Zum Hin­ter­grund des Atten­tats auf Alex­an­der Sachartschenko

© Andrew Butko [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)] via Wiki­pe­dia

Der Tod von Alex­an­der Sach­art­schenko könnte der bedeu­tendste Ein­schnitt für die Region seit Abschluss des Minsker „Maß­nah­men­pa­ke­tes“ im Februar 2015 sein. Eine Analyse von Niko­laus von Twickel

Das Atten­tat auf den Donez­ker Sepa­ra­tis­ten­füh­rer Alex­an­der Sach­art­schenko hat die Lage in den von Russ­land kon­trol­lier­ten „Volks­re­pu­bli­ken“ der Ost­ukraine wieder an die Tages­ord­nung gespült. Sach­art­schen­kos Tod wirbelt die mafiö­sen Struk­tu­ren der sepa­ra­tis­ti­schen Eliten durch­ein­an­der und könnte der bedeu­tendste Ein­schnitt für die Region seit Abschluss des Minsker „Maß­nah­men­pa­ke­tes“ im Februar 2015 sein. Ob es aber einen Kurs­wech­sel in der rus­si­schen Politik oder gar Fort­schritte im Frie­dens­pro­zess geben wird, bleibt abzuwarten.

Portrait von Nikolaus von ­Twickel

Niko­laus von ­Twickel ist Redak­teur der Web­seite „Russ­land ver­ste­hen“ im Zentrum Libe­rale Moderne. 2015/​16 war er Medi­en­ver­bin­dungs­of­fi­zier für die OSZE-Beob­ach­tungs­mis­sion in Donezk.

Sach­art­schenko starb am ver­gan­ge­nen Freitag, nachdem er das Restau­rant „Separ“ (kurz für „Sepa­ra­tist“) im Zentrum von Donezk betre­ten hatte. Medi­en­be­rich­ten zufolge war eine per Fern­zün­dung gesteu­erte Bombe in einer Lampe am Eingang ver­steckt. Die Explo­sion soll dem 42-Jäh­ri­gen regel­recht den Kopf zer­ris­sen haben. Einer seiner Leib­wäch­ter starb, weitere neun Per­so­nen wurden ver­letzt, dar­un­ter Alex­an­der Timo­fe­jew, der mäch­tige Stell­ver­tre­ter und viel­leicht engste Ver­traute Sachartschenkos.

In den letzten Jahren sind immer wieder Feld­kom­man­deure der Sepa­ra­tis­ten bei Anschlä­gen ums Leben gekom­men, aber Sach­art­schenko ist das bislang rang­höchste Opfer. Dennoch waren die Reak­tio­nen die glei­chen wie bisher: Die Sepa­ra­tis­ten und Russ­land beschul­dig­ten ukrai­ni­sche Agenten, die Ukraine machte Russ­land ver­ant­wort­lich, schloss aber auch kri­mi­nelle Machen­schaf­ten inner­halb der Sepa­ra­tis­ten nicht aus.

Wer steckt hinter dem Sach­art­schenko Attentat?

Wer steckt wirk­lich hinter der Tat? Es gibt viele Gründe, eine ukrai­ni­sche Betei­li­gung aus­zu­schlie­ßen. Zum einen ist ein solches Atten­tat unter den dik­ta­to­ri­schen Macht­ver­hält­nis­sen inner­halb der „Volks­re­pu­bli­ken“ ein höchst ris­kan­tes Meis­ter­stück, zum anderen springt für Kiew wahr­schein­lich nicht viel dabei raus: Russ­land, das in den „Volks­re­pu­bli­ken“ nach Auf­fas­sung vor allem ukrai­ni­scher Beob­ach­ter prak­tisch alles bestimmt, wird es nicht schwer­fal­len, eine neue Mario­nette für Donezk zu finden.

Ob aber die Schul­di­gen eher in Moskau oder auch in Donezk zu suchen sind, ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass Sach­art­schenko – und vor allem Timo­fe­jew – hier wie dort eine Menge Feinde hatten und haben.

Unstim­mig­kei­ten zwi­schen den „Volks­re­pu­bli­ken“ und Moskau

Sicher ist auch, dass in den ver­gan­ge­nen Monaten mehr oder weniger offene Macht­kämpfe inner­halb der Donez­ker Sepa­ra­tis­ten gab. Gerüchte, dass Sach­art­schenko und Timo­fe­jew vor der Abset­zung stehen, erreich­ten ihren Höhe­punkt im Juni, als unklar war, ob Wla­dis­law Surkow seinen Job als Schirm­herr des Kremls im Donbas behält.

Als Surkow am 13. Juni – unge­wöhn­lich lange nach der Wie­der­wahl Wla­di­mir Putins zum Prä­si­den­ten im März – im Amt bestä­tigt wurde, gab es in Donezk prompt neue Ver­haf­tun­gen: Opfer waren unter anderem der „Ver­kehrs­mi­nis­ter“, mög­li­cher­weise weil er Schmier­gel­der nicht mit Timo­fe­jew teilen wollte.

Dass die Chemie zwi­schen dem Kreml und Sach­art­schenko nicht mehr stimmte, konnte man im August zwi­schen den Zeilen lesen. Da ver­öf­fent­lich­ten sepa­ra­tis­ti­sche Medien in Donezk und Luhansk auf einmal „Mei­nun­gen“ von mehr oder weniger Pro­mi­nen­ten, dass die im Herbst geplan­ten Wahlen der Repu­blik­chefs eigent­lich keine gute Idee sei – besser sei es, deren Amts­zeit von vier auf fünf Jahre zu verlängern.

Während aber in Luhansk fast täglich solche Mei­nungs­ar­ti­kel erschie­nen, waren es in Donezk ledig­lich drei – aus­schließ­lich bei „dan-news.info“ und nicht auf der Sach­art­schenko nahe­ste­hen­den Seite des „Infor­ma­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums“, dnr-online.ru.

Sach­art­schenko hatte bereits im Oktober 2017 ange­kün­digt, dass er sich diesen Novem­ber wie­der­wäh­len lassen will. Seinen ver­meint­lich schärfs­ten Wider­sa­cher, Denis Puschi­lin, hatte er damals aus dem Amt des Gene­ral­se­kre­tärs der Regie­rungs­par­tei „Repu­blik Donezk“ gedrängt. Im Mai hatte Sach­art­schenko einige Wochen lang „Wahl­kampf“ für ein „Fünf­jah­res­pro­gramm“ gemacht, an dessen Ende die ersehnte Union mit Russ­land stehen soll.

Wie viel Rück­halt genie­ßen die selbst­er­klär­ten Separatistenführer?

Offen­sicht­lich hat jemand im Kreml einen Strich durch Sach­art­schen­kos Rech­nung gemacht. Die Mos­kauer Medi­en­gruppe RBC berich­tete im August, die Wahl sei abge­bla­sen, weil sie zu riskant sei. Unter anderem wurde eine geheime Mei­nungs­um­frage zitiert, die den Anfüh­rern der Sepa­ra­tis­ten große Unbe­liebt­heit bei der Bevöl­ke­rung attestiert.

Ob das stimmt, lässt sich schwer beur­tei­len. Die Meinung der Bevöl­ke­rung hat jeden­falls bislang in den „Volks­re­pu­bli­ken“ keine bedeu­tende Rolle gespielt. Als im Novem­ber der Luhans­ker Repu­blik­chef Igor Plot­nizki abge­setzt wurde, kam der sogar vor Ort kaum bekannte Geheim­dienst­chef Leonid Pas­set­sch­nik an die Macht.

Plot­nizki wurde massive Kor­rup­tion vor­ge­wor­fen. Sein Problem war, dass er weder in der Bevöl­ke­rung noch in den Sicher­heits­diens­ten nen­nens­wer­ten Rück­halt hatte. Das rettete ihm aber womög­lich das Leben, weil er sich von wenigen bewaff­ne­ten Put­schis­ten zur Flucht bewegen ließ (man weiß aller­dings nicht sicher, ob und wo Plot­nizki noch lebt).

Sach­art­schenko Nähe zum Ein­nah­me­mi­nis­ter beschä­digte sein Ansehen

Von Sach­art­schenko hieß es dagegen, dass sein unge­ho­bel­tes Auf­tre­ten im Volk und vor allem an der Front gut ankam. Aller­dings war seine Nähe zu Timo­fe­jew sicher kein Vorteil. Der wegen seiner Mili­tär­zeit in Usbe­ki­stan all­ge­mein „Tasch­kent“ genannte „Ein­nah­me­mi­nis­ter“ nahm diesen Titel wohl allzu wört­lich. Bewaff­nete aus seinem Minis­te­rium waren berüch­tigt dafür, bei Firmen auf­zu­tau­chen um Geld oder gleich den ganzen Betrieb ein­zu­for­dern, und wurden deshalb „Ent­eig­nungs­ein­hei­ten“ genannt.

„Die uner­sätt­li­chen Sach­art­schenko und Timo­fe­jew hatten zuletzt alle pro­fi­ta­blen Betriebe der Volks­re­pu­blik Donezk in ihren Händen kon­zen­triert“, schrieb die Mos­kauer Zeitung Nowaja Gaseta am Sonntag. Gut möglich, dass der eine oder andere „Geschäfts­part­ner“ nicht gut auf die beiden zu spre­chen war. Möglich ist auch, dass jemand aus Moskau ein Signal gab, dass man sie unge­straft aus dem Weg räumen dürfe – wie es der Kreml-Expert Mark Galeotti in der „Moscow Times“ for­mu­lierte.

Ehe­ma­li­ger Ver­trau­ter verdächtigt

Der Hergang des Atten­tats löste jeden­falls sofort Ver­mu­tun­gen aus, dass „eigene Leute“ eine Rolle spiel­ten – sogar Kreml­spre­cher Dmitri Peskow sagte, Sach­art­schenko sei „ver­rä­te­risch ermor­det“ worden: Das Restau­rant, das angeb­lich beim Repu­blik­chef und anderen pro­mi­nen­ten Sepa­ra­tis­ten sehr beliebt war, gehörte offen­bar einem ehe­ma­li­gen Sach­art­schenko-Leib­wäch­ter Alex­an­der Kos­tenko, der seit zwei Jahren im „Par­la­ment“ der „Volks­re­pu­blik“ sitzt und mitt­ler­weile Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der von „Repu­blik Donezk“ ist.

Am Diens­tag meldete sich Kos­tenko zu Wort, um ukrai­ni­sche Medi­en­be­richte zu demen­tie­ren, dass er geflo­hen sei. „Ich bin hier, bin nir­gends weg­ge­fah­ren und mache Aus­sa­gen… Es gibt bereits Ver­däch­tige“, wurde er von Inter­fax angeb­lich aus Donezk zitiert.  Aller­dings ver­brei­tete die rus­si­sche Nach­rich­ten­agen­tur das Zitat mit der Orts­marke Moskau. Stich­hal­tige Beweise, dass Kos­tenko in Donezk und in Frei­heit ist, gibt es bislang nicht.

Durch Kos­tenko steht auf jeden Fall eine Ver­bin­dung zu Puschi­lin im Raum. Der Ver­hand­lungs­füh­rer der Donez­ker Sepa­ra­tis­ten in Minsk war nämlich nicht nur bis Oktober Partei-Gene­ral­se­kre­tär, sondern ist als Par­la­ments­vor­sit­zen­der ganz beson­ders nah an den Abge­ord­ne­ten der Regie­rungs­par­tei – vor allem dem Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Kostenko.

Am Mitt­woch über­raschte zudem der als Surkow-Ver­trau­ter gel­tende Mos­kauer Poli­to­loge Alexei Tsches­na­kow mit der Aussage, dass der zum Inte­rims­chef gekürte Dmitri Tra­pes­ni­kow kei­ner­lei Auto­ri­tät habe und zumin­dest über­gangs­weise die Macht bei Puschi­lin liegen solle.

Ob damit die Weichen für Puschi­lin als künf­ti­gen Repu­blik­füh­rer gestellt sind, ist offen. Klar ist, dass der aal­glatte Minsk-Ver­hand­ler für die Ukraine ein akzep­ta­ble­rer Mann ist als der rau­bei­nige Sachartschenko.

Wird Pushi­lin Republikchef?

Klar ist auch, dass der Kon­flikt bestehen bleibt. Der poli­ti­sche und wirt­schaft­li­che Ein­fluss Moskaus in den Volks­re­pu­bli­ken ist wei­ter­hin massiv, die mili­tä­ri­sche Patt­si­tua­tion entlang der 500 Kilo­me­ter langen Front­li­nie unver­än­dert. Und ent­ge­gen erster Befürch­tun­gen gehen die Minsker Ver­hand­lun­gen weiter – auch wenn mit Sach­art­schenko der zweite Mit­un­ter­zeich­ner abhan­den­ge­kom­men ist. Die jüngste Runde am Mitt­woch verlief ohne große Überraschungen.

In Donezk könnte ein Ende oder zumin­dest eine Redu­zie­rung der kri­mi­nel­len bezie­hungs­weise kor­rup­ten Machen­schaf­ten an der Repu­blik­spitze das Ver­trauen der Bevöl­ke­rung in die Sepa­ra­tis­ten eher stärken. Aller­dings ist Puschi­lin nicht unbe­dingt als Volks­tri­bun geeig­net – vor 2014 war der gelernte Betriebs­wirt haupt­be­ruf­lich bei der Bewe­gung des wegen Betrugs ver­ur­teil­ten rus­si­schen Unter­neh­mers Sergei Mawrodi aktiv. Dessen Finanz­py­ra­mi­den­sys­teme haben Mil­lio­nen Russen um ihre Geld­an­la­gen gebracht.

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