Zum Hintergrund des Attentats auf Alexander Sachartschenko
Der Tod von Alexander Sachartschenko könnte der bedeutendste Einschnitt für die Region seit Abschluss des Minsker „Maßnahmenpaketes“ im Februar 2015 sein. Eine Analyse von Nikolaus von Twickel
Das Attentat auf den Donezker Separatistenführer Alexander Sachartschenko hat die Lage in den von Russland kontrollierten „Volksrepubliken“ der Ostukraine wieder an die Tagesordnung gespült. Sachartschenkos Tod wirbelt die mafiösen Strukturen der separatistischen Eliten durcheinander und könnte der bedeutendste Einschnitt für die Region seit Abschluss des Minsker „Maßnahmenpaketes“ im Februar 2015 sein. Ob es aber einen Kurswechsel in der russischen Politik oder gar Fortschritte im Friedensprozess geben wird, bleibt abzuwarten.
Sachartschenko starb am vergangenen Freitag, nachdem er das Restaurant „Separ“ (kurz für „Separatist“) im Zentrum von Donezk betreten hatte. Medienberichten zufolge war eine per Fernzündung gesteuerte Bombe in einer Lampe am Eingang versteckt. Die Explosion soll dem 42-Jährigen regelrecht den Kopf zerrissen haben. Einer seiner Leibwächter starb, weitere neun Personen wurden verletzt, darunter Alexander Timofejew, der mächtige Stellvertreter und vielleicht engste Vertraute Sachartschenkos.
In den letzten Jahren sind immer wieder Feldkommandeure der Separatisten bei Anschlägen ums Leben gekommen, aber Sachartschenko ist das bislang ranghöchste Opfer. Dennoch waren die Reaktionen die gleichen wie bisher: Die Separatisten und Russland beschuldigten ukrainische Agenten, die Ukraine machte Russland verantwortlich, schloss aber auch kriminelle Machenschaften innerhalb der Separatisten nicht aus.
Wer steckt hinter dem Sachartschenko Attentat?
Wer steckt wirklich hinter der Tat? Es gibt viele Gründe, eine ukrainische Beteiligung auszuschließen. Zum einen ist ein solches Attentat unter den diktatorischen Machtverhältnissen innerhalb der „Volksrepubliken“ ein höchst riskantes Meisterstück, zum anderen springt für Kiew wahrscheinlich nicht viel dabei raus: Russland, das in den „Volksrepubliken“ nach Auffassung vor allem ukrainischer Beobachter praktisch alles bestimmt, wird es nicht schwerfallen, eine neue Marionette für Donezk zu finden.
Ob aber die Schuldigen eher in Moskau oder auch in Donezk zu suchen sind, ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass Sachartschenko – und vor allem Timofejew – hier wie dort eine Menge Feinde hatten und haben.
Unstimmigkeiten zwischen den „Volksrepubliken“ und Moskau
Sicher ist auch, dass in den vergangenen Monaten mehr oder weniger offene Machtkämpfe innerhalb der Donezker Separatisten gab. Gerüchte, dass Sachartschenko und Timofejew vor der Absetzung stehen, erreichten ihren Höhepunkt im Juni, als unklar war, ob Wladislaw Surkow seinen Job als Schirmherr des Kremls im Donbas behält.
Als Surkow am 13. Juni – ungewöhnlich lange nach der Wiederwahl Wladimir Putins zum Präsidenten im März – im Amt bestätigt wurde, gab es in Donezk prompt neue Verhaftungen: Opfer waren unter anderem der „Verkehrsminister“, möglicherweise weil er Schmiergelder nicht mit Timofejew teilen wollte.
Dass die Chemie zwischen dem Kreml und Sachartschenko nicht mehr stimmte, konnte man im August zwischen den Zeilen lesen. Da veröffentlichten separatistische Medien in Donezk und Luhansk auf einmal „Meinungen“ von mehr oder weniger Prominenten, dass die im Herbst geplanten Wahlen der Republikchefs eigentlich keine gute Idee sei – besser sei es, deren Amtszeit von vier auf fünf Jahre zu verlängern.
Während aber in Luhansk fast täglich solche Meinungsartikel erschienen, waren es in Donezk lediglich drei – ausschließlich bei „dan-news.info“ und nicht auf der Sachartschenko nahestehenden Seite des „Informationsministeriums“, dnr-online.ru.
Sachartschenko hatte bereits im Oktober 2017 angekündigt, dass er sich diesen November wiederwählen lassen will. Seinen vermeintlich schärfsten Widersacher, Denis Puschilin, hatte er damals aus dem Amt des Generalsekretärs der Regierungspartei „Republik Donezk“ gedrängt. Im Mai hatte Sachartschenko einige Wochen lang „Wahlkampf“ für ein „Fünfjahresprogramm“ gemacht, an dessen Ende die ersehnte Union mit Russland stehen soll.
Wie viel Rückhalt genießen die selbsterklärten Separatistenführer?
Offensichtlich hat jemand im Kreml einen Strich durch Sachartschenkos Rechnung gemacht. Die Moskauer Mediengruppe RBC berichtete im August, die Wahl sei abgeblasen, weil sie zu riskant sei. Unter anderem wurde eine geheime Meinungsumfrage zitiert, die den Anführern der Separatisten große Unbeliebtheit bei der Bevölkerung attestiert.
Ob das stimmt, lässt sich schwer beurteilen. Die Meinung der Bevölkerung hat jedenfalls bislang in den „Volksrepubliken“ keine bedeutende Rolle gespielt. Als im November der Luhansker Republikchef Igor Plotnizki abgesetzt wurde, kam der sogar vor Ort kaum bekannte Geheimdienstchef Leonid Passetschnik an die Macht.
Plotnizki wurde massive Korruption vorgeworfen. Sein Problem war, dass er weder in der Bevölkerung noch in den Sicherheitsdiensten nennenswerten Rückhalt hatte. Das rettete ihm aber womöglich das Leben, weil er sich von wenigen bewaffneten Putschisten zur Flucht bewegen ließ (man weiß allerdings nicht sicher, ob und wo Plotnizki noch lebt).
Sachartschenko Nähe zum Einnahmeminister beschädigte sein Ansehen
Von Sachartschenko hieß es dagegen, dass sein ungehobeltes Auftreten im Volk und vor allem an der Front gut ankam. Allerdings war seine Nähe zu Timofejew sicher kein Vorteil. Der wegen seiner Militärzeit in Usbekistan allgemein „Taschkent“ genannte „Einnahmeminister“ nahm diesen Titel wohl allzu wörtlich. Bewaffnete aus seinem Ministerium waren berüchtigt dafür, bei Firmen aufzutauchen um Geld oder gleich den ganzen Betrieb einzufordern, und wurden deshalb „Enteignungseinheiten“ genannt.
„Die unersättlichen Sachartschenko und Timofejew hatten zuletzt alle profitablen Betriebe der Volksrepublik Donezk in ihren Händen konzentriert“, schrieb die Moskauer Zeitung Nowaja Gaseta am Sonntag. Gut möglich, dass der eine oder andere „Geschäftspartner“ nicht gut auf die beiden zu sprechen war. Möglich ist auch, dass jemand aus Moskau ein Signal gab, dass man sie ungestraft aus dem Weg räumen dürfe – wie es der Kreml-Expert Mark Galeotti in der „Moscow Times“ formulierte.
Ehemaliger Vertrauter verdächtigt
Der Hergang des Attentats löste jedenfalls sofort Vermutungen aus, dass „eigene Leute“ eine Rolle spielten – sogar Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte, Sachartschenko sei „verräterisch ermordet“ worden: Das Restaurant, das angeblich beim Republikchef und anderen prominenten Separatisten sehr beliebt war, gehörte offenbar einem ehemaligen Sachartschenko-Leibwächter Alexander Kostenko, der seit zwei Jahren im „Parlament“ der „Volksrepublik“ sitzt und mittlerweile Fraktionsvorsitzender von „Republik Donezk“ ist.
Am Dienstag meldete sich Kostenko zu Wort, um ukrainische Medienberichte zu dementieren, dass er geflohen sei. „Ich bin hier, bin nirgends weggefahren und mache Aussagen… Es gibt bereits Verdächtige“, wurde er von Interfax angeblich aus Donezk zitiert. Allerdings verbreitete die russische Nachrichtenagentur das Zitat mit der Ortsmarke Moskau. Stichhaltige Beweise, dass Kostenko in Donezk und in Freiheit ist, gibt es bislang nicht.
Durch Kostenko steht auf jeden Fall eine Verbindung zu Puschilin im Raum. Der Verhandlungsführer der Donezker Separatisten in Minsk war nämlich nicht nur bis Oktober Partei-Generalsekretär, sondern ist als Parlamentsvorsitzender ganz besonders nah an den Abgeordneten der Regierungspartei – vor allem dem Fraktionsvorsitzenden Kostenko.
Am Mittwoch überraschte zudem der als Surkow-Vertrauter geltende Moskauer Politologe Alexei Tschesnakow mit der Aussage, dass der zum Interimschef gekürte Dmitri Trapesnikow keinerlei Autorität habe und zumindest übergangsweise die Macht bei Puschilin liegen solle.
Ob damit die Weichen für Puschilin als künftigen Republikführer gestellt sind, ist offen. Klar ist, dass der aalglatte Minsk-Verhandler für die Ukraine ein akzeptablerer Mann ist als der raubeinige Sachartschenko.
Wird Pushilin Republikchef?
Klar ist auch, dass der Konflikt bestehen bleibt. Der politische und wirtschaftliche Einfluss Moskaus in den Volksrepubliken ist weiterhin massiv, die militärische Pattsituation entlang der 500 Kilometer langen Frontlinie unverändert. Und entgegen erster Befürchtungen gehen die Minsker Verhandlungen weiter – auch wenn mit Sachartschenko der zweite Mitunterzeichner abhandengekommen ist. Die jüngste Runde am Mittwoch verlief ohne große Überraschungen.
In Donezk könnte ein Ende oder zumindest eine Reduzierung der kriminellen beziehungsweise korrupten Machenschaften an der Republikspitze das Vertrauen der Bevölkerung in die Separatisten eher stärken. Allerdings ist Puschilin nicht unbedingt als Volkstribun geeignet – vor 2014 war der gelernte Betriebswirt hauptberuflich bei der Bewegung des wegen Betrugs verurteilten russischen Unternehmers Sergei Mawrodi aktiv. Dessen Finanzpyramidensysteme haben Millionen Russen um ihre Geldanlagen gebracht.
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