erster Linie ist es die andere Wirkung, die die Scherze von „Kwartal“ jetzt haben. Denn es wird wohl niemals gelingen, so zu tun, als hätte Präsident Selenskyj mit den Sendungen nichts mehr zu tun.
„Wolodymyr prüft alles. Er liest die Texte gegen“, sagt im Interview mit 1+1 die Schauspielerin und Produzentin Olena Krawez, die unter anderem Selenskyjs Frau Olena in der Sendung parodiert. „Die eigene Freundin zu parodieren, das gab es noch nicht und das ist ausgesprochen spannend.” Selenskyj habe die Chatgruppen von „Kwartal 95“ seit seinem Amtsantritt nicht verlassen und textet nach wie vor für seine ehemaligen Arbeitskollegen. Außerdem habe er laut Krawez vor, nach seiner Amtszeit in die Sendungen von „Kwartal 95“ zurückzukehren.
Wie das nach der Präsidentschaft gelingen soll ist kaum vorstellbar. Aber jetzt ist viel wichtiger, dass diese Ausgangslage doch ziemlich gut erklärt, warum einige Scherze von „Kwartal“ in den vergangenen Wochen und Monaten für großen medialen Wirbel gesorgt haben. Denn die Sendungen von „Kwartal“ werden nicht grundlos als eine Art „Staatssatire“ wahrgenommen, in denen zwar auch über die Unerfahrenheit der Abgeordneten der Selenskyj-Partei “Diener des Volkes“ oder über die Nähe zwischen Selenskyj und seinem umstrittenen Bürochef Andrij Bohdan gescherzt wird, der Präsident jedoch kaum ernsthaft angegriffen wird.
So ist die Sendung vom 19. Oktober zu einem der größten politischen Themen in der ganzen Ukraine geworden. In dieser Sendung wurde unter anderem über Walerija Gontarewa gelacht, die ehemalige Chefin der ukrainischen Nationalbank, die der Oligarch Ihor Kolomojskyj längst zu seiner persöhnlichen Feindin erklärte. Unter Gontarewa wurde Ende 2016 die Privatbank, die früher Kolomojskyj gehörende größte Bank des Landes, verstaatlicht, was der Oligarch Gontarewa und dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko übel nahm.
Zuletzt lebte Gontarewa in London. Ende August wurde sie dort von einem Auto überfahren, Mitte September ist ihr Haus in der Nähe von Kyjiw abgebrannt. Gontarewa selbst vermutet eine Racheaktionen durch Kolomojskyj. Nun hat „Wetschirnij Kwartal“ zusammen mit dem Nationalen akademischen Choreine ironische Variante eines ukrainischen Volksliedes präsentiert, in dem die Arbeit Gontarewas als Nationalbankchefin wegen der großen Anzahl der pleite gegangenen Banken hart kritisiert wird. Am Schluss folgt das Fazit: “Die Moral dieser Fabel ist ganz klar: Das Haus ist aus Scham abgebrannt.“
Zwar darf Satire so gut wie alles, doch es geht hier weniger um eine moralische, als vielmehr um eine politische Frage. In der gleichen Sendung wurde auch über den Ringer Dschan Belenjuk gelacht, der für die Partei „Diener des Volkes“ ins Parlament kam. Er war im Parlament eingeschlafen. Auch ist die Selenskyj-Partei als solche durchaus kritisiert worden, jedoch nicht der Präsident selbst. Denn auch wenn es beim „Kwartal“ ernst zur Sache geht, werden die wichtigsten Akteure dahinter geschont. In der Ukraine erinnern sich viele an einen angeblich kritischen Sketch über Kolomojskyj, als dieser als Gouverneur des Regierungsbezirks Dnipro entlassen wurde. In diesem Sketch kommt Kolomojskyj dennoch viel besser weg als der damalige Präsident Poroschenko, und diese Tendenz ist in „Kwartal“-Sendungen immer wieder zu beobachten.
Daher entsteht der politische Kontext quasi automatisch. Zumal sowohl Wirtschaftsminister Timofej Mylowanow, der den Gontarewa-Sketch wegen des schlechten Einflusses auf die Auslandsinvestoren kritisierte, als auch Kulturminister Wolodymyr Borodjanskyj, der sich für die Teilnahme des Nationalen akademischen Chors entschuldigte, im Anschluss von Kolomojskyj verbal angegriffen wurden. Kolomojskyj bezeichnete Mylowanow sogar als „debil“.
Wie es nun mit der Staatssatire von „Kwartal 95“ weitergeht ist letztlich eine offene Frage. Vor allem Wolodymyr Selenskyj muss aufpassen, dass er keinen größeren Imageschaden bekommt. Ein Projekt von „Kwartal“, der Humorwettbewerb „Liga Smechu“ („Liga des Lachens“), wird übrigens Ende des Jahres den Pokalwettbewerb des ukrainischen Präsidenten austragen. Das mag für Außenstehende komisch und verwirrend klingen, doch in der Ukraine sind Politik und Unterhaltung nicht erst seit gestern enge Nachbarn.
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