Rückkehr nach Hause: Quarantäne vs. Wirklichkeit
Die ersten ukrainischen Heimkehrer*innen, die aus Wuhan in eine organisierte Quarantäne kamen, wurden noch von Einheimischen bei der Anreise angegriffen. Doch sollte es nun allen Heimkehrern so ergehen? Fünfzehn Ukrainer*innen erzählen über ihre Quarantänemaßnahmen vor und nach der Rückkehr aus dem Ausland. Von Oksana Iliuk
Nachdem die Vorkommnisse in Nowi Sanschary traurige Berühmtheit erlangt hatten, beschlossen die ukrainischen Behörden ein sanfteres Prozedere für Heimkehrer*innen. Ukrainer*innen, die aus einem Staat kommen, in dem Fälle von Covid-19 registriert worden sind, müssen sich bei der Einreise den nötigen Kontrollverfahren unterziehen und sich zur Selbst-Isolation verpflichten. Gleichzeitig gibt es aber Bedenken, ob gewöhnliche Ukrainer*innen, die aus dem Ausland zurückkehren, zu Hause über die nötigen Räumlichkeiten verfügen, um sich in eine entsprechende Quarantäne begeben zu können. Und ob sie die „Quarantäne-Hinweise“ ernst nehmen.
Zurück nach Tscherniwzi
Fünfzehn nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Ukrainer*innen, die nach dem 15. März 2020 aus EU-Ländern zurückgekehrt sind, haben sich bereit erklärt, ihre Erfahrungen anonym zu teilen. Die Befragten stammen aus der Tscherniwzi-Region, in der am 2. März der erste Corona-Fall festgestellt wurde: Ein Ukrainer wurde nach der Rückkehr mit seiner Frau aus Italien positiv getestet. Es überraschte die Einheimischen nicht, dass in der Gegend um Tscherniwzi die ersten ukrainischen Covid-19-Fälle auftraten. Zwar fehlen offizielle Zahlen, aber es gibt in der Gegend zahlreiche Dörfer, in denen fast aus jeder Familie jemand in Ländern der EU arbeitet. Sie profitieren als Gastarbeiter*innen von der Visa-Liberalisierung der EU. Die Hälfte der 15 Befragten verdienen ihr Geld ebenfalls als Gastarbeiter*innen in Italien, Deutschland, Belgien oder der Tschechischen Republik. Einige machten bei der Rückkehr sehr unangenehme Erfahrungen. „Ich wollte eine Busfahrkarte kaufen, aber alles war ausgebucht. Am Zentralen Omnibusbahnhof gab es ein paar Fahrer, die eine Fahrt für 650 Euro anboten, was extrem teuer ist. So viel Geld hatte ich nicht, also bin ich von einer Stadt zur nächsten gefahren und sechs Mal umgestiegen, um zur Grenze zu kommen.“ Anders wiederum verlief die Heimreise für zwei Ukrainer*innen, die die ukrainische Botschaft in Belgien kontaktierten, welche ihnen postwendend half, einen Sonderflug zu bekommen. „Wir haben da morgens angerufen und abends saßen wir bereits im Flieger. Das lief perfekt“, berichteten sie.
Die übrigen Befragten waren Tourist*innen, die ihre Reisen im Vorfeld gebucht und sich trotz der Pandemie gegen eine Stornierung entschieden hatten. Alle gaben an, dass man ihnen an Checkpoints Fieber gemessen habe. Einem der 15 Befragten wurde ein Corona-Schnelltest angeboten. Einige bekamen Hinweise zur Quarantäne, während andere nur allgemeine Empfehlungen erhielten. Bei drei Befragten wurde lediglich Fieber gemessen, und dann schickte man sie ohne weitere Anweisungen nach Hause. Einer der Befragten erklärte: „Ich habe bei der Ankunft mit einem Aufenthalt in einem Krankenhaus oder an einem anderen Ort für die Quarantäne gerechnet, aber man sagte mir, dass ich nach Hause gehen solle. Mir blieb nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren und mit meiner Familie in der kleinen Wohnung zu bleiben.“
Einige Menschen, die aus dem Ausland zurückkehrten, flogen nach Kyjiw, das ungefähr 500 Kilometer von Tscherniwzi entfernt ist. Die meisten gaben an, dass sie keinen sicheren Transport vom Flughafen eingeplant hatten. Eine Person bemerkte: „Der gesamte öffentliche Nahverkehr, einschließlich Zügen, war eingestellt worden. Ich nahm zusammen mit drei anderen Leuten, die auch vom Flughafen kamen, ein BlaBlaCar. Wir trugen Masken und Handschuhe, aber ich habe mich permanent gefragt, wer von uns wohl die anderen anstecken würde.“ Eine andere Person gab an, vor der strengen Quarantäne noch Dinge in Kyjiw erledigt haben zu müssen
Von Selbst-Isolation und Quarantäne-Verweigerern
Acht von 15 Befragten entschieden sich zu Hause für eine vollständige Quarantäne mit getrennten Schlaf- und Badezimmern. „Ich schrieb meiner Frau, dass ich nach Hause käme und bat sie, das separate Zimmer herzurichten. Ich war für fast zwei Monate im Ausland gewesen, und es fühlt sich komisch an, wieder in unserem Haus zu sein, aber meiner Frau zu texten, als ob ich immer noch in Belgien wäre.“ Einige gaben an, ihren Freund*innen und Verwandten nicht von ihrer Rückkehr erzählt zu haben, um Panik und Tratsch zu vermeiden. Geschwister, die aus Großbritannien zurückkehrten, gingen zu Hause in Quarantäne und vermieden alle Kontakte; sie sprachen über den Druck, der durch die Situation entstand. „Wir waren so gestresst, dass wir, als wir zu Hause ankamen, erst einmal alles wuschen. Wir wuschen quasi alles, was wir dabeigehabt hatten. Wir wollten alles richtig machen.“ Lebt man in einem Haus, hat man mehr Möglichkeiten für Quarantäne; drei der Befragten hatten allerdings keine Alternative und mussten sich in einer Wohnung zusammen mit dem Rest der Familie in Quarantäne begeben. Eine Person scherzte: „Ich wünschte, ich hätte einen separaten Raum gehabt. Liebend gerne würde ich mich für einige Zeit von meinen lauten Geschwistern isolieren.“
Vier von 15 Befragten weigerten sich, in Quarantäne zu gehen. Ihre Begründungen waren vor allem emotional: „Bin ich ein Gefangener oder was?“, „Ich bin doch kein Überträger“, „Das ist ein Virus für ältere Leute, der kann mir nichts“. Es fehlte an Verantwortung, sie alle hielten Kontakte mit verschiedenen Menschen aufrecht. Beim Austausch über die ersten Dinge, die sie nach der Ankunft getan hatten, bestätigten alle vier Befragten, mindestens fünf Personen kontaktiert zu haben. Sie berichteten, dass sie Verwandte besucht und Freund*innen getroffen haben. Die vier Heimkehrer*innen zeigten bis zum 1. April noch keine Symptome. [Nachtrag der Autorin: zwei der Befragten sind gesund, aber die anderen zwei wollten nicht reden. Laut den Verwandten seien sie zuhause und fühlen sich krank, aber bisher worden sie nicht getestet.]
Kontakt haben mit Infizierten ist auch ein Problem
Am 19. März 2020 drängte Serhij Osachuk, Gouverneur von Tscherniwzi, die Gastarbeiter*innen, die massenweise in die Region zurückkehrten, in Quarantäne zu bleiben und soziale Verantwortung zu zeigen, da die neuen, bestätigten Fälle nicht nur diejenigen betrafen, die aus dem Ausland zurückgekommen waren, sondern auch die, die in der Ukraine vor Ort Kontakt mit Infizierten gehabt hatten. Die Hälfte der Befragten waren der Meinung, dass Menschen, die direkt vor der Grenzschließung zurückgekommen seien, mehr Verantwortung trügen als diejenigen, die ein bis zwei Wochen früher gekommen seien. Sie erklärten das Verhalten mit einfacher Angst. „Erst dachten die Leute, es sei eine normale Erkältung, die in den Medien übertrieben wird, aber als sie sahen, dass andere Länder die Grenzen schlossen und Maßnahmen trafen, begannen sie die Situation zu begreifen.“ So auch im traurigen Fall einer Saisonarbeiterin, die aus Italien zurückkehrte und ihre Familie und Dorfnachbar*innen ansteckte. Nach ihrer Ankunft hatte sie sich nicht in Quarantäne begeben, sondern sogar noch an einer kleinen Demonstration im Dorfzentrum teilgenommen, was zu 14 bestätigten Covid-19-Fällen führte und am 30. März die komplette Isolierung dreier Dörfer nach sich zog. Die Frau postete eine gefilmte Entschuldigung auf Facebook, in der sie kniend um Vergebung bat.
Vertrauen oder nicht vertrauen – das ist ein Dilemma, dass sich der ukrainischen Regierung gegenwärtig stellt. Strenge Beobachtung, wie sie die aus Wuhan Evakuierten erfahren hatten, wurde durch die Devise der Selbst-Isolation ersetzt, die wiederum in der Nacht des 29. März für ineffektiv erklärt wurde. Nun müssen sich alle Ukrainer*innen, die aus dem Ausland zurückkommen, strenger Beobachtung unterziehen. Bis zum 25. März 2020 kehrten mit der Unterstützung diplomatischer Missionen 82.804 Ukrainer*innen nach Hause zurück, das Außenministerium rechnet jedoch mit zwei weiteren Evakuierungswellen.
Aus dem Englischen übersetzt von Dorothea Traupe.
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