Siemens-Turbinen für die Krim
Der Fall der Siemens-Turbinen für ein Kraftwerk auf der Krim bringt exemplarisch die Frage auf den Punkt: Was schert das Völkerrecht, wenn lukrative Geschäfte locken? Von Ralf Fücks
Die Katze ist aus dem Sack: Das neu Kraftwerk eines russischen Energiekonzerns auf der Krim wird mit Gasturbinen von Siemens bestückt. Es soll die annektierte Halbinsel unabhängig von der Stromversorgung aus der Ukraine machen.
Siemens behauptet, die Turbinen seien für ein Kraftwerk in Russland bestellt gewesen – völlig legal. Die Russen hätten den Vertrag gebrochen und die Technik illegal auf die Krim geschafft. Diese Transaktion läuft den Russlandsanktionen von EU und USA zuwider. Geschäfte auf der Krim sind Unternehmen verboten.
Das Interesse an dem dubiosen Vorgang hält sich in Deutschland in Grenzen. Viel mehr erregt man sich über die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland durch den amerikanischen Senat, die sich auch gegen das „North Stream II“-Pipelineprojekt richten.
Siemens, an zahlreichen Unternehmen im russischen Markt beteiligt, hat vor einem russischen Gericht eine einstweilige Verfügung zur vorläufigen Sicherstellung der Turbinen beantragt – und ist damit erwartungsgemäß gescheitert.
Wer sich mit den Hintergründen des Falls beschäftigt, den die „Süddeutsche Zeitung“ ausführlich recherchiert hat, bekommt den Eindruck, dass es schwer für die Verantwortlichen gewesen sein muss, das Offensichtliche zu ignorieren.
Das Kraftwerk, für das die Turbinen offiziell geordert wurden, war reine Fiktion
Das Kraftwerk im russischen Taman vis a vis der Krim, für das die Turbinen offiziell geordert wurden, war reine Fiktion. Wie die „SZ“ erklärt, „beschrieben schon 2015 Zeitungen in der Ukraine, in Russland und auch in Deutschland detailliert das Schema, wie die Anlagen an ihre eigentlichen Bestimmungsorte in Sewastopol und Simferopol auf der Krim gelangen werden.“
Die Baustellen auf der Krim hätten rasche Fortschritte gemacht, war in der Presse damals zu lesen. Auf der Baustelle im südrussischen Taman, das im Vertrag mit Siemens laut „SZ“ als Bestimmungsort genannt war, bewegte sich dagegen nichts. Außerdem besaß der Käufer, eine Tochter des staatlichen Energiekonzerns Rostec, den offiziellen Auftrag für den Bau von zwei Kraftwerksblöcken auf der Krim mit exakt der Kapazität von 940 MW, für die jene Siemens-Turbinen ausgelegt sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Auf russischer Seite zumindest muss schon lange klar gewesen sein, wo die Turbinen landen sollen.
Teile der deutschen Wirtschaft halten nichts von der Sanktionspolitik
Auch die Bundesregierung hatte einschlägige Warnsignale, aber Außenminister Sigmar Gabriel ließ sich von Putin beruhigen: Russland verhalte sich vertragskonform. So naiv kann man gar nicht sein – schon gar nicht das Schlitzohr Gabriel.
Was den Fall noch brisanter macht: Schon lange ist bekannt, was Teile der deutschen Industrie von den Russland-Sanktionen halten: Man will sie nicht und bemüht sich nach Kräften, sie zu umgehen. In maßgeblichen Kreisen der deutschen Eliten kursiert immer noch die alte Vorstellung eines speziellen deutsch-russischen Pakts: Russland liefert Energie und Rohstoffe, Deutschland rüstet die russische Industrie aus. Was schert es schon deutsche Weltunternehmen, dass die Annexion der Krim und der unerklärte russische Krieg in der Ostukraine die europäische Friedensordnung aus den Angeln heben.
Am 18. Oktober berichtete die SZ dass der russische Käufer den Vertrag mit Siemens infrage stelle – vor allem die Klausel, die den Einsatz auf der Krim ausschließt. Das verstoße gegen die Souveränität Russlands. Man kann davon ausgehen, dass es Siemens bei symbolischen rechtlichen Schritten belassen wird, um sein Russlandgeschäft nicht zu gefährden.
Man ist in München offenbar bereit, die Ukraine als Bauernopfer fallen zu lassen, damit der Rubel in Russland weiter rollt
Was für den Konzern Priorität hat, zeigt folgende Nachricht: Mitte September berichtete Andrij Kobolev, CEO des ukrainischen Gasriesen Naftohaz, dass Siemens keine Bauteile mehr an sein Unternehmen liefern wolle, die zur Modernisierung des Gastransportsystems benötigt werden. Wörtlich sagte Kobolev: “We had agreements on the supply of Siemens compressor systems when we started working on modernizing the gas transport system, but subsequently they refused such cooperation because it threatened their contracts with Russia” (16.9, Kyiv Post). EuromaidanPress zitierte ihn noch mit den Worten: „First the compressors were delivered, those were compressors from Siemens. But shortly after we had a call from Siemens, and they said that if they delivered another piece of the equipment, their supplies to Russia would be reduced to zero.“ Sollte diese Information zutreffen, wäre Siemens endgültig vor der russischen Erpressung eingeknickt: man ist in München offenbar bereit, die Ukraine als Bauernopfer fallen zu lassen, damit der Rubel in Russland weiter rollt.
Kumpanei zwischen der deutschen und der russischen Petro-Oligarchie
Man muss sich diese Geschichte vor Augen führen, um das Geschrei des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft über die verschärften US-Sanktionen gegen Russland als das zu erkennen, was es ist: pure Heuchelei. Man wirft den Amerikanern vor, dass sie ihr Gas in den europäischen Markt drücken wollen und verteidigt die einträgliche Kumpanei zwischen der deutschen und der russischen Petro-Oligarchie.
Keine Frage: es war ein Fehler, dass das amerikanische Parlament die Sanktionsschraube gegen Russland verschärfte, ohne die europäischen Verbündeten zu konsultieren. Jeder Riss zwischen Washington und der EU in der Russland-Politik spielt Putin in die Hände.
Aber was soll man davon halten, dass in Deutschland sofort von einem „US-Wirtschaftskrieg“ gegen Europa die Rede war, weil die amerikanischen Sanktionen auch europäische Firmen treffen könnten, die Geschäfte mit dem russischen Petro-Kartell machen?
North-Stream II – mehr Abhängigkeit von Russland
Der Gipfel der Heuchelei ist erreicht, wenn „North Stream II“ als Beitrag zur europäischen Energieunabhängigkeit verkauft wird. Das Gegenteil ist der Fall. Das Projekt bindet die europäische Gasversorgung noch tiefer an Russland, statt sie zu diversifizieren. Gegen die Ziele der europäischen Klimapolitik schreibt es die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern für die nächsten Jahrzehnte fort. Und es umgeht bewusst die Ukraine und Polen als Transitländer. Das beschert ihnen nicht nur empfindliche finanzielle Verluste, sondern macht sie leichter erpressbar.
Wer immer der Wahnidee frönt, Deutschland und Europa sollten sich mit Russland zusammentun, um eine gemeinsame Front gegen die ungeliebten Amerikaner zu bilden, sollte sich in einer ruhigen Stunde die nüchternen Zahlen über Volumen und Struktur der wirtschaftlichen Verflechtungen Europas mit den USA sowie mit Russland ansehen.
Noch abwegiger sind allerdings die politischen Implikationen dieser eurasischen Phantasien. Der Traum von einer Neuauflage der Achse Berlin-Moskau ist das alte Antiwestlertum in neuem Gewand. Für unsere Nachbarn in Mittel-Osteuropa bedeutet das nichts Gutes.
Für Deutschland auch nicht. Wie das Beispiel des Turbinen-Coups nahe legt, ist das erste Opfer der deutsch-russischen Sonderbeziehungen das Völkerrecht.
Dieser Text ist eine Aktualisierung eines Beitrags des Autors, der am 31.07.2017 auf huffingtonpost.de erschienen.
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