Lukaschen­kas Macht­er­halt – nur als Mario­nette Moskaus?

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Nach den Prä­si­dent­schafts­wah­len und andau­ern­den Mas­sen­pro­tes­ten bemüht sich der Macht­ha­ber Aljaksandr Lukaschenka um Nähe und Unter­stüt­zung aus Moskau. Droht ihm ein Schick­sal wie dem geflo­he­nen ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Janu­ko­wytsch? Ein Gast­bei­trag des Jour­na­lis­ten Oleg Sukhov (Kyiv Post).

Der bela­ru­si­sche Dik­ta­tor Aljaksandr Lukaschenka schwankt seit Jahr­zehn­ten zwi­schen Russ­land und dem Westen.

Oft hat er sich als Ver­fech­ter der bela­ru­si­schen natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät und als Boll­werk sowohl gegen Europa als auch den Kreml positioniert.

Nun jedoch, während er nach der mani­pu­lier­ten Wahl vom 9. August mit den größten Pro­tes­ten in der Geschichte Belarus kon­fron­tiert wird, besteht die Befürch­tung, dass er die Sou­ve­rä­ni­tät des Landes gegen die Unter­stüt­zung Russ­lands bei der Zer­schla­gung der Pro­teste eintauscht.

Seine Rhe­to­rik wird zuneh­mend pro­rus­sisch und der Kreml hat Lukaschenka seine Unter­stüt­zung bei der Unter­drü­ckung der Demons­tra­tio­nen zuge­sagt, dar­un­ter ein mög­li­ches Ent­sen­den von Bereit­schafts­po­li­zei. Denk­bare Sze­na­rien könnten unter anderem auch eine wei­ter­rei­chende Ein­glie­de­rung von Belarus in Russ­land sein, eine voll­stän­dige Anne­xion oder eine mili­tä­ri­sche Invasion.

Es besteht eine frap­pie­rende Ähn­lich­keit zwi­schen der Art, wie Russ­land ver­sucht, die Pro­teste in Belarus und die Euro­mai­dan-Revo­lu­tion von 2013–2014 in der Ukraine aus­zu­nut­zen, um seine geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen vor­an­zu­trei­ben und sich erheb­lich in die Ange­le­gen­hei­ten dieser Länder einzumischen.

In der Ukraine nutzte der Kreml das durch die Revo­lu­tion und die Riva­li­tät zwi­schen pro­rus­si­schen und natio­na­lis­ti­schen Kräften her­rüh­rende Chaos als Vorwand, um zunächst die ukrai­ni­sche Krim-Halb­in­sel zu annek­tie­ren und dann 2014 durch seine Stell­ver­tre­ter den Krieg im Donbas anzustoßen.

Lukaschen­kas frühere Politik

Vor den jüngs­ten Ereig­nis­sen schwankte Lukaschenka stets zwi­schen einer Allianz mit Russ­land und dem Anspruch, ein unab­hän­gi­ger und starker Herr­scher zu sein.

Als er 1994 erst­mals zum Prä­si­den­ten gewählt wurde, war er für eine Allianz mit Russ­land ein­ge­tre­ten, für einen ver­ein­ten rus­sisch-bela­ru­si­schen Staat, an dessen Spitze er nach dem Aus­schei­den des dama­li­gen rus­si­schen Prä­si­den­ten Boris Jelzin aus dem Amt selbst zu stehen hoffte. Er machte außer­dem Rus­sisch zu einer der Staats­spra­chen und ersetzte die natio­na­lis­ti­sche Flagge und das Wappen durch neue Ent­würfe im sowje­ti­schen Stil.

Als jedoch bis 1999 kein ver­ein­tes Land mit Lukaschenka an der Spitze zustande gekom­men war, wählte er eine Politik, die die Gegen­sätze zwi­schen Russ­land und dem Westen zum eigenen Vorteil aus­nutze. Zu unter­schied­li­chen Zeiten bän­delte er ent­we­der sowohl mit west­li­chen Ländern als auch mit Russ­land an, oder er kri­ti­sierte diese scharf. Auf diese Weise hoffte er, wirt­schaft­li­che oder poli­ti­sche Vor­teile von Beiden zu erlangen.

Nachdem Russ­land und seine Stell­ver­tre­ter 2014 einen Krieg gegen die Ukraine began­nen, wurde Lukaschenka zum wich­tigs­ten Ver­mitt­ler in den Minsker Frie­dens­ver­hand­lun­gen zwi­schen Russ­land und der Ukraine. Er hoffte laut Donald Tusk, dem ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten des Euro­päi­schen Rates, sogar darauf, an der Spitze einer rus­sisch-ukrai­ni­schen Union zu stehen.

Inzwi­schen sind die Minsker Gesprä­che auf­grund der Revo­lu­tion in Belarus und des Zögerns der Ukraine, die mani­pu­lierte Wahl dort anzu­er­ken­nen, bereits unter­bro­chen worden.

Nach 2014 begann Lukaschenka aus Furcht vor einer rus­si­schen Macht­über­nahme in Belarus noch mit dem bela­ru­si­schen Natio­na­lis­mus zu flirten und sich selbst als Ver­tei­di­ger der Unab­hän­gig­keit seines Landes gegen­über Russ­land dar­zu­stel­len. Das Regime wurde natio­na­lis­ti­scher Sym­bo­lik und einer natio­na­lis­ti­schen Inter­pre­ta­tion der Geschichte des Landes gegen­über tole­ran­ter, im Gegen­satz zu den tra­di­tio­nell sowje­ti­schen Versionen.

Ihren Höhe­punkt erreichte Lukaschen­kas Feind­se­lig­keit gegen­über Russ­land im Vorfeld der Wahl im Juli, als 33 Söldner des rus­si­schen Mili­tär­un­ter­neh­mens Wagner – mit sowohl rus­si­schen als auch ukrai­ni­schen Pässen – in Belarus gefan­gen genom­men wurden.

Die bela­ru­si­sche Regie­rung ver­suchte, die Oppo­si­tion als vom Kreml gestützt dar­zu­stel­len und behaup­tete, dass die Söldner Pro­vo­ka­tio­nen nach der Wahl planten. Die Ukraine ver­langte auf­grund der Betei­li­gung der Söldner am Krieg gegen ukrai­ni­sche Truppen deren Auslieferung.

Unter­des­sen ver­öf­fent­lich­ten ukrai­ni­sche Medien die Infor­ma­tion, dass der ukrai­ni­sche Geheim­dienst geplant hatte, die Söldner bei einer unvor­her­ge­se­he­nen Zwi­schen­lan­dung ihrer Lini­en­ma­schine in der Ukraine fest­zu­neh­men. Diese Ope­ra­tion wurde jedoch angeb­lich ver­ei­telt, als Infor­ma­tio­nen dazu im Voraus bekannt wurden.

Wahl­er­geb­nisse

Nach der Wahl am 9. August änderte sich Lukaschen­kas Herr­schafts­rhe­to­rik drastisch.

Nach offi­zi­el­len Wahl­er­geb­nis­sen erreich­ten Lukaschenka und seine wich­tigste Kon­kur­ren­tin, Swet­lana Tich­anows­kaja, einen Stim­men­an­teil von 80 bzw. 10 Prozent. Schrift­li­che und rech­ne­ri­sche Beweise zeigen, dass die Wahl massiv mani­pu­liert wurde und dass Tich­anows­kaja tat­säch­lich die Wahl gewon­nen haben könnte.

Auf­grund dessen gingen Hun­dert­tau­sende auf die Straßen von Belarus, um faire Neu­wah­len zu ver­lan­gen. Tau­sende wurden ver­haf­tet und viele wurden miss­han­delt und gefoltert.

Der rus­si­sche poli­ti­sche Analyst Dimitry Oresh­kin sagte Ukraine ver­ste­hen gegen­über, dass Lukaschenka de facto jede Legi­ti­ma­tion ver­lo­ren habe, aber wei­ter­hin seinen umfang­rei­chen Unter­drü­ckungs­ap­pa­rat nutzen könne, um die Exis­tenz seines Regimes auf lange Zeit zu ver­län­gern und so Belarus in eine noch bru­ta­lere Dik­ta­tur umzu­wan­deln. Einige nennen es „Nord­ko­rea Light“. 

Auf­grund der Beweise für einen Wahl­be­trug erkannte die Euro­päi­sche Union die Ergeb­nisse der Wahl nicht an.

Am 10. Sep­tem­ber erkannte das Par­la­ment von Litauen Tich­anows­kaja als „gewähl­tes Staats­ober­haupt von Belarus“ und den Koor­di­na­ti­ons­rat der Oppo­si­tion als „die einzig legi­ti­men Reprä­sen­tan­ten des bela­ru­si­schen Volks“ an.

Das litaui­sche Par­la­ment sagte, es betrachte „alle Aktio­nen des unrecht­mä­ßi­gen Führers von Belarus, Aljaksandr Lukaschenka, als ein Ver­bre­chen gegen sein Volk, als null und nichtig und nicht aner­kannt von der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft, wenn seine natio­nale und inter­na­tio­nale Politik darauf abziele, seine Macht zu legi­ti­mie­ren und neue inter­na­tio­nale Ver­ein­ba­run­gen mit Russ­land zu treffen, welche die Sou­ve­rä­ni­tät der bela­ru­si­schen Bevöl­ke­rung ein­schrän­ken – de facto eine Anne­xion des Landes.“

Rus­si­sche Hilfe

Da der Wider­stand gegen Lukaschen­kas Regime im eigenen Land zunimmt und er sich mit einer nega­ti­ven Reak­tion des Westens kon­fron­tiert sieht, musste er sich mehr und mehr auf rus­si­sche Unter­stüt­zung verlassen.

Die Wagner-Söldner wurden im August an Russ­land zurück­ge­ge­ben. Der Wagner-Skandal wird nun von rus­si­scher und bela­ru­si­scher Pro­pa­ganda derart ver­dreht, dass die Ukraine und der Westen als Schul­dige dastehen.

Im Zuge seiner neuen pro­rus­si­schen Rhe­to­rik sprach Lukaschenka am 1. Sep­tem­ber von einem gemein­sa­men rus­sisch-bela­ru­si­schen „Vater­land von Brest bis Wla­di­wos­tok“. Am 14. Sep­tem­ber reiste er ohne eine Dele­ga­tion nach Sotschi, um sich um die Unter­stüt­zung des Kremls bei der Unter­drü­ckung der Revo­lu­tion zu bemühen. Beim Treffen kün­digte Putin einen 1,5 Mil­li­ar­den Dollar schwe­ren Hilfs­kre­dit an.

Der rus­si­sche Dik­ta­tor Wla­di­mir Putin sagte im August, er habe eine Reserve von Ein­satz­kräf­ten gebil­det, um Lukaschen­kas Regime wenn nötig zu stützen.

Der Kreml hat außer­dem Fern­seh­pro­pa­ganda-Spe­zia­lis­ten ent­sandt, um die strei­ken­den oder ent­las­se­nen bela­ru­si­schen Fern­seh­jour­na­lis­ten zu erset­zen, die gegen das scharfe Vor­ge­hen gegen die Pro­teste durch Lukaschenka auf­be­gehrt hatten.

Rus­si­sche Pro­pa­ganda, die anfangs dop­pel­deu­tig war und zögerte, Lukaschenka zu unter­stüt­zen, steht nun fest hinter ihm und brand­markt die Pro­teste als vom Westen unter­stütz­ter Maidan.

Der rus­si­sche Söldner Igor Girkin (Strel­kow), der den von Russ­land unter­stütz­ten Krieg im Donbas 2014 anstieß, bot an, rus­si­sche natio­na­lis­ti­sche Kämpfer nach Belarus zu ent­sen­den, wenn Lukaschenka auf seine Bedin­gun­gen eingeht. Wenn das geschieht, gehen viel­leicht pro­rus­si­sche Kämpfer aus den von Sepa­ra­tis­ten kon­trol­lier­ten Gebie­ten in der Ukraine nach Belarus, um dort für das Regime zu kämpfen.

Girkin sagte sogar in einem Inter­view, dass er Angst vor einem Maidan in Moskau habe, wenn die aktu­elle Revo­lu­tion in Minsk Erfolg habe: „Kyjiw ist gefal­len, dann wird Minsk fallen und dann wird Moskau folgen.“

Inte­gra­tion oder Annexion?

Ein mög­li­ches Sze­na­rio ist, dass Putin Lukaschen­kas unsi­chere Situa­tion nutzen wird, um Belarus als Gegen­leis­tung für seine Unter­stüt­zung enger an Russ­land zu binden.

„Für Putin ist es sehr wichtig, Belarus zu annek­tie­ren, um mehr Wäh­ler­zu­stim­mung zu erhal­ten. Er hegt immer noch die Idee, die Sowjet­union wie­der­auf­er­ste­hen zu lassen“, sagte Oreshkin. 

Die beiden Länder grün­de­ten 1999 den Uni­ons­staat, der eine tief­grei­fende wirt­schaft­li­che und poli­ti­sche Inte­gra­tion der beiden Länder vorsah, bis hin zur Grün­dung eines gemein­sa­men Staates. Aber der Uni­ons­staat besteht bis heute haupt­säch­lich auf dem Papier.

In den der Wahl 2020 vor­an­ge­hen­den Jahren hatten Russ­land und Belarus die Gesprä­che über eine weitere Inte­gra­tion inten­si­viert, unter anderem über die Ein­füh­rung einer gemein­sa­men Währung, eine Ver­ein­heit­li­chung der wirt­schaft­li­chen Regu­lie­rungs­be­hör­den und ein ein­heit­li­ches Gerichts­we­sen. Damals kamen diese Gesprä­che zu keinem Ergebnis.

Die Situa­tion könnte sich nun aber ändern.

„Lukaschenka hat gezeigt, dass er bereit ist, einen Groß­teil seiner Macht zuguns­ten des Kremls zu opfern, im Gegen­zug für poli­ti­sche, wirt­schaft­li­che und mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung seines Regimes“, so die bela­ru­si­sche Jour­na­lis­tin Hanna Baraban Ukraine ver­ste­hen gegen­über. „Wenn der Kreml auf Lukaschenka setzt, wird dieser defi­ni­tiv zur Mario­nette Russ­lands. Ein unbe­lieb­ter Prä­si­dent, der Wahlen durch Betrug gewon­nen hat, bedarf drin­gend der Unter­stüt­zung (des Kremls).“

Aber Oresh­kin hält Lukaschenka selbst für das größte Hin­der­nis für eine wirk­li­che Inte­gra­tion: Er muss nun aus tak­ti­schen Gründen an den Kreml appel­lie­ren, will aber nicht zum Gou­ver­neur einer rus­si­schen Provinz werden.

„Sobald er das Gefühl hat, die Situa­tion unter Kon­trolle zu haben, wird er begin­nen, sich in die ent­ge­gen­ge­setzte Rich­tung zu bewegen“, sagte er. „Wenn er eine Bedro­hung für sein Regime und seine per­sön­li­che Macht sieht, beschul­digt er ohne Umstände sowohl Moskau als auch den Westen.“

Auf­grund von Lukaschen­kas unbe­re­chen­ba­rem Cha­rak­ter hat der Kreml laut Oresh­kin und Baraban erwogen, auch pro­rus­si­sche Teile der Oppo­si­tion zu unterstützen.

Ver­fas­sungs­än­de­run­gen

Das Thema ist mög­li­cher­weise ver­bun­den mit Lukaschen­kas gegen­wär­ti­gem Gerede von zukünf­ti­gen unbe­nann­ten „Ver­fas­sungs­än­de­run­gen“, um die poli­ti­sche Krise bei­zu­le­gen. Er deutete an, dass die Befug­nisse des Prä­si­den­ten abge­schwächt und das poli­ti­sche System libe­ra­li­siert werden könnten.

„Lukaschen­kas Worte zu Ver­fas­sungs­än­de­run­gen sollten nicht ernst genom­men werden“, sagte die bela­ru­si­sche Jour­na­lis­tin und Akti­vis­tin Irina Khalip zu Ukraine ver­ste­hen. „Alles, was er sagt, ist ein Versuch, den Pro­tes­ten mit bedeu­tungs­lo­sem Gerede zu begeg­nen. Er pro­biert, die Men­schen von den Straßen zu holen und sie in Büro­kra­tie zu verwickeln.“

Es gibt einige Anzei­chen dafür, dass die Ver­fas­sungs­än­de­run­gen, von denen Lukaschenka spricht, auch der wei­te­ren Inte­gra­tion von Belarus in Russ­land dienen könnten, bis hin zu einer fak­ti­schen Anne­xion des Landes. 

Am 31. August sagte Putins Spre­cher Dmitri Peskow, dass Russ­land Belarus bei Ver­fas­sungs­än­de­run­gen helfen könne. Unter­des­sen sagte Gennadi Davydko, der Kopf der Lukaschenka-freund­li­chen poli­ti­schen Grup­pie­rung Belaja Rus, am 1. Sep­tem­ber im rus­si­schen Fern­se­hen, dass Ver­fas­sungs­er­gän­zun­gen in Belarus Teil der Erar­bei­tung einer gemein­sa­men Ver­fas­sung des rus­sisch-bela­ru­si­schen Uni­ons­staa­tes sein könnten.

„Es ist sehr wahr­schein­lich, dass die Ergän­zun­gen mit einer stär­ke­ren Inte­gra­tion beider Länder als Teil des Uni­ons­staa­tes ein­her­ge­hen werden“, so Hanna Baraban. „Einige Juris­ten glauben, dass die neue Ver­fas­sung von Belarus vor­schrei­ben wird, dass Gesetze des Uni­ons­staa­tes Vorrang vor denen von Belarus haben, was de facto eine Anne­xion impliziert.“

Mili­tär­inva­sion?

Einige Ana­lys­ten schlie­ßen auch eine rus­si­sche Mili­tär­inva­sion zur Unter­stüt­zung der Dik­ta­tur Lukaschen­kas nicht aus.

In der der­zei­ti­gen Lage wäre dies unwahr­schein­lich, da eine voll­stän­dige rus­si­sche Mili­tär­inva­sion für den Kreml zu riskant wäre, in der Bevöl­ke­rung auf großen Wider­stand treffen würde und zu wei­te­ren west­li­chen Sank­tio­nen führen würde, so Oresh­kin und Baraban.

Oresh­kin stellte der jet­zi­gen Situa­tion die rus­si­sche Anne­xion der ukrai­ni­schen Krim im Jahr 2014 gegenüber:

Auf der Krim unter­stützte ein großer Teil der Bevöl­ke­rung die Aggres­sion des Kremls, während in Belarus eine rus­si­sche Über­nahme keine ver­gleich­bare Unter­stüt­zung in der Bevöl­ke­rung habe. 

Er brachte vor, dass Russ­land nur unter dem Vorwand einer neu­tra­len Frie­dens­truppe in Belarus ein­mar­schie­ren könne, falls es zu umfang­rei­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen Demons­tran­ten und der Polizei kommen sollte. Putin hat diese Mög­lich­keit selbst ange­deu­tet, als er sagte, rus­si­sche Truppen könnten zum Einsatz kommen, wenn es zu Gewalt käme.

Post­so­wje­ti­sche Revolutionen

Rus­si­sche Pro­pa­ganda stellt die Pro­teste in Belarus zuneh­mend als eine Wie­der­ho­lung des ukrai­ni­schen Euro­mai­dan dar und dämo­ni­siert sie auf die gleiche Weise.

Der Kreml befürch­tet tra­di­tio­nell seit jeher pro­west­li­che Revo­lu­tio­nen in post­so­wje­ti­schen Ländern: die Rosen­re­vo­lu­tion 2003 in Geor­gien, die Oran­gene Revo­lu­tion 2004 und den Euro­mai­dan 2014 in der Ukraine sowie die Twitter-Revo­lu­tion 2009 in der Repu­blik Moldau.

Selbst wenn die Revo­lu­tio­nen anti­au­to­ri­tär, aber nicht expli­zit pro­west­lich waren, lösten sie in Russ­land Besorg­nis aus, etwa die kir­gi­si­schen Revo­lu­tio­nen 2005 und 2010 und die arme­ni­sche Revo­lu­tion 2018. Dennoch ist es Russ­land in diesen Fällen gelun­gen, gute Bezie­hun­gen mit den post­re­vo­lu­tio­nä­ren Regie­run­gen aufrechtzuerhalten.

Die anhal­ten­den Pro­teste in Belarus ähneln eher diesen Revolutionen.

„Der Cha­rak­ter dieser Pro­teste ist weder pro­rus­sisch noch pro­eu­ro­pä­isch: Das Augen­merk der Oppo­si­tion kon­zen­triert sich vor allem auf innen­po­li­ti­sche Ange­le­gen­hei­ten“, sagte Baraban.

Abge­se­hen von der Angst, dass sich der Ein­fluss­be­reich des Kremls auf­grund von post­so­wje­ti­schen Rebel­lio­nen ver­klei­nert, ist Putin auch darüber unglück­lich, dass solche Unruhen seinem eigenen Volk als Vorbild dienen könnten, gegen sein auto­ri­tä­res Regime aufzubegehren.

„Für Putin wäre ein Regie­rungs­wech­sel in Belarus, der durch Stra­ßen­pro­teste her­bei­ge­führt wurde, die größte Kata­stro­phe“, so Oreshkin. 

Zwei unter­schied­li­che Aufstände

Aber Ver­glei­che zwi­schen den bela­ru­si­schen und den ukrai­ni­schen Pro­tes­ten sind mög­li­cher­weise irreführend.

Das ver­hal­ten auto­ri­täre Regime des ehe­ma­li­gen ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Viktor Janu­ko­witsch bestand nur für vier Jahre, bevor die Euro­mai­dan-Revo­lu­tion es stürzte; es war relativ schwach und die Ukrainer*innen hatten zuvor bereits die Erfah­rung einer erfolg­rei­chen Revo­lu­tion gemacht, es gab eine leben­dige Tra­di­tion von Demo­kra­tie und Redefreiheit.

Dem­ge­gen­über besteht die Dik­ta­tur Lukaschen­kas seit den 1990er Jahren und ist in vie­ler­lei Hin­sicht stärker und bru­ta­ler als die Regimes von Janu­ko­witsch oder sogar Putin.

Daher ist der Preis der radi­ka­len Pro­teste in Belarus wesent­lich höher: Hier kann man inhaf­tiert oder gar getötet werden für etwas, das in der Ukraine als all­täg­lich betrach­tet würde – wie das Werfen eines Molotowcocktails.

Deshalb sind die Pro­teste in Belarus bisher weit­ge­hend fried­lich ver­lau­fen, mit wenigen Ausnahmen.

Eine Gemein­sam­keit ist jedoch, dass Lukaschenka seine eigene Kopie des ukrai­ni­schen Anti­ma­i­dan geschaf­fen hat – eine pro­rus­si­sche und pro­so­wje­ti­sche Bewe­gung, die darauf abzielt, der Revo­lu­tion entgegenzuwirken.

Genau wie in der Ukraine gibt es bei Lukaschen­kas Anti­ma­i­dan mit Bussen her­bei­ge­schaffte Beschäf­tigte des öffent­li­chen Diens­tes, rus­si­sche und sowje­ti­sche Flaggen, sowie Sankt-Georgs-Bänder – ein Symbol der Kreml­pro­pa­ganda, das aus dem Zweiten Welt­krieg stammt. 

Genau wie Janu­ko­witsch hat Lukaschenka begon­nen, „Tituschki“ ein­zu­set­zen – regie­rungs­freund­li­che Schlä­ger­ty­pen, die in Sport­klei­dung und mit Base­ball­schlä­gern aus­ge­stat­tet Demons­tran­ten angreifen.

Lukaschenka hat auch ähn­li­che Fehler wie Janu­ko­witsch began­gen – mit seiner Wei­ge­rung, Zuge­ständ­nisse zu machen, und dem Ver­an­las­sen von Repres­sio­nen heizt er die Revo­lu­tion an.

„Je mehr die Regie­rung die Men­schen unter­drückt und ver­haf­tet, desto größer die Welle der Soli­da­ri­tät in der Bevöl­ke­rung und desto mehr Men­schen gehen auf die Straße“, sagte die bela­ru­si­sche poli­ti­sche Ana­lys­tin Kat­sia­ryna Shmatsina.

Aus dem Eng­li­schen von Meike Temberg. 

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