Machtkampf in Luhansk
Letzte Woche marschierten Bewaffnete ohne Hoheitsabzeichen in der „Volksrepublik Luhansk” auf, „Republikchef“ Plotnizki wurde mit Gewalt aus dem Amt gedrängt und floh nach Russland. Was steckt hinter der Machtübernahme?
In den russisch kontrollierten „Volksrepubliken“ der Ostukraine sollte theoretisch das Volk herrschen. Praktisch tun es aber verschiedene, von Moskau kontrollierte Gruppen, die auch noch untereinander verfeindet sind. Das haben die jüngsten Ereignisse in Luhansk gezeigt, wo „Republikchef“ Igor Plotnizki von seinem Geheimdienstchef Leonid Passetschnik mit bewaffneter Hilfe aus der benachbarten „Volksrepublik Donezk“ aus dem Amt gedrängt wurde.
Der am 24. November von Passetschnik einseitig verkündete Machtwechsel, der einem bewaffneten Umsturz gleichkommt, könnte den Aufstieg der ideologischen Fraktion unter den Separatisten befördern – etwas, das Moskau eigentlich in der Vergangenheit zu verhindern versucht hat. Für die andauernde Suche nach einer Friedenslösung bedeutet das nichts Gutes.
Der Gang der Ereignisse in Luhansk zeigte überdeutlich, dass Plotnizki keine nennenswerte Unterstützung in seiner „Volksrepublik“ hatte. Weder das „Volksmiliz“ genannte Militär noch andere Sicherheitskräfte stellten sich auf die Seite ihres „Staatschefs“, als dieser am 20. November den Innenminister und Polizeichef von Luhansk, Igor Kornet, für abgesetzt erklärte.
Kornet, ein enger Vertrauter Passetschniks, weigerte sich zu gehen und verbarrikadierte sich angeblich in seinem Amtssitz. Draußen tauchten am kommenden Tag Bewaffnete in Uniform ohne Hoheitsabzeichen auf, die das Gebäude abriegelten und so verhinderten, dass Plotnizki einen Nachfolger installieren konnte.
Plotnizki sprach von einem Putschversuch und drohte dem widerspenstigen Minister weitere Strafverfahren an. Doch am Abend des 23. November wurde bekannt, dass er nach Moskau geflogen war. Ein heimlich aufgenommenes Video, dass ihn bei der Ankunft am Flughafen Scheremetjewo zeigt, ist die bislang letzte Aufnahme Plotnizkis, die öffentlich wurde.
Taktische Hilfe aus Donezk
Vermutungen, dass die mysteriösen Truppen aus der befreundeten „Volksrepublik“ Donezk kamen, wurden sowohl von Kornet selbst als auch vom Donezker „Staatssicherheitsministerium“ bestätigt.
Die Tatsache, dass Truppen aus der einen „Volksrepublik“ in die andere geschickt werden, um einen Machtwechsel zu sichern, löste Spekulationen aus, der Kreml plane die Fusion der beiden Gebilde, die mehr oder weniger komplett von finanzieller und militärischer Hilfe aus Russland abhängig sind. Immerhin hatte der Donezker Separatistenführer Alexander Sachartschenko bereits im Juli einen gemeinsamen neuen Staat „Malorossija“ proklamiert.
Doch die Ausrufung, in die offenbar weder Luhansk noch Moskau eingeweiht waren, wurde wenige Wochen später still beerdigt, und auch diesmal sieht es nicht nach einer Vereinigung aus. Vielmehr scheint Moskau die Form der Verträge von Minsk wahren zu wollen, in denen von „Bestimmten Bezirken“ der Gebiete Luhansk und Donezk die Rede ist. Zudem argumentierte selbst der neue Luhansker Separatistenführer Passetschnik, dass Plotnizki als Mitunterzeichner der Verträge künftig als Bevollmächtigter der „Volksrepublik“ bei den Gesprächen der Minsker Kontaktgruppe fungieren werde (wo er allerdings diese Woche nicht auftauchte).
Der Einsatz der Truppen aus Donezk dürfte vielmehr ein taktischer Schachzug Russlands sein, das nach Einschätzung der meisten Beobachter den Großteil der Truppen in beiden „Volksrepubliken“ kontrolliert: Zum einen wurde so vermieden, dass die Luhansker „Volksmiliz“ in einen internen Konflikt hineingezogen wird, zum anderen kann Moskau so seine eigene Intervention etwas besser dementieren.
Der Umsturz in Luhansk ist das Ende eines längeren Machtkampfes zwischen Plotnizki und der Gruppe um Passetschnik, der bereits im Herbst 2015 eskalierte, als der Geheimdienst gegen den erklärten Willen des „Staatschefs“ den damaligen „Energieminister“ festnahm. Bereits damals verschwand Plotnizki nach Moskau, kehrte aber nach einem Tag zurück um seine Amtsgeschäfte weiterzuführen – mit Passetschnik am Kabinettstisch.
Hat Plotnizki seinen Kredit in Moskau verspielt?
Warum Plotnizki diesmal den Kürzeren zog, bleibt unklar. Die in der Ukraine populäre These, dass Passetschniks Verbündete in Moskau (der Inlandsgeheimdienst FSB) die Oberhand gewonnen haben, würde bedeuten, dass Präsident Wladimir Putin seinen eigenen Geheimdienst nicht mehr kontrolliert. Wahrscheinlicher ist, dass Plotnizkis Verbündete (allen voran Putins Donbass-Beauftragter Wladislaw Surkow) einfach keine Lust mehr hatten, ihren Mann in Luhansk mit Gewalt an der Macht zu halten.
Experten vermuten, dass Moskau seit 2015 mehrere mächtige Feldkommandeure umbringen ließ, die Plotnizki scharf kritisiert hatten. Im Herbst 2016 wurden drei prominente Luhansker Separatisten beschuldigt, einen Putschversuch gegen Plotnizki zu planen, darunter auch der ehemalige „Premierminister“ Gennadi Zypkalow, der kurz darauf unter mysteriösen Umständen starb.
Trotz dieser Säuberungen konnte Plotnizki seine Macht nicht festigen, sondern stritt sich regelmäßig und öffentlich mit Kabinettsmitgliedern. Vorwürfe, dass er sich am Medikamentenhandel und an Hilfslieferungen bereichern, wurden sogar in der russischen Presse laut.
Passetschniks Geheimdienstmethoden
Passetschnik, der als Offizier des Geheimdienstes SBU 2007 vom damaligen ukrainischen Präsidenten Wyktor Juschtschenko eine Auszeichnung als Kämpfer gegen die Korruption bekam, präsentiert sich als Saubermann. Aber seine Methoden, insbesondere die Veröffentlichung zweifelhafter Geständnisse von teilweise misshandelt aussehenden Festgenommenen auf der Geheimdienst-Website, lassen nichts Gutes ahnen.
Zudem gilt Passetschnik als Verbündeter der angeblichen Putschisten von 2016, allesamt Vertreter der „ideologischen“ Fraktion der Separatisten, die zu keinerlei Zugeständnissen bereit sind. Die Tatsache, dass er zum neuen „Republikchef“ gekürt wurde, mag ein Hinweis darauf sein, dass Moskau Passetschniks Einfluss beschränken will – so kann der langjährige Geheimdienstler nicht einfach die Strippen im Hintergrund ziehen, sondern muss sich (wenigstens ab und zu) öffentlich rechtfertigen.
Ob und wie sich der Machtwechsel auf die Verhandlungen in Minsk auswirkt, bleibt abzuwarten. Bislang werden die Vertreter der Separatisten dort – Denis Puschilin aus Donezk und Wladislaw Deinego aus Luhansk – eher der pragmatischen Fraktion zugerechnet.
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