Ukrainische Geheimdienste warnen vor russischen Anwerbeversuchen

Russland werbe derzeit verstärkt ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger für Sabotageaktionen an – zum Teil mit betrügerischen Methoden. Davon warnen der Militärgeheimdienst HUR und der Inlandsgeheimdienst SBU, der kürzlich selbst mit der Operation „Spinnennetz“ tief im Inneren Russlands auffiel. Die Gefahr von Anschlägen und Sabotage steigt im Verlauf des Krieges, denn beide Seiten setzen sie als Mittel der Kriegführung ein.
Zwei Meldungen unterschiedlicher Kyjiwer Geheimdienste sorgten in den vergangenen Wochen in der Ukraine für Aufmerksamkeit. Am 2. Juni erklärte der dem Verteidigungsministerium unterstellte Militärgeheimdienst HUR auf dem Messengerdienst Telegram, russische Geheimdienste würden derzeit „ihre Versuche verstärken, ukrainische Staatsbürger für illegale Aktivitäten in Europa anzuwerben“ und rief die Menschen zur Wachsamkeit auf.
Wenige Tage später gab auch der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU eine Warnung vor russischen Sabotageakten heraus. Es werde eine „neue Taktik“ angewandt, bei der russische Geheimdienstmitarbeiter sich als SBU-Beamte ausgäben und von Ukrainerinnen und Ukrainern verlangten, kriminelle Aktionen durchzuführen – angeblich im „Interesse des ukrainischen Staates“. Die Zahl solcher Anwerbeversuche habe in jüngster Zeit deutlich zugenommen, so der SBU.
Angstmache mit fiktiven Strafverfahren
Früher hätte die russische Seite vor allem Teenager angesprochen und sie zum Beispiel angestiftet, Anschläge auf ukrainische Einberufungszentren zu verüben, erklärt der SBU. Inzwischen würden feindliche Geheimdienste vermehrt auch ältere Menschen anwerben. Dazu wird Betroffenen in der Regel zunächst mit einem Strafverfahren wegen des angeblichen Kaufs von in der Ukraine verbotenen Waren gedroht. Per Telefon böten die verdeckt Anwerbenden dann „Hilfe“ bei der Einstellung dieser fiktiven Verfahren an – wofür im Gegenzug verlangt werde, bestimmte Personen auszuspionieren, Chemikalien zu besorgen und improvisierte Sprengsätze zu bauen oder wahlweise ein Auto der ukrainischen Armee oder ein Einberufungsbüro in Brand zu setzen.
Der Militärgeheimdienst HUR seinerseits warnt davor, dass Russland vor allem Ukrainerinnen und Ukrainer in den besetzten Gebieten anwerbe. Menschen, die in eine schwierige Lebenslage geraten seien, werde angeboten, gegen Geld Sabotageaktionen auf dem Gebiet der Europäischen Union durchführen. Dabei gehe es unter anderem um die Überwachung kritischer Infrastruktur. „Die Anwerbung von Ukrainern zur Umsetzung feindlicher Aufgaben in Europa ist ein weiteres Instrument der hybriden Aggression Russlands gegen die Ukraine und die gesamte europäische Gemeinschaft“, betont der HUR.
Anschläge in europäischen Ländern
Dass Russland neben der Ukraine ganz Europa destabilisieren will, ist längst klar. Und dass die Anwerbung von Ukrainerinnen und Ukrainern nicht nur in den besetzten Gebieten gelingen könnte, sondern auch unter jenen Menschen aus der Ukraine, die sich zeitweise in der EU aufhalten – rund 4,3 Millionen haben dort momentan Schutz gefunden –, liegt allein schon wegen der gemeinsamen Kenntnis der russischen Sprache auf der Hand. Zudem ist der Kreml stark daran interessiert, das Image von Ukrainerinnen und Ukrainern in Europa nachhaltig zu beschädigen und im äußersten Fall sogar Angst vor ihnen zu schüren.
Tatsächlich gab es in der EU zuletzt mehrere Sabotagefälle, die möglicherweise von ukrainischen Staatsbürgern ausgeführt wurden. Im Mai wurden in London zwei Ukrainer und ein in der Ukraine geborener Rumäne festgenommen: wegen Brandstiftung in mehreren Immobilien, die mit dem britischen Premierminister Keir Starmer in Verbindung gebracht werden.
Ebenfalls im Mai nahmen deutsche Sicherheitsbehörden drei ukrainische Staatsangehörige fest, denen „Agententätigkeit zu Sabotagezwecken“ vorgeworfen wird. Im Auftrag russischer Geheimdienste hätten sie versucht, Pakete mit Sprengstoff in Europa zu verschicken und so Anschläge auf den Güterverkehr zu verüben. Auch in Polen sind zwei Ukrainer angeklagt, Anschläge verübt zu haben: auf ein Möbelhaus in der litauischen Hauptstadt Vilnius und auf ein Einkaufszentrum in Warschau.
Sabotage als Mittel der Kriegführung
In der Ukraine selbst stieg Anfang Februar die Zahl der Angriffe auf Mitarbeitende von Einberufungsbüros rasant an. Die erzwungene Mobilisierung für den Dienst an der Front ist in der ukrainischen Gesellschaft ein äußerst sensibles Thema – weshalb russische Akteure hoffen, das Land mit gezielter Desinformation zusätzlich auch auf dieser Ebene destabilisieren zu können.
Fakt ist: Sabotageaktionen sind längst Alltag sowohl im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als auch im hybriden Krieg Russlands gegen Europa und den Westen. Was die Ukraine angeht, profitierte Moskau lange Zeit davon, dass der Inlandsgeheimdienst SBU – der de facto-Nachfolger der ukrainischen Abteilung im sowjetischen Geheimdienst KGB, der seinen Hauptsitz bis heute im alten KGB-Gebäude in Kyjiw hat – von russischen Agentinnen und Agenten durchseucht war. Es ist sogar nachgewiesen, dass einige der früheren SBU-Chefs als russische Agenten tätig waren. Ranghohe russische Kollaborateure sollen außerdem maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die feindlichen Truppen nach dem Großangriff im Februar 2022 im Süden der Ukraine schnell vorrücken und die Großstadt Cherson besetzen konnten, die die ukrainische Armee im Herbst desselben Jahres wieder befreite.
Die Trümpfe der Ukraine
Doch auch die ukrainische Seite hat im asymmetrischen Krieg gegen Russland Trümpfe in der Hand. Schon vor 2022 lebten insgesamt rund drei Millionen ukrainische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf dem Gebiet der Russischen Föderation. Nach dem Großangriff kamen zahlreiche Flüchtlinge dazu – sowie diejenigen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in den besetzten Gebieten wohnen und deren Anwerbung nicht nur für Russland von Interesse sein dürfte.
Dass der Ukraine hin und wieder Aktionen tief im Inneren des russischen Staatsgebiets gelingen – wie zuletzt die Operation „Spinnennetz“, bei der Anfang Juni etliche Kampfflugzeuge der russischen Armee Tausende Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt mit billigen Drohnen zerstört wurden –, dürfte nicht nur mit den erneuerten Führungsstrukturen im Inlandsgeheimdienst SBU zusammenhängen, den seit Mitte 2022 Generalleutnant Wassyl Maljuk führt.
Der hybride Krieg wird weitergehen
Die Russische Föderation hat die Einreise für Menschen aus der Ukraine nach ukrainischen Geheimdienstoperationen wie etwa dem ersten Sprengstoffanschlag auf die Krim-Brücke bei Kertsch im Oktober 2022 stark eingeschränkt. Grundsätzlich können sie zwar weiterhin ohne Visum einreisen – jedoch ausschließlich über einen der Moskauer Flughäfen. Sie müssen sich einem sogenannten Filtrationsprozess unterziehen und sich an strenge Aufenthaltsregeln halten.
Doch auch dies konnte eine Operation wie „Spinnennetz“ nicht verhindern. Sämtliche SBU-Agenten vor Ort sollen Russland nach eigenen Angaben rechtzeitig verlassen haben. Sicher ist: Sabotageaktionen unterschiedlichster Art werden auch nach einem möglichen Waffenstillstand Teil des Alltags bleiben – in der Ukraine, in Europa und auch in Russland, das diesen Krieg 2014 begonnen hat.
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