„Diener des Volkes“ in der Krise: Macht­kampf, Bestechung und Prostituierte

©Shut­ter­stock

Am Sonntag wählte die Prä­si­den­ten­par­tei „Diener des Volkes“ ihren neuen Chef. Doch die Wahl von Olex­an­der Kor­ni­jenko als neuen Par­tei­vor­sit­zen­den sorgte für einen Auf­schrei. Denn die Skan­dale rund um die Selen­skyj-Partei häufen sich.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

„Die Partei muss sexy werden“, betonte Olex­an­der Kor­ni­jenko, nachdem er am Sonntag im schi­cken Kon­gress­zen­trum Par­ko­wyj, wo sich auch das Wahl­quar­tier von Wolo­dymyr Selen­skyj immer wieder befand, ein­stim­mig zum Par­tei­vor­sit­zen­den von „Diener des Volkes” wählen ließ. Der bis­he­rig Par­tei­chef Dmytro Ras­um­kow wurde zu Beginn der neuen Legis­la­tur­pe­ri­ode zum Par­la­ments­vor­sit­zen­den gewählt. Des­we­gen musste die so wich­tige Stelle auf einem Par­tei­tag neu besetzt werden. Trotz der ein­stim­mi­gen Wahl Kor­ni­jen­kos verlief diese nicht rei­bungs­los. Denn der Macht­kampf inner­halb des „Diener des Volkes“ spitzt sich immer weiter zu. Und auch die Skan­dale rund um die Prä­si­den­ten­par­tei, die eigent­lich alles anders als die Vor­gän­ger machen wollte, mehren sich.

Sex­skan­dal

Ob „sexy werden“ wirk­lich die ange­mes­sene Wort­wahl Kor­ni­jen­kos war, ist frag­lich. Zumal der Sex­skan­dal um den Vor­sit­zen­den des Aus­wär­ti­gen Aus­schus­ses Bohdan Jare­menko zuletzt die ganz großen Schlag­zei­len machte. Jare­menko hat nämlich im Sit­zungs­saal der Wer­chowna Rada mehr als einmal mit Pro­sti­tu­ier­ten getex­tet, was Jour­na­lis­ten aus dem Pres­se­be­reich von oben abfo­to­gra­fie­ren konnten. Dies ist eine übliche, wenn auch mora­lisch frag­wür­dige Praxis im ukrai­ni­schen Jour­na­lis­mus, die in diesem Par­la­ment bereits für einige Skan­dale gesorgt hat. Dass Jare­menko trotz­dem im Par­la­ments­saal Preise mit Pro­sti­tu­ier­ten ver­ein­bart hat, ist jedoch vor allem durch Fahr­läs­sig­keit zu erklä­ren. Daher war es sicher etwas unge­schickt von ihm, von der Par­la­ments­tri­büne aus den Jour­na­lis­ten mit einer Haft­strafe wegen der Ver­let­zung seines Pri­vat­le­bens zu drohen. Trotz­dem hat Jare­menko seinen Rück­tritt als Vor­sit­zen­der des Aus­schus­ses angeboten.

Kolo­mo­js­kyj-Frak­tion

Doch ist der Skandal um Jare­menko wohl eines der kleins­ten Pro­bleme, die “Diener des Volkes“ zurzeit hat. Dass der Einzug der 254 Poli­tik­neu­linge ins Par­la­ment, die gleich die abso­lute Mehr­heit quasi als Zusatz bekom­men haben, nicht völlig glatt läuft, war vor­aus­zu­se­hen. Die gute Nach­richt ist: der Ein­fluss des Olig­ar­chen Ihor Kolo­mo­js­kyj, der als Eigen­tür­mer des wich­ti­gen Fern­seh­sen­ders 1+1 Selen­skyj zu seinem Wahl­sieg stark ver­hol­fen hat, ist wohl nicht so groß wie befürch­tet, obwohl sein ehe­ma­li­ger Anwalt Àndrij Bohdan als Chef des Prä­si­den­ten­bü­ros eine wich­tige Stel­lung hat – und auch trotz des Rück­tritts des Sekre­tärs des Sicher­heits­ra­tes Olex­an­der Dany­ljuk, der weder mit Bohdan noch mit Kolo­mo­js­kyj selbst etwas anfan­gen konnte.

Zumin­dest die Partei und die Par­la­ments­frak­tion schei­nen eher von den per­sön­li­chen Freun­den des Prä­si­den­ten Wolo­dymyr Selen­skyj und seinen Ex-Kol­le­gen von der Pro­duk­ti­ons­firma Kwartal 95 sowie von den pro­west­li­chen Poli­ti­kern wie Frak­ti­ons­chef Dawid Aracha­mija kon­trol­liert zu werden. Zu den Prä­si­den­ten­freun­den soll unter anderem der Unter­neh­mer Ilja Pawljuk aus Czer­no­witz gehören, der Medi­en­be­rich­ten zufolge einen großen Ein­fluss auf den ukrai­ni­schen Zoll hat und eine Abge­ord­ne­ten­gruppe anführt, die mit der infor­mel­len Gruppe der Kolo­mo­js­kyj-Abge­ord­ne­ten inner­halb der Frak­tion stark kon­kur­riert. Der neue Par­tei­chef Kor­ni­jenko soll Pawljuk nahe­ste­hen, das führte zu einem Auf­schrei inner­halb der Partei.

Die Gruppe von Kolo­mo­js­kyj, ange­führt vom umstrit­te­nen Jour­na­lis­ten und 1+1‑Moderator Olex­an­der Dubin­skyj, soll angeb­lich erst am Sonntag aus dem Inter­net von dem Par­tei­tag erfah­ren haben. Das hat die Partei durch die Nicht­mit­glied­schaft von Dubin­skyj und Co, die meist als Direkt­kan­di­da­ten in den Regio­nen ins Par­la­ment gewählt, erklärt. Die Partei „Diener des Volkes“ hat die Gruppe zwar auf dem Par­tei­tag formell als Mit­glie­der auf­ge­nom­men, aber erst nach der Wahl des Par­tei­vor­sit­zen­den, bei der nur knapp 50 Dele­gier­ten stimm­be­rech­tigt waren. Dennoch hat kurz zuvor Dubin­skyj alle dazu auf­ge­ru­fen, Kor­ni­jenko zu wählen; eine gewisse Unzu­frie­den­heit war trotz­dem deut­lich zu spüren.

Die öffent­li­che Bei­le­gung des Streits ist wohl dadurch zu erklä­ren, dass andere For­de­run­gen von Kolo­mo­js­kyj womög­lich erfüllt wurden. Für ihn sind angeb­lich lokale Struk­tu­ren sehr wichtig. Am 22. und 29. Dezem­ber finden in einigen Kom­mu­nen Wahlen statt, „Diener des Volkes“ sollte 90 Kan­di­da­ten für die Ämter der Kom­mu­nen­chefs auf­stel­len. Die Kolo­mo­js­kyj-Gruppe hätte offen­bar gerne ein Drittel der Regio­nen des Landes für sich bean­sprucht.

Doch sind es auch die Kolo­mo­js­kyj-Leute, die in der Regel für die größten Skan­dale sorgen. Bemer­kens­wert zuletzt: der von Dubin­skyj ange­führte Finanz­aus­schuss blo­ckierte ein wich­ti­ges Anti­kor­rup­ti­ons­ge­setz im Immo­bi­li­en­be­reich, das die Bewer­tung von Immo­bi­lien erleich­tert. Von der bis­he­ri­gen Gesetz­ge­bung pro­fi­tierte vor allem ein Kolo­mo­js­kyj-naher Abge­ord­ne­ter, der in diesem Bereich quasi eine Mono­pol­stel­lung besitzt. Elf von 16 der “Diener des Volkes“-Abgeordneten stimm­ten gegen das Gesetz. Ex-Abge­ord­ne­ter Serhij Lescht­schenko warf ihnen im Nach­hin­ein vor, dafür jeweils bis zu 30.000 US-Dollar erhal­ten zu haben. Frak­ti­ons­chefs Aracha­mija und Dubin­skyj absol­vier­ten auf Vor­schlag des Prä­si­den­ten Selen­skyj eine Über­prü­fung mit dem Lügen­de­tek­tor, die aller­dings mehr für Show als für bri­sante Aus­sa­gen sorgte.

Streit inner­halb der Fraktion

Auch führt die Kolo­mo­js­kyj-Gruppe einen halb­of­fe­nen Streit gegen den Gene­ral­staats­an­walt Ruslan Rja­boschapka. Als die Rada vor kurzem über die Mög­lich­keit der von Rja­boschapka gefor­der­ten Fest­nahme des umstrit­te­nen Abge­ord­ne­ten Jaros­law Dub­ne­wytsch abstimmte, fehlten 44 Stimmen der Frak­tion „Diener des Volkes“. Die eigent­li­che Größe der Kolo­mo­js­kyj-Gruppe könnte also unge­fähr in dem Bereich liegen.

Die Skan­dale rund um den „Diener des Volkes“ betref­fen den Prä­si­den­ten Selen­skyj bisher nicht per­sön­lich. Dennoch: Je mehr es davon geben wird, desto mehr werden auch die Beliebt­heits­werte des Staats­ober­haup­tes dar­un­ter leiden. Es sind aber nicht nur die Skan­dale, die hier wesent­lich sind. Mit jeder Ple­nar­wo­che des Par­la­ments wird deut­li­cher, dass „Diener des Volkes“ aus meh­re­ren Gruppen besteht, die zum Teil völlig unter­schied­li­che Inter­es­sen pflegen. Das könnte heißen: die abso­lute Mehr­heit der Selen­skyj-Partei ist eigent­lich eine große Illu­sion, was die Dub­ne­wytsch-Abstim­mung bereits illus­trierte. Im schlimms­ten Fall könnte das jeder­zeit zu Neu­wah­len des Par­la­ments führen. Die daraus resul­tie­rende Insta­bi­li­tät kann sich die Ukraine aber nicht leisten.

„Es war ein Risiko, nur die poli­tisch uner­fah­re­nen Kan­di­da­ten bei der Par­la­ments­wahl auf­zu­stel­len, aber es war ein not­wen­di­ges Risiko“, sagte Wolo­dymyr Selen­skyj neulich in einem seiner sel­te­nen PR-Inter­view, tra­di­tio­nell in einem Tesla-Auto durch­ge­führt. Es pas­sier­ten Fehler, die Rich­tung sei aber in Ordnung, ist das Urteil Selen­skyjs zur Arbeit des neuen Par­la­ments. Doch viele Abläufe schei­nen sich denen in vor­he­ri­gen Par­la­men­ten zu ähneln. So wurde der Bericht der durch die Ver­bin­dung zur pro­rus­si­schen Partei „Oppo­si­ti­ons­platt­form – Für das Leben“ umstrit­te­nen Nach­rich­ten­seite strana.ua, wonach die Abge­ord­ne­ten des „Diener des Volkes“ „Zusatz­ge­häl­ter“ von der Partei quasi in Brief­um­schlä­gen bekom­men würden, durch den Schrift­wech­sel des Unter­neh­mers und Abge­ord­ne­ten Mykola Tyscht­schenko mit einem Pranker indi­rekt bestä­tigt. Also doch alles wie bisher?

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