Siemens-Tur­bi­nen für die Krim

© Boris Rumenov Bala­ba­nov, CC BY-NC-ND 2.0

Der Fall der Siemens-Tur­bi­nen für ein Kraft­werk auf der Krim bringt exem­pla­risch die Frage auf den Punkt: Was schert das Völ­ker­recht, wenn lukra­tive Geschäfte locken? Von Ralf Fücks

Die Katze ist aus dem Sack: Das neu Kraft­werk eines rus­si­schen Ener­gie­kon­zerns auf der Krim wird mit Gas­tur­bi­nen von Siemens bestückt. Es soll die annek­tierte Halb­in­sel unab­hän­gig von der Strom­ver­sor­gung aus der Ukraine machen.

Siemens behaup­tet, die Tur­bi­nen seien für ein Kraft­werk in Russ­land bestellt gewesen – völlig legal. Die Russen hätten den Vertrag gebro­chen und die Technik illegal auf die Krim geschafft. Diese Trans­ak­tion läuft den Russ­land­sank­tio­nen von EU und USA zuwider. Geschäfte auf der Krim sind Unter­neh­men verboten.

Das Inter­esse an dem dubio­sen Vorgang hält sich in Deutsch­land in Grenzen. Viel mehr erregt man sich über die Ver­schär­fung der Wirt­schafts­sank­tio­nen gegen Russ­land durch den ame­ri­ka­ni­schen Senat, die sich auch gegen das „North Stream II“-Pipelineprojekt richten.

Siemens, an zahl­rei­chen Unter­neh­men im rus­si­schen Markt betei­ligt, hat vor einem rus­si­schen Gericht eine einst­wei­lige Ver­fü­gung zur vor­läu­fi­gen Sicher­stel­lung der Tur­bi­nen bean­tragt – und ist damit erwar­tungs­ge­mäß gescheitert.

Wer sich mit den Hin­ter­grün­den des Falls beschäf­tigt, den die „Süd­deut­sche Zeitung“ aus­führ­lich recher­chiert hat, bekommt den Ein­druck, dass es schwer für die Ver­ant­wort­li­chen gewesen sein muss, das Offen­sicht­li­che zu ignorieren.

Das Kraft­werk, für das die Tur­bi­nen offi­zi­ell geor­dert wurden, war reine Fiktion 

Das Kraft­werk im rus­si­schen Taman vis a vis der Krim, für das die Tur­bi­nen offi­zi­ell geor­dert wurden, war reine Fiktion. Wie die „SZ“ erklärt, „beschrie­ben schon 2015 Zei­tun­gen in der Ukraine, in Russ­land und auch in Deutsch­land detail­liert das Schema, wie die Anlagen an ihre eigent­li­chen Bestim­mungs­orte in Sewas­to­pol und Sim­fe­ro­pol auf der Krim gelan­gen werden.“

Die Bau­stel­len auf der Krim hätten rasche Fort­schritte gemacht, war in der Presse damals zu lesen. Auf der Bau­stelle im süd­rus­si­schen Taman, das im Vertrag mit Siemens laut „SZ“ als Bestim­mungs­ort genannt war, bewegte sich dagegen nichts. Außer­dem besaß der Käufer, eine Tochter des staat­li­chen Ener­gie­kon­zerns Rostec, den offi­zi­el­len Auftrag für den Bau von zwei Kraft­werks­blö­cken auf der Krim mit exakt der Kapa­zi­tät von 940 MW, für die jene Siemens-Tur­bi­nen aus­ge­legt sind. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Auf rus­si­scher Seite zumin­dest muss schon lange klar gewesen sein, wo die Tur­bi­nen landen sollen.

Teile der deut­schen Wirt­schaft halten nichts von der Sanktionspolitik

Auch die Bun­des­re­gie­rung hatte ein­schlä­gige Warn­si­gnale, aber Außen­mi­nis­ter Sigmar Gabriel ließ sich von Putin beru­hi­gen: Russ­land ver­halte sich ver­trags­kon­form. So naiv kann man gar nicht sein – schon gar nicht das Schlitz­ohr Gabriel.

Was den Fall noch bri­san­ter macht: Schon lange ist bekannt, was Teile der deut­schen Indus­trie von den Russ­land-Sank­tio­nen halten: Man will sie nicht und bemüht sich nach Kräften, sie zu umgehen. In maß­geb­li­chen Kreisen der deut­schen Eliten kur­siert immer noch die alte Vor­stel­lung eines spe­zi­el­len deutsch-rus­si­schen Pakts: Russ­land liefert Energie und Roh­stoffe, Deutsch­land rüstet die rus­si­sche Indus­trie aus. Was schert es schon deut­sche Welt­un­ter­neh­men, dass die Anne­xion der Krim und der uner­klärte rus­si­sche Krieg in der Ost­ukraine die euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung aus den Angeln heben.

Am 18. Oktober berich­tete die SZ dass der rus­si­sche Käufer den Vertrag mit Siemens infrage stelle – vor allem die Klausel, die den Einsatz auf der Krim aus­schließt. Das ver­stoße gegen die Sou­ve­rä­ni­tät Russ­lands. Man kann davon aus­ge­hen, dass es Siemens bei sym­bo­li­schen recht­li­chen Schrit­ten belas­sen wird, um sein Russ­land­ge­schäft nicht zu gefährden.

Man ist in München offen­bar bereit, die Ukraine als Bau­ern­op­fer fallen zu lassen, damit der Rubel in Russ­land weiter rollt 

Was für den Konzern Prio­ri­tät hat, zeigt fol­gende Nach­richt: Mitte Sep­tem­ber berich­tete Andrij Kobolev, CEO des ukrai­ni­schen Gas­rie­sen Naf­to­haz, dass Siemens keine Bau­teile mehr an sein Unter­neh­men liefern wolle, die zur Moder­ni­sie­rung des Gas­trans­port­sys­tems benö­tigt werden. Wört­lich sagte Kobolev: “We had agree­ments on the supply of Siemens com­pres­sor systems when we started working on moder­ni­zing the gas trans­port system, but sub­se­quently they refused such coope­ra­tion because it threa­tened their con­tracts with Russia” (16.9, Kyiv Post). Euro­mai­d­an­Press zitierte ihn noch mit den Worten: „First the com­pres­sors were deli­vered, those were com­pres­sors from Siemens. But shortly after we had a call from Siemens, and they said that if they deli­vered another piece of the equip­ment, their sup­plies to Russia would be reduced to zero.“ Sollte diese Infor­ma­tion zutref­fen, wäre Siemens end­gül­tig vor der rus­si­schen Erpres­sung ein­ge­knickt: man ist in München offen­bar bereit, die Ukraine als Bau­ern­op­fer fallen zu lassen, damit der Rubel in Russ­land weiter rollt. 

Kum­pa­nei zwi­schen der deut­schen und der rus­si­schen Petro-Oligarchie

Man muss sich diese Geschichte vor Augen führen, um das Geschrei des Ost­aus­schus­ses der deut­schen Wirt­schaft über die ver­schärf­ten US-Sank­tio­nen gegen Russ­land als das zu erken­nen, was es ist: pure Heu­che­lei. Man wirft den Ame­ri­ka­nern vor, dass sie ihr Gas in den euro­päi­schen Markt drücken wollen und ver­tei­digt die ein­träg­li­che Kum­pa­nei zwi­schen der deut­schen und der rus­si­schen Petro-Oligarchie.

Keine Frage: es war ein Fehler, dass das ame­ri­ka­ni­sche Par­la­ment die Sank­ti­ons­schraube gegen Russ­land ver­schärfte, ohne die euro­päi­schen Ver­bün­de­ten zu kon­sul­tie­ren. Jeder Riss zwi­schen Washing­ton und der EU in der Russ­land-Politik spielt Putin in die Hände.

Aber was soll man davon halten, dass in Deutsch­land sofort von einem „US-Wirt­schafts­krieg“ gegen Europa die Rede war, weil die ame­ri­ka­ni­schen Sank­tio­nen auch euro­päi­sche Firmen treffen könnten, die Geschäfte mit dem rus­si­schen Petro-Kartell machen? 

North-Stream II – mehr Abhän­gig­keit von Russ­land 

Der Gipfel der Heu­che­lei ist erreicht, wenn „North Stream II“ als Beitrag zur euro­päi­schen Ener­gie­un­ab­hän­gig­keit ver­kauft wird. Das Gegen­teil ist der Fall. Das Projekt bindet die euro­päi­sche Gas­ver­sor­gung noch tiefer an Russ­land, statt sie zu diver­si­fi­zie­ren. Gegen die Ziele der euro­päi­schen Kli­ma­po­li­tik schreibt es die Abhän­gig­keit von fos­si­len Ener­gie­trä­gern für die nächs­ten Jahr­zehnte fort. Und es umgeht bewusst die Ukraine und Polen als Tran­sit­län­der. Das beschert ihnen nicht nur emp­find­li­che finan­zi­elle Ver­luste, sondern macht sie leich­ter erpressbar.

Wer immer der Wahn­idee frönt, Deutsch­land und Europa sollten sich mit Russ­land zusam­men­tun, um eine gemein­same Front gegen die unge­lieb­ten Ame­ri­ka­ner zu bilden, sollte sich in einer ruhigen Stunde die nüch­ter­nen Zahlen über Volumen und Struk­tur der wirt­schaft­li­chen Ver­flech­tun­gen Europas mit den USA sowie mit Russ­land ansehen.

Noch abwe­gi­ger sind aller­dings die poli­ti­schen Impli­ka­tio­nen dieser eura­si­schen Phan­ta­sien. Der Traum von einer Neu­auf­lage der Achse Berlin-Moskau ist das alte Anti­west­ler­tum in neuem Gewand. Für unsere Nach­barn in Mittel-Ost­eu­ropa bedeu­tet das nichts Gutes.

Für Deutsch­land auch nicht. Wie das Bei­spiel des Tur­bi­nen-Coups nahe legt, ist das erste Opfer der deutsch-rus­si­schen Son­der­be­zie­hun­gen das Völkerrecht.


Dieser Text ist eine Aktua­li­sie­rung eines Bei­trags des Autors, der am 31.07.2017 auf huffingtonpost.de erschienen.

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