Ukrai­ni­sche Geheim­dienste warnen vor rus­si­schen Anwerbeversuchen

Foto: Sicher­heits­dienst der Ukraine/​Facebook

Russ­land werbe derzeit ver­stärkt ukrai­ni­sche Staats­bür­ge­rin­nen und Staats­bür­ger für Sabo­ta­ge­ak­tio­nen an – zum Teil mit betrü­ge­ri­schen Metho­den. Davon warnen der Mili­tär­ge­heim­dienst HUR und der Inlands­ge­heim­dienst SBU, der kürz­lich selbst mit der Ope­ra­tion „Spin­nen­netz“ tief im Inneren Russ­lands auffiel. Die Gefahr von Anschlä­gen und Sabo­tage steigt im Verlauf des Krieges, denn beide Seiten setzen sie als Mittel der Krieg­füh­rung ein.

Zwei Mel­dun­gen unter­schied­li­cher Kyjiwer Geheim­dienste sorgten in den ver­gan­ge­nen Wochen in der Ukraine für Auf­merk­sam­keit. Am 2. Juni erklärte der dem Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium unter­stellte Mili­tär­ge­heim­dienst HUR auf dem Mes­sen­ger­dienst Tele­gram, rus­si­sche Geheim­dienste würden derzeit „ihre Ver­su­che ver­stär­ken, ukrai­ni­sche Staats­bür­ger für ille­gale Akti­vi­tä­ten in Europa anzu­wer­ben“ und rief die Men­schen zur Wach­sam­keit auf.

Wenige Tage später gab auch der ukrai­ni­sche Inlands­ge­heim­dienst SBU eine Warnung vor rus­si­schen Sabo­ta­ge­ak­ten heraus. Es werde eine „neue Taktik“ ange­wandt, bei der rus­si­sche Geheim­dienst­mit­ar­bei­ter sich als SBU-Beamte aus­gä­ben und von Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern ver­lang­ten, kri­mi­nelle Aktio­nen durch­zu­füh­ren – angeb­lich im „Inter­esse des ukrai­ni­schen Staates“. Die Zahl solcher Anwer­be­ver­su­che habe in jüngs­ter Zeit deut­lich zuge­nom­men, so der SBU.

Angst­ma­che mit fik­ti­ven Strafverfahren

Früher hätte die rus­si­sche Seite vor allem Teen­ager ange­spro­chen und sie zum Bei­spiel ange­stif­tet, Anschläge auf ukrai­ni­sche Ein­be­ru­fungs­zen­tren zu verüben, erklärt der SBU. Inzwi­schen würden feind­li­che Geheim­dienste ver­mehrt auch ältere Men­schen anwer­ben. Dazu wird Betrof­fe­nen in der Regel zunächst mit einem Straf­ver­fah­ren wegen des angeb­li­chen Kaufs von in der Ukraine ver­bo­te­nen Waren gedroht. Per Telefon böten die ver­deckt Anwer­ben­den dann „Hilfe“ bei der Ein­stel­lung dieser fik­ti­ven Ver­fah­ren an – wofür im Gegen­zug ver­langt werde, bestimmte Per­so­nen aus­zu­spio­nie­ren, Che­mi­ka­lien zu besor­gen und impro­vi­sierte Spreng­sätze zu bauen oder wahl­weise ein Auto der ukrai­ni­schen Armee oder ein Ein­be­ru­fungs­büro in Brand zu setzen.

Der Mili­tär­ge­heim­dienst HUR sei­ner­seits warnt davor, dass Russ­land vor allem Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner in den besetz­ten Gebie­ten anwerbe. Men­schen, die in eine schwie­rige Lebens­lage geraten seien, werde ange­bo­ten, gegen Geld Sabo­ta­ge­ak­tio­nen auf dem Gebiet der Euro­päi­schen Union durch­füh­ren. Dabei gehe es unter anderem um die Über­wa­chung kri­ti­scher Infra­struk­tur. „Die Anwer­bung von Ukrai­nern zur Umset­zung feind­li­cher Auf­ga­ben in Europa ist ein wei­te­res Instru­ment der hybri­den Aggres­sion Russ­lands gegen die Ukraine und die gesamte euro­päi­sche Gemein­schaft“, betont der HUR.

Anschläge in euro­päi­schen Ländern

Dass Russ­land neben der Ukraine ganz Europa desta­bi­li­sie­ren will, ist längst klar. Und dass die Anwer­bung von Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern nicht nur in den besetz­ten Gebie­ten gelin­gen könnte, sondern auch unter jenen Men­schen aus der Ukraine, die sich zeit­weise in der EU auf­hal­ten – rund 4,3 Mil­lio­nen haben dort momen­tan Schutz gefun­den –, liegt allein schon wegen der gemein­sa­men Kennt­nis der rus­si­schen Sprache auf der Hand. Zudem ist der Kreml stark daran inter­es­siert, das Image von Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­nern in Europa nach­hal­tig zu beschä­di­gen und im äußers­ten Fall sogar Angst vor ihnen zu schüren.

Tat­säch­lich gab es in der EU zuletzt mehrere Sabo­ta­ge­fälle, die mög­li­cher­weise von ukrai­ni­schen Staats­bür­gern aus­ge­führt wurden. Im Mai wurden in London zwei Ukrai­ner und ein in der Ukraine gebo­re­ner Rumäne fest­ge­nom­men: wegen Brand­stif­tung in meh­re­ren Immo­bi­lien, die mit dem bri­ti­schen Pre­mier­mi­nis­ter Keir Starmer in Ver­bin­dung gebracht werden.

Eben­falls im Mai nahmen deut­sche Sicher­heits­be­hör­den drei ukrai­ni­sche Staats­an­ge­hö­rige fest, denen „Agen­ten­tä­tig­keit zu Sabo­ta­ge­zwe­cken“ vor­ge­wor­fen wird. Im Auftrag rus­si­scher Geheim­dienste hätten sie ver­sucht, Pakete mit Spreng­stoff in Europa zu ver­schi­cken und so Anschläge auf den Güter­ver­kehr zu verüben. Auch in Polen sind zwei Ukrai­ner ange­klagt, Anschläge verübt zu haben: auf ein Möbel­haus in der litaui­schen Haupt­stadt Vilnius und auf ein Ein­kaufs­zen­trum in Warschau.

Sabo­tage als Mittel der Kriegführung

In der Ukraine selbst stieg Anfang Februar die Zahl der Angriffe auf Mit­ar­bei­tende von Ein­be­ru­fungs­bü­ros rasant an. Die erzwun­gene Mobi­li­sie­rung für den Dienst an der Front ist in der ukrai­ni­schen Gesell­schaft ein äußerst sen­si­bles Thema – weshalb rus­si­sche Akteure hoffen, das Land mit geziel­ter Des­in­for­ma­tion zusätz­lich auch auf dieser Ebene desta­bi­li­sie­ren zu können.

Fakt ist: Sabo­ta­ge­ak­tio­nen sind längst Alltag sowohl im rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukraine als auch im hybri­den Krieg Russ­lands gegen Europa und den Westen. Was die Ukraine angeht, pro­fi­tierte Moskau lange Zeit davon, dass der Inlands­ge­heim­dienst SBU – der de facto-Nach­fol­ger der ukrai­ni­schen Abtei­lung im sowje­ti­schen Geheim­dienst KGB, der seinen Haupt­sitz bis heute im alten KGB-Gebäude in Kyjiw hat – von rus­si­schen Agen­tin­nen und Agenten durch­seucht war. Es ist sogar nach­ge­wie­sen, dass einige der frü­he­ren SBU-Chefs als rus­si­sche Agenten tätig waren. Rang­hohe rus­si­sche Kol­la­bo­ra­teure sollen außer­dem maß­geb­lich dazu bei­getra­gen haben, dass die feind­li­chen Truppen nach dem Groß­an­griff im Februar 2022 im Süden der Ukraine schnell vor­rü­cken und die Groß­stadt Cherson beset­zen konnten, die die ukrai­ni­sche Armee im Herbst des­sel­ben Jahres wieder befreite.

Die Trümpfe der Ukraine

Doch auch die ukrai­ni­sche Seite hat im asym­me­tri­schen Krieg gegen Russ­land Trümpfe in der Hand. Schon vor 2022 lebten ins­ge­samt rund drei Mil­lio­nen ukrai­ni­sche Staats­bür­ge­rin­nen und Staats­bür­ger auf dem Gebiet der Rus­si­schen Föde­ra­tion. Nach dem Groß­an­griff kamen zahl­rei­che Flücht­linge dazu – sowie die­je­ni­gen Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner, die in den besetz­ten Gebie­ten wohnen und deren Anwer­bung nicht nur für Russ­land von Inter­esse sein dürfte.

Dass der Ukraine hin und wieder Aktio­nen tief im Inneren des rus­si­schen Staats­ge­biets gelin­gen – wie zuletzt die Ope­ra­tion „Spin­nen­netz“, bei der Anfang Juni etliche Kampf­flug­zeuge der rus­si­schen Armee Tau­sende Kilo­me­ter von der ukrai­ni­schen Grenze ent­fernt mit bil­li­gen Drohnen zer­stört wurden –, dürfte nicht nur mit den erneu­er­ten Füh­rungs­struk­tu­ren im Inlands­ge­heim­dienst SBU zusam­men­hän­gen, den seit Mitte 2022 Gene­ral­leut­nant Wassyl Maljuk führt.

Der hybride Krieg wird weitergehen

Die Rus­si­sche Föde­ra­tion hat die Ein­reise für Men­schen aus der Ukraine nach ukrai­ni­schen Geheim­dienst­ope­ra­tio­nen wie etwa dem ersten Spreng­stoff­an­schlag auf die Krim-Brücke bei Kertsch im Oktober 2022 stark ein­ge­schränkt. Grund­sätz­lich können sie zwar wei­ter­hin ohne Visum ein­rei­sen – jedoch aus­schließ­lich über einen der Mos­kauer Flug­hä­fen. Sie müssen sich einem soge­nann­ten Fil­tra­ti­ons­pro­zess unter­zie­hen und sich an strenge Auf­ent­halts­re­geln halten.

Doch auch dies konnte eine Ope­ra­tion wie „Spin­nen­netz“ nicht ver­hin­dern. Sämt­li­che SBU-Agenten vor Ort sollen Russ­land nach eigenen Angaben recht­zei­tig ver­las­sen haben. Sicher ist: Sabo­ta­ge­ak­tio­nen unter­schied­lichs­ter Art werden auch nach einem mög­li­chen Waf­fen­still­stand Teil des Alltags bleiben – in der Ukraine, in Europa und auch in Russ­land, das diesen Krieg 2014 begon­nen hat.

Portrait von Denis Trubetskoy

Denis Tru­bets­koy ist in Sewas­to­pol auf der Krim geboren und berich­tet als freier Jour­na­list aus Kyjiw.

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