Interview: Paweł Kaczmarczyk über ukrainische Arbeitsmigration nach Polen
Zur Hochsaison arbeiten mehr als 1.5 Millionen Ukrainer in Polen. Woran liegt es, dass Polen ein solch beliebtes Ziel für ukrainische Arbeiter ist? Kateryna Semtschuk hat mit dem polnischen Migrationsforscher Paweł Kaczmarczyk gesprochen.
Die Arbeitsmigration der Ukrainer nach Polen, Tschechien, Ungarn und andere Länder hält schon seit einigen Jahren an. In Polen hält sich die wohl größte Anzahl auf – Schätzungen zufolge bis zu eineinhalb Millionen Ukrainer. Das ist eine der größten Migrationsbewegungen in der jüngsten Geschichte der Ukraine, doch auch für Polen selbst ist es ein besonderes Prozess.
Es gibt viele Gründe, weshalb die Ukrainer Polen als Zielland auswählen. Die Wichtigsten sind der Zugang zu legaler Beschäftigung und der Aufenthaltsstatus im Land. Dies wurde möglich durch die Vereinfachung des Verfahrens zur Beschäftigung von Ausländern aus Belarus, Armenien, Georgien, der Republik Moldau, Russland und der Ukraine. Laut der neuen Bestimmungen, die seit Anfang 2018 wirksam sind, können Staatsbürger dieser Länder jedes Jahr bis zu sechs Monate auf Grundlage eines lediglich vom Arbeitgeber zu stellenden „Antrags zur Beschäftigung eines Ausländers“ tätig werden.
Doch was wissen wir über die Arbeitsmigration der Ukraine nach Polen? Es ist zweifellos bekannt, dass die Ukrainer weniger als die Polen verdienen und dabei länger arbeiten. Doch sind dies migrationstypische Erscheinungen. Über alles andere ist wenig bekannt, da die Arbeitsmigration bis heute – insbesondere von ukrainischer Seite – ein kaum untersuchtes Phänomen ist.
Um also die Natur der Arbeitsmigration nach Polen besser zu verstehen, hat Ukrainian Political Critique mit dem polnischen Forscher Paweł Kaczmarczyk vom Zentrum für Migrationsforschung an der Universität Warschau gesprochen. Am Zentrum wird seit vielen Jahren zu Migrationsthemen geforscht; zunächst zur Emigration von Polen ins Ausland, später dann zur Immigration nach Polen selbst. Im Gespräch mit Kaczmarczyk wollten wir mehr über die unterschiedlichen Beschäftigungsformen und die Arbeitsbedingungen der Ukrainer in Polen herausfinden.In welcher Hinsicht sind ihre Erfahrungen einzigartig?
Forschen Sie derzeit zur ukrainischen Arbeitsmigration?
Mein aktuelles Forschungsprojekt untersucht die Integration der Migranten in den Arbeitsmarkt. Zum einen geht es hier um Migranten aus der Ukraine, zum anderen aus asiatischen Ländern (China und Vietnam). Leider warten wir noch auf die Auswertung der Umfrageergebnisse, daher kann ich an dieser Stelle nicht viel dazu sagen.
Im November vergangenen Jahres haben wir eine Studie unter dem Titel „Einwanderung nach Polen im Kontext des vereinfachten Verfahrens zur Beschäftigung von Ausländern“ abgeschlossen. Sie rückte diejenigen in den Fokus, die auf Grundlage des vereinfachten Verfahrens nach Polen gekommen sind; in erster Linie auf Grundlage der „Anträge zur Beschäftigung eines Ausländers“.
Was haben Sie herausgefunden?
Zunächst muss ich betonen, dass uns das vereinfachte Verfahren nicht ohne Grund interessiert – gegenwärtig stellt es den Hauptzugang zum polnischen Arbeitsmarkt dar.
Und das Verfahren tangiert Belarus, Armenien, Georgien, die Republik Moldau, Russland und die Ukraine, richtig?
Ja, doch 95 Prozent der Arbeitnehmer sind ukrainische Staatsbürger, sodass wir uns auf diese Gruppe konzentrieren können.
Wir haben uns vor allem mit der tatsächlichen Anzahl von Ukrainern in Polen auseinandergesetzt, die wir auf 1,1 bis 1,2 Millionen schätzen. Nimmt man noch die Anzahl derjenigen hinzu, die auf Grundlage einer regulären Arbeitserlaubnis hierherkommen, dann halten sich in der Hochsaison knapp eineinhalb Millionen ukrainische Arbeitnehmer in Polen auf.
Was bringt sie dazu, Arbeit in Polen zu suchen?
Erstens ist mit Kriegsbeginn in der Ostukraine ein Faktor aufgetaucht, der die Einwohner stärker als bisher zur Ausreise veranlasst hat. Dies belegen sämtliche Daten. Ein zweiter Faktor ist auf polnischer Seite zu suchen: Die Aktivität von Arbeitsagenturen und Vermittlungsunternehmen ist gestiegen. So waren solche Agenturen unserer Umfrage zufolge im Jahr 2017 (2018 noch deutlicher) für rund 40 Prozent sämtlicher eingereichter Dokumente – und damit für „Anträge zur Beschäftigung eines Ausländers“ – in den Arbeitsämtern auf Landkreisebene verantwortlich.
Haben die Arbeitsagenturen den polnischen Arbeitsmarkt verändert?
Die Ukrainer sind in neue Segmente des Arbeitsmarktes vorgedrungen. Die meisten sind nach wie vor im Industriesektor tätig, die Landwirtschaft hat erheblich an Bedeutung verloren, und die häuslichen Dienstleistungen bleiben zu einem gewissen Grad wichtig. Doch die Mehrheit der Ukrainer ist in neuen Dienstleistungsbranchen wie der Gastronomie, dem Hotelwesen oder dem Handel tätig. Das kann natürlich auf den Bedarf an ukrainischen Arbeitskräften seitens polnischer Arbeitgeber zurückgeführt werden, doch ein anderer wesentlicher Grund hierfür ist meines Erachtens die Tätigkeit der Vermittlungsagenturen. Diese ermutigen auch Menschen zur Ausreise, die keine Verbindungen, Kontakte und Migrationsnetzwerke oder Wissen über das Land selbst haben, aber dennoch geneigt sind herzukommen, sofern sämtliche Formalitäten für sie geregelt werden.
Welche Rolle spielen diese Agenturen für die Leute vor Ort?
Das ist Gegenstand einer breiten Diskussion. Werfen wir einen Blick auf die Erfahrungen polnischer Migranten in den Niederlanden.
Die Niederlande sind in gewisser Hinsicht ein besonderes Land: ein sehr großer Teil der Beschäftigung wird über Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Auch für die Niederländer selbst. Dies erwies sich als attraktives Konzept für niederländische Arbeitgeber und polnische Arbeitnehmer. Warum? In diesem Fall geht es um saisonale Beschäftigung, oder – mehr noch –, um Arbeit, bei der die Zeitarbeitsfirma einen Mitarbeiter für fünf Stunden zu dem einen, dann für sechs Stunden zu dem anderen Unternehmen schicken kann.
Was hat das mit den Ukrainern zu tun?
Irgendwann waren die aktivsten Polen mit der höchsten Migrationsbereitschaft bereits fortgereist. Stattdessen gab es eine sehr große Anzahl an Personen, die sich in Polen mehr schlecht als recht durchschlug und entweder Probleme auf dem Arbeitsmarkt hatte oder der Ansicht war, dass sie mehr verdienen könnte oder sollte. Diese wurde offensichtlich zur Zielgruppe der Vermittlungsagenturen und konnte durch sie rekrutiert werden. Die Zusammenarbeit mit der Agentur hat zur Folge, dass der Arbeitnehmer (zumindest theoretisch) von einer Reihe von Pflichten und Risiken befreit ist, da der Mittler für den Arbeitsvertrag zuständig ist und nicht nur für die Arbeit, sondern auch für die Unterkunft sorgt und häufig sämtliche Formalitäten übernimmt. So kann sich der Beschäftigte darauf konzentrieren, Geld zu verdienen und es an seine Familie zu schicken.
Wie viele Menschen in Polen sind über solche Arbeitsagenturen beschäftigt?
Das lässt sich nur schwierig beantworten. Die bereits genannte Studie vom vergangenen Jahr schloss Zeitarbeitsagenturen mit ein, stellte uns jedoch vor große Probleme. Es erwies sich als sehr schwierig, quantitative Erhebungen bei diesen Agenturen zu realisieren, sodass wir qualitative Untersuchungen durchgeführt haben.
Weil die Agenturen keinen Zugang zu ihren Daten gewähren?
Ja, das ist nicht einfach. Angenommen, ein Arbeitgeber registriert eine Absichtserklärung zur Beschäftigung eines Ausländers. So weit, so simpel: wir haben ein Unternehmen und Personen, die für das Unternehmen arbeiten. Registriert jedoch eine Zeitarbeitsagentur eine solche Erklärung, haben wir das Problem, dass die Arbeitnehmer in komplett unterschiedlichen Unternehmen tätig sein können. Wenn eine Agentur etwa in Warschau angemeldet ist, bedeutet das nicht, dass der Mitarbeiter auch dort arbeitet. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass die Agenturen (oder deren Tochterunternehmen) häufig dort ansässig sind, wo die Anmeldung am einfachsten vonstattengeht.
Darüber hinaus sprechen wir über ein aktuelles Phänomen. Es steht nicht zu erwarten, dass wir aus der Studie eindeutige empirische Schlussfolgerungen ziehen können. Daher lohnt es sich, einen Blick auf die polnisch-niederländische Erfahrung zu werfen, die uns mögliche Risiken lehren kann.
Beispielsweise?
Meiner Einschätzung nach macht sich ein Teil der Probleme bereits in Polen bemerkbar. Das erste Risiko besteht in der Verwischung von Rollen und Verantwortlichkeiten. Wir haben etwa einen Mitarbeiter, den eine Person nach Polen geholt hat. Der Mitarbeiter kann dabei jedoch nicht beurteilen, ob er für diese Person arbeitet oder für eine Agentur. Man kann natürlich sagen, dass das für ihn keine Rolle spielt, doch unter bestimmten Umständen kann das relevant sein – wenn dem Mitarbeiter etwa kein Lohn ausgezahlt wird oder ihm ein Unfall zustößt.
Ein anderes Problem, das in den Niederlanden deutlich zutage getreten ist und sich nun in Polen bemerkbar macht, betrifft die Wohnsituation. In den Niederlanden herrschen strenge Vorschriften, was den Erwerb oder die Vermietung von Wohnungen für Ausländer angeht. Dadurch ist es für ein großes Unternehmen mit beispielsweise 500 ausländischen Beschäftigten nahezu unmöglich, diese in Mietwohnungen unterzubringen. Dies ermutigt die Agenturen zu Investitionen und dem Bau einer Art von Arbeiterwohnheimen, riesigen Gebäuden, in denen mehrere Arbeiter in einem Zimmer leben.
Mir scheint, dass es sich im Falle von Warschau vor allem um Privatgebäude in der Region Targówek handelt.
Wie gesagt, zum polnischen Beispiel wissen wir wenig.
Arbeitsbedingt habe ich eine gewisse Zeit in den Niederlanden verbracht. Unter anderem haben wir die Arbeiterwohnheime aufgesucht. Das war eine sehr schlimme Erfahrung.
An einem solchen Ort ist Disziplin das oberste Gebot. Dies führte zu einer Ausgangssperre nach 22 Uhr; danach wurde das Licht ausgeschaltet. Für jeden noch so kleinen Verstoß wurden hohe Geldstrafen verhängt. Wenn jemand etwa eine Bierdose stehenließ und nicht entsorgte, konnte er dafür eine Geldstrafe von 200 Euro erhalten. Das wurde dann natürlich vom Gehalt abgezogen, und infolgedessen schrumpfte das Gehalt der Leute durch diese Strafen empfindlich. Am Arbeitsplatz war es den Polen verboten, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Das sind keine Kleinigkeiten, so etwas hat Auswirkungen auf das Wohlbefinden dieser Menschen.
Wenn der Person die Arbeit nicht zusagte oder sich ein Unfall ereignete, führte dies häufig dazu, das die Person ohne weitere Unterstützung vor die Tür gesetzt wurde.
Hinzu kommt, dass die Zeitarbeitsagenturen und Personaldienstleister kein Interesse an der Integration ihrer Klienten haben. Viele behaupten etwa, dass sie Sprachkurse anbieten, was sich dann als Lüge herausstellt. Aus Sicht der Agenturen ist es am lohnenswertesten, wenn sie es mit Menschen zu tun haben, die außerhalb der Agentur nicht existieren können.
Damit die Menschen von ihnen abhängig sind?
Tatsächlich beschreibt das Wort „abhängig“ die Beziehung sehr treffend. Das kommt in unserer Studie klar zum Vorschein.
Dann kommen wir zurück zu Ihrer Studie. Mich interessieren die Arbeitsbedingungen der Ukrainer in Polen. Wie viele Stunden arbeiten die Ukrainer durchschnittlich?
Sehr unterschiedlich. Die längsten Arbeitszeiten finden wir in der Landwirtschaft und bei den häuslichen Dienstleistungen. In diesen Branchen arbeiten die Leute an sieben Tagen die Woche, zehn bis 12 Stunden am Tag. Auf dem Bau, in der Industrie und der Gastronomie weichen die Zeiten nur unwesentlich vom Durchschnitt polnischer Arbeitnehmer ab.
Wie hoch ist das Durchschnittsgehalt der Ukrainer?
Die Löhne sind im Durchschnitt niedriger als die von polnischen Arbeitnehmern (13 Zloty die Stunde, etwas über 90 Griwnija – Anm. d. Autoren), aber nicht so niedrig, wie man glauben könnte.
Einen, zwei Zloty niedriger?
Ich würde sagen, zehn bis 20 Prozent niedriger. Die Verfügbarkeit ist dabei ein entscheidender Faktor. Es geht um Arbeitnehmer, die noch keine Familie in Polen haben und also auch die Samstags- und Sonntagsschichten übernehmen können.
Die Migrationsforschung hat dafür den Begriff Target Earner geprägt. Darunter wird eine Person verstanden, deren einziges Ziel im Ausland darin besteht, möglichst viel Geld zu verdienen und dieses in sein Heimatland zu schicken.
Welche Stellen besetzen die ukrainischen Arbeitnehmer üblicherweise in Polen?
Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Polen zumeist in leitenden oder fachlichen Positionen tätig sind, wohingegen die Ukrainer gering- oder mittelqualifizierte Stellen annehmen. Das ist problematisch, da 40 Prozent dieser Arbeitsmigranten eine Hochschulausbildung haben.
Welche politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Arbeitsmigration der Ukrainer in Polen?
Hier muss man zwischen kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen unterscheiden. Kurzfristig sehen wir eindeutig einen positiven Einfluss. Die Ukrainer füllen die Lücken auf dem polnischen Arbeitsmarkt, weshalb sich einige Branchen glänzend entwickeln – so etwa der Agrarsektor. Viele Bereiche in der Landwirtschaft weisen in den letzten Jahren ein dynamisches Wachstum auf, nur weil die Polen auf ein relativ billiges Reservoir an Arbeitskräften zurückgreifen konnten.
Immer mehr Ukrainer nutzen das polnische Sozialversicherungssystem. Ob sie in Zukunft Anspruch auf Rentenzahlungen haben, ist umstritten und hängt maßgeblich von den bilateralen Abkommen zwischen Polen und der Ukraine ab.
Über die langfristigen Auswirkungen können wir nur mutmaßen. Erstens bedeutet die Tatsache, dass polnische Arbeitnehmer kurzfristig nicht vom Arbeitsmarkt verdrängt werden, nicht, dass dies auf lange Sicht nicht doch geschehen kann.
Zweitens haben wir das Problem, dass die polnischen Arbeitgeber auf die billige Arbeitskraft aus der Ukraine setzen, anstatt die Produktivität durch Investitionen in die Technik zu steigern. Diese Strategie ist riskant und anfällig gegenüber konjunkturellen Schwankungen oder Änderungen der Migrationsziele der Ukrainer; diese können sich ändern, oder die Ausmaße der Migration werden einfach kleiner.
Was ist mit dem Einfluss auf die politische Agenda?
Es mag überraschend anmuten, doch die Arbeitsmigration nach Polen ist kein Gegenstand der politischen Debatte. Mehr noch, in Polen wird mehr über solche Migranten gesprochen, die es hier nicht gibt, als über die Arbeitsmigranten.
Das liegt möglicherweise an den positiven Effekten der Arbeitsmigration aus der Ukraine, oder daran, dass die Politiker der Regierungspartei, die nicht gerade sehr migrationsfreundliche Positionen vertreten, dabei jedoch begreifen, dass ein Teil ihrer Wählerschaft von der Arbeitskraft der Migranten profitiert und auf sie angewiesen ist. In diesem Zusammenhang werden – aller Rhetorik zum Trotz – viele Maßnahmen zur Immigrationsförderung ergriffen. Polen hat gegenwärtig eine sehr liberale Gesetzgebung, was den Zugang von Ausländern zum Arbeitsmarkt betrifft.
Welchen Einfluss haben ukrainische Migranten auf die Zukunft Polens?
Das ist meiner Ansicht nach eine der größten aktuellen Herausforderungen für Polen, viel wichtiger als die Diskussion darüber, ob das Land „seine“ ukrainischen Arbeitnehmer durch das neue Zuwanderungsgesetz in Deutschland bald an den deutschen Arbeitsmarkt verlieren wird. Unsere Untersuchungen zeigen, dass sowohl der Anteil der ukrainischen Arbeitsmigranten, die sich dauerhaft in Polen niederlassen wollen, ebenso steigt wie der Anteil derjenigen, die ihre Familien mitnehmen. Für Polen wäre es das Beste, einen Teil dazu zu ermutigen, sich hier niederzulassen.
Damit dies geschieht, brauchen die Menschen erstens Zugang zur sprachlichen Fortbildung. Zweitens müssen ihre Abschlüsse anerkannt werden, damit die Qualifikationen entsprechend genutzt werden können, und also den Wechsel von saisonalen zu höherqualifizierten Arbeitsplätzen zu meistern. Drittens braucht es Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen wie dem Schulsystem, der Gesundheitsfürsorge, und so weiter.
Sie erwähnten das neue Zuwanderungsgesetz, das kürzlich in Deutschland beschlossen wurde. Darin wurde das Verfahren zur Beschäftigung von Ausländern aus Drittstaaten außerhalb der EU vereinfacht. Was ist in diesem Zusammenhang von polnischen Befürchtungen zu halten, wonach alle Ukrainer demnächst in Richtung Deutschland auswandern werden?
Zunächst: es ist von zwei Gesetzen die Rede. Das erste betrifft Flüchtlinge, das zweite Migranten. Zweitens treten diese Gesetze noch nicht in diesem Jahr in Kraft. Vor allem aber ist das Gesetz an Fachkräfte gerichtet.
Ich glaube, es geht hier vor allem darum, wie diese Fachkräfte künftig identifiziert werden sollen. Rein logisch gedacht sind das Personen, deren berufliche Qualifikationen anerkannt werden. Falls dem so sein sollte, dann wird sich durch das neue Gesetz nicht viel ändern, da Fachkräfte bereits jetzt problemlos in Deutschland arbeiten können. Die Regelung, dass ein Jobangebot existieren muss, bleibt bestehen. Ein Spezialist kann auf Basis der „Blauen Karte“ tätig werden – nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU.
Die Deutschen haben ein System zur Anerkennung von Qualifikationen, doch die Prüfverfahren ziehen sich über mehrere Monate hin. Die Frage ist, ob man von der Ukraine aus die Anerkennung der Bildungstitel beantragen können wird, und welche Deutschkenntnisse erforderlich sein werden.
Was ist von dem in der Ukraine weitverbreiteten Argument zu halten, wonach es besser sei, Euro zu verdienen als Zloty, und das also auf die Vorteile der Arbeit in Deutschland verweist?
Natürlich ist das Gehalt höher. Doch die Risiken sind es ebenfalls.
Ich sehe zwei Probleme, über die selten gesprochen wird. Die größte Gefahr bei der potenziellen Auslagerung ukrainischer Arbeitskräfte von Polen nach Deutschland stellen die Zeitarbeitsagenturen und Personalvermittler dar – schon jetzt rekrutieren sie Ukrainer für den polnischen Arbeitsmarkt und senden sie dann auf „Geschäftsreise“ nach Deutschland oder Tschechien.
Die zweite, schwer abzuschätzende Gefahr besteht darin, dass Deutschland und die Ukraine über ein bilaterales Abkommen zur Saisonarbeit nachdenken. Dies würde die Bedingungen grundlegend verändern.
Das dritte Problem betrifft das demographische Potenzial der Ukraine, das viel schneller ausgeschöpft sein wird als in Polen. Natürlich ist das keine Frage von fünf oder zehn Jahren, aber schon in 15 Jahren kann nicht mehr von einem beständigen Nachschub von ukrainischen Arbeitnehmern für den polnischen Niedriglohnsektor ausgegangen werden. Die Ukraine wird die Arbeiter selbst brauchen – sie benötigt sie schon heute.
Es handelt sich um die gekürzte autorisierte Übersetzung eines Textes, der im Rahmen des journalistischen Projektes „Auf den Spuren der Arbeit“ mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in der Ukraine realisiert wurde.
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