Kampf gegen die Korruption in der Ukraine: Ewiges Mantra des Westens
Das Wort „Korruption“ liegt schnell auf der Zunge, wenn es um die Ukraine geht. Westliche Partner machen Korruptionsbekämpfung zur Auflage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Kiew. Doch die Umsetzung kommt nur zäh voran.
Krieg in der Ostukraine, Annexion der Krim, Abschuss der MH17, Russland-Sanktionen – die Themen, die Ukraine betreffen und über die nach der Maidan-Revolution im Westen hauptsächlich berichtet wird, sind sehr schnell genannt.
Doch das flächenmäßig größte Land Europas hat noch ein Problem, dem es endlich eine Kampfansage erteilt hat. Es geht um die Korruption in der Ukraine.
Die Korruptionsbekämpfung ist mittlerweile zu einer Art Mantra geworden, das Kiew von seinen westlichen Partnern – von der EU oder dem IWF – zu hören bekommt. Oft im Zusammenhang mit den Gegenleistungen für die Ukraine – Visa-Freiheit, finanzielle Hilfen oder großzügige Kreditlinien.
Unmittelbare Konsequenz des Maidan
Der Druck aus dem Westen ist deutlich spürbar und trägt allmählich Früchte. Das erfolgreichste Beispiel ist das 2015 gegründete NABU, das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine. „Eine unmittelbare Konsequenz des Maidan und Ausdruck des Reformschubs, den wir seit 2014 beobachten“ nennt die Gründung dieses Büros Gerhard Simon, Historiker und Ukraine-Experte aus Köln. Das Ziel sei es, die Ukraine zu einem „sauberen und wirtschaftlich erfolgreichen, politisch zuverlässigen Partner zu machen“, so Simon weiter.
Zusammen mit anderen Ukraine-Experten und den unmittelbar an Reformprozessen in der Ukraine Beteiligten äußerte er sich im Rahmen der Podiumsdiskussion „Die Ukraine zwischen Reformen und Korruption“, die Anfang Juli 2018 an der Universität Köln stattfand. Organisiert haben sie Zentrum Liberale Moderne (Berlin), International Renaissance Foundation (Kiew) und Lew-Kopelew-Forum (Köln).
Große Nachfrage nach Gerechtigkeit
Auch Leiter des NABU Artem Sytnyk war in Köln dabei. „Bereits in den nächsten Tagen nach der Gründung der Behörde wurde ich gefragt, wie viele Leute wir schon hinter Gitter gebracht haben“, erinnerte er sich. In den letzten 25 Jahren sei die Korruption in der Ukraine „die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens“ gewesen, so Sytnyk. Aus diesem Grund sind die Erwartungen an seine Behörde immens groß. Die Öffentlichkeit will baldige Ergebnisse der komplexen Ermittlungen, die NABU angestoßen hat.
Artem Sytnyk, Leiter des NABU
Der erste große Fall war das Verfahren gegen Oleksandr Onyshchenko. Da es einen Parlamentsabgeordneten und ehemaligen Verbündeten des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko betraf, hätten viele in der ukrainischen Elite verstanden, dass die „Kontrolle nicht mehr in ihrer eigenen Hand liegt“, ist der NABU-Leiter überzeugt.
Onyshchenko wird des Milliardenbetrugs bei Gasgeschäften verdächtigt. Laut mehreren Medienberichten hält er sich seit dem letzten Jahr im niedersächsischen Kreis Emsland auf. Internationaler Fahndungsersuch wurde von der Interpol abgelehnt, deutsche Ermittlungen wegen Geldwäsche eingestellt, mit der Begründung, der Staatsanwaltschaft liegen keine Rechtshilfeersuche aus der Ukraine vor.
„Faule Äpfel“ bei der Justiz
Doch nicht nur Onyshchenko bleibt ein Gerichtsprozess und somit ein Urteil vorerst erspart. Auch andere korrupte Staatsmänner in der Ukraine bleiben zunächst verschont. „Wir führen eine Sonderstatistik über Verhandlungen in den Gerichten. Es passiert praktisch nichts. Die Fälle werden einfach torpediert“, beklagt Sytnyk. Die Richter hätten Angst vor dem Druck von oben, so Leiter des NABU. Schließlich müssten sie über die Korruption in den hohen Machtetagen der Ukraine urteilen.
Die Unabhängigkeit der ukrainischen Justiz bleibt ein wesentliches Problem des Landes. „Es gibt noch eine Menge faule Äpfel, die aussortiert werden müssen“, sagt Katja Lenzing. Mit NABU und Co. seien nur „die großen Einfahrtstoren der Korruption“ geschlossen worden, Schlupflöcher gebe es jedoch in großer Anzahl nach wie vor. Lenzing gehört zur Support Group for Ukraine, die bei der EU-Kommission angesiedelt ist und den Reformprozess in der Ukraine begleitet. Sie berichtet von vielen Erfolgen – der Liberalisierung des Gasmarkts, dem Umbau des Bankensektors, der erreichten Transparenz im öffentlichen Auftragswesen in der Ukraine. Diese strukturellen Reformen hätten schon Milliardeneinsparungen eingebracht. Das Land brauche sie, um der Korruption auch auf Dauer den Boden zu entziehen, sagt Lenzing.
Widerstand der alten Eliten
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Korruptionsbekämpfung in der Ukraine soll der spezialisierte Antikorruptionsgerichtshof werden. Sobald gegründet und handlungsfähig, wird er sich ausschließlich mit Korruptionsfällen in hohen öffentlichen Ämtern befassen. Doch noch ist es nicht soweit. Das notwendige Gesetz wurde zunächst vehement vom Präsidenten abgelehnt worden. Erst der Druck aus der EU und dem IWF, die der Ukraine die nächste Kreditlinie verweigerte, machte den Weg frei und das Gesetz ist vom ukrainischen Parlament verabschiedet worden.
Jedoch stelle dieses alle bisher ermittelten „Altfälle“ außerhalb der Zuständigkeit des neuen Gerichts, beklagt Marieluise Beck, die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Mitbegründerin des Berliner Zentrums Liberale Moderne. „Diejenigen, die vielleicht fürchten müssten, eines Tages bestraft zu werden, haben sich auf die sichere Seite gebracht“, sagt sie.
Marieluise Beck, Direktorin Ostmitteleuropa/Osteuropa am Zentrum Liberale Moderne
Immer weniger Druckmittel bei der EU
Beck blickt auf die Zukunft der Ukraine mit Sorge. Mit der 2017 in Kraft getretenen Visa-Liberalisierung, die die EU in den letzten Jahren als Druckmittel für den Reformfortschritt in der Ukraine eingesetzt hat, ist ihr ein wirksamer „bargaining chip“, Druckmittel abhandengekommen. „Ich bin mir nicht sicher, wie weit der so positiv beschriebene Weg der Ukraine gradlinig sein wird“, sagt sie und weist auf die Anfälligkeit der ukrainischen Bevölkerung für den Populismus im Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hin.
Dennoch sei es Becks Motto, „Tür offen zu halten, dass die nächste Generation die Chance bekommt, weiter zu machen“. „Negative Beispiele werden in Deutschland gerne aufgesucht, um zu belegen, dass man ‚diesen ganzen Quatsch mit der Ukraine hätte nie anfangen dürfen‘. Wir haben eine Gratwanderung zu begehen“, sagt Beck. Die größte Aufgabe der EU sei dabei, Vertrauen in die eigene Verlässlichkeit bei den Ukrainern zu schaffen. Nur so würde es gelingen, die Ukraine auf dem reformorientierten proeuropäischen Kurs zu behalten.
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