Kampf gegen die Kor­rup­tion in der Ukraine: Ewiges Mantra des Westens

© Corvax [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en)] via Wiki­pe­dia

Das Wort „Kor­rup­tion“ liegt schnell auf der Zunge, wenn es um die Ukraine geht. West­li­che Partner machen Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung zur Auflage für eine erfolg­rei­che Zusam­men­ar­beit mit Kiew. Doch die Umset­zung kommt nur zäh voran.

Krieg in der Ost­ukraine, Anne­xion der Krim, Abschuss der MH17, Russ­land-Sank­tio­nen – die Themen, die Ukraine betref­fen und über die nach der Maidan-Revo­lu­tion im Westen haupt­säch­lich berich­tet wird, sind sehr schnell genannt.

Doch das flä­chen­mä­ßig größte Land Europas hat noch ein Problem, dem es endlich eine Kampf­an­sage erteilt hat. Es geht um die Kor­rup­tion in der Ukraine.

Die Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung ist mitt­ler­weile zu einer Art Mantra gewor­den, das Kiew von seinen west­li­chen Part­nern – von der EU oder dem IWF – zu hören bekommt. Oft im Zusam­men­hang mit den Gegen­leis­tun­gen für die Ukraine – Visa-Frei­heit, finan­zi­elle Hilfen oder groß­zü­gige Kreditlinien.

Unmit­tel­bare Kon­se­quenz des Maidan

Der Druck aus dem Westen ist deut­lich spürbar und trägt all­mäh­lich Früchte. Das erfolg­reichste Bei­spiel ist das 2015 gegrün­dete NABU, das Natio­nale Anti­kor­rup­ti­ons­büro der Ukraine. „Eine unmit­tel­bare Kon­se­quenz des Maidan und Aus­druck des Reform­schubs, den wir seit 2014 beob­ach­ten“ nennt die Grün­dung dieses Büros Gerhard Simon, His­to­ri­ker und Ukraine-Experte aus Köln. Das Ziel sei es, die Ukraine zu einem „sau­be­ren und wirt­schaft­lich erfolg­rei­chen, poli­tisch zuver­läs­si­gen Partner zu machen“, so Simon weiter.

Zusam­men mit anderen Ukraine-Exper­ten und den unmit­tel­bar an Reform­pro­zes­sen in der Ukraine Betei­lig­ten äußerte er sich im Rahmen der Podi­ums­dis­kus­sion „Die Ukraine zwi­schen Refor­men und Kor­rup­tion“, die Anfang Juli 2018 an der Uni­ver­si­tät Köln statt­fand. Orga­ni­siert haben sie Zentrum Libe­rale Moderne (Berlin), Inter­na­tio­nal Renais­sance Foun­da­tion (Kiew) und Lew-Kopelew-Forum (Köln).

Große Nach­frage nach Gerechtigkeit

Auch Leiter des NABU Artem Sytnyk war in Köln dabei. „Bereits in den nächs­ten Tagen nach der Grün­dung der Behörde wurde ich gefragt, wie viele Leute wir schon hinter Gitter gebracht haben“, erin­nerte er sich. In den letzten 25 Jahren sei die Kor­rup­tion in der Ukraine „die Grund­lage des gesell­schaft­li­chen Lebens“ gewesen, so Sytnyk. Aus diesem Grund sind die Erwar­tun­gen an seine Behörde immens groß. Die Öffent­lich­keit will baldige Ergeb­nisse der kom­ple­xen Ermitt­lun­gen, die NABU ange­sto­ßen hat.

Artem Sytnyk, Leiter des NABU

Der erste große Fall war das Ver­fah­ren gegen Olek­sandr Onysh­chenko. Da es einen Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten und ehe­ma­li­gen Ver­bün­de­ten des ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Petro Poro­schenko betraf, hätten viele in der ukrai­ni­schen Elite ver­stan­den, dass die „Kon­trolle nicht mehr in ihrer eigenen Hand liegt“, ist der NABU-Leiter überzeugt.

Onysh­chenko wird des Mil­li­ar­den­be­trugs bei Gas­ge­schäf­ten ver­däch­tigt. Laut meh­re­ren Medi­en­be­rich­ten hält er sich seit dem letzten Jahr im nie­der­säch­si­schen Kreis Emsland auf. Inter­na­tio­na­ler Fahn­dungs­er­such wurde von der Inter­pol abge­lehnt, deut­sche Ermitt­lun­gen wegen Geld­wä­sche ein­ge­stellt, mit der Begrün­dung, der Staats­an­walt­schaft liegen keine Rechts­hil­fe­er­su­che aus der Ukraine vor.

„Faule Äpfel“ bei der Justiz

Doch nicht nur Onysh­chenko bleibt ein Gerichts­pro­zess und somit ein Urteil vorerst erspart. Auch andere kor­rupte Staats­män­ner in der Ukraine bleiben zunächst ver­schont. „Wir führen eine Son­der­sta­tis­tik über Ver­hand­lun­gen in den Gerich­ten. Es pas­siert prak­tisch nichts. Die Fälle werden einfach tor­pe­diert“, beklagt Sytnyk. Die Richter hätten Angst vor dem Druck von oben, so Leiter des NABU. Schließ­lich müssten sie über die Kor­rup­tion in den hohen Macht­e­ta­gen der Ukraine urteilen.

Die Unab­hän­gig­keit der ukrai­ni­schen Justiz bleibt ein wesent­li­ches Problem des Landes. „Es gibt noch eine Menge faule Äpfel, die aus­sor­tiert werden müssen“, sagt Katja Lenzing. Mit NABU und Co. seien nur „die großen Ein­fahrts­to­ren der Kor­rup­tion“ geschlos­sen worden, Schlupf­lö­cher gebe es jedoch in großer Anzahl nach wie vor. Lenzing gehört zur Support Group for Ukraine, die bei der EU-Kom­mis­sion ange­sie­delt ist und den Reform­pro­zess in der Ukraine beglei­tet. Sie berich­tet von vielen Erfol­gen – der Libe­ra­li­sie­rung des Gas­markts, dem Umbau des Ban­ken­sek­tors, der erreich­ten Trans­pa­renz im öffent­li­chen Auf­trags­we­sen in der Ukraine. Diese struk­tu­rel­len Refor­men hätten schon Mil­li­ar­den­ein­spa­run­gen ein­ge­bracht. Das Land brauche sie, um der Kor­rup­tion auch auf Dauer den Boden zu ent­zie­hen, sagt Lenzing.

Wider­stand der alten Eliten

Ein wei­te­rer Mei­len­stein auf dem Weg der Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung in der Ukraine soll der spe­zia­li­sierte Anti­kor­rup­ti­ons­ge­richts­hof werden. Sobald gegrün­det und hand­lungs­fä­hig, wird er sich aus­schließ­lich mit Kor­rup­ti­ons­fäl­len in hohen öffent­li­chen Ämtern befas­sen. Doch noch ist es nicht soweit. Das not­wen­dige Gesetz wurde zunächst vehe­ment vom Prä­si­den­ten abge­lehnt worden. Erst der Druck aus der EU und dem IWF, die der Ukraine die nächste Kre­dit­li­nie ver­wei­gerte, machte den Weg frei und das Gesetz ist vom ukrai­ni­schen Par­la­ment ver­ab­schie­det worden.

Jedoch stelle dieses alle bisher ermit­tel­ten „Alt­fälle“ außer­halb der Zustän­dig­keit des neuen Gerichts, beklagt Marie­luise Beck, die ehe­ma­lige Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete und Mit­be­grün­de­rin des Ber­li­ner Zen­trums Libe­rale Moderne. „Die­je­ni­gen, die viel­leicht fürch­ten müssten, eines Tages bestraft zu werden, haben sich auf die sichere Seite gebracht“, sagt sie.

Marie­luise Beck, Direk­to­rin Ostmitteleuropa/​​Osteuropa am Zentrum Libe­rale Moderne

Immer weniger Druck­mit­tel bei der EU

Beck blickt auf die Zukunft der Ukraine mit Sorge. Mit der 2017 in Kraft getre­te­nen Visa-Libe­ra­li­sie­rung, die die EU in den letzten Jahren als Druck­mit­tel für den Reform­fort­schritt in der Ukraine ein­ge­setzt hat, ist ihr ein wirk­sa­mer „bar­gai­ning chip“, Druck­mit­tel abhan­den­ge­kom­men. „Ich bin mir nicht sicher, wie weit der so positiv beschrie­bene Weg der Ukraine grad­li­nig sein wird“, sagt sie und weist auf die Anfäl­lig­keit der ukrai­ni­schen Bevöl­ke­rung für den Popu­lis­mus im Hin­blick auf die bevor­ste­hen­den Prä­si­dent­schafts- und Par­la­ments­wah­len hin.

Dennoch sei es Becks Motto, „Tür offen zu halten, dass die nächste Gene­ra­tion die Chance bekommt, weiter zu machen“. „Nega­tive Bei­spiele werden in Deutsch­land gerne auf­ge­sucht, um zu belegen, dass man ‚diesen ganzen Quatsch mit der Ukraine hätte nie anfan­gen dürfen‘. Wir haben eine Grat­wan­de­rung zu begehen“, sagt Beck. Die größte Aufgabe der EU sei dabei, Ver­trauen in die eigene Ver­läss­lich­keit bei den Ukrai­nern zu schaf­fen. Nur so würde es gelin­gen, die Ukraine auf dem reform­ori­en­tier­ten pro­eu­ro­päi­schen Kurs zu behalten.

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